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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Król Roger von Karol Szymanowski an der Oper Frankfurt

Freiheit, Sinnlichkeit, Freude am Leben, aber auch Einsamkeit

von Renate Feyerbacher

Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt 

Nur zwei Opern hat Karol Szymanowski insgesamt geschrieben: „Hagith“, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstand und „Król Roger“ in den Zwanziger Jahren. Zum ersten Mal ist diese Oper  93 Jahre nach der Uraufführung in Warschau in Frankfurt zu sehen. Eine eigenwillige außergewöhnliche Musik mit schwierigem Inhalt. Das Frankfurter Publikum feierte die Produktion.

Łukasz Goliński (König Roger; in der Bildmitte auf dem Tisch kniend) und Ensemble

Es ist stockdunkel, der Vorhang bleibt schwarz ohne Belebung durch ein Video. Zunächst Orgeltöne, dann schwillt ein Kirchengesang a-cappella  mehr und mehr an. Ein starker Einstieg durch den Chor und Extrachor (Tilman Michael) sowie mit dem Kinderchor (Markus Ehmann).

Erst nach einiger Zeit geht der Vorhang auf. Die Gläubigen stehen mit dem Rücken zum Publikum. Leben kommt in die statisch-stehende Kirchengemeinde, wenn der Erzbischof (Alfred Reiter), die Diakonissin (Judita Nagyová) und das Volk König Roger auffordern, den Sittenverfall aufzuhalten. Sie fühlen sich von einem fremden Hirten bedroht, der von einem anderen Gott schwärmt: „Mein Gott ist jugendschön gleich mir.“ Es geht um Homoerotik. Im zaristischen Rußland wurde Homosexualität zwar nicht bestraft, von der katholischen Kirche aber bis heute noch als Entartung und Sünde angesehen. Der Komponist war homosexuell. Der Hirte – sein alter Ego?

Der Hirte wird zum Tode verurteilt. Tumult und Streit unter den Streng-Gesinnten und denen, die Verständnis für den Hirten haben wie Königin Roxana. Sie bittet, ihn anzuhören. Der Hirte in weißem Anzug, mit strohblonder Haarpacht, geht barfuß, verführerisch seine Brust zeigend. Wie eine Predigt hört sich an, was er sagt.

Das Kirchenvolk, der Hofstaat dagegen ganz in schwarz, die Augen hinter Sonnenbrillen versteckt (Kostüme Jorge Jara). Schwarz-weiß ist auch das nüchtern-imposante, konstruktive Bühnenbild von Johannes Leiacker, das durch gezieltes Lichtdesign (Joachim Klein) und grandiose Videos (Bibi Abel) belebt wird. Das Video mit dem Kopf von König Roger, der von Meer-Wasser und Wellen umspült wird, interpretiert den psychischen Zustand des Königs, der durch die schwärmerischen Bekenntnisse des Hirten, der ein anderes Leben preist, völlig verunsichert wird, Traumvisionen. Er ist gespalten – im Bühnenbild ein schwarzer Spalt.

auf der Bühne v.l.n.r.: Alfred Reiter (Der Erzbischof; zur Wand gedreht), AJ Glueckert (Edrisi; vorne sitzend), Łukasz Goliński (König Roger), Sydney Mancasola (Roxana), Judita Nagyová (Die Diakonissin; zur Wand gedreht), Filip Niewiadomski

Es gibt den historischen König Roger II., der im 12. Jahrhundert auf Sizilien herrschte,  mehrfach Auseinandersetzungen mit Päpsten hatte, der weltoffen und sehr gebildet war. Er sprach griechisch und arabisch. Er war nicht homosexuell, dafür mit drei Frauen verheiratet, von denen keine ihn verlassen hatte.

Karol Szymanowski (1882-1937) reiste mit einem Freund nach Sizilien, Algier und Tunesien, wo er die Exotik des Südens kennenlernte.

Die polnische Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka spricht in ihrer Biografie „Der Verführer – Karol Szymanowski und seine Musik“ (2017) von der großen Intensität, welche die südliche Exotik, diese erotische „Andersartigkeit“ auf den Komponisten ausübte. „Wenige Jahre später wurde die Verbindung jener Exotik mit Erotik zum wichtigsten Impuls für König Roger. [..] Mit ihm (dem Dionysoskult, Anm. der Redaktion) konnte die erotische Inversion als Konversion gezeigt werden, also als Übergang zur Religion der wahren Liebe.“ (Zitiert nach Programmheft).

Roger empfängt in Anwesenheit seines Beraters Edrisi – Vorbild war der arabische Gelehrte al – Idrisi am Hofe von Roger II – den Hirten und befragt ihn, beschuldigt ihn schließlich der Gotteslästerung. Verhaftung droht, die Hinrichtung scheint unabwendbar, aber der Hirte kann sich befreien. Roxana, die sich von der Sinnlichkeit, von der Lebensfreude des Hirten angezogen fühlt, hat ihren strengen schwarzen Hosenanzug abgelegt und ist in ein verführerisches, goldenes Kleid oder sogar in ein Negligé geschlüpft. Sie tanzt den Hirten umgarnend an.

Sydney Mancasola (Roxana), Łukasz Goliński (König Roger; in schwarzem Anzug) und Gerard Schneider (Der Hirte; in weißem Anzug) sowie im Hintergrund Ensemble                     

Ihren Mann lockt sie mit gefiederten goldenen Handschuhen. Vergeblich versucht er, sie zu halten. Sie folgt dem Hirten. Der König ist der Verlierer, er verzichtet auf seine Macht. Er ist der Einzige in der Oper, der seine Gedanken änderte: „Aus der Tiefe meiner Einsamkeit, aus dem Abgrund meiner Macht,  reiße ich mein Herz heraus und bringe es als Opfer der Sonne dar.“

Die Einsamkeit des Menschen ist einer der Grundgedanken, die Regisseur Erath vertieft, ein anderer die Angst der Menschen vor dem Fremden.

