home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„On Violence“ – Gedanken und Anmerkungen zu einem Symposion im Museum für Moderne Kunst (MMK)

Von Uwe Kammann

Daniel Loick (links) im Gespräch mit Moderator Tobi Müller, Alle Fotos: Uwe Kammann

Ein über die Helmkamera direkt in die sozialen Medien eingespeister und dann millionenfach geteilter, gesehener (genossener?) Massenmord in Neuseeland; eine Demonstration der Gelbwesten in Paris, die in eine exzessive Gewaltchoreographie und -lust vornehmlich des Schwarzen Blocks mündete und ebenfalls in Echtzeit und zigfacher Wiederholung ihren Weg in viele Bildmedien fand: Das wäre Anfang März ein prototypisches Material gewesen für eine Tagung des Museums für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt. Zwei Tage lang sollte „On Violence“ reflektiert werden, in Referaten und anschließenden kleinen Fragerunden.

Eine neue Form der begleitenden Diskussion, propagiert von MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, die damit ihren Anspruch unterstreicht, Kunst als dezidiert politisches Instrument zu verstehen. Ein Anspruch, den sie mit drei Auftakt-Ausstellungen massiv untermauert hat: mit Cady Nolands Szenarien ihres amerikanischen Albtraums im ansonsten leergeräumten MMK, mit im MMK-Tower konzentrierten Videos und Installationen zu Migrations- und Identitätserfahrungen („Weil ich nun mal hier lebe“) und mit einer in- und extensiven Videoarbeit zu heftig durchlittenen Identitätsvarianten von Marianna Simnett (im Zollamt, inzwischen beendet).

Außenwerbung am MMK für drei Ausstellungen unter dem Oberthema Gewalt

In der Schlussrunde der zwei Tage fragte der (hervorragende) Moderator Tobi Müller die Referenten, was sich ihnen am stärksten als neue Aspekte eingeprägt habe. Hier vier Antworten: „Ich bin Teil von allem“ (Klaus Theweleit), „Wir teilen die Probleme, überall“ (Sayak Valencia), „Es gibt keine einfachen Lösungen“ (Daniel Loick) und „Wir können der Gewalt nicht entkommen“ (Vanessa Eileen Thompson). Das klang alles offener und unbestimmter als vieles, was in den vorhergehenden Stunden vorgetragen worden war. Denn da ließen sich viele der Argumentationslinien nach einem relativ klaren Schlagwort-Muster sortieren, das sich über viele Facetten zu einem einheitlich grundierten Bild zusammenfügte.

Danach ging es vorwiegend um strukturelle Gewalt, um einen mit rassistischer Unterdrückung einhergehenden Kapitalismus, dessen staatliche Institutionen eine klare Kontrollhierarchie beanspruchen und sich dabei auf ebenfalls rassistische Polizeigewalt stützen. Die westliche, eurozentrierte Kolonialgeschichte gehört in dieser Beschreibung zum Kern einer immer noch präsenten Gewalt, mit einer permanenten Fortsetzung speziell bei allen Versuchen, Migrationsbewegungen zu steuern oder gleich im Ansatz zu verhindern und dabei die koloniale Unterdrückung und Ausbeutung im Zeichen einer neoliberal ausgerichteten Globalisierung fortzusetzen.

In der Schlussrunde diskutierten u.a.(v.l.n.r.): Alberto Toscano, Nina Power, Vanessa Eileen Thompson und Daniel Loick

Bei dieser fast einheitlichen Sichtweise – die auch bei Rückblenden auf Gewaltformen der Vergangenheit in den 60er und 70er Jahren dominierte – hätte in der Schlussrunde eine andere (selbstkritische?) Frage näher gelegen als die nach bemerkenswert neuen Gesichtspunkten: nämlich jene, warum so viele Aspekte zum Thema Gewalt nicht erwähnt, nicht aufgegriffen wurden und gleichsam ausgeblendet blieben.

