home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Like you! Freundschaft digital und analog“ im Kommunikationsmuseum

Kurzweilige, interaktive Schau beleuchtet die vielen Facetten – Wie freundschaftsfähig sind Sie?

Von Hans-Bernd Heier

Was ist Freundschaft, was bedeutet sie uns? Fragen, auf die es viele Antworten gibt – in Literatur, Geschichte und Forschung, vor allem aber aus der eigenen Lebenserfahrung. Der Brockhaus definiert schlicht: „Freundschaft ist ein Verhältnis aus  gegenseitiger individueller Zuneigung bei rückhaltloser Vertrautheit mit den Lebensumständen des Freundes oder der Freundin“. Trifft diese klassische Definition auch auf freundschaftliche Beziehungen im Zeitalter der Digitalisierung zu? Die großartige Wechselausstellung „Like you! Freundschaft digital und analog“ im Museum für Kommunikation beleuchtet die vielen unterschiedlichen Facetten.

„Freundschaft schließen“; © Photodisc

Das Bedürfnis nach freundschaftlicher Nähe kennen fast alle Menschen, denn in Beziehungen zu anderen finden wir Anregung, Bestätigung und Hilfe in der Not. Freunde unterstützen uns dabei, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Mit Freunden teilen wir Probleme und Freuden, Krisen und Höhepunkte im Leben.

Der Dichter Friedrich Rückert (1788-1866) hat dies wunderbar in dem Gedicht beschrieben:

                                     „Dein wahrer Freund ist nicht,

                                      wer dir den Spiegel hält der Schmeichelei,

                                      worin dein Bild dir selbst gefällt.

                                      Dein wahrer Freund ist,

                                      wer dich sein lässt deine Flecken

                                      und sie dir tilgen hilft,

                                      eh‘ Feinde sie entdecken“.

Freundschafts-Foto-Shooting; © Foto: Matthias Walther

Haben wir derzeit ähnliche Vorstellungen über Freundschaft wie die Menschen im Mittelalter oder vor hundert Jahren? Die Geschichte der Freundschaft ist noch nicht geschrieben. Aber zahlreiche Texte aus der Antike, der Aufklärung und der Romantik belegen, dass in allen Epochen Freundschaften besonders wertgeschätzt wurden. In einer Beziehung zwischen Freunden sah man die besten Charaktereigenschaften des Menschen verwirklicht: Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Mitgefühl, Verlässlichkeit. Ist das heute in der digitalisierten Welt anders? Da sind sich die Experten keineswegs einig. Anders ist auf jeden Fall: Früher haben vor allem Philosophen versucht, Freundschaftsbeziehungen zu analysieren. Heute beschäftigen sich eher Soziologen und Psychologen damit.

Freunde oder Familien?  – Alex, Mona, Vincent und Mohamed leben zusammen in einer Wohngemeinschaft;© Foto: Thomas Tiefseetaucher

Wo und wie finden wir heute Freunde? Wie haben Smartphones und soziale Netzwerke unsere Vorstellungen von Beziehungen verändert? Die revolutionäre Entwicklung der Kommunikationsmittel macht es uns leichter, in Kontakt zu bleiben; aber die virtuelle Vernetzung kann auch zu Beliebigkeit und Austauschbarkeit führen. In Sozialen Medien haben Menschen manchmal weit über hundert ‚Freunde‘ – doch wissen sie noch, wer ihre wirklichen Freunde im richtigen Leben sind? Was war in der analogen Welt anders? Auf diese Fragen bietet der spannende Parcours im Kommunikationsmuseum fundierte, überraschende und anregende Antworten.

Filme, Videos und Hörstationen ergänzen die zahlreichen Exponate der interaktiven Schau. Gleich zu Beginn sind die Besucherinnen und Besucher zu einem großen „Freundschaftstest“ eingeladen. Am „Entdeckertisch, auf dem Marktplatz der Freundschaft“, können Besucherinnen und Besucher mit Zettelpost, E-Buddy, Tamagotchi und den Robotern Paro und AIBO das Thema in all seinen Spielarten erkunden und gemeinsam mit ihren Freunden in der Fotobox ein Erinnerungsfoto schießen – gewissermaßen als Prolog der Schau.

