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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Tänzer Akram Khan, „Xenos“ und die Geschichte des britischen Soldaten

„Erst wenn die Löwen ihre Geschichte selber erzählen, werden die Jäger nicht mehr Helden sein“, lautet ein afrikanisches Sprichwort. Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger. Die Geschichtsschreibung, die man in Europa und Amerika kennt, ist westliche Geschichtsschreibung. Vieles bleibt ungesagt. Etwa, dass über eine Million Soldaten aus britischen Kolonien im ersten Weltkrieg auf Seiten der Briten kämpften. Viele starben. Heute weiß kaum jemand davon.

Ein Beitrag von Simone Hamm

Albträume des Gefangenen in: „Xenos“ von Akram Khan, Foto: Jean Louis Fernandez, Oper Köln

„Xenos“ ist die Geschichte eines indischen Soldaten in der britischen Armee, heimgesucht von Albträumen, eine verlorene gequälte Seele. Erzählt wird sie von dem britischen Tänzer Akram Khan. Khans Familie stammt aus Bangladesh. Doch der atemberaubende Solotänzer bringt diese Geschichte nicht allein auf die Bühne. Seine Produktion „Xenos“ ist ein Gesamtkunstwerk. Zuletzt war es in Köln im Depot 1 des Schauspielhauses zu sehen.

„Xenos“ ist das griechische Wort für Fremder. Khan hat sich von der griechischen Mythologie beeinflussen lassen. Von Kind an begeisterte er sich für Prometheus, der gegen den Willen des Göttervater Zeus den Menschen das Feuer brachte und deswegen als Gründer jeder menschlichen Zivilisation gilt. Aus dessen Perspektive will er die Geschichte der Fremdheit erzählen.

Rückgriff auf indische Riten: „Xenos“ von Akram Khan, Foto: Jean Louis Fernandez, Oper Köln

Während die Zuschauer den Raum betreten, spielen zwei Musiker, der Vokalist Aditya Prakas und der Percussionist BC Manjunath, indische klassische Musik. Das klingt leicht und spielerisch. Plötzlich aber knistert die Musik, knackt. Etwas Unheilvolles liegt in der Luft.

Dann tritt Kram Khan auf, in weißem Hemd und weißen Hosen. Zunächst tanzt er Kathak, den klassischen Tanz aus dem Norden Indiens. Das wirkt leichtfüssig und sehr elegant. Er schlägt mit den Füssen einen Rhythmus, die kleinen Glöckchen an den Fesseln rasseln. Dann löst er die Glockenbänder und sie werden zu Ketten, dann zu Patronengürteln, die sich über der Brust kreuzen.

Die Musik verändert sich, zwei Streicher, ein Saxophon kommen hinzu, und mit ihr verändert sich der Tanz, wird zu westlichem zeitgenössischen Tanz. Was bleibt, sind Hoffnungslosigkeit und Angst. Immer schneller, immer kraftvoller wirbelt Khan am Boden. Und doch scheint alles ausweglos. Wir sehen, ja wir spüren die Angst des Soldaten in einem fremden Land, einem fremden Erdteil, einer fremden Armee. Das ist so eindringlich, dass man es kaum aushalten kann.

„Xenos“ von Akram Khan, Foto: Jean Louis Fernandez, Oper Köln

Mirella Weingarten hat dazu ein großartiges Bühnenbild geschaffen, einen steilen Hügel, den der Tänzer erklimmt und auf dem manchmal die Musiker stehen und spielen. Es ist eine weite Landschaft mit Seilen aus Hanf und viel Erde, die herabrieselt. Der Tänzer versucht verzweifelt, den steilen Hügel zu erklimmen. Es gelingt ihm, dabei wird er immer schmutziger und schmutziger.

Ruth Little ist die Dramaturgin, Michael Hulls hat die Bühne in ein gelbes, bisweilen dunkles Licht getaucht. Vincenzo Lamagna ist der Komponist und Sounddesigner. Leise Stimmen sind zu hören, dann Röhren, Schnaufen, Stöhnen. Jordan Tannahill hat den Text zu „Xenos“ geschrieben. Knackende Stimmen wie von einer alten Grammophonplatte zählen die Namen der gefallenen Soldaten auf. Hinzu kommen Fragmente traditioneller indischer Lieder und eine sanfte Streichermusik, ein Bass, eine Violine. Manchmal Saxophonklänge.

Ganz am Ende fällt ein Kiefernzapfen vom Hügel herab. Khan hebt ihn auf und bedeckt ihn mit Sand. Und Hunderte von Kiefernzapfen fallen vom Hügel auf die Bühne. Vielleicht ist das ein kleiner Schimmer Hoffnung.

Ein Licht in der Dunkelheit: „Xenos“ von Akram Khan, Foto: Jean Louis Fernandez, Oper Köln

Akram Khan hat angekündigt, dass dies seine letzte Soloperformance gewesen sei, seine Abschiedstournee als Tänzer. Kaum zu glauben, wenn man gesehen hat, wie er mit seinen 44 Jahren über die Bühne jagt. Wir werden ihn und seine großartigen Solotanzdarbietungen nicht vergessen.

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