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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt (15): „Die Perser“ von Aischylos und „Furor“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz

„Die Perser“

 Schmerz-Oratorium – Das Elend des Krieges

„Die Perser“, zuerst gezeigt bei den Salzburger Festspielen, ist derzeit im Schauspiel Frankfurt zu sehen. Ein Theaterstück, das auf den Erfahrungen des Dramatikers Aischylos beruht und 472 v.Chr. uraufgeführt und preisgekrönt wurde. Vor wenigen Tagen, am 17. November 2018, wurde die Inszenierung von Ulrich Rasche in Wien mit dem NESTROY – Theaterpreis als „Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum“ ausgezeichnet.

Von Renate Feyerbacher

„Die Perser“, Regie: Ulrich Rasche, Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa, Patrycia Ziolkowska
Foto: Birgit Hupfeld, Fotos:  Schauspiel Frankfurt

Aischylos (525 v.Chr. geboren, 456 v.Chr. gestorben) ist neben Sophokles und Euripides der älteste der drei großen griechischen Tragödien-Dichter. Er kämpfte als Soldat in der Schlacht bei Marathon (490 v.Chr.), in der sein Bruder getötet wurde. Zehn Jahre später, 480 v. Chr., nahm er erneut bei der Seeschlacht von Salamis teil. Athen war bereits von den Persern zerstört. Die griechische Flotte, obwohl nicht so ausgerüstet wie die der Perser, siegte. Der ‚Westen‘, das freie Abendland, hatte „die orientalische Despotie“ vertrieben.

König Dareios I., bei Marathon unterlegen, zog sich ins Persische Reich nach Kleinasien zurück. Sein Sohn Xerxes I., lässt Jahre später erneut ein großes Herr in die Schlacht ziehen und scheitert bei Salamis. Dabei verloren 200.000 junge Perser ihr Leben, andere wurden ihrer Zukunft beraubt.

In den Augen des griechischen Autors Aischylos ist Xerxes ein Verblendeter, ein von Hybris geprägter Mensch, der den Gegner unterschätzt. Die Geschichtsschreiber schildern ihn als einen Herrscher, der die Weltherrschaft und die Unterjochung der anderen will.

Aischylos schildert die Niederlage aus Sicht der Perser. Als ehemals beteiligter, griechischer Kämpfer stimmt der Autor kein Siegesgeheul an, bescheiden bleibt das Lob für die Griechen, die geschickt taktierten.

Durs Grünbein (*1962), mehrfach ausgezeichneter Lyriker, Essayist, Übersetzer und 1995 der jüngste Büchner-Preisträger, hat „Die Perser“ neu ins Deutsche übertragen. Nicht in eine modernistische Sprache, wohl aber in eine einfühlsame moderne Sprache, mit Respekt vor der Mythologie und dem Genre der Tragödie angemessen: klassisch, aber nicht museal. Hinzukommt, dass Durs Grünbein, der selbst in der nationalen Volksarmee der DDR seinen  Wehrdienst ableistete, auch Kenntnis vom Soldatenleben hat.

Ulrich Rasche, der in Bochum Kunstgeschichte studierte, erste Theatererfahrung an der Schaubühne in Berlin hatte, führte Regie und gestaltete das Bühnenbild. Am Schauspiel Frankfurt inszenierte er noch unter der Intendanz von Oliver Reese „Dantons Tod“ von Georg Büchner und „Sieben gegen Theben“ / „Antigone“ von Aischylos  / Sophokles.

In seinen Inszenierungen beschwört er das Gemeinschaftliche, das verloren zu gehen scheint, und verbindet es mit gigantischen Maschinen. In „Dantons Tod“ war es eine Walze, auf der die Akteure pausenlos schritten. Im Antikenprojekt „Sieben gegen Theben“ war es eine ständig sich drehende Scheibe, in „Antigone“ ein Laufband.

In „Die Perser“ gelangt das Bühnenbild ins Monumentale und verbindet den Text mit eigens kreierter Musik von Ari Benjamin Meyers mit Gesang, Marimba, Vibraphon, Bass, Percussion, Bratsche und Elektronik – eine außergewöhnliche Zusammensetzung, wobei das Schlagzeug mehr oder weniger dominiert. Immer wieder ist es sehr laut, der Lärm des Krieges.

„Die Perser“, Regie: Ulrich Rasche, Ensemble, Foto: Birgit Hupfeld, Schauspiel Frankfurt

Auf zwei freistehenden, sich permanent drehenden Scheiben bewegen sich 15 männliche Schauspieler, Boten und die Armee des Xerxes sowie drei Schauspielerinnen. Sie verkörpern den Chor des persischen Ältestenrats (Katja Bürkle und Valery Tscheplanowa auch als Dareios Geist) und die Königsmutter Atossa (Patrycia Ziolkowska). Abgesehen vom Chor sind es vier Figuren, die einzeln auftreten und sprechen: Atossa, der namenlose Bote, der tote Dareios, der zu Lebzeiten auch schuldig wurde, und nun erscheinen darf, um die Kriegskunst seines Sohnes zu verurteilen sowie schliesslich Xerxes, der sein Volk in den Abgrund führte. Zerfetzt, verzweifelnd.