↑↓ Das „Five Year Photo-Project“: Die Freunde John Wardlaw, Mark Rumer, Dallas Burney, John Molony und John Dickson fotografieren sich alle fünf Jahre am 4. Juli in derselben Sitzordnung am Strand;  Aufnahmen von 1987 und 2017, © Foto: John Wardlaw

Im Fokus der ebenso informativen wie unterhaltsamen Wechselausstellung stehen Freundschaften im Zeitalter der Digitalisierung. Die von Dr. Martina Padbergund Stefan Nies kuratierte Präsentation, an der sie zwei Jahre gearbeitet haben, ist in drei große Bereiche untergliedert: „Freunde finden“, „Freunde haben“ und „Freunde verlieren“. Diese gehen der Frage nach, wie man Freundschaften knüpft und pflegt, was Freundschaften stärkt oder belastet und was passiert, wenn Freundschaften auseinandergehen und enden.

Kontakte zu anderen Menschen haben wir beispielsweise in der Schule, am Arbeitsplatz, im Sportverein, in der Nachbarschaft oder auch in der digitalen Welt. Wann und warum wird daraus Freundschaft? Nach welchen Kriterien wählen wir unsere Freunde –und sie uns? „Eine Zehntelsekunde dauert es, bis wir uns einen ersten Eindruck von unserem Gegenüber machen. In dieser kurzen Zeit nehmen wir Informationen zu Alter, Geschlecht, Kultur, Aussehen, Köperhaltung und Mimik, vielleicht auch zu Sprache, Stimme und Akzent auf. Dabei erkennen und bewerten wir Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit. Erscheint eine Person attraktiv, wird sie eher als kompetent, sozial und intelligent eingeschätzt. Das ist der »Was schön ist, ist auch gut«-Effekt“, erklärt Kurator Stefan Nies. Lernen wir einen Menschen näher kennen, relativieren sich solche Eindrücke. Bis zu einer verlässlichen, langjährigen Freundschaft ist es allerdings noch ein langer Weg. Dabei sind freundschaftliche Kontakte in einer Welt, in der die familiären Bande immer lockerer werden, umso wichtiger.

Kleine Biografie der Freundschaft; Foto: Hans-Bernd Heier

Thematisiert werden u. a. auch: „Wie sehr unterscheiden sich Frauen- und Männerfreundschaften voneinander?“ oder „Nur Freunde oder mehr?“ Die Frage, wo Freundschaft aufhört und Liebe beginnt und ob Sexualität zwischen Freunden und Freundinnen tabu ist, wird in Geschichte und Gegenwart unterschiedlich beantwortet. In westlichen Gesellschaften wird Freundschaft meist als Beziehung aufgefasst, in der Sexualität keine Rolle spielt. „Geprägt wird dies durch christliche und antike Vorstellungen von Freundschaft als einer seelisch-geistigen Verbindung ohne sinnliche Aspekte. Für Freundschaften zwischen Männern und Frauen gab es jahrhundertelang keine kulturelle Basis. Denn Frauen galten in der Antike“, so Kuratorin Padberg, „als nicht freundschafts-begabt“.

Gängige Klischees zu Frauen- und Männerfreundschaften sind: Freudinnen reden, Freunde gucken lieber Fußball. Sind Männer eher durch gemeinsame Aktivitäten wie Sport oder Hobbys verbunden („side-byside“), während Frauen sich mehr für Gespräche und persönlichen Austausch interessieren („face-to-face“)? Frauen gelten heute als das freundschaftsfähigere Geschlecht, weil ihre Beziehungen als intimer und vertrauter wahrgenommen werden. Bisherige demoskopische Umfragen belegten diese Einschätzung. Neuere Forschungen lassen allerdings vermuten, dass sich die Freundschaftskonzepte zwischen den Geschlechtern viel weniger unterscheiden – ja, sogar wichtiger seien als soziales Milieu, Alter, Bildungsstand und persönlicher Stil.

Der zweite Ausstellungsteil widmet sich dem breiten Spektrum gelebter Freundschaft bis ins digitale Zeitalter. Hier begegnen die Besucherinnen und Besucher berühmten Freundschaften: von Goethe und Schiller über Konrad Adenauer und Dannie Heinemann bis hin zu „echten Freunden“ der deutschen Fußballnationalmannschaft von 1954. Die Zeitdokumente verdeutlichen, wie aus Konkurrenten Freunde werden, sie Hilfe in der Not bieten und Teamgeist zum Erfolg führt.

Zeichen der Freundschaft / Freundschaftstattoos; © SOS studenti

Ob nah oder fern, für Freunde war und ist es wichtig, miteinander in Kontakt zu bleiben. Lange Zeit war der Brief das beliebteste Mittel. Brieffreundschaften hatten einmal große Konjunktur. Im 18. Jahrhundert pflegten Freunde einen so intensiven Briefwechsel, dass sogar eine eigene literarische Gattung entstand. Später kam dann das Telefon dazu. Heute kommunizieren wir über Kurznachrichten und Soziale Medien. Instant-Messaging-Dienste wie Instagram, WhatsApp oder Snapchat ermöglichen es, Fotos, Texte oder Videos hochzuladen, zu kommentieren und so im ständigen Austausch miteinander zu bleiben. User teilen in hoher Dichte und Geschwindigkeit Einblicke in die eigene Lebenssituation mit.

