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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurter Buchmesse 2018 – Friedenspreis für Jan und Almeida Assmann

Zweistimmige Vermittler zwischen alten und neuen Sprachen in der „Republik des Geistes“

Preisverleihung in der Paulskirche: OB Peter Feldmann, die Friedenspreisträger Jan und Aleida Assmann sowie Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller

Von Petra Kammann

Eine ungewöhnliche Entscheidung: Die deutsche Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und der deutsche Alt-Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann wurden am 14. Oktober in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, der mit 25.000 Euro dotiert ist. Die Laudatio hielt der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht. Mit dem Ehepaar Jan und Aleida Assmann wird zum zweiten Mal seit 1950 ein Paar – 1970 war es das schwedische Ehepaar Alva und Gunnar Myrdal – mit dem renommierten Kulturpreis ausgezeichnet. Die Preisträger riefen in ihrer Dankesrede zu grenzüberschreitender Solidarität auf.

Der 1938 geborene Alt-Ägyptologe Jan Assmann hatte bei Ausgrabungen in Ägypten die These entwickelt, dass die jüdische Theologie ein Gegenentwurf zum Polytheismus der alten Ägypter war und erlangte mit dieser Erkenntnis die Ehrendoktorwürde der Hebrew University in Jerusalem, die bislang keinem anderen Deutschen zuteil wurde. Aleida Assmann, 1947 geboren und seit 1968 mit Jan Assmann verheiratet, ist Anglistin, Ägyptologin, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Sie brachte es unter anderem zu einer Gastprofessur nach Yale und Princeton. Weltoffene Wissenschaftler waren sie beide und sind es bis heute. Das Forscherpaar steht für eine aufgeklärte Erinnerungskultur, die sich im kollektiven Gedächtnis manifestiert.

Friedenspreisträger 2019: das Forscherpaar Jan und Almeida Assmann, Fotos: Petra Kammann

Wie es dazu kam? Ihr gemeinsamer Weg begann 1968 bei gemeinsamen archäologischen Grabungen in Oberägypten. Die Grundlage ihrer Forschung ist ihre Lebensgemeinschaft. Aleidea, Mutter von fünf Kindern (Vincent *1976, David *1978, Marlene und Valerie *1981, Corinna *1983), fühlte sich als junge, bestens ausgebildete Frau zu Hause zunächst vom Wissenschaftsbetrieb ausgeschlossen, war jedoch weiter an Erkenntnissen und Wissensaustausch interessiert.

So arbeitete sie als „wissenschaftliche Hausfrau“, als die sie sich selbst in Frankfurt bezeichnete, weiter. Schon bald gründete sie einen Arbeitskreis, gab Themen vor.  Ihr Talent, Experten verschiedenster Fächer miteinander ins Gespräch zu bringen, machte sich schon 1978 bei der Gründung ihres Arbeitskreises „Archäologie der literarischen Kommunikation“ bemerkbar. Mit den fächerübergreifenden Ansätzen hatte sie nach und nach eine Art alternativen Wissenschaftsbetrieb aufgebaut, zum Beispiel mit Sinologen und Afrikanisten, um über den europäischen Tellerrand blicken zu können… Dabei ging es nicht nur um die Themen Schrift und Gedächtnis, sondern auch um die mündlichen Kulturen.

Seitdem spielen die beiden Assmanns im deutschen und internationalen Wissenschaftsbetrieb eine wichtige Rolle. Sie prägen Debatten, auch weit über akademische Zirkel hinaus. Ein Schlüsselbegriff in beider Wirken ist das „kulturelle Gedächtnis“. Zu ihren Hauptfragen gehört auch, welche Faktoren zur Identitäts- und Bewusstseinsbildung menschlicher Kulturen und Gesellschaften beitragen.

 

Wechselweise sprachen die Preisträger über Gedächtnis und Gegenwärtigkeit 

Um vielleicht vorab schon eine Art Gemeinschaft im Raum zu stiften, richtete Jan Assmann in der abwechselnd mit seiner Frau vorgetragenen Dankesrede das Eröffnungswort an die sonntägliche „Paulskirchengemeinde“. „Für uns ist dieser Preis die Ehrenbürgerwürde in der ,res publica literaria‘, dem Heimatland, das keine Grenzen kennt“, sagt er in sanfter Intonation.