So jene nach den Gewaltexzessen im Namen und in der Systematik des Sozialismus; jene nach der gegenwärtigen Real-Ideologie und -Praxis eines militanten Islamismus; jene nach der eklatanten Unterdrückung von Frauen in muslimischen Patriarchatsgesellschaften; jene nach den Kriegs- und Konfliktherden im nahen und ferneren Osten, inklusive der Stichworte Jemen und Kaschmir; jene nach hybrider Territorialgewalt durch Russland; jene nach der Rekordzahl von Hinrichtungen in China; jene nach den durch Tribalkonkurrenz und innere Korruption befeuerten Bürgerkriegen und Rebellenkämpfen in Afrika, eingeschlossen der Genozid in Ruanda; jene nach den Machtmustern der mit äußerster Brutalität operierenden Drogenkartelle. Und …

Auch die vielfältigen anthropologischen Aspekte des Themas Gewalt waren – bis auf Theweleits bekannte Libido-Theorie zur männlichen „Mord-Fiesta“ – weitgehend ausgespart. Gar nicht diskutiert wurden die virulenten und gesellschaftlich hochrelevanten Fragen nach der Rolle und den Wirkmechanismen der inzwischen überall und jederzeit präsenten und vielfältig instrumentalisierten Medien und der global vernetzten Telekommunikation.

Klaus Theweleit und Tobi Müller

Und, erstaunlich angesichts des musealen Diskussionsraums, gab es keinerlei Betrachtung oder Auseinandersetzung mit den Berührungspunkten und Realisierungsformen des Urthemas „Gewalt“ in der Kunst – von den „Häutungen des Marsyas“ oder des Bartholomäus über Rembrandts „Blendung des Simson“ oder die gewaltgetränkten Phantasien des Hieronymus Bosch bis zu Bruce Naumans Extremvideos oder den elementar-existentiellen Schockbildern Francis Bacons. Alle diese Aspekte blieben Leerstellen, waren im von Pascal Jurt mit Susanne Pfeffer und Anna Sailer erarbeiteten Konzept nicht vorgesehen.

Natürlich, damit wäre das Gesamttableau größer und weniger eindeutig geworden, auch unübersichtlicher. Doch zumindest ein einführender Überblick über das Spektrum der gegenwärtigen Gesamtdiskussion hätte erhellen können, wie differenziert inzwischen Gewalt in der Forschung untersucht wird, ein Begriff, der im Deutschen viel Ambivalenz besitzt, vom Pol der direkten, verletzenden, versehrenden Gewalt in allen zwischenmenschlichen Beziehungen bis zum anderen Ende der Skala, wo es um Formen der individuellen, politischen und gesellschaftlichen Macht und deren Dominanz-Derivate geht. Dann hätten auch die Unterschiede zu den englischen und französischen Konnotationen von „violence“ benannt werden können, die stärker als im Deutschen auf die physische Einwirkung, auf die Verletzung, auf das Versehren zielen, auf Destruktion bis zur Vernichtung (das steckt ja im Urwort violare).

Eine Seite aus der Textprojektion von Geoffroie de Lagasnerie

Ein Ansatz zur analytischen Behandlung und zur strukturellen Begriffsinterpretation war – leider unglücklich am Schluss platziert – immerhin im Referat des Soziologen Geoffroy de Lagasnerie (ein Star in der linksintellektuellen Szene Frankreichs) zu erkennen. Sein Hauptziel: den Begriff aus der im allgemeinen negativen, kritisierenden Beurteilung herauszulösen („wir müssen ehrlich sein, wir alle gebrauchen Gewalt“, „alle unsere Beziehungen und Handlungen sind in Gewalt eingebettet“), um daraus ein legitimes, bewusst eingesetztes Instrument im politischen Kampf zu machen.

