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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Große Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum – DIE IMMER NEUE ALTSTADT

Viel Erhellendes zur Geschichte von Pro und Contra der vielbeachteten Rekonstruktion zwischen Dom und Römer

 

Von Uwe Kammann

Der Auftakt zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum: das Dom-Römer-Areal als Parkplatz, Foto: Petra Kammann

„Ein großer Fehler“: So klar und eindeutig verurteilte der Leiter des Deutschen Architekturmuseums (DAM), Peter Cachola Schmal, 2015 das Altstadt-Projekt in Frankfurt. Heute, wo die Rekonstruktion des Viertels baulich abgeschlossen ist, würde er das Verdikt so nicht wiederholen, lobt stattdessen die entstandenen stadträumlichen Qualitäten. Aber er habe „immer noch Probleme“ mit dem Umstand, dass hier hochsubventionierte Wohnungen für ohnehin schon Wohlhabende entstanden seien, sagte Schmal bei der vorgeschalteten Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung „Die immer neue Altstadt“ in seinem Haus.

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal

Einer Antwort auf die Frage, wie er die architektonischen Qualitäten der  35 neuen Häuser – davon 15 am Originalbild orientierte Rekonstruktionen, die anderen gelten als so genannte schöpferische Nachbauten – beurteile, wich Schmal beharrlich aus, betonte weiter allein die sozialpolitischen Komponente, die als negatives Modell zu sehen sei und keine Antwort gebe auf aktuelle Fragen der Stadtentwicklung.

Ist dieses Ausweichen ein Zeichen dafür, dass der Direktor noch immer nicht seinen Frieden mit der am Historischen orientierten Neubebauung des zentralen Areals (zwischen Dom und Römer) der Altstadt gemacht hat, die im Krieg durch den Bombenhagel fast vollständig zerstört wurde? Steht er doch weiterhin und vornehmlich auf einer Seite der Trennlinie, welche diesen Wiederaufbau seit Anfang an gekennzeichnet und begleitet hat, einer Trennlinie zudem, die seit Kriegsende speziell in Deutschland ganz generell besteht: zwischen den reinen Befürwortern einer (Avantgarde) Moderne der Architektur und jenen, die auch historisierendes Bauen und Rekonstruktionen von einst vorhandenen Bauten als Option gelten lassen und an besonderen Orten auch realisieren wollen?

Eines ist klar: Für viele zeitgenössische Architekten scheint es eine Generalkritik, gar eine Beleidigung zu sein, wenn heutige Gebäude nicht kompromisslos modern entworfen und auch realisiert werden. Dies wird als unauflösliche Verpflichtung zum Fortschrittsgedanken gesehen. Wo immer in letzter Zeit frühere Bauten nach altem Erscheinungsbild rekonstruiert wurden oder werden – prominenteste Beispiele: die Frauenkirche in Dresden, das Schloss in Berlins Mitte, jetzt die Frankfurter Altstadt –, stößt das bei heutigen Architekten in der Regel mehrheitlich auf Kritik und Widerstand. Ein Hauptargument: Hier werde Zeitgenossenschaft verraten, werde die Moderne negiert, werde verlogene Retrosprache bedient und auf tümelnde Heimeligkeit gesetzt.

Philipp Sturm, Kurator der Ausstellung „Die immer neue Altstadt“, Foto: Uwe Kammann

Philipp Sturm, Kurator der Ausstellung, bewertet vor dem Hintergrund dieser ideologischen Generalfrage sein Konzept als „neutral“. Zwar habe er eine „Haltung“ zur jetzt realisierten Bebauung, doch gehe es bei der Auswahl und der Präsentation des Materials in erster Linie um die Nachzeichnung der vielfältigen und stets ideologisch aufgeladenen Debatten, welche seit 120 Jahren mit der Altstadt-Entwicklung verbunden seien. Als durchgehendes Muster zeichnet er den Willen zu jeweils neuen „Erzählungen“ der Altstadt (in einem seiner Katalogbeiträge führt er „fünf Geschichten vom Neuanfang“ aus). Die Phasen und Episoden stehen danach immer auch für Fiktionen, für Visionen und Vorstellungen und damit auch für entsprechende Zielsetzungen und Realisierungen.

