home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Theodor-W.-Adorno Preis-2018 an die Filmemacherin Margarethe von Trotta in der Paulskirche (2) Die Laudatio von Günter Rohrbach

„Margarethe von Trotta, eine deutsche Filmregisseurin, in Europa sozialisiert und in der Welt zuhause“

Der Film-und Fernsehproduzent Günter Rohrbach, ein Urgestein des Deutschen Films – einen Stern auf dem Boulevard der Sterne erhielt er 2010 für sein Lebenswerk –, hatte schon früh mit einigen Protagonisten des Neuen Deutschen Films zusammen gearbeitet: so mit Helmuth Costard, Rainer Werner Fassbinder, Hans W. Geißendörfer, Reinhard Hauff, Klaus Lemke, Edgar Reiz, Helma Sanders-Brahms, Volker Schlöndorff,  Rudolf Thome, Wim Wenders und eben auch mit Margarethe von Trotta. Nach einer Karriere als Fernsehspielchef im WDR und als Geschäftsführer der Bavaria wurde er freier Produzent. Von 2003 bis 2010 leitete er gemeinsam mit Senta Berger als erster Präsident die Deutsche Filmakademie. Er hat außerdem als Honorarprofessor an der Hochschule für Fernsehen und Film München gelehrt. 2011 initiierte seine Geburtsstadt Neunkirchen mit ihm den Günter-Rohrbach-Filmpreis. 2017 wurde er von der Landeshauptstadt München mit dem Kulturellen Ehrenpreis ausgezeichnet. In der Frankfurter Paulskirche hielt er eine mit viel Beifall aufgenommene Laudatio auf die Filmemacherin und Theodor-W.Adorno-Preis-Trägerin Margarethe von Trotta (1). Den Text stellte er freundlicherweise FeuilletonFrankfurt zur Verfügung.

Laudator Prof. Dr. Günter Rohrbach; Alle Fotos: Petra Kammann

Beginnen wir mit dem Namensgeber: „Aus jedem Besuch des Kinos komme ich bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter wieder heraus.“ Das möchte man nicht gerade eine Ermutigung nennen, wenn es gilt, eine Filmautorin zu feiern. Der Satz steht in den MINIMA MORALIA, entstand also offensichtlich unter dem Eindruck amerikanischer Kinobesuche. Doch, wie man weiß, hat sich an dieser Einschätzung in den 50er und 60er Jahren bei der Begegnung mit europäischen Filmen nicht wirklich etwas geändert. „Was ans Bild sich klammert, bleibt mythisch befangen, Götzendienst.“ Adorno blieb auf Distanz. Auch Alexander Kluge, vom Meister freundschaftlich geschätzt, konnte ihn nicht umstimmen, weder mit herausragenden Werken anderer Regisseure, noch mit seinen eigenen Filmen. Er erfuhr zwar wohlwollendes Interesse, doch das galt, wie er resignierend feststellen musste, vor allem der in diesen Filmen verwendeten Musik.

Margarethe von Trotta, über die zu sprechen ich heute die Ehre habe, hätte, lassen wir alles Definitorische einmal beiseite, aus naheliegenden Gründen den Uwe Johnson-Preis erhalten können, oder den Hannah Arendt-Preis, auch den Hildegard von Bingen-Preis ebenso wie den Preis der Rosa Luxemburg-Stiftung. Darf man es eine List der Vernunft nennen, dass  vermutlich keine dieser Ehrungen sie je erreichen, sie dagegen aber mit einem Preis ausgezeichnet wird, dessen Namensgeber so nachhaltig mit dem Film als Kunst haderte?

