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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Martin Elsaessers Privatvilla – Ein expressionistisches Meisterhaus des „Neuen Frankfurt“

Bauen im „Neuen Frankfurt“ – Geschichtsbewusst und visionär

Martin Elsaesser – ein Baumeister, der modernste Bauweisen mit traditionellen Bezügen verwob, kam zwischen 1925 und 1932 als künstlerischer Leiter des Hochbauamts nach Frankfurt. Er war damit maßgeblich an der Gestaltung des von Oberbürgermeister Ludwig Landmann initiierten ‚Neuen Frankfurt‘ beteiligt und für die kommunalen Großbauten zuständig. Er gestaltete u.a. die prominente Großmarkthalle (1928), heute Basisbau der EZB. Seine architektonische Handschrift wird nicht zuletzt an seinem eigenen Wohnhaus in Ginnheim (1925/1926) sichtbar, das  – nach vorbildlicher Restaurierung – heute der Schweizerischen Eidgenossenschaft gehört.
Petra Kammann stattete der Villa einen Besuch ab.

Wohnhaus Martin Elsaesser am Ginnheimer Hang, Im Höhenblick 37; Foto: Petra Kammann

Architekturmodell: Villa Elsaesser im Stadtplanungsamt

Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann muss ein weitsichtiger Mann gewesen sein, denn er verfolgte das Projekt Groß­Frankfurt mit Frankfurt als Zentrum der RheinMain-Region. So wurde ab Mitte der 1920er Jahre  in Frankfurt in großem Maßstab die Stadt erweitert, geplant und gebaut. Dazu berief Landmann eigens kompetente Macher in die Mainmetropole, nicht nur den Architekten und Stadtplaner Ernst May, der Leiter des Hochbauamtes wurde, sondern eben auch Martin Elsaesser, der als künstlerischer Leiter des städtischen Hochbauamtes ausgewählte Neubauprojekte realisieren sollte, die sich durch eine besondere technisch­-künstlerische Ausgestaltung und städtebauliche Modernität auszeichnen. Schließlich war Elsaesser zuvor nicht nur Leiter der Kunstgewerbeschule, den späteren Kölner Werkschulen, gewesen, sondern er konnte auf seine Dozententätigkeit in München und Stuttgart, und auch auf seine architektonischen Erfahrungen im Süddeutschen zurückgreifen. Dort hatte er schon prominente Kirchenbauten und Privathäuser errichtet und war bereits zum Präsidenten des Bundes Deutscher Architekten BDA berufen worden.

Der Architekt Martin Elsaesser beim Boccia-Spielen, Foto: Martin Elsaesser Stiftung

Gleich zu Beginn seiner neuen Tätigkeit und nahezu zeitgleich mit Ernst May plante Martin Elsaesser sein privates Wohnhaus, das Haus Höhenblick 37, auf einem großzügigen Grundstück am Hang zum Niddatal mit Blick auf den Taunus, von dem aus er und seine Familie mit vier Kindern sich frei bewegen können sollten. Doch anders als das Wohnhaus von Ernst May bezog Elsaesser andere besondere architektonische Elemente in sein Familienhaus mit ein und er passte es den individuellen familiären und geselligen Bedürfnissen der Familie an. Gestalterisch sind das Flachdach, die Klinkerfassade mit den schneeweißen Sprossenfenstern sowie die Einbindung des Gartens für den Baukünstler Elsaesser charakteristisch. Damit hob er sich von der rein funktionalen Lehre Ernst Mays ab, weswegen damals das etwas spöttische Bonmot der Zeitgenossen bei Äppelwoi-Gesprächen lautete: „Alles neu macht der May – alles besser Elsaesser“.

Am nordwestlichen Ende der Straße Im Höhenblick bildete der Flachdachbau den Abschluss einer der ersten neu erschlossenen Siedlungsbebauung zum Niddatal hin. Aber aufgrund seiner expressionistischen Formensprache und Materialität ragt Elsaessers Privathaus heraus und wirkt in manchem wie eine Trutzburg. Das Haus – kein weißer Flachdachkubus wie die Bauhaus-Meisterhäuser oder Ernst Mays Privatvilla – wurde in konventioneller Ziegelbauweise errichtet, wobei die schneeweißen, um die Ecke laufenden Sprossenfenster, die wie Schmuckelemente wirken, besonders hervorstechen und auch ganz modern wirken.