Diesen Akt der Ehrlichkeit rät er – der sich auch als Aktivist versteht – allen Bewegungen, die sich unter dem Siegel einer direkt zu praktizierenden Demokratie den staatlichen Institutionen entgegenstellen. Für ihn macht es folglich keinen Unterschied, von einem Mafioso, einem Polizisten oder einem Richter belangt zu werden – schlicht, weil es für ihn erkenntnistheoretisch nicht zählt, ob man sich als Individuum in privater und damit willkürlicher Verfügungsgewalt befindet oder in einem staatlichen Gewaltverhältnis, das institutionellen Regeln verpflichtet ist und folglich auch einer Judikative unterliegt.

Der Gewalt, so Lagasnerie, könne man nicht entkommen, sie sei immer dichotomisch. Wer beispielsweise Geld für Bildung, Kunst und das Gesundheitswesen verlange, sei damit der Gewalt (violence) des Staates ausgesetzt: über die zwangsweise eingetriebenen Steuern. Die politische Theorie müsse sich von der Angst befreien, in bestimmten Fällen auch Gewalt zu unterstützen, dürfe sich nicht in das Feld einer Legitimitätsdebatte flüchten.

Geoffroy de Lagasnerie

So kritisierte er auch – die ansonsten geschätzten – Hannah Arendt und Jacques Derrida, weil sie im Rahmen der Legitimität staatlicher Machtausübung („force“) zustimmten, private Gewalt („violence“) hingegen ablehnten. Freimütig betonte Lagasnerie, dass er eine andere, aktive Gewaltposition einnehme. Und deshalb auch Aktionen der Antifa-Gruppen und des Schwarzen Blocks unterstütze, ungeachtet ihrer Gewalttätigkeit (für die aktuell das Pariser Wochenende ein Beispiel gab).

Auch Daniel Loick, der als Philosoph und Sozialwissenschaftler an der Universität Frankfurt in seinen Arbeiten vehemente Kritik an Arbeitsweise und Struktur staatlicher Einrichtungen übt, setzte sich in seinem Referat und auch in der Schlussrunde für eine aktivistische Haltung ein, im MMK fokussiert auf die aktuelle Debatte um Migration. Die „Kriminalisierung“ der Seerettung von Migranten sei „obszön“, das auf Grenzen beruhende Territorialprinzip wirke sich mörderisch aus („wir sind jetzt in einem eigenen Weltkrieg“), es sei anachronistisch und müsse überwunden werden, zugunsten einer „post-territorialen Bürgerschaft“ auf der Grundlage einer „Selbst-Regierung“. Die Migranten begrüßt Loick als „Potential einer neuen Kraft“, sie seien der „biopolitische Faktor auf dem Weg zu einem post-nationalen Zusammenleben ohne Grenzen“. Allerdings, das räumte er ein, gebe es für diese anzustrebende neue übernationale Gesellschaft noch keine politischen Formen.

Vanessa Eileen Thompson – promoviert mit der Arbeit „Solidarities in Black. Anti-Black Racism and the Struggle beyond Recognition in Paris“, die auf einer postkolonial-feministisch inspirierten Feldforschung beruht – versteht sich ebenfalls als Aktivistin. Auch sie stellte in den Mittelpunkt ihres Referates die Frage der Migration, kritisierte dabei scharf die weiterhin auf Grenzen und Grenzschutz setzende EU-Migrationspolitik, prangerte aus ihrer Sicht in Deutschland und Frankreich praktizierte Polizei-Willkür und entwürdigende Behandlung von Migranten an – und verortete die Gründe für den von ihr diagnostizierten rassistisch operierenden Polizeistaat in einer „von Weißen dominierten heterosexuellen Gesellschaft“. Deshalb müssten die dieses System stützenden und beherrschenden Institutionen verändert werden, im Gegenlauf zu ihrer eigenen Kolonialgeschichte.

