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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Impressionen vom Saisonstart 2018 der Frankfurter Galerien (3) – Künstlerduo Winter/Hoerbelt

Von Turen und Ionen“ in der Galerie Heike Strelow:
Die Große Illusion“ über dem Frankfurter Kunstverein
Vertieft-Erhaben“ im Zentralen Werkstatt- und Verwaltungsgebäude
Der Blaue Kran“ am Hafen Offenbach

Von Erhard Metz

Es dürfte nicht zu viel versprochen sein: Das Künstlerduo Winter/Hoerbelt – es handelt sich um die Bildhauer Wolfgang Winter (geboren 1960 in Mühlheim am Main) und Berthold Hörbelt (1958 in Coesfeld geboren), beide studierten nach ihrer Ausbildung zum Steinbildhauer an der Kunsthochschule Kassel – ist zweifellos das bedeutendste und renommierteste seiner Art nicht nur in Frankfurt am Main und Hessen. Auch deutschlandweit zählt es zu den erfolgreichsten Künstlergemeinschaften, und es genießt ebenso auf europäischer und internationaler Ebene eine hohe Reputation. Ein Glücksfall für diese Stadt also und die Region Rhein-Main nicht zuletzt auch deshalb, weil die beiden wichtige ortsspezifische Projekte im öffentlichen Raum geschaffen bzw. weiter in Planung haben. Seit 1992 arbeiten sie in ihrem Atelier in Frankfurt zusammen. Ihre Werke waren unter anderem auf der Biennale in Venedig, den Skulpturprojekten Münster, der Yokohama Triennale und der Liverpool Biennale zu sehen; weltweit realisierten sie bislang über 80 Werke im öffentlichen Raum. In Frankfurt am Main ist das Duo durch die Galerie Heike Strelow vertreten.

Pixelkartoffel I, 2018, 3D Edelstahl-Spiegelblech, 113 x 76 x 10 cm

Von Turen und Ionen“ in der Galerie Heike Strelow:

Kryptisch der Titel, unter dem die Galerie zum Saisonstart 2018/2019 am neuen Standort Lange Straße 31 eine neue Ausstellung des Künstlerduos präsentiert: Wer etwa unter „Ture“ eine nordgermanische Variante des altgermanischen Gottes Tore versteht, befindet sich leider ebenso im Irrtum wie derjenige, der bei „Ionen“ an elektrisch geladene Atome oder Moleküle denkt und deshalb von Winter/Hoerbelt eine physikalisch-naturwissenschaftliche Exkursion erwartet. Die Dinge liegen zum Glück einfacher: Der Ausstellungstitel bezieht sich auf die SkulpTUREN und InstallatIONEN, die in der Galerie zu sehen sind.

In der bereits gezeigten „Pixelkartoffel“ greift das Duo auf seine bereits im Sommer 2015 bei Heike Strelow gezeigte Technik bei seinen Röhrenarbeiten („Pixelröhren“) zurück, deren Außen- und Innenflächen aus gefaltetem „3 D Spiegelblech“ gefertigt sind. Als wandhängender „Spiegel“ gestaltet, verzerren die Faltungen die Umwelt und zunächst auch den sich dem Objekt nähernden Betrachter, der aber bei allernächstem Herantreten an die Fläche sehr wohl sein gespiegeltes Konterfei bis hin zur Rasier- und „Kosmetier“-Fähigkeit ausmachen kann.

Eine wunderschöne, malerische Arbeit ist „Amarillo“, gefertigt aus einem feinen, mehrschichtig lackierten Metallgitter. Man mag bei der Farbgebung an jene gelbe Zuckermelone gleichen Namens denken, auch an die texanische Stadt, deren Namen ihr einst die sie umgebenden Felder gelber Blumen gaben, schließlich mag einem der Ohrwurm „Is This the Way to Amarillo?“ von Tony Christie durch den noch sommerlich gestimmten Kopf summen – alles ist erlaubt bei diesem anmutig-heiteren, fast eine ganze Wand füllenden Objekt.

↑ Amarillo, gelb, 2018, Metallgitter verzinkt, lackiert, mehrschichtig, 187 x 387 cm
↓ Träne Massiv, 20018, Messing, 42 x 71 cm

In seiner Arbeit „Träne massiv“ greift das Künstlerduo auf alte metallbildhauerische Traditionen und Fertigkeiten zurück. Die in Messing gefertigte Bodenskulptur harmoniert unbeschadet ihres Werktitels in ihrer Birnenform sehr gut mit der wandhängenden „Pixelkartoffel“ – eine sehr reizvolle Kombination für Kunstliebhaber mit allerdings nicht allzu schmal geschnittenem Budget.