Dabei  berief sich der Preisträger auf den vor 60 Jahren mit dem Friedenspreis ausgezeichneten Philosophen Karl Jaspers: „Nach zwei traumatischen Weltkriegen entwickelte er (Jaspers) seine Vision eines neuen Europas, die auf der Überwindung europäischer Überheblichkeit basierte.“ Dessen damalige Laudatorin Hannah Arendt sagte über ihren unbestechlichen Lehrer und Philosophen, er sei während der Zeit des Dritten Reiches zwar isoliert und auf sich gestellt, jedoch nie vereinsamt gewesen, da seine geistige Heimat das „Reich der Humanitas“ gewesen sei, „zu dem ein jeder kommen kann aus dem ihm eigenen Ursprung“.

Die ,Weihe‘ der fundierten humanistischen Bildung wurde durch die Einlassungen der auf die politische und gesellschaftliche  Gegenwart zielende Aleida Assmann ergänzt. Öffentlichkeit entstehe vor allem  durch gleichgerichtete Aufmerksamkeit, durch gemeinsames Interesse, durch Anwesenheit und Teilhabe. Während Lektüre zerstreue und vereinzele, ziehe Öffentlichkeit zusammen und gehe alle an. Dies werde durch die technisch-digitale Revolution doch sehr erschwert sei, weil fake news heute oft nicht von der Wahrheit zu unterscheiden seien.

Die inzwischen einundsiebzigjährige Aleida Assmann wurde mit ihrem Forschungsschwerpunkt der Kulturanthropologie und mit ihren Studien zur Erinnerungskultur international bekannt. Unter anderem mit ihren Büchern „Arbeit am nationalen Gedächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee“ aus dem Jahr 1993. In der gemeinsam mit Geoffrey Hartman verfassten Schrift „Die Zukunft der Erinnerung und der Holocaust“ von 2012 hat sie hellsichtig Fiktionen, Konstruktionen wie auch Perspektiven der Erinnerungskultur aufgezeigt.

Für sie ist ein offener und ungeklitterter Umgang mit der Vergangenheit unabdingbar für ein friedliches Miteinander. Ihren Arbeiten zum kulturellen Gedächtnis ist es außerdem zu verdanken, dass Deutschland heute eine weltweit als beispielhaft geltende Memorialkultur hat, nicht zuletzt als Antwort auf den Holocaust. Nach dem „Historikerstreit” von 1986, bei dem es um die Frage der Einzigartigkeit des Genozids an den Juden ging, hatte sich das Ehepaar zudem auch praktisch eingemischt und für den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin eingesetzt. „Beschämend ist allein die Geschichte, nicht aber die befreiende Erinnerung, die wir mit den Opfern teilen“, lautete ihr Credo.

Die Beck-Verleger Jonathan (links), Mahrokh und Wolfgang Beck (rechts) nahmen an der Verleihung teil

Jan Assmann, der Ägyptologie, Klassische Archäologe und Gräzistik in München, Heidelberg, Paris und Göttingen studiert hat, wurde vor allem mit seinen Thesen zum Monotheismus, dessen Anfänge er in dem Auszug der Israeliten aus Ägypten sieht, bekannt. Zunächst widmete er sich dem gesellschaftlichen Leben im alten Ägypten – angefangen bei dem Zeitverständnis über die Vorstellung von Tod und Jenseits bis hin zu zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Gottesbild in diesem Reich. Die Hochkultur am Nil schuf einst monumentale Denkmäler gegen das Vergessenwerden.

In seinem Buch „Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung“ versteht Jan Assmann „Ägypten als Inbegriff großer Durchbrüche, von denen bis heute die Zivilisation lebt“. Einen Bogen zur Gegenwart schlagend, setzt er sich mit aktuellen Diskussionen über das Gewaltpotential monotheistisch geprägter Gesellschaften auseinander.

In der Begründung des Stiftungsrates des Friedenspreises heißt es: „Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann hat durch sein umfangreiches wissenschaftliches Werk internationale Debatten um Grundfragen zu den kulturellen und religiösen Konflikten unserer Zeit angestoßen. Mit seinen Schriften zum Zusammenhang von Religion und Gewalt sowie zur Genese von Intoleranz und absolutem Wahrheitsanspruch leistet er einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis der Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit der Religionen in der Weltgesellschaft von heute“.

Insgesamt hat Assmann das biblisch überlieferte Bild des Alten Ägypten von einer versklavten Gesellschaft unter pharaonischer Willkür verändert. Stattdessen – so seine These – habe es sich um eine unaristokratische Zivilisation gehandelt, die von Ordnungs- und Gerechtigkeitsvorstellungen geleitet gewesen sei.

Im Zuge ihrer jahrzehntelangen interdisziplinären Arbeit entwickelte das Forscherpaar Assmann das Konzept des kulturellen Gedächtnisses, welches es als offiziell institutionalisierte sowie konstruierte Form kollektiven Erinnerns beschreibt, im Unterschied zu den rein subjektiven individuellen Erinnerungen.