Margarethe von Trotta

Margarethe Maria von Trotta genannt Treyden, so der vollständige Name unserer Preisträgerin. Das zumindest hätte Adorno imponiert, hatte er doch ein Faible für den Adel, freilich in einer Hinsicht, die Trotta wohl kaum zu erfüllen vermag. Denn außer dem Gotha-gestützten Namen war der in Moskau geborenen, über das Baltikum noch vor dem Krieg nach Deutschland gekommenen Mutter nichts geblieben.  Margarethe wuchs in bescheidenen Verhältnissen allein bei der Mutter auf.  Der Vater, ein in fragwürdigen Zeiten geschätzter Maler, tauchte nur gelegentlich auf und verstarb früh. Die Lebensperspektive war bürgerlich eng, nach der Mittleren Reife Handelsschule und was daraus gemeinhin hätte werden können. Doch dann die erste Auflehnung, Trotta holte im Schnellgang das Abitur nach und ging, auch das ein Statement, zum Studium nach Paris. Erste Liebe mit einem französischen Philosophiestudenten, der allerdings den Ehrgeiz hatte, Filmregisseur zu werden. Man ist Anfang der 60er, die Nouvelle Vague flutet durch die Stadt und von da in die Welt. Trotta wurde mitgerissen, vertauschte den Eingang zur Sorbonne mit dem in Reichweite liegenden Entree zum ambitioniertesten Kino der Stadt. Sie sah Film um Film, neue und ältere, und einer sollte besonders bei ihr einschlagen, „Das siebente Siegel“ von Ingmar Bergman. Der schwedische Regisseur war eines der Vorbilder der Nouvelle Vague -Regisseure, und er sollte auch Margarethe von Trotta nachhaltig prägen. Bis heute bezeichnet Sie ihn als ihren Meister, gerade hat sie ihm ein Portrait gewidmet.

Der französische Freund drehte tatsächlich seinen ersten Film mit wenig Geld und ihr als Mädchen für alles. Es wurde ein Flop. Dennoch wurde ein zweiter Film geplant, in dem sie die Hauptrolle spielen sollte. Zunächst aber Rückkehr nach Deutschland, genauer nach München, formal um weiter zu studieren, doch vor allem, um Schauspielunterricht zu nehmen. Der zweite Film kam nicht zustande, wohl aber ein Theaterengagement an einer Provinzbühne in Süddeutschland.

Das Leben nahm Fahrt auf. Heirat mit dem Verlagslektor Jürgen  Möller, Geburt des Sohnes Felix, erste Filmengagements, Begegnung mit Volker Schlöndorff, der sie für seinen Film BAAL, Hauptrolle Rainer Werner Fassbinder, besetzte. Es folgten drei Filme mit Fassbinder, dann wieder Engagement durch Schlöndorff, jetzt mit allen Konsequenzen, Scheidung und neue Heirat, und den ersten Filmen, in denen sie nicht nur spielte, sondern auch am Drehbuch mitschrieb und mehr und mehr auch mitinszenierte. Sie war kurz vor dem Ziel. Schon lange war ihr klar, dass die Schauspielerei nicht ihr Leben ausfüllen konnte. Sie wollte auf den Regiestuhl. Und es kam der Film, der ihr Leben endgültig verändern sollte: DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM nach Heinrich Böll. Zum ersten Mal stand sie nun, freilich an der Seite von  Schlöndorff, hinter der Kamera ohne zugleich vor der Kamera zu agieren. Es war der Beginn einer neuen Karriere und zugleich das Ende einer anderen. Von nun an wird sie nicht mehr als Darstellerin auftreten.

Begegnung nach der Preisverleihung mit Filmemacher und Ex-Ehemann Volker Schlöndorff  

Trotta war keine große Schauspielerin aber eine interessante. Sie war der Typ, auf den diese Zeit gewartet hatte, auf eine Weise blond, die allem widersprach, was man mit Blondinen gemeinhin verbindet. Energisch, schnell, intelligent, frech, auch in der Erniedrigung noch stark , in der Revolte noch zärtlich. An ihre Blicke erinnert man sich, das zwingende Blau ihrer Augen. Film ist eine Augenkunst. Der Theaterschauspieler agiert, die Filmschauspielerin schaut. Und wenn sie gut ist und die Kamera das weiß, dann blicken wir durch diese Augen in ihre Seele.

Der Böll-Film wurde gedreht auf dem Höhepunkt der RAF-Krise. Trotta und Schlöndorff waren auch im echten Leben darin involviert. Man zählte sie zu der Szene, die polemisch als „die Sympathisanten“ bezeichnet wurde. Ihre Empörung galt vor allem den Haftbedingungen der Gefangenen.