Und nun der Clou der reichhaltig bestückten, höchst gelungenen Ausstellung: die „Pixeldose“. In klein bildet sie den Mittelpunkt des Galeriegeschehens, in groß hängt sie, wie wir gleich sehen werden, als „große Illusion“ über der Fassade des Frankfurter Kunstvereins!

Pixeldose, 2018, 3 D Edelstahl-Spiegelblech, 110 x 75 x 50 cm

Wieder eine Weiterentwicklung der Technik des „3 D Spiegelblechs“ mit der bekannten Pixelwirkung, eine Dose, in der Mitte geknickt. Das allseits verschlossene Objekt mag Skepsis bis Furcht erwecken und zu Vorsicht mahnen – hoffentlich keine „Büchse der Pandora“, das Teufelsding jener von Hephaistos aus Lehm geschaffenen Dame. Dem altgriechischen Mythos zufolge öffnete sie verhängnisvoller Weise entgegen allen Warnungen die Büchse, und die darin als Rache des Göttervaters Zeus eingeschlossenen Plagen wie Mühsal, Krankheit und Tod des Menschen entwichen in die Welt. Da diese Übel indes nun einmal draußen sind und sicherlich nicht wieder in die Büchse zurückkehren, wollen wir auch Winter/Hoerbelts Pixeldose nicht weiter fürchten, sondern uns an ihr erfreuen, auch wenn sie von uns beim Nähertreten arg verzerrte Abbilder liefert.

Galerie Heike Strelow, bis 20. Oktober 2018

Die Große Illusion“ über dem Frankfurter Kunstverein

Pünktlich zur Eröffnung des dreitägigen Bürgerfests anläßlich der „Neuen Frankfurter Altstadt“ am 28. September 2018 präsentiert der Frankfurter Kunstverein die ortsspezifische Außenskulptur von Winter/Hoerbelt „Die Große Illusion“. Da hängt sie nun, halb geknickt über die Fassade hinweg über dem Haupteingang des Gebäudes an den Altstadtgassen „Nürnberger Hof“/“Hinter dem Lämmchen“, die Büchse der Pandora, nein, die „Pixeldose“ aus der Galerie Heike Strelow, im Super-XXL-Format mit den stattlichen Maßen 9 Meter Länge und 2,50 Meter Durchmesser und einem Gewicht von 2 Tonnen.

Die Welt scheint voller Widersprüche: Der 1829 gegründete Frankfurter Kunstverein, einer der ältesten und größten in Deutschland, bezog nach mancher Wanderschaft 1962 das historisch rekonstruierte Steinerne Haus mit seinen 50er-Jahre-Anbauten unmittelbar am Rand der jüngst errichteten „Neuen Altstadt“. Streng besehen stellt seine genannte Heimstatt, die inzwischen unter Denkmalschutz steht, dort im Zusammenhang mit dem neu-alten Stadtquartier das älteste Ensemble dar. „Die in der Tradition der Moderne stehende Skulptur“, schreibt der Kunstverein, “ bildet einen spannungsreichen Kontrapunkt zur Romantik des historisierenden neuen Areals. Die rekonstruierten Fassaden der Altstadt werden in der Spiegelung aufgelöst. Es entsteht eine Collage unterschiedlichster Perspektiven, die sich mit den Bewegungen der Passanten und dem Lichteinfall immer wieder verändern. Die gespiegelte Realität verliert dabei ihren Wahrheitscharakter und zerlegt sich in verunsichernde Brechungen, die die Wahrnehmung zur Illusion werden lassen. Die neu geschaffene Altstadt mit ihrer Sehnsucht nach Identität und Sicherheit wird wieder aufgelöst“.

Der Frage, wieviel an kritischer Distanz Winter/Hoerbelt und die Protagonisten des Kunstvereins gegenüber der von der Bevölkerung mit überwiegend großem Beifall angenommenen „Neuen Altstadt“ beziehen, wollen wir hier nicht weiter nachgehen und auf den Beitrag „Große Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum – DIE IMMER NEUE ALTSTADT“ verweisen. Die installative Skulptur soll zunächst für ein halbes Jahr den Blick der durch die Gassen Schlendernden auf sich ziehen.