Diese zeitlich relativ genau zu umreißenden Phasen – von städtebaulicher Modernisierung mit dem Durchbruch der Braubachstraße über eine auch hygienisch begründete Entkernung in den 30er Jahren, den frühen, auf Bescheidenheit setzenden Wiederaufbau nach der Fast-Totalzerstörung durch den Bombenkrieg, den unbekümmerten Zugriff mit den Brutalbauten des Technischen Rathauses und des Historischen Museums, die Klammer der Postmoderne mit der Schirn-Kunsthalle bei gleichzeitiger Rekonstruktion der Römer-Ostzeile bis eben zum jetzigen historisierenden kleinteiligen Wiederaufbau – sind mit höchst anschaulichem Material unterlegt.

Areal zwischen Dom und Römer, 1961, DAM-Repro, Foto: Uwe Kammann

Modelle, Pläne, Protokolle, mediale Begleitung der Vorhaben: All diese Dokumente zeigen, wie vielfältig die Interessen, die Ansätze, die Lösungsvorschläge waren, wie heftig der jeweilige Zeitgeist die Vorhaben durchwirkte, wie vehement, bis zur Erbitterung, um die Gestaltung des Areals gestritten und gerungen wurde. Vor allem natürlich, als es nach dem Abriss des Technischen Rathauses (Begründung: Asbest-Alarm, wie beim Palast der Republik in Berlin) galt, die freie Fläche zwischen Braubachstraße und der Schirn-Großfigur zu gestalten; genau jenes Areal also, das vor der Bebauung mit den drei Türmen des Technischen Rathauses lange Brache war – zunächst als Parkplatz benutzt, dann mit einer Tiefgarage versiegelt, auf deren oberster Platte Betonhöcker wie traurige Fragezeichen wirkten: Was und wie könnte/sollte/wollte man hier bauen?

Schon Anfang der 50er Jahre hatte es Befürworter des Wunsches gegeben, die Häuser der Altstadt auf dem alten Straßen- und Gassengrundriss wiedererstehen zu lassen. Jetzt, nach dem Aus für die Beton-Gigantomanie, kam zumindest die Grundriss-Idee bei einem Wettbewerb (2005) wieder zum Vorschein, den das Büro KSP Engel & Zimmermann gewann – mit klarer, großteiliger Bebauung nach den Grundprinzipien der Moderne, inklusive Flachdach. Hier – wie auch vorher beim Wettbewerb für das Technische Rathaus, später dann bei der Schirn – war die Jury einhellig in ihrem Votum, die begründenden Texte waren imprägniert mit Begeisterung.

Zu den Volten der Altstadt-Geschichte gehört, dass der 2005-Wettbewerb schon begleitet/konterkariert wurde von einer kleinen Initiative, welche den Abbruch der 70er Jahre Beton-Moderne (inklusive des mehrheitlich geschmähten Historischen Museums) als Chance sah, das Altstadt-Herz in vorheriger Gestalt wiederzugewinnen. Weil die politische Federführung der Initiative bei der Kleinst-Fraktion Bürger für Frankfurt (BFF) lag – in der Ausstellung, wie sonst auch, pflichtschuldigst als „rechtspopulistisch“ bezeichnet – , fiel der Antrag auf Rekonstruktion im Stadtparlament komplett durch – es waren eben die Verdächtigen/Falschen, die das Projekt auf den Schild hoben.

Als sich kurz danach die politische Konstellation mit der Kombination Schwarz-Grün änderte, wurde es hingegen als Idee aufgenommen: gerade auch, weil die Resonanz der Stadtbevölkerung so positiv war. Die eben nicht an der Urheberschaft, sondern an der Zielvorstellung orientiert war: einer Stadtreparatur, die auf ganz reale Weise eine Erinnerung wiederbeleben konnte, die lange vermisste stadträumliche Qualitäten versprach, ein modellhaftes, Beheimatung versprechendes Stadtbild mit vielfältigen, ‚lesbaren’ Fassaden, mit leicht zu begreifender Maßstäblichkeit und neuem Bezug zum Dom, mit Neubegründung der Braubachstraße, mit einer dichten Vermittlung hin zur Schirn, die bislang wie ein Rammbock den Dom bedrohte.