Es war genau diese Sensibilität gegenüber empfundener Ungerechtigkeit, die Trotta zu ihrem ersten, ganz und gar eigenen Film führte, DAS ZWEITE ERWACHEN DER CHRISTA KLAGES. Eine Frau hatte eine Bank überfallen, weil sie Geld für ihren alternativen Kindergarten auftreiben wollte, dem die Pleite drohte. Der Boulevard war voller Hohn und Spott über sie hergefallen, doch Trotta sah vor allem den guten Zweck und nicht die böse Tat. Männer, so meinte sie, überfallen Banken, weil sie sich bereichern wollen, Frauen tun es für ihre Kinder. Es wurde, ganz im Stil der Zeit, ein solidarischer Frauenfilm. In einer Einkaufstüte trug sie die Filmrollen selbst zum Internationalen Forum, dem fortschrittlichen Arm des Berliner Festivals. Er wurde spontan angenommen, allein schon der ungewöhnlichen Transportweise wegen, wurde ein großer Erfolg und erhielt sogar einen mit Geld verbundenen Preis. Das Geld gab sie an die originale Bankräuberin weiter, die man natürlich mit Gefängnis bestraft hatte, während sie im Film, es wird einen nicht wundern, aufgrund eines Aktes weiblicher Solidarität unbehelligt davonkommt. Das Drehbuch hatte Trotta zusammen mit Luisa Francia geschrieben. Sie wird auch alle künftigen Drehbücher selbst schreiben, gelegentlich  mit Co-Autorinnen, doch den Ton setzte sie stets selber.

Mit ihrem zweiten Film, SCHWESTERN ODER DIE BALANCE DES GLÜCKS, fand sie zu ihrem Thema jetzt auch die eigene Handschrift. War DAS ZWEITE ERWACHEN noch ein im Zeitgeist mitschwimmendes Piratenstück, so war sie jetzt in ihrer eigenen Trotta-Welt angekommen. Zwei Schwestern, die eine streng, diszipliniert, erfolgreich, souverän auch in ihrem Dienst als Chefsekretärin, die jüngere unsicher, tastend, verträumt und psychisch labil. Ein Gespinst aus Abhängigkeit, Druck und Gegendruck, tyrannischer Liebe und verzweifeltem Hass, wobei immer unsicherer wird, wer nun die Stärkere und wer die Schwächere ist. Am Ende ist auf erschreckende Weise alles klar.

Auch der nächste Film wird eine Geschichte zweier Schwestern sein, die von Gudrun Ensslin und ihrer älteren Schwester Christiane. Es war dies im andauernden Schatten der RAF-Hysterie ein brisantes Unternehmen. Es sollte ihr berühmtester Film werden.

Im Herbst des Jahres 1977 hatte die alte Bundesrepublik ihre dramatischste Krise durchlaufen. Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer, die damit verbundene Erpressung und seine anschließende Ermordung hatten diesen Staat schwer erschüttert.  In dieser Situation beschlossen eine Reihe von Regisseuren des sogenannten jungen deutschen Films, darunter Fassbinder, Reitz, Schlöndorff und Kluge , einen Film über die Lage der Nation zu drehen.  Kluge und Schlöndorff schufen den Rahmen, indem sie die Trauerfeier für Schleyer und die Beerdigung der RAF-Leute dokumentarisch nebeneinander stellten. Trotta hatte die beiden begleitet, und dabei Christiane Ensslin, die ältere Schwester von Gudrun, kennengelernt. Zwei Tage redeten sie miteinander, es wuchs das Vertrauen und mit ihm Christianes Offenheit.

Der Film, den die jungen Regisseure drehten, bekam den Titel DEUTSCHLAND IM HERBST und erschien sehr bald in den deutschen Kinos. Trotta hingegen brauchte ein paar Monate, bis die Idee zu ihrem Film reifte. Denn da waren sie ja wieder, die schrecklichen Schwestern, liebend und hassend, widerständig und solidarisch, abgründig und selbstzerstörerisch. Christiane war ihr Haltepflock, über sie tastete sie sich an Gudrun heran, von der in der Öffentlichkeit nur Zerrbilder existierten. Es gab weitere vielstündige Gespräche, so über das beklemmende elterliche Pfarrhaus, den strengen, aber politisch aufrechten Vater, die um Ausgleich nicht immer erfolgreich bemühte Mutter, die aufsässige, quer im Leben stehende Tochter Christiane und die eher angepasste, vom Vater geliebte Schwester, also jene Gudrun, die Jahre später , von Weltverbesserungsphantasien gejagt, zum Hassobjekt einer medial aufgewühlten Bevölkerung werden sollte. Trotta konzipierte ihren Film konsequent aus der Perspektive ihrer Zeugin. Es ist also vor allem ein Film über Christiane. Aber durch Gudrun ist das auch ein Film über die RAF, jedoch ohne Überfälle, ohne Verhaftungen, ohne Prozess, ohne Mogadishu, ohne Schleyer. Das Drama der durch das Land jagenden Untergrundkämpfer ist auf eine Szene verdichtet. Mitten in der Nacht taucht Gudrun bei Christiane und ihrem Freund auf, in ihrer Begleitung zwei Männer, in denen man Baader und Raspe vermuten kann. Sie wollen Kaffee, aber sie werden den Kaffee nicht trinken. Für wenige Minuten sitzen sie da, abgehetzt, verloren, aufgeladen mit Aggressivität. Es wird kaum ein Wort gesprochen, auch kein persönliches zwischen den Schwestern. Dann plötzlich Aufbruch, und man weiß, sie werden weiterhetzen, hoffnungslos. Geht so die Revolution?

