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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Nullpunkt der Orientierung. Fotografie als Verortung im Raum“ im Artfoyer der DZ-Bank

Spiel mit der Illusion – Augentäuschungen und Eroberungen des Raumes durch Fotografisches

Von Petra Kammann

Was sieht man oder was glaubt man zu sehen, wenn man Fotografie betrachtet?

Irritationen der Wahrnehmung. Ein erster Einblick in die neue Ausstellung im Artfoyer der DZ-Bank, Foto: Petra Kammann

„Nullpunkt der Orientierung. Fotografie als Verortung im Raum“. Die Ausstellung zu Raum, Skulptur und dritter Dimension der Fotografie im Art Foyer der DZ Bank Kunstsammlung zeigt rund 60 Arbeiten von 18 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, in denen Dreidimensionalität eine zentrale Rolle spielt…

Fotofinish. Siegeszug der Fotografie als künstlerische Gattung, hrsg. von Christina Leber / DZ Bank Kunstsammlung (Snoeck-Verlag) –  der dicke Katalog, der aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der DZ BANK Kunstsammlung entstand und eine Art aktueller Bestandsaufnahme und Überblick der mehr als 7.500 Kunstwerke von über 800 internationalen Künstlerinnen und Künstlern umfassenden Unternehmenssammlung mit theoretischem Hintergrund darstellt, erweist sich beim Besuch der neuen Ausstellung als äußerst hilfreich, denn er vermittelt nicht nur eine Art Grundorientierung in der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Fotografie, wir können mit der wunderbaren Dokumentation Anknüpfungspunkte finden und die wohlüberlegte Kontinuität der wachsenden Sammlung der DZ Bank verfolgen. Von Beginn ihrer Sammlungstätigkeit an hat die Bank nämlich den Schwerpunkt auf zeitgenössische Fotokunst gelegt und die Entwicklung junger Künstler gezielt verfolgt.

Eigens für die Ausstellung entworfene Wandinstallation von Shirana Shahbazis, Foto: Petra Kammann 

Dabei hat die Frage, unter welchen Bedingungen Fotografie als Kunst bewertet werden kann, von ihren Anfängen her nichts an Aktualität eingebüßt. Worin besteht ihre Qualität gegenüber anderen Kunstformen? Welche Fragen wirft das Fotografische für zeitgenössische Künstler auf? Und mithilfe welcher Bildsprachen, Konzepte und Strategien haben Künstlerinnen und Künstler diese Bildsprache über die letzten Jahre weiterentwickelt? Fakt ist, dass heute fast jedermann und -frau schnell auf seinem Handy Fotos schießen kann, was nichts mehr mit dem schöpferischen Prozess der Verwandlung oder künstlerischer Komposition einer wirklichen fotografischen Arbeit zu tun hat, fällt doch auch noch der vielschichtige Entwicklungsprozess in der Dunkelkammer, eine sinnliche Erfahrung, weg. Liegt darin ob der ständigen Bilderflut überhaupt noch ein anderer Reiz als der des Privaten vor? Und trägt das schnelle Ablichten zu einer Beschäftigung oder gar Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung bei? Was wir auf dem Bildschirm wahrnehme, ist reine „Flachware“. Sind  Fensterblicke, Spiegelungen, deren Brechungen und Verfremdungen der Realität nicht vielleicht ein weitaus größeres Mittel der Erkenntnis?