Die Brutalismus-Phase: Das Historische Museum, Hochbauamt Frankfurt am Main, Historisches Museum, 1970–1972 © Institut für Stadtgeschichte

Wie diese Vorstellung an Fahrt gewann, wie die Diskussion sich verflüssigte und alte Frontstellungen aufweichte, wie die Begrifflichkeiten sich änderten und auch ein Wort wie Identität wieder positiv aufgeladen werden konnte, das alles lässt sich in einem hervorragenden Beitrag von Claus-Jürgen Göpfert (Leitender Redakteur für Frankfurt und Rhein/Main bei der Frankfurter Rundschau) im Katalog zur Ausstellung nachlesen.

Die Zeitung selbst hat auch ein Web-Dossier zur Altstadt ins Netz gestellt, das vorbildlich und überaus anschaulich die Hauptstationen der Wiederaufbau-Phasen nachzeichnet, das dabei die in der Regel ganz gegensätzlichen Positionen erleben lässt und wichtige Protagonisten im Interview zu Wort kommen lässt.

So gibt es aufschlussreiche Fundstücke wie ein FAZ-Gespräch (2007, nach dem Abriss-Urteil) mit dem in der Branche vielgefeierten  Architekten des Technischen Rathauses, Anselm Thürwächter. Darin liest man von der jugendlichen Unbekümmertheit beim damaligen Planen, von der Distanz zu einer „Gespensterdebatte“ hinsichtlich der Rekonstruktion, vom Unverständnis, dass erst im progressiven Sinn Hochhäuser gefeiert werden, nun jedoch ein Stimmungsumschwung mit der Sehnsucht nach kleinteiliger Bebauung einsetze. Und auch Thürwächter erwähnt das für ihn offensichtliche Ziel, hier solle Geschichte „ungeschehen“ gemacht werden.

Die Ostzeile am Römer als Faller-Modellhäusschen, Foto: Petra Kammann

Diese Vermutung (als Gewissheit formuliert) gehört zu den zentralen Argumenten einer fundamental verstandenen und vehement vorgetragenen Kritik an der jetzigen Rekonstruktion; einer Kritik, die viele Vor- und Wiedergänger hatte und hat, angefangen beim Wiederaufbau des Goethe-Hauses, in Frankfurt heftigst geführt beim Wiederaufbau der Ostzeile gegenüber dem Römer (Anfang der 80er Jahre), wieder und wieder debattiert bei anderen markanten Bauten.

Im jetzigen Katalog ist die Gegenposition zur Rekonstruktion ausführlich vertreten, speziell in den Beiträgen des Kunsthistorikers Gerhard Vinken und des Architekturtheoretikers Stephan Trüby. Der hat bereits in der FAZ und in der TAZ mit großem Furor die neue Frankfurter Altstadt als gebaute Ausgeburt einer neuen Rechten in den ideologischen Boden gestampft. DAM-Direktor Schmal – „Trüby ist mein Freund“ – beschrieb in der Pressekonferenz die damit ausgelösten Reaktionen.

Hier ein kleiner Begriffs-Reigen aus den Tastaturen der moralisch hochgerüsteten Scharfrichter:

Vinken: So banal wie fatal, gentrifiziertes Wohlfühlviertel, historisierender Fassadismus, naiv daherkommendes Wiederherstellenwollen, Klitterung, pseudohistorische Altstadtklone, revisionistische Konstrukte und Projekte.Trüby: politisches Umsturzprojekt, Machenschaften von Rechtsradikalen, verrohte Bürgerlichkeit, Nexus von rechtem Gedankengut, Geschichtsrevisionismus und Rekonstruktionsengagement. Ein Höhepunkt des Trüby-Katalog-Generalverdikts: „Historisch informiertes Entwerfen verkommt hier zum unterkomplexen Heile-Welt-Gebaue, das der Verblödung seiner Liebhaber zuarbeitet, indem es Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert“ – und dies in Richtung einer „alternativen Historie“, in der Holocaust und deutsche Angriffskriege „maximal Anekdoten zu werden drohen“.

Ein Trüby-Architekturkollege an der Universität Stuttgart, Uwe Bresan – mit Jahrgang 1980 zehn Jahre jünger – kommt zu einem ganz anderen, sprich: zu einem positiven Urteil. In den negativen Bewertungen von Rekonstruktionsprojekten zeige sich vor allem der „ahistorische Blick der Moderne“ auf eine Architektur, deren Entwicklung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein von tradierten Formen bestimmt worden sei. Erst die Moderne habe das Fortschreiben eines erprobten Formenkanons als Makel gesehen, habe auf Revolution statt Evolution gesetzt.