Edrisi ist keine eindeutige Figur (Tenor AJ Glückert in guter Stimmlage). Edrisi monologisiert, vermittelt keinen Rat, bringt die Handlung nicht voran. Er sitzt im Rollstuhl, dann geht er die schräge Bühne hoch, den Rollstuhl sogar über der Schulter schleppend. Warum?

Johannes Erath nach der Premiere, Foto: Renate Feyerbacher

Regisseur Johannes Erath, der zuletzt mit großem Erfolg „Der Mieter“ von Arnulf Herrmann  an der Oper Frankfurt inszenierte, hat mehrfach Rätsel in „Król Roger“ eingebaut. Warum sehen wir hier Edrisi mal im Rollstuhl sitzend, mal mit diesem auf der Schulter? Erath hat es mir erklärt. Er hatte den „Sisyphos“ von Albert Camus vor Augen.

Der von den Göttern bestrafte Sisyphos schleppt den Stein den Berg hoch, der ihm kurz vor dem Gipfel entgleitet und zurückrollt. Wieder beginnt das Hochschleppen. Das sind wir, die Menschen. „Es gibt keine Liebe zum Leben ohne Verzweiflung am Leben.“ (Camus)

Die Inszenierung von Johannes Erath, gespickt mit eigenwilligen, aber auch rätselhaft bleibenden Ideen und durchsetzt von starken sinnlichen Momenten, wirkt kühl.

Die Musik dagegen ist ein unglaublich sinnliches Erlebnis. Insgesamt eine gelungene Mischung.

Wunderbar, wie Sylvain Cambreling die Klangfarben von „Król Roger“ mit dem Opern- und Museumsorchester entfaltet. Nach 22 Jahren steht der Franzose, der einstige künstlerische Intendant und Generalmusikdirektor des Opernhauses Frankfurt (1993 bis 1997), das in seiner Ägide erstmals Opernhaus des Jahres wurde, endlich einmal wieder am Pult des Frankfurter Hauses.

Sylvain Cambreling am 19. nach Mai ,Oper extra‘, Foto: Renate Feyerbacher

Cambreling charakterisiert die Musik als „Gratwanderung zwischen Ekstase und Schmerz“ und nennt die Sprache – mühsam erarbeitete Szymanowski mit seinem jüngeren Vetter Jaroslaw Iwaszkiewicz das Libretto –, nicht einfach. „Sein Symbolismus ist sehr komplex und mysteriös.“ Für Dramaturg Zsolt Horpácsy sicher keine leichte Arbeit.

Bei Oper extra erläutert Cambreling den musikalischen Aufbau, der sich von C-Dur, Inbegriff maximaler Ordnung für die Kirche, wegbewegt, chromatisch, spannungsvoller, orgiastisch wird, am Ende jedoch wieder in die  C-Dur- Tonart zurückkehrt, allerdings in anderer Bedeutung nämlich als Freiheit und Freude am Leben.

Einfühlsam wird das Sänger*innen-Team begleitet. An die 80 Musiker*Innen sind involviert.

Mit klaren hellen Tönen – keck und sinnlich – verführt der Hirte (Ensemblemitglied Gerard Schneider ) die Königin Roxana und letztlich auch König Roger, der ihm zwar nicht folgt, sich aber ändert.

Ensemblemitglied Sydney Manascola singt die Roxana. Berauschend, wie die amerikanische Sopranistin, die viel in ihrem Heimatland gastiert und zuletzt ihr Debüt an der Metropolitan Opera gab, diese Rolle meistert. Zart-ekstatisch von der Flöte umspielt, entfaltet sie die lyrischen Melodiebögen. und erreicht dabei eine schöne klare Höhe. Erotisch, lustvoll, begehrlich und begehrend ist ihr Spiel.

Für den König Roger konnte der polnische Bassist Lukasz Golinski gewonnen werden, der zu den gefragtesten Interpreten dieser Rolle gehört, die er demnächst an der Accademia di Santa Cecilia in Rom singen wird.

Lukasz Golinski nach der Premiere am 2. Juni 2019, Foto: Renate Feyerbacher

Oft rezitativ unterwegs, erklingen die Klagerufe von Roger um Roxana geradezu erschütternd und bei den Schlussworten „Aus der Tiefe meiner Einsamkeit [–] reiße ich mein Herz heraus.“ bebt es. Golinskis exzellente Stimme läuft zur Hochform auf.

Wieder ein seltener Opernabend, den man nicht verpassen sollte. Nicht nur außergewöhnliche Musik lernt man dabei kennen, sondern auch , dass der Komponist Karol Szymanowski, „ ein „ruhelos Suchender“, ein Künstler ist, „der mit dem Leben nicht wirklich zurechtkam.“ (Danuta Gwizdalanka). Viele Vorhänge und keine Buh-Rufe, aber eine aufgefangene Stimme danach „Ich habe nichts verstanden.“, schien mir nicht untypisch. Daher: Vorbereitung ist ratsam.

Weitere Aufführungen in polnischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln am 6. Juni, danach Burchvorstellung durch Danuta Gwizdalanka, am 9., 15., 19., danach „Oper lieben“ mit Cambreling, Erath und Loebe, am 22., 27. und 29.Juni.

 

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