Höchste Konzentration wird von den Darstellern verlangt, um die gemeinsamen Texte zu sprechen. Choreografisch ist der Aufmarsch des Heeres auf der hinteren Drehscheibe. Ein immer auf der Selben-Stelle-Treten in einem Rhythmus der alle Darsteller vereint –skandierend „Vorwärts! Vorwärts!“. An Sisyphos, der vergeblich versucht, den Felsblock hoch zu rollen und auf der Stelle tritt, erinnert diese Szene. Vergeblich war das Tun des persischen Heeres. Die Klagen über den Schmerz, über den Verlust hämmern auf den Zuschauer ein. Nach zwei Weltkriegen, endlich 70 Jahre Frieden, der erneut bedroht zu sein scheint, zeigt sich das Theaterstück „Die Perser“ hochaktuell. „Niemals brecht Kriege vom Zaun..“

Das Publikum muss sich auf drei Stunden und 45 Minuten inklusiv Pause Aufführungszeit einstellen. Einige Zuschauer gingen in der Pause und sagten „Jetzt ist genug“. Es lohnt sich aber durchzuhalten, um ein eigenes Fazit aus Aischylos-Grünbeins Botschaft  ziehen zu können. Ein gewaltiger, nachhaltiger Theaterabend.

Vorstellungen im Großen Haus des Schauspiel Frankfurt 3., 16., 17., 20. Dezember – zum letzten Mal in dieser Spielzeit.

„Furor“

„Wer ist übrigens wir?“

NELE: „Man hat ihm ein Bein amputiert und er hat ein zertrümmertes Schulterblatt.

BRAUBACH: Das weiß ich. Ich meinte auch nur: Es freut mich, dass er von der Intensiv runter ist.….Aber ich bin nicht schuld an dem Unfall. Es gab eine Untersuchung. Ich trage keine Schuld, das hat der Bericht bestätigt.

NELE: Ich weiß. Ich habe auch nicht gesagt, dass sie schuld sind. Und jetzt sind Sie hier. Das ist ja auch gut. Ja.…..Sagen Sie mir, dass es Ihnen leidtut, meinen Jungen zum Krüppel gefahren zu haben.“

Diese Sätze begründen, warum Heiko Braubach, sich zu Nele Siebold begeben hat.

„Furor“ Regie: Anselm Weber, Fridolin Sandmeyer, Katharina Linder, Foto: Thomas Aurin, Schauspiel Frankfurt

Der 18jährige Enno, ihr Sohn, wurde von dem Ministerialdirigenten und OB-Kandidaten umgefahren und schwer verletzt. Das Gespräch findet abends in Neles Wohnung statt, die in einem Plattenbau-Viertel liegt. Braubach hat sich vom Chauffeur fahren lassen. Von Anfang an sollte Jerome Siebold dabei sein, Neles 29jähriger Neffe, Fahrer im Paketdienst, bei einem Subunternehmen der Post. Jerome habe sich um sie gekümmert, begründet Nele sein Dabei-Sein-Wollen.

Nele lässt durchblicken, dass Enno Drogen nahm und kleine kriminelle Taten beging. Braubach rechtfertigt sich und bezieht sich mehrfach auf das Gutachten und die Zeugen, die ihm bescheinigen, korrekt gehandelt zu haben. Er habe nicht mehr bremsen können, als Enno ihm vors Auto lief. Zuvor hatte dieser den Kontrolleur geschlagen und war bei seiner Flucht vors Auto geraten.

Braubach kommt 14 Tage nach dem Unfall zu Nele. Sein Team habe ihm geraten, da er eine Person des öffentlichen Lebens ist, nicht sofort Frau Siebold aufzusuchen. Fühlt er sich verpflichtet, weil er im Wahlkampf ist? Braubach kennt den Knochenjob Paketbote, mit dem hat er sich das Geld für die Abendschule verdient. Er wurde Metallfacharbeiter, studierte und wurde Ingenieur.

Wie soll Nele den Sohn, der im Rollstuhl sitzen wird, in dieser engen Wohnung betreuen? Die Altenpflegerin Nele, die jeden Cent braucht, hat Angst vor der Zukunft. Sie fürchtet hohe Kosten, um einen Schadensersatz und eine Anzeige zu zahlen, da Enno den Kontrolleur geschlagen hat. Sie fühle sich von der Presse verunglimpft, die sie als Mutter hinstellt, die ihren kriminellen Sohn decke. Das Wort Lügenpresse fällt. Braubach beruhigt sie: es kämen keine Forderungen, keine Anzeige – nichts. Überall habe er seine Beziehungen spielen lassen, auch im Krankenhaus, damit es Enno gut habe. Er macht konkrete Vorschläge für Ennos Zukunft. Nele ist gewillt, sie anzunehmen.