Dietrich Banger, Bernd Jansen, Stefan Scholz und Axel Schultes, Kunsthalle Schirn, 1981-1986©Institut für Stadtgeschichte, Foto: Tadeusz Dabrowski

Bresan bechreibt die in der Altstadt-Rekonstruktion zu erlebenden Qualitäten eines auf Vielfalt setzenden städtebaulichen und archiektonischen Vokabulars und Repertoires. Und damit begrüßt er das Ensemble – auch der in der Moderne oft verlorene Bezug des Einzelnen zum Ganzen wird hervorgehoben – als Gewinn, basierend auf einer neugewonnenen Rolle der Architekten, bei der Frankfurter Altstadt sich wieder „frei und vorurteilsfrei“ der traditionellen Architekturwerkszeuge bedient zu haben.

Auch dieser sehr lesenswerte Aufsatz, der ganz ohne den schäumenden Furor von Vinken und Trüby auskommt, ist eine einzige Einladung, unbedingt auf den Katalog (leider mit 48 Euro im DAM sehr teuer) zurückzugreifen. Nicht zuletzt auch, weil hier die Bauten der neuen Altstadt genau vorgestellt und beschrieben werden, während die Ausstellung selbst diesen Part eher stiefmütterlich behandelt. Kurator Sturm erklärt dies schlicht damit, dass das Original ja direkt besichtigt werden könne.

„Das Alte stürzt und Neues blüht aus den Ruinen“ – Durchbruch zur Braubachstraße 1905, Foto: Petra Kammann

Wie auch immer, zum Fazit der Ausstellungsobjekte und der Beiträge des  Katalogs gehört – vielleicht/hoffentlich – eine naheliegende Erkenntnis: Der Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten sollte in dem Sinne überwunden werden (oder ist es bereits), dass nicht immer nur das große und ausschließende Entweder/Oder herrscht. Gerade Frankfurt beweist doch, dass ein Nebeneinander reizvoll und möglich ist. Es gibt hier eine Reihe von modernen Bauten, die höchste Qualität aufweisen, in ihrer Konzeption, in ihrer Ausführung, in jedem Detail. Wer wollte ihnen und ihren Architekten das streitig machen, wer wollte verhindern, dass auch künftig an vielen Stellen weitere Bauten in dieser eigenen – und immer fortzuschreibenden – Tradition der Nachkriegsmoderne entstehen?

Der historische Durchbruch in der Braubachstraße war das Vorbild für die neuen Fassaden, Foto: Petra Kammann 

Übersehen die Kritiker der Altstadt-Neusprache, dass gerade in Frankfurt an vielen Stellen Modernes entsteht? Wie das Projekt „Four“ von Ben van Berkel (UNStudio) oder der „Omniturm“ von Bjarke Ingels – beide Promi-Architekten von Rang, vielfach ausgezeichnet, Ingels zuletzt auch durch das DAM beim Hochhauspreis. Fünf Türme entstehen dabei am Rossmarkt auf einem Areal, das knapp doppelt so groß ist wie die Altstadt-Fläche. Alles in höchster Verdichtung, in erkennbarem Gesamtdesign, das Eleganz verspricht (leider aber keine wirklich städtischen Räume). Auch die neuen Türme am Eingang des Europaviertels sind Vertreter einer weiterentwickelten Moderne. Warum also beim Blick auf eine neuerstandene Traditionsinsel soviel Häme, soviel Widerwille, soviel Moralsäure, soviel Rigorosität, warum dieser Archi-Monotheismus  unterm Sigel Moderne/Avantgarde/Fortschritt?

Modell des Omniturms von Bjarne Engels Group ( B.I.G) in der Ausstellung im DAM, Foto: Petra Kammann

Und weiter: Warum räumen Moderne-Jünger nur ungern ein, dass es unter diesem Etikett auch eine große Zahl eklatanter Fehlgriffe gegeben hat und weiter gibt, welche leiden lassen – denn der umgebenden Architektur kann man schließlich nicht ausweichen. Auch für dieses Misslingen gibt es in Frankfurt aktuelle Beispiele, so die Teherani-Grobstrickfassade (Flair!) am Eschenheimer Turm und die hinter der Hauptwache sich arrogant reckenden Bling-Bling-Türme mit ihren unsäglich modischen Knick- und Neigefassaden.

