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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Salon kontrovers“ im Holzhausenschlösschen: Glenn Gould

Der lustvolle Briefschreiber Glenn Gould,
begleitet vom jungen Pianisten Julius Asal

Von Uwe Kammann

Der Pianist Julius Asal begann mit den Goldberg-Variationen von J. S. Bach, Foto: Petra Kammann

Die Glenn-Gould-Ausstellung im Holzhausenschlösschen aus der Sammlung von Klaus Berge, Foto: Petra Kammann

Was für ein Name! Denn wer würde ihn sich nicht merken: Glenn Gould. Natürlich war und ist er Gold wert, wenn es um das hohe Gut der Aufmerksamkeit geht. Tatsächlich steckt das Edelmetall sogar im ursprünglichen Familiennamen des kanadischen Pianisten, Komponisten und Musikautors, der schon früh in seinem relativ kurzen Leben (1982 starb er mit gerade mal 50 Jahren an einem Schlaganfall) zur Legende wurde. Zu einer umstrittenen Legende, ja.

Denn nicht wenige Kritiker hielten ihn wegen seiner analytisch geprägten Spielweise, auch wegen seiner schon in der Mitte der Karrierre gezeigten Ablehnung des normalen Konzertbetriebs für einen Sonderling, einen bizarren Außenseiter. Aber er hatte und hat immer noch – gerade wegen seiner zahlreichen, mit Verve perfektionierten Platteneinspielungen – einen hingebungsvollen Kreis von Bewunderern, die auf seine bahnbrechende Modernität schwören. Dass er auch Hörstücke schrieb, essayistisch arbeitete und sich so intensiv wie akribisch um eine theoretische Auseinandersetzung mit Musik kümmerte, das ist natürlich weniger im allgemeinen Bewusstsein.

Auch handschriftliche Briefe waren ausgestellt, Foto: Petra Kammann, Foto: Petra Kammann 

Denn faszinierend ist vornehmlich – gerade wegen der späteren Konzert- und Publikumsabstinenz – die physische Präsenz der gespeicherten Töne, zu deren Konservierung auf den Langspielplatten immer auch die Hülle gehört, mit fotografischen Porträts, die fast alle zu Ikonen wurden, zu einer Art optischen Interpretation. Das sind Ingredienzen ähnlich wie beim kanadischen Sänger Leonhard Cohen – auch er mit einem sofort in den Bann schlagendem Namen gesegnet, mit einem markanten Gesicht und einer unverkennbaren Stimme. Allerdings, anders als Gould liebte der vor zwei Jahren gestorbene Cohen auch die Konzertpräsenz mit ihrer Spontaneität und Unmittelbarkeit – bis ins hohe Alter.

Moderatorin Hanne Kulessa, Foto: Uwe Kammann

Eine zu lange Vorbemerkung? Aber diese Charakterisierung eines Wunderkinds erklärt vielleicht auch, warum Hanne Kulessa – mit vielen klugen Konzeptionen für die Reihe „Salon kontrovers“ eine feste Größe der Bürgerstiftung Holzhausenschlösschen – schon früh fasziniert war von dieser musikalischen Ausnahmeerscheinung. Vor zehn Jahren las sie eine Ausgabe seiner Briefe, eine Lektüreerfahrung, die dann eine Zeitlang schlummerte. Bis sie vor eineinhalb Jahren sich zum Wunsch verdichtete, daraus einen Salon-Abend zu machen unter dem von ihr virtuos ausgearbeitetem Rubrum „Briefe – schreiben und lesen“.

Das Besondere nun an diesem Abend: Das Lesen einer Auswahl der Gould-Briefe wurde verknüpft mit dem Spiel einiger Klavierstücke – Bach, natürlich, das war ja Goulds Hauptgestirn –, aber auch Beethoven, Schönberg, Busoni, Brahms. Als Pianist wurde der blutjunge Julius Asal verpflichtet, dem Holzhausenschlösschen-Publikum schon aus zwei Konzerten bekannt. Was er nicht sein sollte: eine Art Kopie von Gould, ein Bruder im Geiste, ein Imitator. Was allerdings, wenn man Fernseh-Konzerte von Gould gesehen hat, schwer wäre. Denn Gould hatte tatsächlich eine sehr eigene Haltung – tief und nah am Klavier sitzend –, er war ständig in Bewegung, schwang mit seinem Körper, seinem Kopf den Tonbewegungen nach, lauschte intensiv, ob die Tonfolgen ausreichend analytisch waren, sang und summte in sein Spiel hinein (diese Begleittechnik hatte ihm die Mutter schon früh eingebläut), machte interpretierende Mienen; kurz, er wirkte wie ein zweites musikalisches Medium und Ereignis.