Ein spezielles Kapitel dieser Geschichte – der französische Krieg gegen die algerische Unabhängigkeitsbewegung – behandelte der italienische Philosoph und Autor Alberto Toscano. Allerdings war schwer zu erschließen, worauf er hinauswollte bei seinen Bezügen zwischen de Sade, Sartre, Simone de Beauvoir, Picasso, André Masson, zwischen Guernica und dem Blutbad im Oktober 1961 in Paris, als Kämpfer für die algerische Unabhängigkeit brutal ermordet und in die Seine geworfen wurden. Die Kernthese zu seinem Thema – die Folter in der philosophischen und intellektuellen Debatte – war schwer herauszuschälen.

Allerdings, ein interessantes Faktum war zu erkennen: nämlich wie opportunistisch, wie konform zur äußeren Lebenswirklicheit sich Positionen ändern können. Denn der damalige Kulturminister André Malraux – in den 30er Jahren Kommunist, Kämpfer gegen den von ihm direkt erlebten Kolonialismus Frankreichs in Indochina – verbot in seinem neuen, ihm von de Gaulle angetragenen Amt das öffentliche Zeigen von Bildern, welche die Brutalität der auch auf Folter gründenden Herrschaft in Algerien zeigten. Was Toscano – in Deutschland auch aus dem Arte-Film „Marx reloaded“ und Arbeiten zum Anarchismus und zur radikalen Linken bekannt – beim Thema Algerien/Folter/Gewalt allerdings mit keinem Wort erwähnte: dass bei den 1991 begonnenen Terroroperationen der Islamischen Heilsfront (FIS) in Algerien nach seriösen Schätzungen mindestens 150.000 Menschen ermordet wurden.

Vanessa Sanford und Tobi Müller

Eindrucksvoll war der Auftritt Victoria Sanfords, die in der direkten, konkreten Zeugenschaft eines Überlebenden mit hoher Intensität vermittelte, was Folter in quälender physischer Gegenwärtigkeit bedeutet. Der Fall stammte aus den drei Militärdiktatur-Jahrzehnten in Guatemala, einer Periode, in der Oppositionelle so willkürlich wie systematisch entführt, verhaftet und in „normalen“ Häusern mit brutalsten Methoden verhört wurden – und oft verschwanden. Das massenhafte Foltern, Töten und Verschwindenlassen zählte lange zur grauenhaften Realität in vielen Ländern Lateinamerikas, in einer Kette von Militärinterventionen und Putschen. Die Zahl der Toten in Guatemala wird auf 200.000 geschätzt, 45.000 Menschen gelten als verschwunden.

Sanford – die an der City University of New York vor allem zu Fragen von Menschenrechten, Geschlechtergerechtigkeit, Kriegs- und Friedensprozessen forscht –, versteht sich ebenfalls als Aktivistin. So wirbt sie intensiv um Verständnis für Migrationszüge wie zuletzt in Honduras. Mit dem in ihrem Vortrag ausführlich geschilderten Einzelfall wollte sie institutionalisierte Gewalt als einen Kern der Methoden der Machtausübung einkreisen. Die Frage nach der Rolle und der Wirkmacht der in Guatemala inzwischen eingesetzten „Wahrheitskommissionen“, welche die Verbrechen der Regime aufarbeiten sollen, beantwortete sie perspektivisch: „Die Gesellschaft muss sich mit ihrer Geschichte aussöhnen“. Zu sehen sei allerdings: „Die Leute wollen Rache“. Nur: „Welche Strafen sollen es sein?“

Zugleich konkret und abstrakt widmete sich Sayak Valencia – Philosophin, Dichterin, Autorin – ihrem Thema, dazu auch in körperlich dramatischer Form, indem sie dem Publikum bei verfremdeter Rede den Rücken zukehrte. Tijuana, ihren direkt an der US-amerikanischen Grenze gelegenen Geburtsort, stellte sie bildlich in den Vordergrund, um die Situation als konzentriertes Symbol für Gewalt und Ungerechtigkeit zu charakterisieren. Ihr Meta-Stichwort heißt Gore-Kapitalismus, verstanden als globales, neo-liberal gesteuertes Gesamtsystem, das auf der Ausbeutung von großen Teilen eben dieser über Kapitalströme und Warenaustausch vernetzten Welt gründet. Eine Anklage, der sie als dezidierte Aktivistin den Ruf nach Dekolonisierung gegenüberstellt, auch den nach einem kämpferischen Feminismus, ebenso wie sie die alte Club-of-Rome-Formel von den Grenzen des Wachstums in neuer Form aufgreift und gegen einen als exzessiv gebrandmarkten Massenkonsum antritt.