Das Projekt „Four“ am Rossmarkt, Foto: Groß & Partner

Warum also, noch einmal, sollten die Absolut-Verfechter der Moderne nicht zugestehen, dass auch Architektur, die ein tradiertes Vokabular einsetzt und sich von vorhandenen oder auch neuen Grundlinien der europäischen Stadt orientiert, ihr Recht hat? Und dazu noch – vielleicht liegt hier der ewige Stachel für die Phalanx der Rein-Modernen mit ihrem Fortschritts-Pathos – einen großen Teil der Nutzer, der Bewohner, der Besucher für sich einnimmt: weil sie sich darin offensichtlich wohlfühlen, weil sie reizvolle, abwechslungsreiche Räume schätzen und Fassaden lieben, an und in denen die Augen spazieren gehen können, in denen sie individuelle Stadt-Bilder erkennen können. Hier, bei der Beschreibung der Qualitäten, ist in der Diskussion (auch in der Ausstellung) eine Fehlstelle zu beklagen – nämlich die einer genaueren Analyse der traditionellen Formensprache, auch im Vergleich zum Vokabular und zur Grammatik der Moderne. Wo liegen die speziellen Gründe für das Sich-Wohlfühlen, für eine positiv empfundene Anmutung, für lustvoll empfundene Resonanzen? Was sind die Grund- und die Feinlinien einer solchen Ästhetik?

Läuft man damit in die Gefahrenzone des Populistischen (wenn es denn eine ist)? Diese wird ja gerne beschworen, als Gegenfront zu den Experten im Kreis der Planer/Architekten/Fachkritiker. Dabei haben gerade sie in ihren Entscheidungen – so bei Jurys – oft beweisen, dass auch dort Moden, Zeitgeist und Branchen-Mainstream oft eine übergroße Rolle spielen, auch der Konformismus und die Verneigung vor großen Namen.

Ein Musterbeispiel ist gerade in Berlin zu verfolgen, wo eine Jury für einen Museumsneubau auf dem Kulturform einen Entwurf gekrönt hat, der auf die allermeisten Betrachter wie eine banale Scheune, ein Bierzelt oder eine Aldi-Filiale wirkt. Jury und Bauherren halten trotz der Fast-Unisono-Kritik an ihrer Entscheidung fest. Vorsitzender der Jury war übrigens Arno Lederer, der auch jener Jury vorsaß, die 2005 in Frankfurt den dann von vielen Bürgern der Stadtgesellschaft so vehement abgelehnten Entwurf von KSP als Sieger kürte. Jetzt übrigens ist Lederer in Frankfurt ganz manifest vertreten: mit den historisierenden Doppelhäusern des Historischen Museums (welches die ehemals von der Jury und von Kritikern hochgelobte Scharfkanten-Betonästhetik des Vorgängers abgelöst haben).

Vogelschau auf die neue Altstadt und Fassadenaufrisse in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann

Das alles zeigt auch: Es gibt nicht das eine, alleingültige Bild von Geschichte, das sich in Bauten ausdrückt. Diese Geschichte ist vielmehr vielfältig, sie wandelt sich in ihren Ausprägungen unaufhörlich. Dass jetzt die rekonstruierte Altstadt das Dom-Römer-Areal prägt, ist ebenso einfach ein neuer Ausdruck, eine neue Prägeschicht, eine – neben anderen möglichen Optionen – intervenierende Auffassung unserer Zeit, Wer dies als Geschichtsrevisionismus sieht und verurteilt, belegt damit nur, dass er den unaufhörlichen Wandlungsprozess der Geschichte leugnet; und wahrscheinlich auch, dass er mit einer festen Zuordnung, mit einer engen/eigenen Interpretation Deutungshoheiten gewinnen, bewahren und verteidigen will – als zensorische Letztinstanz mit pädagogischer Leitlinie und allgemeingültiger Zuständigkeit

Solche starren, dogmatisch daherkommenden Positionen – die sich in der Regel mit hochmoralischer Aufladung unangreifbar machen wollen, wie eben auch lange im Alleinanspruch der Nachkriegsmoderne sichtbar – werden glücklicherweise immer weniger als tauglich für Theorie und Praxis beurteilt, auch in Architektur und Städtebau. Das Diskussionsfeld ist offener geworden.