Stimmung in der Paulskirche nach der Rede – viel Beifall und große Emotionen 

DIE BLEIERNE ZEIT (der Titel stammt aus einem Gedicht von Hölderlin) lief am vorletzten Tag des Festivals von Venedig 1981. Er schlug ein, man mag das in diesem Zusammenhang nur zögernd sagen, wie eine Bombe. Außer dem Goldenen Löwen gewann er zahlreiche weitere Preise, darunter je einen für die Hauptdarstellerinnen. Jutta Lampe als Christiane (die Namen waren für den Film geändert) hatte schon im vorigen Film die ältere Schwester gespielt, bei Barbara Sukowa (Gudrun)   war es die erste Zusammenarbeit. Sie sollte in sechs weiteren Filmen Trottas wichtigste Darstellerin werden. Von Venedig ging der Film um die Welt und begründete den internationalen Rang der Regisseurin.

So wird dann auch ihr nächster Film, HELLER WAHN , den sie schon ein Jahr später gedreht hat, im Berliner Wettbewerbsprogramm laufen und nicht, wie noch DAS ZWEITE ERWACHEN, in einer Nebenreihe. Die Vorführung geriet zum Desaster. Das proletarisch kostümierte linke Berliner Publikum mochte sich auf die Probleme einer, wie man fand, mittelständischen Kulturschickeria nicht einlassen. Nach dem Triumph in Venedig war dies ein Schock, den Trotta bis heute nicht vergessen hat, zumal sich die negative Erfahrung mit dem Berliner Publikum Jahre später bei dem Film DAS VERSPRECHEN wiederholen sollte. Berlin wird sie seitdem konsequent meiden, zumindest als Ort für ihre Premieren.

Die Ablehnung, die HELLER WAHN damals, übrigens nicht nur in Berlin, erfuhr, hatte auch ästhetische Gründe. Der Kameramann Michael Ballhaus hatte den Film in eine gläserne Kühle getaucht und die Figuren damit in eine gewisse Distanz gerückt, was durch eine exquisite Ausstattung und zum Teil sehr strenge Kostüme noch verstärkt wurde. Es ist dies von allen Filmen Trottas der hermetischste, aber auch der stilistisch stärkste.

Im Mittelpunkt von HELLER WAHN stehen, wie schon in den beiden vorangegangenen Filmen, zwei Frauen. Diesmal sind sie zwar keine Schwestern, doch die Konstellation ist ähnlich, hier die starke, selbstbewusst im Leben stehende Olga, dort die schwache, scheinbar hilfsbedürftige, permanent suizidgefährdete Ruth. Neu ist die Rolle der Männer, in deren, wie sie fanden, dumpfer, gefühlloser Pose sich damals die meist männlichen Kritiker nicht gespiegelt sehen mochten.   Insbesondere gilt das für den Mann von Ruth. Aber so einfach macht es sich Trotta nicht. Sie steht zwar immer auf der Seite der Frauen, aber ihre Männer sind deshalb nicht schon per se böse. Im Gegenteil, sie liebt die Männer, auch im richtigen Leben, aber sie durchschaut sie auch. Der selbstverliebte Macho interessiert sie nicht. Auch Ruths Mann ist das nicht. Sein Spezifikum ist: er liebt Ruth nicht, er sorgt sich um sie und hält das für Liebe, er sorgt sich mit solcher terroristischer Penetranz, dass sie unter dieser Haube nicht mehr atmen kann. Am Ende wird sie ihn erschießen. Die Bilder dazu sind schwarz-weiß wie einige Bilder zuvor, die eindeutig als Traumsequenz erkennbar waren. So bleibt der Schluss im Ungefähren. Aber das Statement ist klar.