Querliegende weiße Sprossenfenster und ein expressiv gestaltetes gefugtes Mauerwerk, Foto: Petra Kammann

Licht, Luft und Sonne waren darüberhinaus wichtige Kriterien für die Bauten der 20er und frühen 30er Jahre. In der Zeit der Entstehung war das familiäre und gesellschaftliche Leben – den Reformidealen der Zeit ent­sprechend – durch sportliche und geistige Betätigung, Musik und Spiel, aber auch durch die Nähe zur Natur geprägt. Das wollte Elsaesser natürlich in seiner Planung ebenfalls berücksichtigen. Entsprechend wurde der Garten nach den Kriterien der Gartenreformbewegung im Stil von Leberecht Migge, einem Schüler des berühmten Gartenarchitekten Linné, angelegt: mit einem Nutz- und einem Ziergarten, einem Schattengarten, einer großen Wiese und dazu noch einem Spielplatz, wo sich die Kinder im Freien austoben und die Erwachsenen im Freien gymnastische Freiübungen machen konnten.

Musik und Malerei: Das traditionell angelegte Musikzimmer wird auch von den heutigen Bewohnern genutzt, Foto: Petra Kammann

So gab es im Erdgeschoss zwischen Garage und Musikzimmer den sogenannten Wohnhof, einen von drei Seiten gefassten Raum, der scheinbar zum Haus gehört, jedoch nicht überdacht ist. Dadurch entstand eine Verbindung der Natur mit dem Erdgeschoss, mit dem Balkon und der geräumigen Dachterrasse in den oberen Geschossen, auf der so manches Mal gefeiert und entspannt geklönt wurde, wie es historische Fotografien belegen.

 

Werke von Raffaela Zenoni im repräsentativen hellen Entree des Hauses, Foto: Petra Kammann

Hell und großzügig gestaltet ist das Entree des Hauses wie auch das Innere überhaupt. An den verschiedensten Stellen ergeben sich interessante Sichtbeziehungen hinaus in die Natur. Die Querriegel der Fenster setzten sich auch im Inneren in den verglasten Türen oder auch Holzverkleidungen der Heizkörper oder in den Schrankeinbauten fort, die dazu ausgesprochen funktional und praktisch sind, weil der Hausrat wie Geschirr, Gläser für größere Gesellschaften und Tischwäsche mühelos darin verschwinden kann und einzelne große Schränke nicht Teile des kostbaren Wohnraums wegnehmen. Schon damals dienten die Räume des Erdgeschosses der Geselligkeit, die von der Familie Elsaesser stark gepflegt wurde.

Ansonsten überrascht das Innere insgesamt durch die helle Farbwahl sowie durch äußerst bewusst gewählte und gestaltete harmonische Materialien. In den Räumen bilden dazu heute die großformatigen Gemälde der Malerin Raffaela Zenoni eine interessante Spannung. Die Villa, in der heute der Schweizer Generalkonsul residiert, wurde 2002 ausgesprochen sorgfältig restauriert, nicht nur die sanierungsbedürftigen Lagerfugen in den aufwändig gemauerten Backsteinfassaden. Die wohlüberlegten Fußbodenbeläge wurden wieder freigelegt, Balkone und Terrassen saniert und die Technik im Innern restauriert, ohne dass dabei die ursprüngliche Form verletzt worden wäre.

Die querliegenden Fensterelemente finden sich auch im Innern des Hauses wieder, Foto: Petra Kammann

Einen schwungvollen Gegensatz zu den eher strengeren architektonischen Elementen bilden die Messing- und Eisen-Türklinken, vor allem aber auch das organisch geschwungene Treppenhaus, das in die Privatgemächer in die erste und zweite Etage des geräumigen Hauses nach oben führt und durch den schwarz-weißen Anstrich besonders gut zur Geltung kommt. Bei den Treppen, Türen und Beschlägen kommt die Liebe des Architekten, der zuvor als Leiter der Kölner Kunstgewerbeschule mit Kunsthandwerkern aller Art zusammengearbeitet hatte, zum gestalteten Detail besonders stark zum Ausdruck.

Elegant geschwungenes Treppenhaus, Foto: Petra Kammann

Überraschend etwa im Obergeschoss die Schlaf- und Ruheräume, in die sich jedes Familienmitglied zurückziehen konnte und auch heute immer noch kann. Auch hier wird ein Zimmer heute vom Generalkonsul als privater Arbeitsbereich genutzt. Im zweiten Geschoss waren die Gästezimmer als auch die Räume für das Hauspersonal eingeplant, das in der „Moderne“ nicht – wie annodazumal noch – in kleinsten Dachkämmerchen hausen musste. Entsprechend viele verschiedene Badezimmer und Toiletten wurden in der durchdachten Villa Elsaesser auf den verschiedenen Ebenen eingeplant, in denen die ursprüngliche Kachelung noch heute ganz modern anmutet. Heute ist es das Reich der Kinder.