In diesem Zusammenhang würdigen wir zwei weitere monumentale Arbeiten des Künstlerduos im öffentlichen Raum in Frankfurt und im benachbarten Offenbach:

Vertieft-Erhaben“ im Zentralen Werkstatt- und Verwaltungsgebäude der Stadt Frankfurt

Im Treppenaufgang des Zentralen Werkstatt- und Verwaltungsgebäudes der Stadt mit dem bemerkenswerten Kürzel ZWuV, das das Grünflächenamt, das Amt für Straßenbau und Erschließung sowie das Energiereferat beherbergt, empfängt eine monumentale, 19 Meter hohe und eine Fläche von rund 80 Quadratmetern einnehmende Wandarbeit mit dem Titel „Vertieft-Erhaben“ das Publikum: ein basreliefartiger Bilderteppich aus für die Stadt typischen Motiven des Alltags. Der Titel verdankt sich der Arbeitstechnik unter dem Motto „weniger ist mehr“ der Künstler und ihres Teams: Die Darstellungen sind im Winter 2015/2016 mit dem Stockhammer und anderen bildhauerischen Werkzeugen in den weißen Putz gemeißelt und geschlagen, der die graue Betonwand überzieht, die Motive erscheinen somit durch die Wegnahme des Putzmaterials vertieft direkt auf der Betonfläche.

↑ Das Künstlerduo Winter/Hoerbelt am 17. Dezember 2015 bei der Vorstellung ihres Werks
↓ „Vertieft-Erhaben“: Alltagsszenen aus dem Frankfurter Stadtleben

Es sind volkstümliche und lebensnahe Szenen aus dem Frankfurter Stadtleben, die Winter/Hoerbelt fotografisch fixiert, am Computer weiterentwickelt und in das Flachrelief hineingearbeitet haben: Honsellbrücke und Verkehrsstau, Radfahrer und städtische Gartenarbeiter, Friedhofsbesucher und auf Parkbänken Ruhende. Natürlich durfte der Panther vor dem Domizil des Kunstvereins „Familie Montez“ nicht fehlen. Und auch sich selbst hat das Künstlerduo in das Werk hineingemeißelt: Wer entdeckt es, werte Leserinnen und Leser?

Zentrales Werkstatt- und Verwaltungsgebäude, Adam-Riese-Straße 25, Besichtigung während üblicher Bürozeiten

Der Blaue Kran“ am Hafen Offenbach

Ein vor sich hin rostendes Industriedenkmal am Hafen Offenbach wurde als Teil der Regionalparkroute Rhein-Main zum begehbaren Kunstwerk im öffentlichen Raum: Der 26 Meter hohe „Blaue Kran“ („Kran der Künste“). Das Duo Winter/Hoerbelt gewann einen von der Galeristin Heike Strelow kuratierten entsprechenden Wettbewerb. Als dessen Ergebnis wurde die Fahrbrücke des Krans verdoppelt, so dass ein quadratischer Sockel entstand, der als Träger für eine große Aussichtsplattform dient. Eine breite, einladende Treppe, deren Gestaltung dem Ausleger des Krans angepasst ist, führt hinauf zu diesem Belvedere in luftiger Höhe.

Das Künstlerduo Winter/Hoerbelt bei der Einweihung des „Blauen Krans“ am 18. April 2017

Ziel des Wettbewerbs sei, so Heike Strelow, ein künstlerisches Konzept gewesen, „das sich durch eine hohe Gestaltungs- und Erlebnisqualität auszeichnet. Der künstlerische Eingriff soll den Kran dabei in eine andere Bedeutungsebene überführen, ihn allerdings grundsätzlich in seinem Bestand erhalten. Dabei geht es bei dieser Öffnung des Krans für die Bürger jedoch weniger um die Idee der Sensation als vielmehr um ein Idendität stiftendes Moment. Den beiden Künstlern ist es gelungen, den Kran aus seiner früheren Funktion hin zu einer neuen Nutzung als Wahrzeichen für ein neues Stadtquartier zu überführen, das den Übergang des alten Hafens in ein modernes Stadtviertel symbolisiert.“

„Blauer Kran“, Mainkai, Offenbach

Abgebildete Werke: Wolfgang Winter/Berthold Hörbelt © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos: Erhard Metz

→ Ein Wandkunstwerk des Duos Winter/Hoerbelt im Frankfurter „ZWuV“
→ Röhren und andere Werke des Künstlerduos Winter/Hoerbelt in der Galerie Heike Strelow und im Kunstverein Familie Montez

→ Impressionen vom Saisonstart 2018 der Frankfurter Galerien (1)
→ Impressionen vom Saisonstart 2018 der Frankfurter Galerien (2)

 

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