Das erste Bild. Womit fange ich an, welches Signal setze ich? Wir kennen das Thema aus der Literatur. Die berühmten ersten Sätze, die Teil unseres kulturellen Gedächtnisses sind. Trotta hat großen Wert gelegt auf ihre Anfänge. Der vielleicht markanteste findet sich in einem ihrer italienischen Filme, IL LUNGO SILENCIO, einem Film über die Maffia. Wir sehen zunächst von innen auf ein Fenster mit herabgelassener Jalousie, die Kamera setzt sich in Bewegung und fährt über eine ganze Reihe von gleichermaßen verhüllten Fenstern. Darüber laufen die Titel. Dann richtet sich unser Blick auf ein mittelaltes Paar, das, eingehängt, in heiterer Gelassenheit am Meer entlang schlendert. Die Kamera zieht auf, das Bild weitet sich, und wir sehen, dass um dieses Paar sechs Männer postiert sind, die, mit gezogener Waffe, aufmerksam in alle Richtungen blicken. Auf einen Schlag ist alles klar. Wir sind im Film.

Ähnlich stark der Auftakt des Films, den sie unmittelbar nach HELLER WAHN gedreht hat, ROSA LUXEMBURG . Wir sehen zwei Soldaten, die mit geschulterter Waffe auf einer Mauer auf- und abgehen. Dann fährt die Kamera an einer roten Ziegelwand sehr tief hinunter und erfasst dort eine einsame Frau, offensichtlich Rosa Luxemburg, die  in einem Gefängnishof ebenfalls langsam hin- und hergeht. Die Machtverhältnisse sind geklärt.

Für Trotta war dies der Sprung in ein neues Genre. Bisher waren die Figuren und deren Geschichte das Ergebnis ihrer Phantasie oder, wie im Falle der Ensslin-Schwestern, gewissermaßen Teil des eigenen Lebens. Jetzt stand sie erstmals vor einer historischen Person, über die es eigentlich nur Vorurteile gibt.

Wenn sich Trotta für eine Figur entscheidet,  dann muss sie in ihr die Möglichkeit sehen, sich voll auf ihre Seite zu stellen. Eine Rosa Luxemburg „mit all ihren Widersprüchen“  hätte sie nicht interessiert. Da ist sie unverrückbar parteiisch. Es musste ihr bewusst sein, dass diese Parteinahme kritisch hinterfragt werden würde, gerade bei einer so umstrittenen Person. Sie hat sich souverän darüber hinweggesetzt. Der Punkt, an dem sich ihre Identifikation entzündete, war Rosas Pazifismus. Während der Monate, in denen dieses Projekt in ihr reifte, befand sich die Welt auf dem Höhepunkt des kalten Krieges. In der Bundesrepublik tobte die Diskussion über den sogenannten Nato-Doppelbeschluß.

Natürlich durchschaute sie den utopischen Charakter der von Rosa Luxemburg vertretenen Ideen. Aber sie weiß auch, dass unser Leben arm wäre ohne Utopien. Und sie bekennt sich zu ihnen. In der Welt ihrer Rosa würden wir uns wohlfühlen. Objektiv ist das nicht. Objektivität ist der Tod des Kinos.

Barbara Sukowa ist Rosa Luxemburg. Objektiv ist auch das nicht. Trotta hat sich dafür entschieden gegen alle Ähnlichkeitssimulationen. Sie wollte die Stärke der Sukowa, weil sie eine starke Rosa wollte. Es hat sich ausgezahlt, für den Film, aber auch für die Schauspielerin. Sukowa wurde beim Festival in Cannes mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet. Cannes! Mit ROSA LUXEMBURG war Trotta nach Venedig und Berlin endlich auf dem Festival angekommen, das für alle Filmemacher die Krönung bedeutet. Sie war endgültig eine europäische Regisseurin.

Und es kamen die Angebote, aus vielen Richtungen. Sie entschied sich, für eine Zeit nach Italien zu gehen. Sie wird dort drei Filme drehen mit großen internationalen Stars. Auch in ihnen wird es natürlich vor allem um Frauen gehen. Selbst in dem männlichsten aller Milieus, dem der Maffia, wird eine Frau die Hauptrolle spielen.