In seinen Briefen nun, die Hanne Kulessa ausgewählt hatte, zeigte er eine ganz ähnliche Haltung. Hochbewusst formuliert, mit Lust an Arabesken und Sottisen, mit ebensolcher Lust an blumigen Formulierungen, getränkt mit Ironie und hintersinnigem Humor, offenbaren sie in jedem Satz eine innere Haltung: Ja, das macht mir untergründigen Spaß. Und dies zieht sich als stetige Linie durch, gleich ob er mit seinen Partnern in den produzierenden Medien (Schallplatten, Radio, Fernsehen) korrespondiert. Oder an anderer Stelle mit Musikerkollegen, auch mit Fans (denen er nicht etwa nur routiniert auf Bewunderungsbriefe antwortet). Oder, dies gehört zu den besonders vergnüglichen Stellen, wenn er beim Flügelhersteller Steinway auf penibel-verschmitzte Art auf Änderungen und Verbesserungen drängt – wohl auch mit der durchscheinenden Erwartung im Hinterkopf, dass ein handfester Vorteil dabei herausspringen sollte.

Thomas Hupfer las aus den Briefen, Foto: Uwe Kammann

Der Schauspieler Thomas Hupfer liest all diese Varianten des ebenso versierten wie lustvollen Briefeschreibers Gould mit einer Intonation, die nahelegt: Ja, genau so war es gemeint, genau dies spiegelt die Stimmungen und Launen der Verfassers. Der, auch dies legt der Leseabend offen, mit vielfältiger Hypochondrie geschlagen/begabt war, der sehr subtil seine Vorkehrungen beschreibt (wie das stete Handschuhtragen und Mantelwärmen selbst an Sommertagen), mit denen er Unpässlichkeiten vorbeugen will, auch wenn dies nicht immer gelingt und Konzerte abgesagt werden müssen.

All das sind aufschlussreiche Einblicke in ein außergewöhnliches Musikerleben, das mit dem 50. Lebensjahr so jäh mit einem Schlaganfall endete. Für einen besonderer Reiz bei diesem Holzhausenschlösschen-Ereignisses sorgte der Frankfurter Sammler Klaus Berge, der zwei Originalbriefe Goulds – der eine in schwungvoll verzierter Handschrift, der andere auf Hotelpapier getippt – zur Verfügung stellte, die in den Schauvitrinen ebenso zu bewundern waren wie die zahlreichen Schallplattenhüllen, die in der Regel auf den Kopf des Pianisten als ganz eigene Attraktion setzten, gerne im Halbprofil, auch mit angeschnittenen Konturen. Auch dies Belege dafür, wie sehr Gould (und in enger Verzahnung seine Manager) über intensive mediale Wirkung auch eine Art Marke schaffen wollten, was ihnen in für die damalige Zeit beispielloser Weise gelang. So, wie an anderer Stelle, es auch Leonhard Bernstein und Herbert von Karajan vermochten.

Ankündigung der Zugabe von Julius Asal und Thomas Hupfer, Foto: Petra Kammann

Das Zusammenspiel aller Elemente an diesem Abend – von Hanne Kulessas Einführung über die Musikinterpretationen Julius Asals bis zu den lustvoll-intensiven Lesungen von zwei Dutzend Briefen in einem weitern Spektrum der Adressaten – ließ eine sehr dichte Vorstellung von dem aufscheinen und entstehen, was die Briefkünste als ganz andere Seite eines so außergewöhnlichen Künstlers wie Glenn Gould bedeuten können. Das ebenso außerordentliche Vergnügen des Publikums schlug sich im mehr als temperamentvollen langen Beifall nieder – der sein Echo in einer schönen Zugabe fand.

Ein gelungener Abend und… „Salon kontrovers“ mit Hanne Kulessa geht weiter, auch im nächsten Jahr!; Foto: Petra Kammann

Wer Spaß an solcher brieflichen Zusammenhängen hat – die sich natürlich vieldeutig als Korrespondenz(en) beschreiben lassen –, der sollte die nächste Folge der Reihe „Salon kontrovers: Briefe – schreiben und lesen“ nicht verpassen. Denn sie bietet Ausschnitte des Briefwechels von zwei Großen der deutschen Literatur, Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger, gelesen von Friederike Ott und (wiederum, wie jetzt bei Gould) Thomas Hupfer. In Anspielung auf Bachmanns berühmten Satz „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ heißt es appetitmachend: „Ob in den Briefen zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger immer die Wahrheit geschrieben wird, wissen wir nicht so genau, aber das, was zu lesen ist, ist aufschlußreich, ist überraschend, ist spannend.“

Keine Frage, so wird es sein an diesem 28. Februar des nächsten Jahres. Beim stets aufmerksamen Holzhausenschlösschen-Publikum ist die Vorfreude jedenfalls groß.

Wer sich der Persönlichkeit Glenn Goulds filmisch nähern möchte, dem seien zwei Teile einer auf Youtube zu sehenden Dokumentation des kanadischen Senders CBC empfohlen: „Glenn Gould on the record“

(https://www.youtube.com/watch?v=g0MZrnuSGGg

und Glenn Gould off the record“

(https://www.youtube.com/watch?v=pL9YjM1BqgY).

Einen großartigen Einblick in die besondere Kunst des Pianisten gibt auch sein US-Fernsehdebüt mit Leonhard Bernstein

(https://www.youtube.com/watch?v=pL9YjM1BqgY)

 

 

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