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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Elektra an der Oper Bonn in der Inszenierung von Enrico Lübbe

Von Simone Hamm

In dieser Spielzeit zeigte die Deutsche Oper Berlin die letzte Inszenierung von Patrice Chéreau, Richard Strauss „Elektra“. 2013 in Aix uraufgeführt, dann an der Metropolitan Opera in New York gezeigt, gilt sie als Meilenstein. Mit Spannung schaute die Opernwelt deshalb nach Bonn, wo Enrico Lübbe, Intendant am Schauspiel Leipzig, „Elektra“ inszeniert. Um es gleich vorweg zunehmen, seine psychologische Interpretation des Dramas um Rache, Liebe und Gier ist hochspannend sowie musikalisch von der ersten bis zur letzten Minute packend  und braucht keinen Vergleich zu scheuen.

ELEKTRA, v.l.n.r.: Klytemnästra: Nicole Piccolomini und Elektra: Aile Asszonyi, Foto: Thilo Beu/ Theater Bonn 

Unter der musikalischen Leitung von Dirk Kaftan spielt das Beethovenorchester (mit 117 Musikern), kontrastreich, mal wie im Fieber, mal ganz klar. Dann nervös und ängstlich, dann wieder stark. Mal voller dissonanter Schärfe, dann wieder fast im Walzermodus. Ganz wie die Musik der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Endzeitstimmung und Hoffnung einander ablösten. Jede Gefühlsregung der Sängerinnen wird musikalisch nachvollzogen. Datei unterstützt  das Orchester die brillanten Stimmen, übertönt sie nie.

Elektra trägt ein schmutzig gelbes Kleid, sie lebt zwischen Müllsäcken und anderem Plunder, dem zerbrochenen Thron ihres Vaters, der blutigen Badewanne, in der er einst erschlagen wurde. Nichts ist entsorgt, alles ist nur verdrängt. Hugo von Hoffmansthal, der das Libretto schrieb, ist ein Zeitgenosse von Sigmund Freud.

Elektra weint jeden Tag um den von ihrer Mutter und deren Liebhaber ermordeten Vater Agamemnon. Wenn Aile Asszonyi seinen Namen singt, klingt das wie eine einzige große Wehklage. Der Sopran der estnischen Sängerin ist auch in den Extremlagen schön und voll. Elektra gilt als eine der anspruchsvollsten, schwierigsten Gesangsrollen für Sopran. Doch Aile Asszonyi singt nicht nur hin- und mitreißend, auch ihre schauspielerische Leistung ist enorm. Sie verkörpert die Tochter, die nur auf Rache sinnt, die alle Weiblichkeit verloren hat, vollkommen. Ihr Debüt ist eine Meisterleistung.

Agamemnon wollte einst die ältere Schwester Elektras, Iphigenie, opfern und wurde deshalb aus Rache umgebracht. Elektra ihrerseits lebt nur, um Rache an den Mördern zu üben. Ihr Bruder Orest soll Mutter und Liebhaber töten. Sie träumt von der Wiederkehr des Bruders. In diesen Träumen treten gleich mehrere Orests auf, begleitet von mehreren Iphigenien in schmutziggelben Kleidern. Langsam gehen sie eine weite Treppe mit verziertem Geländer hoch. Hier, in der Bel Etage, lebt Elektras Mutter Klytämnestra mit ihrem Geliebten Aegisth. Man sieht deren Räume nicht. Die Treppe führt ins Leere.

In einer der Schlüsselszenen von „Elektra“ begegnen sich Mutter und Tochter. Klytämnestra im goldenem Paillettenkleid fragt ihre Tochter, wie sie ihre Albträume loswerden könne. Elektra weiß Rat. Jemand müsse geopfert werden. Es dauert, bis Klytämnestra versteht, dass dieser jemand niemand anders ist als sie selbst. Nicole Piccolomini singt mit warmen Mezzosopran die Rolle der Klytämnestra als eine äußerlich schöne, starke Frau, die innerlich zerbrochen und unruhig und wohl auch verdorben ist und keinen Schlaf mehr findet.

v.l.n.r.:Christemis: Manuela Uhl, Elektra: Aile Asszonyi, Foto: Thilo Beu/ Theater Bonn 

Elektras Schwester wünscht sich nichts als ein ganz normales Leben mit Mann und Kindern. Sie will heraus aus der Hölle. Die Sopranistin Manuela Uhl im im rosa Tüllrock mit lila Jacke und lila Stiefeletten spielt die Naive.

Die drei Sängerinnen geben den Ton an. Sie lassen einander Raum, bestärken sich gegenseitig.

Bühnenbildner Etienne Fluss hat eine dichte Atmosphäre geschaffen. Die Kleider der Kostümbildnerin Bianca Deigner zeigen mehr als nur Äusseres, ihre wunderbaren Roben Kleider versinnbildlichen den Charaktere der Sängerinnen.

Als Orest (Martin Tzonev) heimkehrt, erkennt Elektra ihn nicht. Sie hat einen strahlenden Helden erwartet, Enrico Lübbe macht ihn zu einem Kriegsversehrten, einem Einarmigen.  Er ist ein Wrack, kein Held, mag seine Stimme auch noch so tönen. Sein Pfleger nimmt die Rache, die er nicht mehr nehmen kann.

Die Dienerinnen haben sich schnell umorientiert, haben flugs die Kleidung gewechselt und dienen nun Orest. Sie entsorgen das Hab und Gut der Ermordeten, und unter diesen neuen Müllsäcken bleibt Elektra zurück. Ihr  „Ob ich nicht höre? Ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir“ hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Aber alles bleibt stumm und kalt und leer. Ein Moment der Ruhe, bevor stürmischer Applaus aufbrandet. Die Oper Bonn hat eine großartige „Elektra“ gezeigt.

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