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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein (1)

Von Erhard Metz

Dem Frankfurter Kunstverein gilt heute unsere zweifache Gratulation: die erste zur Verleihung des hoch angesehenen Binding-Kulturpreises 2019 im kommenden Juni an den bundesweit renommierten Verein, einen der ältesten seiner Art in Deutschland; die zweite der derzeit laufenden absolut sehenswerten Ausstellung „And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“.

Die acht austellenden Künstlerinnen und Künstler (v.l.): Bertrand Flanet, Viviana Abelson, Jonas Brinker, Catharina Szonn, Hanna-Maria Hammari, Wagehe Raufi, Christian Leicher und Max Geisler

Acht aktuelle künstlerische Positionen von acht Künstlerinnen und Künstlern gibt es zu sehen, der äußeren Form nach (beabsichtigt?) wohlausgewogen: vier Damen und vier Herren, von denen wiederum jeweils vier an der Städelschule und an der Hochschule für Gestaltung Offenbach HfG studierten bzw. noch studieren.

Der Frankfurter Kunstverein wird mit dieser großen Werkschau ein weiteres Mal seiner Aufgabe gerecht, über die Präsentation interessanter, so noch nicht gesehener Positionen bereits international bekannter Kunstschaffender hinaus noch nicht für den Markt geöffnete Arbeiten einer jüngeren Generation zu zeigen. Wir beginnen mit unserem Bericht im Souterrain des renommierten Hauses und arbeiten uns Schritt für Schritt bis in die dritte Ebene hoch.

Jonas Brinker: „0hne Titel“ (Work in progress), HD video loop, 2019

Die Wölfe sind zurück in Deutschland, und einer von ihnen hat nun auch den Frankfurter Kunstverein erobert. Was wissen wir über dieses hierzulande wie in weltweit vielen (antiken) Kulturen sogar als göttlich verehrte wie zugleich heute vor allem von der Viehwirtschaft gefürchtete und gehasste Tier, jenen Vorfahren des wohl beliebtesten Haustieres, des Hundes? Erinnern wir uns noch an das dicke, völlig zerlesene Buch der Märchen der Gebrüder Grimm vom „bösen“ Wolf, an „Der Wolf und die sieben Geißlein“, an „Rotkäppchen und der Wolf“? An die mythische Wölfin, die Romulus und Remus aufzog, die Begründer des römischen Weltreichs? Weiß eine junge Generation überhaupt noch, von wem oder was wir hier handeln? Schauen wir uns die für die Ausstellung im Kunstverein entwickelte Videoarbeit des Künstlers an:

Screenshots des Autors; Video © Jonas Brinker

Der Wolf ist echt, aber domestiziert und für Filmarbeiten trainiert. Der Stein, auf dem er sich aufrichtet, ist virtuell (also ein fake), die Szene spielt ohnehin vor einem Greenscreen. Die lebendig-wilde, schöne Natur des stolzen Tieres steht gegen die inszenierte, aber tote Filmkulisse. Gefühlsmäßig geurteilt: dieser Wolf tut uns leid, obwohl oder gerade weil es ihm bei den ihn domestizierenden Menschen vermeintlich gut zu gehen scheint. Von einer höheren Perspektive aus betrachtet geht es ihm jedoch gerade deshalb schlecht.

Wir sehen den Kontrast zu den zitierten Märchen vom zu Unrecht „bösen“ Tier, die Projektionen, die sich in unserer Gegenwart auf den Wolf richten. Jonas Brinker beschäftigt sich – in der Bildsprache seiner Arbeit, die er übrigens als „Work in progress“ bezeichnet – mit jenen Widersprüchen. Wie geht unsere Gesellschaft mit diesem so symbolträchtigen Geschöpf um, wie wird sie künftig mit ihm umgehen? Vielleicht dürfen wir in aller Unschuld ein berühmtes Wort Jesu abwandeln: So gebt dem Schäfer, was des Schäfers ist, und dem Wolf, was des Wolfes ist.

Jonas Brinker, 1989 in Bochum geboren, graduierte mit dem Bachelor in Fine Art an der Slade School of Fine Arts in London und studierte von 2015 bis 2018 an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule bei den Professoren Douglas Gordon und Willem de Rooij mit dem Abschluß Meisterschüler.