Vor allem dann, wenn mit fotografischen Mitteln ein neuer Weg beschritten wird, wenn die plane Fläche durchbrochen wird und wir in die dritte Dimension vorstoßen wie etwa durch die 1974 in Teheran geborene nach Deutschland emigrierte und in Zürich lebende iranische Fotografin Shirana Shahbazis zu erleben. Sie reflektiert mit ihrer – eigens für die Ausstellung entworfenen Wandinstallation – die Wahrnehmungsmechanismen unserer globalisierten Welt im Kontext ihrer Traditionen, Zeichen und Symbole. Bei ihr treffen erzählerische Elemente auf konzeptionell angelegte geometrische Flächen. Shahbazi kombiniert kühn ihre hochglänzenden Studiofotografien – wie hier den Totenkopf – mit großformatigen Abstraktionen sowie Schnappschüssen von Straße und Menschen. Ihre Fotografien entstehen mithilfe farbig lackierter Objekte und Podeste, die Shahbazi arrangiert, verschiebt und oft mehrfach belichtet, bis sich bestimmte Farb- und Raumwirkungen und Illusionen ergeben. Der innere Zusammenhang entsteht über diese farbige Flächen, Formen und die räumliche Tiefenwirkung. Die überlebensgroße Arbeit macht im Hinblick auf das fotografische Bild erlebbar, wie sehr der Kontext und der Ort der Rezeption sowie die Erfahrung des Betrachters das bestimmt, was gesehen wird.

Zarter Umgang mit Belichtungsmaterialien bei Stefanie Seifert fragilen „Falter“-Skulpturen, einem ,Hauch in der Landschaft‘; Foto: Petra Kammann

Der Titel der aktuellen Ausstellung bezieht sich auf ein Zitat des Philosophen Edmund Husserl, wonach  der „Nullpunkt unserer Orientierung“ eine Art Ur-Koordinate für sämtliche Ausrichtungen und Bewegungen im Raum markiere, von denen aus wir unsere Umgebung wahrnehmen. „Nullpunkt unserer Orientierung“ klingt ein wenig nach ZERO-Kunst der frühen Sixties, hat jedoch wegen des fotografischen Mediums in diesem Zusammengang einen anderen Ausgangspunkt, wenngleich auch die Konzeptkunst der 1960er Jahre, die sich damit beschäftigte, Gattungsgrenzen grundsätzlich aufzuheben, durchaus ein wichtiger Impulsgeber für einige der im Artfoyer der DZ-Bank ausgestellten Arbeiten zu sein scheint.

Viele der Künstler haben im Laufe der Beschäftigung mit dem Medium einen fotochemischen oder fototechnischen Prozess durchlaufen, weswegen ihr Interesse heute darin liegt, die Grenzen der Fotokunst im Hinblick auf Gattungen wie Zeichnung, Malerei, Plastik oder Bewegtbild neu zu definieren, woraus wiederum eine neue große Vielfalt an Materialien und Techniken entsteht wie zum Beispiel im Falle der fragilen skulpturalen Objekte von Stefanie Seifert gleich am Eingang in ihrer „Falter“-Serie, wo sie  geometrische Papierflächen unterschiedlich farblich belichtet, diese faltet, einklappt, neu beschichtet und in aneinander geheftete geometrische Skulpturen verwandelt, die wegen ihrer Zerbrechlichkeit auch wie ein zarter ,Hauch in der Landschaft‘ wirken. Dabei fügt Seifert der Arbeit mit fotografischen Mitteln eine weitere Dimension im Raum hinzu, und– wie es der Ausstellungstitel nahelegt – die  sie im Raum verortet.

Bruno Zhus frailer „White table with cake and tea“, 2015 Foto: DZ-Bank

Der 1991 in Portugal geborene Chinese Bruno Zhus, der abwechselnd in London und Amsterdam lebt, führt uns auf surreal-spielerische Weise die Oberflächlichkeit der heutigen Konsumwelt und der damit verbundenen absurden Kaufentscheidungen vor Augen, indem er beworbene Objekte aus Katalogen ausschneidet und diese planen Papiere einfach in den Raum stellt. Dass die Fähigkeit der Fotografie, Oberflächen und Materialien möglichst illusionistisch wiederzugeben, auch insgesamt für die heutige Bildkultur eine Rolle spielt, zeigt sich an anderen Exponaten wie zum Beispiel in dem eigens für die Ausstellung erworbenen Werk von Lilly Lulay, die mit den Möglichkeiten der veränderten Wahrnehmung der Wirklichkeit auf dem I-Pad-Video spielt. Nichts ist (oder bleibt, möchte man hinzufügen), wie es ist.  Lulay, die an der HfG in Offen­bach studiert hat und in Frank­furt lebt und arbei­tet, macht neue Bedeutungsebenen sichtbar, indem sie fertige Fotos mit einem Lasercutter bearbeitet  und so die ursprünglichen Motive „überschreibt“.  Die in der Schau zu sehenden Overlays „Istanbul up and down“ entstanden wohl bei einem Aufenthalt in Istanbul im Jahre 2015.