In einem Interview mit dem „Missy-Magazin“ hatte sie kürzlich den Begriff Gore-Kapitalismus in knapper Form so gefüllt: „Dieses System formt und bestätigt koloniale Narrative und hegemoniale politische Funktionen, die mit Konsum, Gender, Grenzen und Migrationen verbunden sind.“ Zu den bestimmenden Gewaltfaktoren gehörten „Kolonialismus, Klassismus und Rassismus“, auch „Sexismus und gewaltvolle Maskulinität, die mit dem nationalstaatlichen Projekt zusammenhängen“, weiter die „ökonomische und existentielle Prekarität von Bevölkerungen, die arme Schichten abwertet“, und schließlich, über neoliberale Ideen, „Hyperkonsum als Ort der Rückgabe und individueller Validierung von Subjektivität“.

Bestimmend: der Zaun in Tijuana, dem Geburtsort von Sayak Valencia 

Auch an anderer Stelle wieder eine – nicht zuletzt im Temperament hör- und spürbare – Aktivistin (obgleich diese Bezeichnung inzwischen in viele Richtung auszudeuten ist), diesmal Nina Power, Philosophie-Dozentin an der Roehampton University in London, an vielen Stellen Autorin, in Deutschland wahrgenommen nicht zuletzt mit ihrem Buch „Das kollektive politische Subjekt“. Dies sieht sie, so wurde es beim Frankfurter Symposion deutlich, als handelnde Quintessenz aus einer kritischen und praktischen Philosophie, die sich nicht vereinnahmen und instrumentalisieren lasse.

Philosophie, so ihre Grundthese, sei eine „Selbstverteidigung gegen den Staat“, sei als Freiheitsraum zu erstreiten, zu bewahren und zu erweitern gegen Identitäts-Zuschreibungen durch die staatlichen Institutionen, die sich als Exekutoren der totalen Kontrolle verstünden und aufführten („… all the time belongs to us“). Dagegen stehe das Behaupten einer existentiellen, sich in der Kultur beweisenden Freiheit, die sich in der Kombination von Gefühlen und Gedanken beweise, den „Kampfkünsten“ gleich. Zentraler Faktor dabei: Dieser Freiheitsraum müsse jedem gehören, habe besonderen Wert, indem dieses individuelle und kollektive Denken „frei von Nutzen“ sei. Die Liebe zur Weisheit befähige die freien Individuen zu einem „collective being in the face of he state“ – zu übersetzen vielleicht als kollektives Wesen gegenüber dem Staat.

An solch’ einer Stelle zeigte sich, wie an manchen anderen, dass die Grundentscheidung, die Vorträge auf Englisch halten zu lassen, leicht an Grenzen führt. Weil natürlich – Sayak Valencia zeigte auf den wunden Punkt, verfiel dabei sofort auf ein temperamentvolles Spanisch – jeder sich in der Muttersprache differenzierter ausdrücken könne als in der heute angezeigten lingua franca. Moderator Tobi Müller wies immerhin bei jeder kleinen Frage- und Anmerkungsrunde nach den Referaten darauf hin, dass die Wortmeldungen auch auf deutsch erfolgen könnten, übersetzte dann sehr konzentriert und genau diese Interventionen. Aber ein Manko blieb es, natürlich, dass bei Nicht-Muttersprachlern erkennbar komplexere Überlegungen nicht mit jener Begriffspräzision vorgetragen werden konnten wie jene eines native speaker.