Jonas Brinker im Presserundgang am 1. März 2019

Catharina Szonn: „Überdehnungsmobilität“, Installation, 2019

Es ist immer wieder spannend, ja faszinierend, wenn Kunstschaffende Dinge bauen, bei denen „etwas passiert“. Eindrucksvoll große, gefährlich oder geheimnisvoll aussehende Maschinen zum Beispiel mit manch Lärm und Bewegung, zumeist jedoch ohne greifbaren Gebrauchswert oder kommerziellen Nutzen. Sie laden zur Erkundung und weiteren Beschäftigung ein, veranlassen zu vertieftem und durchaus lustvollem Grübeln über den tieferen Sinn der zumeist komplexen Einrichtung, und noch stets führen sie am Ende zu ebenfalls lustvollem Erkenntnisgewinn. Wir erinnern uns an Joseph Beuys unvergessene „Honigpumpe“. In Frankfurt am Main erlebten wir Paola Pivis Maschineninstallation „It’s a Cocktail Party“, die die Grundplatte des Portikus erschütterte, Michael Beutlers gewaltigen „Webstuhl“, er füllte zur Gänze die große Halle der Galerie Bärbel Grässlin aus, oder die nicht minder gewaltige „Psilamin“ erzeugende Produktionsanlage „Psychoprosa“ von Thomas Feuerstein, die sich über die gesamten drei Etagen des Frankfurter Kunstvereins erstreckte.

Catharina Szonn im Presserundgang am 1. März 2019

Auch Catharina Szonn baut im Erdgeschoß des Frankfurter Kunstvereins eine skurril-fantastische Maschinerie auf. Betrieben wird sie von einem veritablen Heugebläse, ein im Zeitalter von Mähdrescher und Ballenpresse längst ausgemusterten landwirtschaftlichen Gerät. In dem aus Originalteilen und hinzugefügten fantasievollen Versatzstücken konstruierten Rohrsytem, gestützt auf ausrangierte Transport- und Verpackungsmaterialien, wird jeweils zur halben und vollen Stunde im lärmenden Luftstrom ein Kreislauf von Papierfetzen generiert.

„Überdehnungsmobilität“, Ausstellungsansichten, Installation © Catharina Szonn

Zwei Texte laufen über zwei LED-Displays:

„Eine Wiederholung ist das Andere,
das mit einem Zögern,
zu dem gemacht wird,
dessen Teilnahme ursprünglich war“

„Zu Sonderkonditionen schwitzen
Unverbindlich ist um die Ecke wegtrainiert
Teste jetzt völlig risikolos
am lockeren Ende einer festen Verankerung“

Und in besagtem Kreislauf flattern Textschnitzel:

„Die Anstrengung als Umrundung strecken
es war bereits zu dunkel, als man anfing es ernst zu nehmen
nach der Leichtigkeit die Erschöpfung halten
weil es auf Erneuerung abzielt, hatte es aufgehört zu existieren

du kannst nicht weiter weg, als dahin wo du bist
nimm mich auf und nimm mich mit
30% fließen praktisch an jeder Stelle
Sofort-Ersatz als außergewöhnliche Abnutzung“

Eine Maschinerie, in Gang gesetzt als „ironischen Angriff auf den Sinn des konsumgetriebenen Zeitalters unaufhaltsamer technischer Erneuerungen“ (Kunstverein), als Sinnbild für die im Kreislauf zirkulierende ineffektive Produktion nutzloser Dinge. Weit mehr als ein „Hingucker“!

Catharina Szonn wurde 1987 in Großenhain geboren. Sie studiert seit 2013 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach bei den Professoren Alex Oppermann und Gunter Reski. 2016 besuchte sie als Gast die Iceland Academy of Arts Reykjavik und 2018 den Masterstudiengang Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

„And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein, bis 12. Mai 2019

Abgebildete Werke © Jonas Brinker bzw. Catharina Szonn; Fotos: Erhard Metz

→ „And this is us. Junge Kunst aus Frankfurt“ im Frankfurter Kunstverein (2)

 

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