„Istanbul up and down“ – eine der collagierten Szene auf Lilly Lulays fast 13-minütiges Video, auf dem I-Pad;  Foto: Petra Kammann

„Eine Art Malerei mit fotografischen Mitteln“, so hat Lulay ihre Arbeit als Fotografin beschrieben. Ihre elektronischen Fotocollagen hinterfragen und verändern gleichzeitig Aspekte der Wirklichkeit. Meist ist ein Foto zunächst eine plane Abbildung der Realität, eine Momentaufnahme von etwas, das war. Was aber sieht man, wenn man Fotografie betrachtet?  Privat lichtet man verschiedenste Situationen, Landschaften, Menschen, Objekte ab. Solche Fotografien – wie hier orientalische Architekturen und Dekors oder die Galata Brücke am Goldenen Horn – werden collagiert. Es entsteht nicht nur ein neues zweidimensionales Objekt, sondern auch ein neues Bild, eine „Kopflandschaft“. Wobei die Materialität der Versatzstücke – wie die ausgeschnittenen Pappformen –  andere Details freigibt, wie zum Beispiel die abgeschnittenen über die Brücke laufenden Beine. Sie bilden in ihrer Zusammenstellung neue, nicht existierende Landschaften und Orte und schaffen Erinnerungsräume, in denen nur einzelne Elemente wie Gebäude, Monumente oder Innenräume vertraut wirken, ihr Aufeinandertreffen wiederum erscheint fremd. Denn das fertige Bild ist vom ursprünglichen Motiv losgelöst und wird neu erfahrbar. Mit dieser neu konstruierten Version der Wirklichkeit stellen wir uns die Frage, was echt ist und was nicht. Das lärmende Rauschen einer Großstadt im Hintergrund schafft noch einen zusätzlich erlebbaren akustischen urbanen Raum.

Am eigenen Zimmer und dem begrenzten Ausblick in New York maßgenommen: Susa Templins „Totale Wohnung „2011-2013, Foto: DZ-Bank

Die Irritationen durch Erweiterungen des Mediums Fotografie trifft auch auf etliche andere Arbeiten in dieser Ansammlung von Trompe l’oeils zu, gleich ob in den weiteren fotografischen Arbeiten wie denen von Alexandra Baumgartner, Jose Dávila, Jan Paul Evers, Christiane Feser, Alex Hartley, Raphael Hefti, Gottfried Jäger, Barbara Probst, Louise Lawler, Georges Rousse, Lorna Simpson, Susa Templin, James Welling  oder in den eigens für die Ausstellung erworbenen Werke wie denen von Miriam Böhm, Lilly Lulay, Stefanie Seufert und Shirana Shahbazi. Mit einem anderen Blick auf die Stadt geht man dann aus der derzeitigen Umbaustelle des DZ-Artfoyers wieder heraus und denkt über Alternativen der Bebauung nach.

„Nullpunkt der Orientierung. Fotografie als Verortung im Raum“
bis zum 25. Mai 2019

DZ BANK Kunstsammlung – ART FOYER
Platz der Republik, 60325 Frankfurt
Öffentlicher Zugang: Friedrich-Ebert-Anlage / Cityhaus I
Öffentliches Parkhaus „Westend“

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Samstag 11.00 bis 19.00 Uhr

Öffentliche Führungen

Donnerstags um 18 Uhr, an jedem letzten Freitag im Monat um 17.30 Uhr

Kuratorenführung

Donnerstag, 4. April 2019 um 18 Uhr mit Dr. Christina Leber

Weitere Informationen unter:

www.dzbank-kunstsammlung.de

 

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