In den Neunzigern dann Rückkehr nach Deutschland. Es folgte nun Film auf Film, darunter auch einige, wie die Adaption des Romans JAHRESTAGE von Uwe Johnson, für das Fernsehen. Dann erneut die Entscheidung für eine historische Figur, HILDEGARD VON BINGEN, auch sie eine kämpferische Frau, die weitaus mehr war als die Verwalterin eines bis heute berühmten Kräutergartens. Schließlich HANNAH ARENDT, ein Film gegen alle wirtschaftliche und künstlerische Vernunft. Ein Film ausgerechnet über eine Philosophin in einem Medium, das mehr als alle anderen auf Sinnlichkeit fixiert ist. Ihr langjähriger dramaturgischer Berater, Martin Wiebel, hatte ihr das eingeflüstert, bei der Abschlussfeier zu dem Film ROSENSTRASSE, wie die Fama sagt beim Tanz, nicht gerade der klassische Ort für den Austausch von Filmideen.  Trotta hatte in diesem Moment nicht die geringste Lust, sich mit dem Vorschlag zu beschäftigen. Es galt jetzt erst einmal, die ROSENSTRASSE fertigzustellen, den Film übrigens, der die einzige bekannt gewordene Widerstandsaktion im 3. Reich behandelt, die vorwiegend von Frauen getragen wurde.

Doch irgendwie hatte sich der Gedanke in ihr festgesetzt, tauchte nach Monaten immer wieder auf, sie begann, sich einzulesen, wurde mehr und mehr interessiert, fand in Pamela Katz, ihrer in New York lebenden gelegentlichen Co-Autorin, eine engagierte Kombattantin, recherchierte weiter, suchte nach Überlebenden und fing an, mit Pamela Katz zusammen, ein Drehbuch zu entwickeln. Aber worum sollte es gehen in dem Film? Um die Vertreibung einer hochbegabten jungen Jüdin aus Deutschland, die abenteuerliche Flucht aus Frankreich in das rettende Amerika, die Probleme einer Emigrantin, deren Handwerkszeug die Sprache ist? Aber da war ja noch diese unmögliche Liebesgeschichte mit dem Großphilosophen, der den Nazis so pathetisch die Tür geöffnet hatte, und der auch nach dem Krieg nicht bereit war, das zu bedauern. Ganz offenbar doch ein klassischer Kinoanker. Zum Glück hat sich Trotta für keine der beiden Möglichkeiten entschieden, sondern für das Thema, das Hannah Arendt zu einer der berühmtesten und zugleich umstrittensten Autorinnen ihrer Zeit gemacht hat, ihr Buch über den Eichmann-Prozess. Hannah Arendt hat durch ihre genaue Beschreibung der Figur Eichmann unseren Blick dafür geschärft, wie ein so ungeheures Verbrechen wie der Holocaust überhaupt erst möglich war. Eine noch so entschlossene Horde von Schlächtern hätte eine Tötungsmaschine dieses Umfangs niemals bewältigen können. Es waren, so ihre These, eiskalte, auf Pflichterfüllung und Gehorsam dressierte Bürokraten, deren gefügiger Arbeitseifer zum Tod von sechs Millionen Juden geführt hatte.

Dieser so klarsichtig erscheinende Blick auf die Dinge war doch für viele Zeitgenossen unerträglich. So wollten sie sich das absolut Böse nicht vorstellen. Auch viele ihrer jüdischen Freunde sahen darin eine Exkulpierung Eichmanns und seiner Genossen.  Arendt hatte wütende Reaktionen auszuhalten und ist doch standhaft geblieben. Das war der Punkt, der Trotta entzündete. Wieder konnte sie Partei ergreifen, wieder sich zur Advokatin einer starken Frau und ihrer intellektuellen Unbeugsamkeit machen.

Mehr als eine halbe Million Menschen haben diesen Film in deutschen Kinos gesehen, ebenso viele in Frankreich, Hunderttausende in Italien, den skandinavischen Ländern, überall in Europa und dann auch in der übrigen Welt. Ein Film, an den im Vorhinein kaum eine Handvoll Menschen geglaubt hatte, wurde zu einem großen Publikumserfolg. Zehn Jahre hatte es von der damaligen Tanzszene bis zu diesem Triumph gedauert.

