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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Rückbindung an die Welt“ im Frankfurter Kunstverein

Poetische Räume aus Teilen unseres Lebens…

von Petra Kammann

„Ein rein verstandesmäßiges Weltbild ganz ohne Mystik ist ein Unding“, sagte der österreichische Nobelpreisträger Erwin Schrödinger, der als einer der Begründer der Quantenmechanik gilt, der wohl wusste, wovon er sprach. Unter dem Titel „Rückbindung an die Welt“ verbirgt sich eine sowohl wissenschaftsbasierte als auch sinnlich erfahrbare Ausstellung im Frankfurter Kunstverein von drei jungen international renommierten Künstlern*innen: Hicham Berrada, Lucy Dodd und Sam Falls. Da gibt es nicht nur etwas zu verstehen und zu sehen – sondern sogar etwas zu riechen. Die Künstler aus verschiedenen Ländern eint die Erkenntnis, dass wir ein tieferes Verständnis von den Zusammenhängen der Natur und des Lebens verloren haben. Sie reagieren –  jeder für sich und auf individuelle Weise – darauf mit kreativen Lösungen. So sind im Kunstverein Werke zu entdecken, welche sich mit Elementen und Materialien beschäftigen, die Teile unseres Lebens ausmachen. Die Künstler zeigen neue Wege der Rückbindung an Natur und Welt auf, indem sie unmittelbar mit organischen Stoffen arbeiten, natürliche Phänomene wie Tag-Nacht-Rhythmen umfunktionieren oder die Zeit – heute ein rares Gut – schlicht entkoppeln und mit poetischen Parallelwelten dagegen an arbeiten….

Foyer des Frankfurter Kunstverein: Hier tritt man ein in eine andere Welt mit der neuen, sich wiederspiegelnden Altstadt, geheimnisvoll und leicht duftend, Foto: Petra Kammann 

Die neue Alchemie des Ökosystems

Verlässt man die wimmelnde Neue Frankfurter Altstadt und betritt den Kunstverein im schlichten Fünfziger-Jahre-Anbau des Steinernen Hauses, so stellt sich sofort ein Moment der Ruhe und Konzentration ein, der fast etwas Meditatives ausstrahlt. Geradezu magisch wird man von einer besonderen Beleuchtung empfangen, welche sich durch das ganze Haus zieht, wo die Exponate in dem geheimnisvollen Licht und der räumlichen Gestaltung eine ganz besondere Aura bekommen. Im Foyer schieben sich rhythmisch aufgereiht monolithisch-dunkle Kästen quer in den Raum. Sie sind indirekt beleuchtet. Man glaubt förmlich durch einen exotischen nächtlichen Pflanzengarten zu flanieren, aus dem einem fast unmerklich ein leichter Duft von süßlichen Jasmin entgegenströmt. Hinter dem dunkel spiegelndem Glas der Terrarien verbirgt sich nämlich tatsächlich ein Garten aus wachsendem weißen Nachtjasmin.

Luftfeuchtigkeit und die Bestrahlung der Pflanzen werden automatisch elektrisch durch das Licht von oben gesteuert. „Mesk-ellil“ nennt der 1986 im marokkanischen Casablanca geborene und heute in Paris lebende Künstler Hicham Berrada seine gewächshausartige Installation. Der arabische Name“Mesk-ellil“ steht für Nachtjasmin, der Pflanze, die – vorzugsweise in südlichen Ländern – ausschließlich nachts aufblüht. Berrada, der marokkanisch-französische Schöpfer dieses Environments, der möglicherweise von dieser Erfahrung zehrt und von seiner Ausbildung her sowohl Physiker und Chemiker als auch Künstler ist, hat nun durch das Einschalten einer Zeituhr den Lichteinfluss auf die Pflanzen so gestaltet, dass deren Tag-Nacht-Rhythmus künstlich verschoben ist und damit auch die Wahrnehmungssensoren. So legt sich tagsüber ein künstlicher Mondschimmer über die erwachenden Blüten, die beginnen, ihren Duft zu verströmen, während zum Abend hin Natrium-Dampflampen mit Licht die Frequenz der Sonne simulieren und die Glasobjekte fluten, was nicht nur die Pflanzen in einen Ruhezustand versetzt. Der Zuschauer kann, wenn er sich darauf einlässt, der Veränderung förmlich zusehen und sie in aller Ruhe nacherleben.

Die besondere Lichtatmosphäre im zweiten Stock mit Blick auf die neue Altstadt:
Foto: Petra Kammann

Auch die anderen Videoarbeiten von Hicham Berrada, dessen künstlerische Praxis auf naturwissenschaftlichen Recherchen basiert, sind ebenso faszinierend wie die künstlichen Bronzeskulpturen im Aquarium „Masse et Martyr„(2017), denn er verwandelt organische und chemische Materialien in wundersame Bildwelten, die ihrerseits wiederum ganz organisch anmuten. Seine Videoarbeit im ersten Stock „Augures mathématiques“ (2018), also mathematische Auguren oder Weissager, die er eigens für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein geschaffen hat, deutet eine Fahrt durch eine abstrakte, sich in die Dunkelheit erstreckende Landschaft mit poröser Oberfläche an. Auch sie ist das Ergebnis eines wissenschaftlich, hier mathematischen Prozesses. Hicham Berrada hat dabei vier Basis-Gleichungen genutzt: die Gleichung über die Verzweigung von Wurzeln, über die Kumulation von Wolken, über die Oberflächenstruktur von Wellen und über die Berechnung von Massenbewegungen.

