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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Buchpreis – Präsentation der Finalisten im Schauspiel Frankfurt

Die sechs Besten – Ausgewählt aus 199 neuen Romanen deutscher Sprache

 

von Petra Kammann

Drei der Finalisten im Schauspiel Frankfurt: v.l.n.r.: Stephan Thome ( „Gott der Barbaren“), Susanne Röckel, („Der Vogelgott“) und María Cecilia Barnetta („Nachtleuchten“)

Herbststurm Fabienne fegte durch Frankfurts Straßen. Äste flogen durch die Gegend. Bauzähne fielen und der Himmel hatte sämtliche Schleusen geöffnet. Gullis quollen über. Straßen mussten gesperrt werden. Die Menschen suchten teils völlig durchnässt Schutz unter Unterständen. Ein fast apokalyptisches Szenario. Gekommen waren trotzdem alle ins Schauspiel, um dem ersten Bücherherbstspektakel beizuwohnen.

Aus der Tiefe des Raumes, dem Dunkel der Bühne, taucht leicht derangiert Kulturdezernentin Ina Hartwig auf und entschuldigt sich für ihre robuste Aufmachung. „Ich komme aus dem Wald und konnte mich nicht mehr umziehen.“ Dafür empfindet sie in einer Umbruchphase der Buchbranche den prall gefüllten Saal als Hoffnungszeichen. Um die Schreibkunst, sagte sie mit Blick auf den prallgefüllten Saal, müsse man sich jedenfalls keine Sorgen machen ebenso wenig wie um die Grenzenlosigkeit in der Kultur und auch darüber nicht, dass die Kritik letztlich die Rätsel der Literatur nicht gänzlich entschlüsseln könne. Damit sollte sie im Verlauf des Abends rechtbehalten…

Kulturdezernentin Ina Hartwig tauchte „aus der Tiefe des Raumes“ auf

Es gehe um Annäherungen und Verschiebungen, so Hauke Huckstädt, Chef des Frankfurter Literaturhauses, dessen 200 Plätze für die Diskussion um die Shortlist in diesem Jahr eben nicht mehr ausreichten, weswegen man Anselm Weber bat, für die Veranstaltung den Bühnenraum des Schauspiel herzugeben. Alexander Skipis, der Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, warb entschieden und engagiert für die Freiheit der Literatur und die damit verbundenen Menschenrechte weltweit, insbesondere in diktatorischen Regimen wie in Saudi-Arabien und in der Türkei, bevor die eigentliche Präsentation der Finalisten für den Deutschen Buchpreis begann und er verwies auf die Livestream-Lesung des Börsenvereins. Die georgische Schriftstellerin Nino Haratschwili („Die Katze und der General“) wohnte an diesem Wochenende der Premiere ihres Theaterstücks in Tiflis und in Marburg bei und Maxim Biller („Sechs Koffer“) war ebenfalls verhindert.

links: Die Autorin Inger-Maria Mahlke, rechts: die Moderatorin Sandra Kegel

FAZ-Literatur-Redakteurin Sandra Kegel beginnt voller Schwung ihr Gespräch mit Inger-Maria Mahlke, die bereits 2015 „Wie ihr wollt“ für den Deutschen Buchpreis nominiert war. „Inger-Maria Mahlkes Roman ,Archipel‘ (Rowohlt) ist eine große Reise durch die Zeit und bis ans Ende Europas“, lautete das Votum der Jury des Buchpreises. Da der Roman auf der Insel Teneriffa, der auch die Autorin familiär verbunden ist, zwischen 2015 und 1919 spielt – halb in Europa – halb in Afrika – brachte Kegel die Autorin dazu, die Hintergründe und das zeitlich vertrackte Geflecht des autobiographischen wie des von spanischer Kolonialgeschichte, der Franco-Zeit wie der Phase des Tourismus  geprägten historischen Hintergrunds der „ein bisschen gescheiterten insularen Charaktere“ im Krebsgang des Romans ein wenig zu entflechten. Dass sie außerdem der Kausalitäten der Geschichte misstraue, weil nicht zwangsläufig eine Sache auf die andere folge, steigerte nur die Lust an der Lektüre des Romans.

links: der Autor Stephan Thome und HR-Moderator Alf Mentzer

Sehr eloquent stellte HR-Redakteur Alf Mentzer wiederum den Autor Stephan Thome als jemanden vor, der schon vier Mal in die engere Wahl zum Buchpreis kam und den er „alles andere als fade“ empfindet.  Zu seinem Roman „Gott der Barbaren“(Suhrkamp) lautete das Urteil der Jury: „Stephan Thome gelingt die beeindruckende Schilderung einer Zeit, in der alles aus den Fugen zu geraten scheint.“ Der Abenteuer-Roman spielt im China des 19. Jahrhunderts, als eine christliche Aufstandsbewegung das Kaiserreich mit Terror und Zerstörung überzogen hat. Thome lote in seinem Roman („ein Schwergewicht“, so Mentzers einschüchterndes Urteil) dabei die Geschichte der Religionen in der Mitte des 19. Jahrhundert ebenso aus wie auch das Revival der Religionen im heutigen China. Thome hat vor Ort recherchiert, denn er hat in Nanking selbst Chinesisch studiert. An den Brennpunkten des im Roman beschriebenen Konflikts begegnen wir einem Ensemble zerrissener Persönlichkeiten: darunter dem britischen Sonderbotschafter sowie einem zum Kriegsherrn berufenen chinesischen Gelehrten, der so mächtig wird, dass selbst der Kaiser ihn fürchtet.