Das Publikum im Vortragssaal im MMK

Lässt sich ein einfaches und klares Fazitziehen nach diesen zwei Tagen unter dem Großtitel „On Violence“? Nun, das ist immer vermessen und gefährlich, weil dann einzelne Ansätze und Anstöße verlorengehen. Aber ein klares Defizit lässt sich konstatieren: Es mangelte an Kontroverse, an Widerspruch, an robustem Streit. Zu einheitlich, zu stromlinienförmig – zugespitzt: im Sinne eines mehr oder weniger neomarxistisch gefärbten linken Mainstreams – war das Themen- und Thesenspektrum der Referenten, die sich zudem noch mehrheitlich als Aktivisten verstanden. Die Form von Podien als Streitrunden war in der Struktur der Veranstaltung ohnehin nicht vorgesehen.

Mit dem Ergebnis: Zu glatt, zu mechanisch einfach verlief die Verortung einer vornehmlich strukturell verstandenen Gewalt, diagnostiziert als gründendes und instrumentelles Hauptelement in den vorherrschenden staatlichen und institutionellen Organisationsformen des politischen und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Zu nebulös wiederum wirkten die als Gegenbild beschworenen Visionen eines neuen politisch handelnden Subjekts, das kollektiv alle Formen entwickeln können soll, um ohne staatliche Grenzen, ohne institutionelle Auflagen und ohne ökonomische Abhängigkeiten ein in jeglicher Hinsicht selbstbestimmtes Leben zu führen, ein friedvolles Leben ohne äußere Not, versorgt mit allen notwendigen Gütern. An nicht wenigen Stellen schimmerte ein romantischer, Utopie-seliger Traum durch: mit dem anarchistisch grundierten Modell eines paradiesischen Lebens – befreit von allen Zwängen, fern aller Machtgefüge und -bestrebungen.

Eine Schülerinnengruppe in der Cady-Noland-Ausstellung

Die sich aufdrängende Frage in der Schlussbetrachtung: Warum waren – wie anfangs beschrieben – viele Aspekte des Themas ausgeblendet? Die Vermutung liegt nahe. Weil sie eben nicht zum Grundnarrativ passten, wie es die Noland-Ausstellung durchzieht und wie es Sayak Valencia unter dem Streitbegriff Gore-Capitalism am schärfsten formuliert hatte: vom Rassismus bis zum Klassen- und Geschlechterkampf, von der postkolonialen Ausbeutung bis zum Wachstumsfetischismus. Oder wie es Daniel Loick aus klarer Perspektive beschrieb: mit der Forderung nach einer unbegrenzten Migration, die gleichsam als neue revolutionäre Kraft die alten Forderungen von Rosa Luxemburg nach einem sozialistischen Umsturz in einer veränderten Form aufleben lasse.

Viel ist in diesen Hoch-Zeiten der weltweit vernetzten Medien, die der Einfachheit halber als sozial deklariert werden, von Echokammern und Filterblasen die Rede. Gemeint sind natürlich immer die Kammern und die Filter der anderen. Dieser Reflex wäre vielleicht mit zu bedenken, wenn es wieder – wie nun als Reihe beabsichtigt – weitere diskursive Begleitungen der Museumsarbeit geben soll (eine Form, die auch anderswo eingesetzt wird, wie beim Historischen Museum mit seiner Ausstellung zum „Vergessen – warum wir nicht alles erinnern“).

Dass die neue MMK-Reihe übrigens über die Deutsche Bank finanziert wird, war für die „On Violence“-Veranstalter und -Beteiligten kein Problem. Aus dem sehr konzentrierten Publikum wurde am Schluss gefragt, ob darin nicht ein gewisser Widerspruch liege – vielleicht noch mit dem strikt antikapitalistischen Generalbass vieler Deklamationen auf der Bühne im Ohr. „Was wäre die Alternative?“, kam als Antwort zurück. Und schließlich sei es nicht die Bank selbst, welche als Sponsor fungiere. Sondern deren Stiftung.

 

Comments are closed.