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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Zum Tod von Amos Oz – Ein Schriftstellerleben zwischen Liebe und Finsternis

Amos Oz, stark im Leben und in der Literatur

Von Petra Kammann

Der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist Amos Oz ist gestern im Alter von 79 Jahren an Krebs gestorben. Der vielfach ausgezeichnete Autor machte u.a. auch durch seine Kritik an der israelischen Besatzungspolitik Schlagzeilen. Jahrelang galt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels nahm er 1992 in der Frankfurter Paulkskirche in Empfang. Seine „Geschichte von Liebe und Finsternis“ wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 auch als Film adaptiert.

Amos Oz, 2005 beim Goethe-Preis in der Frankfurter Paulskirche; Foto: Petra Kammann

Wie ein Lauffeuer ging es um die Welt, als der herausragendste israelische Schriftsteller gestern starb. Begegnet bin ich ihm zum ersten Mal auf Siegfried Unselds legendärem Kritikerempfang in der Klettenbergstraße, ein Jahr, bevor Amos Oz 1992 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Seine leidenschaftliche Rede dort und sein Plädoyer für eine Zwei-Staaten-Lösung hielt er aus dem Stehgreif, und sie wirkte unmittelbar überzeugend, weil existenziell. Seine Worte bewegten mehr als manche der Sonntagsreden friedensbewegter deutscher Intellektueller in dieser Zeit.

Als ein in Israel Lebender berichtete er über seine geistige wie auch seine militärische Entwicklung als israelischer Soldat. Als Reservesoldat hatte er nämlich im Sechstagekrieg 1967 in einer Panzereinheit gekämpft und 1973 im Jom-Kippur-Krieg eingegriffen. Das Israel der 50er- und frühen 60er-Jahren übte mit allen Konsequenzen zunächst eine große Faszination auf ihn aus – wohl wegen des Versprechens einer großen Utopie – sei es als Alternative zum Kapitalismus wie auch zum östlichen Sozialismus.

Gerade weil er den Krieg ja am eigenen Leib erlebt hatte, war er bis zum Schluss überzeugt, überzeugt, dass es auf Dauer zu einer, den anderen respektierenden Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern kommen müsste.

Das jedoch machte den in Jerusalem Geborenen, dessen Wurzeln in Polen und der Ukraine liegen, in Israel nicht gerade beliebter. Aber das beeindruckte ihn nur wenig, hatte er selbst doch zunächst eine überzeugende israelische Laufbahn eingeschlagen und zunächst für das Leben im Kibbuz geworben. Seinen Namen Amos Klausner hatte er Mitte der 50er Jahre, zweieinhalb Jahre nach dem Selbstmord seiner Mutter, die aus einer berühmten jüdischen Gelehrtenfamilie stammte, gegen den Namen Amos Oz eingetauscht, was soviel heißt wie „der Starke“. Er habe damals mit der Namensänderung symbolisch seinen Vater umgebracht, schrieb Oz später, „um auf den Trümmern ein neues Leben aufzubauen“.

Fast 30 Jahre lang hat er in einem Kibbuz gelebt, dessen Verfechter er war, was man in seiner Autobiografie nachlesen kann. Die Erfahrungen dieser Zeit spiegeln sich in Romanen wie „Ein anderer Ort“ und „Der perfekte Frieden“. Seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 war er selbst in der israelischen Friedensbewegung aktiv, 1977 gehörte er zu den Mitbegründern von „Schalom achschaw“ („Peace now“).

Dennoch verließ er den Kibbuz wie auch das Militär und wurde Schriftsteller und Essayist. Mit Sätzen wie diesen:„Das Konzept von Zivilisationen, die über ihren Territorien Fahnen flattern lassen, kommt mir archaisch und mörderisch vor. In der Hinsicht haben wir Juden jahrtausendelang vorgeführt, was ich gerne als die nächste Phase der Geschichte sähe: eine Zivilisation ohne territoriale Grenzen, beziehungsweise zweihundert Zivilisationen ohne einen einzigen Nationalstaat. Aber als Jude kann ich mir solche Illusionen nicht mehr leisten. Ich habe zwei Jahrtausende ein Beispiel gegeben, doch niemand folgte“, stellte er sich und seine Umgebung immer auch in Frage.

Diese Zweifel drücken sich auch in einem seiner letzten Bücher aus, in dem sich der durchaus bibelfeste agnostische Schriftsteller mit der Gestalt des „Judas“ auseinandersetzte. Sein Blick für die Perspektive der „anderen Seite“ sollte ihm 1992 auch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels eintragen, wo er in der Paulskirche eine flamboyante Rede hielt. Er zeigte Verständnis für die beiden Seiten der verfeindeten Parteien, deren Situation er realistisch betrachtete und deren vollkommene Harmonie im Zusammenleben er auch keineswegs ansteuerte, nicht zuletzt weil Frieden und Gerechtigkeit einander wohl  ausschließen.