Sie, die Porträtistin kämpferischer Frauen, ist selbst eine Kämpferin, die es mit den Gegenständen ihrer Arbeit durchaus aufnehmen kann. Inspiriert durch die 68er-Bewegung hatte sie sich schon früh politisch engagiert, stand in dieser Zeit auch durchaus in der Gefahr, Grenzen zu überschreiten. Doch, eine Waffe zu tragen, das, sagte sie einmal, hätte sie sich nie vorstellen können. Aber sie ist eine politische Filmerin geblieben, über die Jahrzehnte hinweg.  Schon die Entschlossenheit, mit der sie den für sie bequemeren Beruf der Schauspielerin aufgab, um sich der Herausforderung zu stellen, als Frau Filme zu drehen, was damals  mutig genug war, es aber dabei nicht zu belassen, sondern konsequent Frauen und nur sie zum dominanten Gegenstand ihrer Filme zu machen, schon das macht sie zum Solitär im deutschen Film, wenn nicht im Weltkino.  Es hat ihr diese Selbstverpflichtung nicht nur Freunde eingetragen. Beispielhaft mag ein Satz von Thomas Brasch stehen: “Du wirst erst dann eine richtig gute Regisseurin werden, wenn Du einen Film über einen Mann machst.“ Er kann sich gegen das Zitat nicht mehr wehren. Vielleicht würde auch er das heute anders sehen.

Besonders in ihren frühen Filmen hat Trotta ihre Geschichten an der Entwicklung dieses Landes entlang erzählt, inspiriert auch von der parallel zur Studentenrevolte neu entfachten Frauenbewegung. Sie hat diesen Impuls aufgenommen und in Kunst verwandelt, eine Kunst freilich, die immer offen war für die Klopfzeichen ihrer Zeit, für den Rhythmus des gesellschaftlichen Lebens. Dazu gehört auch, dass sie sich weigerte, Frauen als Opfer zu sehen. Ihre Protagonistinnen sind Leuchttürme, sind Pfadfinderinnen in eine Welt, die die Chance hat, deshalb eine bessere zu sein, weil ihr das weibliche Gen eingepfropft wurde. Die Welt, wie wir sie kennen, ist weitgehend von Männern gemacht. Trotta gibt uns die Zuversicht, dass es sich lohnen könnte, sie jetzt einmal den Frauen zu überlassen.

Sie selbst ist für diesen Optimismus ganz persönlich ein Beispiel.  Ihre Zähigkeit bei der Verfolgung eines Projekts korreliert mit der Genauigkeit, die sie schon in der Vorbereitung jedem Detail zuwendet. Dabei weiß sie auch jene rechtzeitig einzubinden, ohne deren Hilfe die Arbeit nicht gelingen kann.  Filme entstehen im Kollektiv. Es genügt nicht, dass eine Regisseurin einen Film im Kopf hat, sie muss ihn in vielen Köpfen haben. Ihre Mitarbeiter, vielen von ihnen, so ihrem Kameramann Franz Rath, ist sie über Jahrzehnte treu geblieben, rühmen diese Fähigkeit. Und sie wissen es zu schätzen, wie es ihr gelingt, auch in Stresssituationen liebenswürdig und zugewandt zu bleiben.

Regisseure und Regisseurinnen haben, sind sie einmal installiert, eine Machtfülle, wie sie in unserer Gesellschaft nur noch selten vorkommt. Das ist der Charakterbildung nicht unbedingt zuträglich. Trotta hat solchen Anfechtungen souverän widerstanden. In einem Metier, das den grossen Egos beflissen den Teppich ausrollt, ist sie zurückhaltend geblieben.

Das gilt auch für ihren Inszenierungsstil, der uneitel ist, stets im Dienst ihrer Figuren und deren Geschichte.  Sie verzichtet darauf, als Regisseurin immerfort sichtbar zu sein, in ihren Filmen ebenso wie im realen Leben.

Dabei gäbe es genug Gründe für sie, sich als Diva zu gerieren. Es vergeht kaum eine Woche, in der sie nicht irgendwo in der Welt eine Ehrung erhält, in einer Jury sitzt oder eine Retrospektive zu moderieren hätte. Während wir sie hier feiern, läuft ihr letzter Film, die Dokumentation über Ingmar Bergmann, auf dem Festival in Toronto, demnächst auf dem New York-Festival. Überall ist sie natürlich eingeladen, wird sie präsentiert und gefeiert. Margarethe von Trotta, eine deutsche Filmregisseurin, in Europa sozialisiert und in der Welt zuhause. Ich denke, mindestens das hätte auch Adorno gefallen.

Die nach Rohrbachs Rede bewegte Preisträgerin

Comments are closed.