Auch hier hat er wieder die natürlichen Prinzipien zunächst einmal mathematisch erfasst, die dafür zuständigen Formel in eine Open-Source-Software eingegeben, die vier Gleichungen kombiniert und aus ihnen hochauflösende und komplexe Visualisierungen aus schier endlos berechneten Möglichkeiten erarbeitet, die sich zu einer grenzenlosen Landschaft aus Formeln und subtilen Formen, Mustern und Texturen verknüpfen und vernetzen. Aus den Datenstrukturen werden nämlich ständig neue eigenständige Bilder generiert. Dabei erwachsen inspirierende Bilder, die eine neue Wirklichkeit und eine abstrakte Bildlandschaft suggerieren, welche die Welt nicht abbildet und so repräsentiert ,wie sie ist‘, sondern die auf einige ihrer inhärenten Zusammenhänge mathematischer Abstraktionen verweisen, die auf einem ,höheren‘ Ordnungsprinzip beruhen und eine ganz eigene Schönheit aus ebendiesen so erzeugten Farben und Formen feine arabeske Mustern hervorbringen. Da entsteht vor unseren Augen eine neue unwirkliche Wirklichkeit, die im Kontrast zu unserer unmittelbaren Realität und des im Kunstverein uns umgebenden Raumes steht.

Am Abend der Ausstellungseröffnung am 30. Oktober  2018  demonstriert Hicham Berrada in einer Performance seine künstlerisch-wissenschaftliche Arbeitsweise, Foto: Kunstverein

Faszinierend auch, wie Hicham Berrada durch eine Art Bühnenschauspiel in einem Raum in seinem großformatig projizierten Werk „Présage – fortlaufend/ongoing“ aus dem Jahre 2007 das komplette Ökosystem eines ganz eigenen Kosmos erschafft und ein raumfüllendes Landschafts- oder besser Unterwasserlandschaftsbild entstehen lässt, in dem er mithilfe von Chemikalien und Stoffen, mit Oxydation und elektrolytischen Verfahren sowie mit den Grundkräften der Physik wie Gravitation, Elektromagnetismus, Anziehungskräfte und Wechselwirkungen eine lebende Welt erschafft. Man könnte den französischen Titel ,Présage‘ dieses raumfüllenden monumentalen  Werks auch mit „Omen“ oder „schlechtes Vorzeichen“ übersetzen und deuten. Da bewegt sich unaufhörlich etwas Unergründliches in der parallelen Welt des Meeres, das wiederum seine eigene Schönheit des sich darin befindenden Kosmos spiegelt. Man könnte in dem abgedunkelten Raum, Stunden auf der Bank sitzend, vor der Projektion verbringen und dem Spektakel der sich verändernden suggestiven Bildern zuschauen und nachsinnen… Dabei lohnen auch die künstlerischen Arbeiten der beiden andere Künstlern Lucy Dodd und Sam Falls auf den anderen Etagen.

Hicham Berrada mit Kunstvereinsdirektorin Franziska Nori, die die Ausstellung auch kuratiert hat; Foto: Kunstverein

Alle drei sind in ihren Werken auf der Suche nach existenziellen Grundparametern, die unsere Verbundenheit mit einem übergeordneten Ganzen herstellen. Bewusst gestalten sie ihr Werk in einer historischen Situation, in welcher die Menschen durch den Einfluss der digitalen Medien und der damit verbundenen neuen Bedingungen zunehmend von Raum und Zeit entkoppelt zu sein scheinen, und sie gehen der wachsenden Sehnsucht nach unmittelbaren haptischen und sinnlichen Erlebnissen nach.

Die unterschiedliche künstlerische Konsequenzen von Hicham Berrada, Lucy Dodd und Sam Falls lässt sie im gemeinsamen Versuch, die Welt zu verstehen, dabei Elemente und Materialien unserer Umwelt, deren Resonanz sie auf sich wirken lassen, auf- und begreifen. Ausgehend von der Erforschung der Wirkmechanismen ihrer Substanzen nutzen sie natürliche Phänomene, aktivierende  Zeitprozesse, die sie mit organischen Stoffen bearbeiten. Sie folgen ihren Spuren, die sie neu in die Zeit eingravieren und entwerfen eine neue Verortung mit den sie umgebenden Prozessen an der Schnittstelle von ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten, angewandter Wissenschaft und praktischer Philosophie. Das Besondere dieser Schau ist aber vor allem, dass sie ihre jeweils persönliche Materialerfahrung poetisch neu erlebbar machen.

Diese Erfahrung ist es, welche die „Rückbindung an die Welt“ möglich macht. War nicht einst auch das Ziel der mittelalterlichen Alchemisten die Elementumwandlung von unedlen Metallen zu Gold? Das hat seinen eigenen Glanz. Und in Frankfurt, zumal an diesem Ort zwischen neuem MMK und renovierter Schirn…

Die Ausstellung
im
Frankfurter Kunstverein
Steinernes Haus am Römerberg,
Markt 44
Frankfurt am Main
ist noch bis zum
13. Januar 2019
zu sehen.

 

 

 

 

 

 

 

Ausstellungsplakat am Steinernen Haus; Foto: Petra Kammann

 

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