     

Kleine besonders gestaltete Details im Innenbereich wie Fußboden und Türklinken, Foto: Petra Kammann

Aber einmal abgesehen von den gestalterischen Elementen wie Handläufe, Gitter und Türklinken, ist das Haus kein Museum, auch wenn man es in regelmäßigen Abständen als architektonisches Kleinod besichtigen kann, sondern ein Haus, in dem auch heute ganz alltäglich die Familie des Schweizer Generalkonsuls Dr. Urs Hammer, seiner Frau Raffaela Zenoni inklusive der zwei Söhne lebt, und das auf den verschiedenen Ebenen und den Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder entsprechend. Wegen der Großzügigkeit des Wohnbereichs im Erdgeschoss bietet es sich daher auch für offizielle Empfänge oder größere Essenseinladungen an.

Den Grundriss hat der Architekt seinerzeit so überlegt konzipiert, dass die Funktions- und Wirtschaftsräume funktional von den Wohnräumen getrennt sind und die Raumfolgen das auch ermöglichen. Im Keller befindet sich die Heizungsanlage, dann ein Weinkeller mit eigens gemauerten Regalen sowie geräumige Wasch- und Wirtschaftsräume, die heute zum Teil auch als Materiallager fungieren. Vom Untergeschoss aus gibt es übrigens auch einen unmittelbaren individuellen Zugang zum Garten, so dass nach frisch getanem Werk die Farbe nicht in die anderen Räume getragen werden kann. Außerdem kann die Malerin dort auch einfach auf die großen eingebauten Waschbecken zurückgreifen, um sich von den Spuren der Farben wieder zu befreien, wenn es zurück in die repräsentativen Räume geht.

Artist in Residence: Die Künstlerin Raffaela Zenoni auf der überdachten Terrasse, Foto: Petra Kammann

Im Souterrain des Hauses entstehen nämlich u.a. die lebhaft sprühenden, humorvollen großformatigen Gemälde der „Anderen Ahnengalerie“ von Raffaela Zenoni, außerdem bemalte rollende Skulpturen sowie die expressiven Landschaften, die das besonders gestaltete Haus auf den verschiedensten Ebenen bevölkern und beleben. Zuletzt entstand hier in der Elsaesser Villa die Gertrud-Heidelinde von zu Plattenberg-Ginnburg (in Anlehnung auf Ginnheim und die Burg). „Sie hat mich etwas müde gemacht, doch nun erfüllt sie mich auch mit ihrem sonnigen und gar humorvollen Dasein. Sie kann fahren, hat vier Rädchen. Warum? Das bleibt ihr Geheimnis“, kommentiert die Künstlerin hintergründig lächelnd.

Das Atelier der Malerin Raffaela Zenoni mit dem entstehenden „Bannwald“ findet im Souterrain Platz, Foto: Petra Kammann

Dass heute neben der Familie eine Künstlerin das Haus bewohnt, die selbstbewusst, spielerisch und humorvoll mit den Elementen des Hauses umgeht, darf jedenfalls als ein Glücksfall für das historisch bedeutsame Gebäude gesehen werden, denn dadurch ist hier eine Tradition des „Neuen Frankfurt“ der Zwanziger Jahre wieder präsent, wohnten doch seinerzeit in der Nachbarschaft von Ernst May und Martin Elsaesser ebenfalls Architekten wie Carl Hermann Rudloff und Max Cetto oder der Grafiker Hans Leistikow, der Maler Willi Baumeister und weitere Frankfurter Künstler, welche der Aufbruchstimmung für ein paar Jahre einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt haben.

 

Weitere Infos:

→ DAS NEUE FRANKFURT – Die Moderne am Main feiert sich im Bauhausjahr 2019 in drei Museen“>DAS NEUE FRANKFURT – Die Moderne am Main feiert sich im Bauhausjahr 2019 in drei Museen

→Die Ausstellung „Moderne am Main 1919–1933“ im Museum Angewandte Kunst

→ „NEUER MENSCH, NEUE WOHNUNG. Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925 – 1933“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM)

→Das Forum Neues Frankfurt – Eröffnung eines Hotspots in der Hadrianstraße 5

→ Raffaela Zenoni: „Le quattro stagioni“

→ Raffaela Zenoni: Malerei, Skulptur

→„Die andere Ahnengalerie“ von Raffaela Zenoni bei den Design Offices Frankfurt

 

http://www.martin-elsaesser-stiftung.de

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