Hier möchte ich an den so treffenden wie kenntnisreichen Artikel „Make peace not Love“ meiner früheren – inzwischen leider verstorbenen – Kollegin Nele Löw Beer erinnern, den ich seinerzeit vor der Verleihung des Friedenspreis 1992 als Verantwortliche im BuchJournal veröffentlicht hatte. Sie beschreibt die Auseinandersetzung der gegensätzlichen Parteien als einen „Immobilienkonflikt“… Lesen Sie selbst:

Die Verteidigung der Sprache ist mein Weg, den Frieden zu befördern: ein unablässiger Kampf gegen die Verschandelung der Sprache, gegen die ständige Wiederholung von Stereotypen, gegen Rassismus und Intoleranz, gegen die Verherrlichung von Gewalt… Ich arbeite vielmehr für einen kläglichen, nüchternen, unvollkommenen Kompromiß zwischen einzelnen Menschen und Gemeinschaften, die immer getrennt und unterschiedlich sein werden, die aber gleichwohl fähig sind, ein unvollkommenes Miteinander herbeizuführen…Und: „Wir sollten eine vielstimmige Welt errichten und nicht eine voller Dissonanzen, voller selbstständiger und selbstsüchtiger Nationalstaaten.“

Der Psalmist sagt: ›Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Frieden küssen sich‹ (Psalm 85, 10). Der Talmud jedoch legt eine innere Spannung zwischen Gerechtigkeit und Frieden offen und bietet eine eher pragmatische Vorstellung: ›Wo aber Gerechtigkeit vorherrscht, da ist kein Frieden, und wo Frieden herrscht, da ist keine Gerechtigkeit. Wo also ist Gerechtigkeit, die Frieden enthält? Sie sind in der Tat gesondert.‹“ hieß es daher in seiner Friedenspreisrede.

Man konnte dem ursprünglichen Zionisten einfach nicht mit Gleichgültigkeit begegnen. Er war durchdrungen von der Überzeugung, dass eine Rettung des jüdischen Volks auf Kosten der Vernichtung anderer keine dauerhafte Rettung sein würde. Also trat er auch in den noch so verzwickten Situationen der Geschichte Israels für eine Zwei-Staaten-Lösung ein, die er für die im Westen in friedlichen Zeiten Nachgeborenen sehr anschaulich schilderte. „Die Palästinenser werden nirgendwohin gehen, und auch die Israelis bleiben hier“, sagte er. „Beide Seiten haben keine Wahl, sie müssen das Haus in zwei Wohnungen aufteilen – so wie es die Tschechen und die Slowaken getan haben. Wie lange das dauern wird, kann ich nicht sagen.“

Als leidenschaftlich politisch engagierter Schriftsteller nimmt er uns mit in das Leben der Menschen, die auf dem Weg der Auswanderung  ,durch Liebe und Finsternis‘  gegangen sind wie seine Eltern, denen zwar die Flucht aus der Vernichtung gelang, die aber deshalb noch lange keine „Geretteten“ waren, selbst wenn sie zunächst vom Strom des Lebens getragen wurden. Die Geschichte Osteuropas, die Geschichte der vertriebenen Intellektuellen lebt im kleinen Staat Israel im Schlamassel weiter. Und wie viele ihrer Generationen blieben sie stumm, um den Kindern die Erfahrung zu ersparen, wie es ihnen  tatsächlich ergangen ist.

Amos Oz aber schrieb gegen diese Stille an. Eindringlich beschreibt er in seinem Jahrhundertroman „Die Geschichte von Liebe und Finsternis“, der zweifellos zu den großen Romanen der Weltliteratur zu zählen ist. Es ist auch der Kampf und die Auflehnung gegen das Vorurteil, dass Juden vor allem Opfer seien. Vielmehr bauten sie einen eigenen Staat, der wiederum in nichts mit irgendeinem anderen Staat auf der Welt vergleichbar ist und daher einst auch eine so große Faszination auf ihn ausgeübt hatte.

In der detailreichen Schilderung mit den verschiedenen ineinander verwobenen Schicksalen werden einem nicht nur die Auswirkungen eines Auswanderungsschicksals der Ostjuden nach Israel vor Augen geführt, sondern auch deren Verbundenheit mit dem, was unsere Idee von einem demokratischen multikulturellen Europa geprägt hat.

„Ich bin das Kind von Leuten, die aus Europa rausgeworfen wurden, obwohl sie es geliebt und vielleicht sogar dazu beigetragen haben, dass die Vorstellung eines vereinten multikulturellen Europas entstehen konnte“, sagte Oz. Mit dem Schreiben des Romans fand er die passenden Worte und erweckt die leidgeprüften Menschen wieder zum Leben. Und als Denker war er ein so beharrlicher wie „unerschrockener Verfechter eines Friedens im Nahen Osten“ (Heiko Maas), der auch in Zukunft seinesgleichen sucht. Ach, Europa!

Kurzbiografie

Oz kam 1939 unter dem Namen Amos Klausner in Jerusalem als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine zur Welt. In seiner hochgebildeten, rechts-zionistischen Familie wuchs er inmitten von Büchern auf. Drei Jahre nach dem Tod seiner Mutter zog er im Alter von 15 Jahren in den Kibbuz Chulda und änderte seinen Familiennamen von Klausner zu „Oz“, was auf Hebräisch Stärke bedeutet. Unter anderem erhielt der Autor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1992), den Israel Preis für Literatur (1998), den Frankfurter Goethe-Preis (2005), den Siegfried Lenz Preis (2014). Für seinen Roman „Judas“ erhielt er den kirchlichen „Mount Zion Award“. Seine Bücher sind größtenteils im Suhrkamp Verlag erschienen.

Hier noch eine kurze Geschichte anlässlich der Verleihung des Heine-Preises 2008 in der Zeitschrift …IN RHEINKULTUR

R(h) 46-47 Heinepreis_03_rz_lowres

 

 

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