Stehender Applaus für die „Ehrenbürger in der Republik des Geistes“ in der Paulskirche

„Kulturen überschreiten Grenzen durch den Import und Export von Büchern, durch Übersetzungen, Aneignungen und Umdeutungen“, sagten sie in ihrer Dankesrede und nahmen damit Bezug auf die parallel stattfindende Buchmesse. „Durch Kontakt mit anderen Kulturen“, so hieß es weiter, „verwandeln sie sich, gehen ineinander über, inspirieren und modifizieren sich gegenseitig. Sie lassen sich weder stillstellen noch in nationale Grenzen einsperren.“

Zum Abschluss setzen sie sich dafür ein, den Ort Hebron im Westjordanland  zum UNESCO-Weltkulturerbe zu küren. Ein von Israel und den Palästinensern gemeinsam einzureichender Antrag könne die ganze Geschichte dieses Ortes anerkennen und wäre damit „zugleich sein bester Schutz“, so die Friedenspreisträger. Sie schlossen ihre Rede mit den Sätzen: „Was hier trennt, ist der ausschließliche Anspruch auf Wahrheit. Eine Perspektive des Friedens dagegen wird ermöglicht durch ein ganz einfaches Kriterium, das wir auch bei Karl Jaspers gefunden haben: ,Wahr ist, was uns verbindet!‘

Friedenspreisträger Alfred Grosser und seine Frau Annie waren eigens aus Paris angereist

Dieses Jaspers-Zitat könnte auch für sie selbst stehen. Denn zum Publikum gehörten nicht nur zwei weitere Preisträger: Alfred Grosser und Carolin Emcke, sondern auch die fünf Kinder der Preisträger. In der Laudatio erwähnte der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht auch sie – „weil die Lebensleistung von Aleida und Jan Assmann nicht von der Familie zu trennen ist“.

Und um einen anderen Friedenspreisträger, Martin Buber, zu zitieren, der behauptet, die Wahrheit beginne zu zweit. Jan und Almeida Assmann, sie stellen schon eine ungewöhnliche Verbindung in personam dar. Diese Besonderheit betonte auch der ihnen freundschaftlich verbundene Hans Ulrich Gumbrecht: „Sie lieben sich, weil sie – auch in ihren intellektuellen Stärken und Gesten – so sehr verschieden sind, und dieses Ganz-Anders-Sein ist für sie auch im Alter ein Feuer geblieben, das dem Denken zweifache Energie gibt“. Die Geschichte der res publica literaria, der „Gemeinschaft des Geistes“, und der auch im wahren Leben miteinander verbundenen Personen dürfte wohl ziemlich einmalig bleiben.

http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/

Das Preisgeld von 25.000 Euro stellten die Preisträger drei Projekten zu Verfügung: dem Verein Phoenix, gegründet von russischsprachigen Eltern, die in Deutschland Ende der 90er Jahre eine neue Heimat gefunden haben und sich jetzt um die berufliche Integration von Zuwanderern kümmern; dem Projekt „back on track-Syria, das dabei hilft, syrische Kinder nach den Erfahrungen von Bürgerkrieg und Flucht in eine normale Schullaufbahn zu integrieren; sowie dem Verein „Helfende Hände„,  gegründet von zwei österreichischen Ehepaaren, die sich um die schulische und medizinische Versorgung in einer besonders armen Gegend von Kenia kümmern.

Eine kleine Bücher-Auswahl

Aleida Assmann beim Signieren vor der Paulskirche, Foto: Uwe Kammann

Bücher von Aleida Assmann

Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte, C.H. Beck 2018

Menschenrechte und Menschenpflichten, 2017

Der lange Schatten der Vergangenheit – Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, C. H. Beck 2006

Generationsidentitäten und Vorurteilsstrukturen in der neuen deutschen Erinnerungsliteratur, Ed. Hubert Christian Ehalt, Picus Verlag 2006

Hieroglyphen – Stationen einer abendländischen Grammatologie, Wilhelm Fink  2004

Einsamkeit – Archäologie der literarischen Kommunikation, Wilhelm Fink 2000

Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit – Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Deutsche Verlagsanstalt, 1999

Jan Assmann signiert ebenso, Foto: Uwe Kammann

Bücher von Jan Assmann

Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung, Picus Verlag 2016

Ägyptische Religion. Totenliteratur, Insel Verlag und Ägyptische Religion. Götterliteratur, Insel Verlag

Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag,  2018

Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne. C.H.Beck, 2018

Moses der Ägypter, Fischer Taschenbuch (Hardcover Hanser Verlag) 1998

 

 

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