Prof. Christoph Mäckler, Vorsitzer des Gestaltungsbeirates für die Altstadt, Foto: Petra Kammann

So beschreibt der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler auch die Entwicklung beim Altstadt-Projekt, das er als Vorsitzender der begleitenden Gestaltungskommission stark mitgeprägt hat. Es sei damals schwierig gewesen, Architekturbüros für den Entwurf von Häusern im Rahmen des formal stark gebundenen Projektes zu gewinnen. Heute, so seine Erfahrungen, seien viele Kollegen offener und bereit, auch mit tradiertem Formenrepertoire zu arbeiten. Das von ihm geleitete, jetzt in Frankfurt beheimatete Institut für Stadtbaukunst sei inzwischen vielfältig eingebunden und gefragt. Schönheit, ein lange Zeit völlig verpönter Begriff in Architektur und Städtebau, sei jetzt wieder als Kategorie und Ziel zulässig und geschätzt.

Insofern gehört auch dies zum Fazit der jetzt sichtbaren Altstadt-Rekonstruktion und der begleitenden Debatte: Das nicht zuletzt handwerklich so brillante Gesamtwerk zwischen Römer und Dom ist auch als Akt der Befreiung zu werten, ein Akt, der Vorurteile als tatsächlich und anschaulich überholt auflösen könnte. Auch, indem diese interpretierende Rekonstruktion zeigt, dass Authentizität nicht eindimensional verstanden werden kann, sondern immer auch als jeweiliges Ergebnis eines Prozesses gesehen werden muss. Sprich: Auch die Nachbildung von Objekten hat ihre eigene Echtheit – eben in der zeitgebundenen Herstellung, die ihre gewollte Neuheit nicht verbergen und verleugnen muss (und dies auch gar nicht kann, weil es schließlich das Wissen um ihre eigene Geschichte gibt).

Hühnermarkt mit Stoltze-Denkmal und Dom, Foto: Petra Kammann 

Auch unter diesem Aspekt bietet der Ausstellungskatalog eine Reihe lesenswerter Einsichten. So im schönen Aufsatz des (stets seine Bürgerlichkeit betonenden) Frankfurter Schriftstellers Martin Mosebach, der bekennt, anfangs das Vorhaben sehr skeptisch eingeschätzt zu haben, nun aber vom Ergebnis mehr als überzeugt zu sein. Mosebach übrigens demontiert überzeugend den intellektuell so dürftigen und in der Sache so falschen Denunziationsbegriff „Disneyland“. So wie an anderer Stelle, in einem aufschlussreichen Interview mit der bei der Pro-Entscheidung maßgeblichen Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth, oft verschmähte Begriffe wie Heimat und Identität rehabilitiert werden – wenn sie denn je vollständig diskreditiert waren (Ernst Bloch beispielsweise hatte damit keine Probleme, im Gegenteil). Wobei ohnehin auffällig ist, wie Verwendung und Interpretation solcher Begriffe je nach Vor-Prägung und politischer Verortung schwanken können. Bei einer Reflexion des Architekturmuseums zum Städtebau unter dem Vorzeichen der Migration lautete der Titel ganz schlicht und programmatisch (ohne erkennbare Ironie): „Making Heimat“.

Zum Schluss vielleicht noch eine Rückerinnerung, ausgelöst durch ein Buch unter dem Titel „Frankfurt – Stadt in der Entwicklung“, erschienen Mitte der 60er Jahre. Ein einleitender Beitrag unter der Überschrift „Ein Process“ stammt vom damaligen Planungsdezernenten Hans Kampffmeyer, ein Name, den viele immer noch vornehmlich mit dem rabiaten Wandlungsplan für das Westend verbinden. Er schreibt dort, dass seit einigen Jahrzehnten eine „bewußte moderne Stadtplanung“, gelenkt von Fachleuten, meist Architekten, herrsche. Dann folgt der Satz: „Die Zeit, in der die Planer als Dirigisten mit dem anmaßenden Anspruch selbstherrlicher Bestimmung der Stadtentwicklung verschrieen waren oder verdächtigt wurden, ist wohl zu Ende.“

Wohlgemerkt, dieser Satz gehört zum Jahr 1966, als von vielem, was das moderne Frankfurt seither geprägt hat, noch nichts zu sehen war. Das wichtigste Wort in Kampffmeyers Einschätzung ist sicher das „wohl“. Wie immer wir das aus heutiger Sicht deuten…

Weitere Infos unter: dam-online.de

 

 

 

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