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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die chinesische Künstlerin Cao Fei erklärt das moderne China

Besuch mit Jade in der Ausstellung „Cao Fei“ im K21 

E-Mail von Jade: „Wir gehen Mittwoch zu Fei“. Fei, das ist die chinesische Künstlerin Cao Fei (geb. 1978), Pionierin einer Künstlergeneration, für die digitale Medien und Netzwerktechnologien zum Alltag gehören. In Frankfurt waren Arbeiten von ihr im Rahmen der Ausstellung Ray 2018 „EXTREME. NOMADS“ bereits zu sehen, ebenso im MoMa in New York. Jetzt widmet ihrdie Kunstsammlung NRW unter der Regie der neuen Direktorin Prof. Susanne Gaensheimer, ehemals Museum für Moderne Kunst Frankfurt, im Düsseldorfer Ständehaus K 21 eine umfassende Retrospektive.

Von Angelika Campbell

Cao Fei in Frankfurt anlässlich der Ausstellung EXTREME NOMADS, Foto: Petra Kammann

Besuch mit Jade im K21, Foto: Angelika Campbell

Nun ja, mit meinen Bemühungen, die chinesische Sprache zu erlernen, bin ich bislang kläglich gescheitert – viel mehr als Ni Hao (Guten Tag) und Che Che (Danke) bringe ich nicht zustande. Aber mediale Einblicke ins moderne China, das interessiert mich auf jeden Fall. Also auf ins K21! Wie gut, dass eine Chinesin bei mir ist, um die verschlüsselte Gedankenwelt Cao Feis besser zu verstehen! Jade macht sich nützlich als Übersetzerin und Erklärerin chinesischer Texte, Sitten, Symbole, Bauwerke und Pop-Songs. Auch die Bronzestatue, die sich inmitten von tropischen Topfpflanzen am Eingang der Schau erhebt, kann sie benennen: „Ist Deng Xiaoping. Er hat geöffnet China für Welt.“

Über dem einstigen Staatslenker der Volksrepublik ist der Schriftzug „Utopia Factory“ zu sehen – er führt weg vom leicht kitschigen ersten Eindruck der Schau hin zum zentralen Anliegen von Frau Cao: die massiven gesellschaftlichen und urbanen Umbrüche Chinas darzustellen. „Utopia Factory“ ist eine Glühbirnen-Fabrik in Foshan, in der sie mit Angestellten das Kunstprojekt „What are you doing here?“ durchführte. Der Film zeigt unter anderem einen Arbeiter bei fließenden Tai-Chi-Bewegungen inmitten einer High-Tech-Anlage – eine Auszeit von der täglichen Plackerei am Fließband.

Ausstellungsansicht im K21, Foto: Angelika Campbell

Jade zieht mich weiter in ein Areal, in dem noch mehr heroisch wirkende Bronzeplastiken zu sehen sind. Wir lernen, dass diese ebenso wie die Statue im Entrée von Cao Feis Vater, dem Bildhauer Cao Chong‘en, stammen. Die Standbilder werden begleitet von den Installationen „Nation.Father“ und „In the Night Garden“, die den Wandel der chinesischen Gesellschaft nach den Reformen und der Öffnungspolitik aufzeigen. Cao Fei, das wird deutlich, wuchs in einem Künstlerhaushalt auf, hat sich jedoch spektakulär von den Chiffren der Vergangenheit gelöst und arbeitet mit den digitalen Möglichkeiten unserer Zeit. Jade gefällt es, dass Fei auf die Kunst ihres Vaters hinweist, obwohl Welten zwischen den beiden künstlerischen Auffassungen liegen: „Familie wichtig in China!“

Wir tasten uns weiter durch die überwältigende Cao-Fei-Bildsprache mit Videos, Fotografien, Multimedia-Installationen und zuvor noch nie zuvor in Ausstellungen gezeigten Zeichnungen. In einem verdunkelten Raum wundern wir uns über drei Kästen mit winzigen Modell-Landschaften und staunen noch mehr, als wir Teile daraus im surreal erzählten Film „La Town“ aus dem Jahr 2014 riesenhaft vergrößert und mit brillanter Technik animiert wiedersehen. Für die Darstellung der von einer rätselhaften Katastrophe heimgesuchten Stadt gibt die Cineastin Cao Fei zwei Inspirationsquellen an: den 1959 von Alain Resnais gedrehten Film „Hiroshima Mon Amour“ sowie die US-Fernsehserie „The Walking Dead“.  Mediale Einflüsse aus dem Ausland haben sich also in ihrem Schaffen niedergeschlagen, während in anderen Werke auch Inspirationen aus der internationalen Pop- und Jugendkultur zu verorten sind.

Jade ist beeindruckt von der zeitgemäßen Schau, Foto: Angelika Campbell

Mit schwirrt der Kopf von der überwältigenden Bildsprache, die mir diese Ausstellung zumutet, doch Jade bugsiert mich unbarmherzig in einen weiteren dunklen Raum. Hier läuft Caos erster Spielfilm, der apokalyptische Streifen „Haze and Fog“, ihre Beschreibung der  aktuellen Lebensumstände in Peking. Anonyme Hochhäuser, Luftverschmutzung, karge Wohnungen, einsame, isolierte Menschen, die keine Empathie empfinden – ist das die schöne neue Welt Chinas? Zombies schwanken blutüberströmt durch leere Straßen, ein erfolgloser Makler wird entlassen, ein Paketbote kippt Melonen in einen Flur, eine Schwangere hackt sich beim Gemüseschneiden einen Finger ab, ein Gehbehinderter fällt in einen Fischteich – ziemlich gruselig das Ganze! Ich will nach der Hälfte gehen, aber Jade bestimmt: „Wir sehen zu Ende!“

„Haze and Fog“ thematisiert Jade einige Tage später in einem Aufsatz für ihren Deutschkurs. Sie erwähnt eine erschütternde Szene des Films, in der jemand, Symbol für einen Reichen, aus seinem BMW aussteigt und einen Armen, der ihm vor den Wagen gelaufen ist, auf der Straße verprügelt. Sie schreibt:  „Die Schwäche hat keinen Gegenangriff. Früher habe ich in China ähnliche Ereignisse von den Nachrichten gehört. Cao Fei hat solche gesellschaftliche gegenwärtige Situationen eingehend präsentiert, um die abgestumpften Menschen aufzuwecken. Das ist, was mir gut gefallen hat. Ich hoffe, das jeder ein netter, rücksichtsvoller Mensch ist, trotzdem ist es eine Utopie.“ Che Che, Jade!

 

Die Ausstellung Cao Fei ist bis 13.01.2019 im K21 Ständehaus Düsseldorf zu sehen.

Weitere Infos unter: 

www.kunstsamlung.de

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