Die Autorin Susanne Röckel im Gespräch mit Sandra Kegel

Der darauffolgenden ausgewählten Münchner Autorin Susanne Röckel, die mit ihrem Roman „Der Vogelgott“ (Jung und Jung) ebenfalls in die engere Wahl zum Deutschen Buchpreis kommt, scheint es förmlich die Sprache verschlagen zu haben, als Sandra Kegel sie befragt. Das Urteil der Jury legte es vielleicht auch mit ihrer Beurteilung nahe: „,Der Vogelgott‘ ist ein verstörendes Buch: ein zeitgenössischer Schauerroman, ein später Nachfahr der schwarzen Romantik.“ Kegel will den Horror der Geschichte aufdröseln. An dem stockend zustande kommenden Dialog, der mehr Zeit gebraucht hätte als in den vorgegebenen 30 Minuten möglich, wird deutlich, dass heute ein Autor klar im Nachteil ist, wenn er nicht gleichzeitig auch Performer-Qualitäten mitbringt. Ungerecht der Literatur gegenüber, die immer auch Introversion und einsame Phasen des Schreibens von den Autoren verlangt. Röckel hat ihre eigene Geschichte anhand der Geschichte der Familie Weyde mit Mythen wie denen des Prometheus, des gefallenen Engels und mit dem Motiv der zerstörerischen Macht der Natur miteinander verwoben. Dass das Publikum nicht so gebannt lauschte, muss deshalb nichts über die Qualität des Romans aussagen…

Und doch erscheint die Wirkung auf das Publikum förmlich befreiend, als voller Optimismus FAZ-Mitarbeiterin Insa Wilke María Cecilia Barnetta Roman „Nachtleuchten“ (S.Fischer) vorstellt. „Dieser Roman sprüht vor Ideen, er ist ein Vulkan voller verschachtelter Sätze, die uns atemlos Seite um Seite umblättern lassen.“ Sprühend vor Ideen, das traf auch auf die 1972 in Buenos Aires geborene Autorin mit italienischer Großmutter und aus dem Libanon eingewanderten Großvater zu, der in Argentinien eine Autowerkstatt betrieb. Beide gaben ihr die Liebe zum Leben mit auf den Weg, weswegen ganz alltägliche Situationen für sie immer inspirierend sind.

links die Autorin María Cecilia Barbetta und die Moderatorin Insa Wilke

In ihrem  Roman erzählt sie von der gespenstischen Atmosphäre am Vorabend eines politischen Umsturzes in Argentinien in den Siebzigern. Aus der ganzen Welt hatten Menschen sich in Buenos Aires eine Existenz aufgebaut. In dem Viertel Ballester kämpfen sie für den Aufbruch, die Revolution und eine bessere Zukunft – Teresa und ihre Klassenkameradinnen in der katholischen Mädchenschule ebenso wie Celio, der Friseur in der ‚Ewigen Schönheit‘, oder die Mechaniker der Autowerkstatt ‚Autopia‘. Sie nimmt einen mit in die Zeit der Diktatur und der Heiligenverehrung Evita Perrons, wo politische Spannungen das Land zerreißen, wo Aberglaube und Gewalt sich in die Normalität schleichen. Man merkte der höchst inspirierten und volteschlagenden Autorin, die auf Deutsch schreibt, die Liebe am Spiel an – auch die Liebe zum Spiel mit der Sprache. Redewendungen stellt sie in neues Licht und zeigt am Ende des Romans anhand einer Plastikmadonna auf, dass diese Maria „mit ihrem Latein am Ende ist“. María Cecilia Barnetta ist es mit ihrem kreativen Umgang mit der deutschen Sprache dagegen noch lange nicht. Für sie ist Deutsch keine Muttersprache – dennoch schreibt sie ihre Romane auf Deutsch, weil ihr die Sprache einen Schutzraum biete…

Auffällig bei der Auswahl der Bücher war statt der oft beschriebenen Autospektion in diesem Jahr die „Welthaltigkeit“ deutschsprachiger Romane. Natürlich, wer die Wahl hat, hat die Qual. Und auf welche/n der Finalisten sie zu guter Letzt fällt, das werden wir dann taufrisch am 8. Oktober 2018 live aus dem Frankfurter Römersaal erfahren.

Alle Fotos: Petra Kammann

Die Bücher der Finalisten

Erst am Abend der Preisverleihung am 8. Oktober erfahren die sechs Autorinnen und Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Der Preisträger oder die Preisträgerin erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalistinnen und Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro.

Zum Preis

Der Deutsche Buchpreis wird von der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung vergeben. Förderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.

Die Preisverleihung findet zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse am 8. Oktober 2018 im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt.

Die Jury

Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2018 gehören neben Christine Lötscher an: Christoph Bartmann (Goethe-Institut Warschau), Luzia Braun (ZDF), Tanja Graf (Literaturhaus München), Paul Jandl (freier Kritiker), Uwe Kalkowski (Literaturblog „Kaffeehaussitzer“), Marianne Sax (Bücherladen Marianne Sax, Frauenfeld). Die sieben Jurymitglieder haben seit Ausschreibungsbeginn 199 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2017 und dem 11. September 2018 (Bekanntgabe der Shortlist) erschienen sind oder noch erscheinen.

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