In der zweiten Szene kommt Jerome, ein junger Rechter, ein Wutbürger wie er im Buche steht. Er macht sich über die mitgebrachte Pizza her. In der zehn Stunden dauernden Arbeit hat er noch nichts gegessen. Er will nun die Verhandlungen mit Braubach führen, obwohl bereits Einigung zwischen Frau Siebold und Braubach besteht. „Interessiert mich nicht.“

In der 3. Szene sind Jerome und Braubach allein. Der junge Mann unterstellt, dass Braubach sich mit Geld raus kaufen will. Er provoziert, er hat sich bestens im Internet vorbereitet, versucht zu erpressen und attackiert Braubach sogar mit dem Messer. Nele, die ein Runde um die Häuserblocks gedreht hat, kehrt zurück. Wie wird sie reagieren?

„Furor“ Regie: Anselm Weber, Dietmar Bär, Fridolin Sandmeyer, Foto: Thomas Aurin, Schauspiel Frankfurt

Lutz Hübner und Sarah Nemitz sind die Autoren dieses Bühnenstücks, das vom Schauspiel Frankfurt in Auftrag gegeben wurde. Die Stücke des Ehepaars gehören zu den meist gespielten Werken auf deutschen Bühnen. Im Juni 2016 erhielt Lutz Hübner  – warum nicht auch seine Frau Sarah Nemitz,  mit der er schon lange zusammenarbeitet ?- den Preis von der Stiftung Verlag der Autoren in Frankfurt.

Zwei Jahre haben sie an „Furor“ (Wut, Raserei) gearbeitet, dessen dialektischer Text heute aktueller denn je ist. Was macht der globale Kapitalismus mit den Menschen? Die Menschen sind mit dem Überleben beschäftigt. Jerome kommt nicht gut weg in dem Stück. Es ist schon übel, wie Jerome ausrastet, dennoch hat er Argumente, die nachvollziehbar sind.

Armut in einem reichen Land (Professor Christoph Butterwegge) ist seit Jahren ein Dauerthema in Deutschland. Jerome: „Aber wir sind verpflichtet, unbezahlte Überstunden zu machen und zwar regelmäßig. Dann kommt man schnell runter auf fünf die Stunde, so einfach ist das. Du hast keine Ahnung von der Arbeitswelt.  ..Die Postler stehen bei uns zehn Meter weiter runter an der Rampe, kriegen mehr Geld, arbeiten weniger und wir sind die Deppen von der Sub…  und nichts bleibt am Monatsende über, nichts! Ich habe Zeitdruck, den ganzen Tag, damit die Quote stimmt….“

Heiko Braubach tut so, als wäre alles erreichbar, wenn man nur wolle und präsentiert sich selbst als Vorbild. Ist er der politische Saubermann für den er sich hält und ausgibt? Ist das, was Jerome im Internet über den Unfall fand, ein Fake?  „Es gibt Zeugen, die ausgesagt haben, dass Sie zu schnell gefahren sind. Nur komisch, dass das im Abschlussbericht dann nicht mehr auftaucht. Ganz nüchtern waren sie auch nicht, Herr Braubach.“

Der Zuschauer wird ununterbrochen in ein Wechselbad von Betrachtungsweisen gestürzt. Welche Position er einnimmt, bleibt ihm jedoch überlassen.

Es ist ein intensives Dialogstück, das Intendant Anselm Weber, der Regie führt, auf die große, verkleinerte Bühne bringt. Fridolin Sandmayer, Jerome, zittert, wird laut, aggressiv, ganz Wutbürger. Dietmar Bär, bekannt als einer der Kommissare im TV-„Tatort“,  taktiert zunächst ruhig, aber entwickelt auch erpresserische Momente. Weder der Wutbürger, noch der Politiker werden verzerrt. Katharina Lindner zeigt Nele als Frau mit verständlichen Ängsten. Das spannend zu nennen, wäre das falsche Wort für den Abend, der ununterbrochene Konzentration fordert.

Nemitz / Hübner ist ein Stück gelungen, das zum Nachdenken und zum Gespräch zwingt. Das wollen die beiden mit ihren an gesellschaftlichen Problemen orientierten Stücken auch bewirken.

Im Haus am Dom wird es am 11. Dezember 2018 die Theaternachlese zu „Furor“ geben mit der Schauspielerin Katharina Lindner, dem Schauspieler Fridolin Sandmayer, der Dramaturgin Ursula Thinnes, dem Theologen und Religionsphilosophen Heiko Schulz von der Frankfurter Universität und den Mitarbeitern der Katholischen Akademie Rabanus Maurus Dr. Stefan Scholz und Dr. Lisa Straßberger. Es klingt sehr akademisch. Ein Podiumsteilnehmer / in aus dem HartzIV-Bereich könnte die Diskussion beleben.

Aufführungen des Stücks „Furor“ im Großen Haus sind am 8., 21.,22. Dezember und am 23., 27. und 30. Januar 2019

 

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