Wie die neuen Kommunikationsformen unsere sozialen Beziehungen verändern, verdeutlicht die Schau u. a. anhand des Briefwechsels von Ludwig Gleim und Tanja Hollanders Facebook-Kontakte: Im 18. Jahrhunderts pflegte der Halberstädter Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim Briefwechsel mit rund 500 Zeitgenossen, einen Teil der Porträts seiner Briefkontakte versammelte er in seinem imponierenden „Freundschaftstempel“. Die Künstlerin Tanja Hollander besuchte 200 Jahre später ihre 626 Facebook-Kontakte und stellte sich die Frage, ob es sich dabei wirklich um Freunde handelt.

„Neue Freunde“; © Robotelf Technologies Co.

Freundschaftliche Beziehungen erleben wir in erster Linie im Gespräch, in gemeinsamen Aktivitäten, Hobbys und Unternehmungen, sowie durch zusammen verbrachte Zeit. Freundschaft hat wohl deshalb – im Unterschied zur Liebesbeziehung – keine eigene Bildsprache, wie etwa das Herz, rote Rosen oder den Kuss hervorgebracht. Dennoch möchten Freunde sich und anderen zeigen, dass sie sich besonders nahestehen. An zahlreichen Beispielen veranschaulicht die Ausstellung, wie Freundschaft im digitalen Raum und im analogen Leben gepflegt wird. Waren es früher „Freundschaftstassen“, Freundschaftsringe oder Bierzipfel unter Studenten, so sind es heute eher „Freundschaftstattoos“.

Angesprochen werden auch in der abwechslungsreichen Schau neben Jugend- und Altersfreundschaften, zum Beispiel in Wohngemeinschaften, auch Themen wie Gastfreundschaft in den Weltreligionen, Völkerfreundschaft, Freundschaft als Instrument der Politik – vom inszenierten Bruderkuss bis zur Städtepartnerschaft, Ersatzfreundschaften, falsche Freunde bis hin zu „Freunde-Agenturen“. Auch die Initiative „Über den Tellerrand“ wird präsentiert, die über kulinarische Stammtische, Freundschaften zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung fördern möchte.

Am Meer, © Foto: Susanne Uhl

Freunde zu verlieren tut weh. Keine Freunde zu haben macht krank. Das ist wissenschaftlich belegt. Wie verarbeiten Menschen den Verlust von Freundschaft, beispielsweise durch unterschiedliche Lebensentwicklungen oder mit zunehmendem Alter durch Krankheit und Tod oder wie leben sie einsam ohne Freunde? Das sind Fragenstellungen des dritten Ausstellungsteils.

Farbfotografien von Nicole Ahland, 2018, Ausstellungsansicht; Foto: Hans-Bernd Heier

Was Einsamkeit bedeutet, belegen die tief beeindruckenden Fotografien der Künstlerin Nicole Ahland. Die stimmungsvollen, mit der Kamera gezeichneten Impressionen zeigen verlassene, erinnerungsträchtige Räume und Wohnungen.

Um der Einsamkeit zu entgehen, knüpfen manche Ersatzfreundschaften mit Tieren oder Gegenständen, zu denen sie emotionale Beziehungen aufbauen. In neuester Zeit kommen auch intelligente Systeme und Roboter zum Einsatz, die mit Menschen zunehmend besser interagieren. Kann es in der Zukunft Freundschaften zwischen Mensch und Maschine geben? Eine künstlerische Videoarbeit von Louisa Clement widmet sich diesem Thema.

Begleitend zur Ausstellung sammelt das Museum mit der „Aktion – Zeichen der Freundschaft“ individuelle Freundschaftsgeschichten, die sich anhand eines Objekts erzählen lassen. Vom Armbändchen über den Wanderschuh bis zum gemeinsamen Tattoo.

Die opulente Schau „Like you! Freundschaft digital und analog“ ist bis zum 1. September 2019 im Museum für Kommunikation in Frankfurt zu erleben. Das Museum bietet unter www.freundschaft-ausstellung.deeine digitale Einführung an; weitere Informationen unter: www.museumsstiftung.de

Abbildungsnachweis, soweit nicht anders angegeben : Museum für Kommunikation Frankfurt

 

Comments are closed.