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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

The Land in between. Ursula Schulz-Dornburgs Fotografien von 1980 bis 2012 im Städel

Sichtbare und unsichtbare Kontinente, verlorene Menschen, Utopien und eine unerhörte Stille 

Das Dazwischen ist Thema der 1938 in Berlin geborenen und in Düsseldorf lebenden Fotografin Ursula Schulz-Dornburg. Sie dokumentiert und bannt die Schrecken der Transitorte, Grenzlandschaften, Wüsten und Relikte vergangener Kulturen auf ihren Fotos, aber auch deren Schönheit. Mehr als 200 dieser eindrucksvollen Arbeiten sind noch bis zum 9. September 2018 in der Retrospektive „Ursula Schulz-Dornburg. The Land In-Between“ im Frankfurter Städel zu sehen: Fotografien, die zwischen 1980 bis 2012 auf ihren Reisen an Kult- und Kulturstätten in Europa, im Nahen Osten und in Asien entstanden. Die fast durchgängig analogen Schwarz-Weiß-Fotos hat die Künstlerin in 13 umfangreichen Werkgruppen selbst zusammengestellt. Sie stammen aus der Städelschen Sammlung selbst, aus dem Archiv der Künstlerin sowie von privaten Leihgebern.

Von Petra Kammann

↑ Ausstellungsansicht: Ursula Schulz-Dornbergs Fotos, die längs der georgischen Grenze entstanden, Foto: Petra Kammann

Für die Ausstellung im Städel hat die Düsseldorfer Fotografin eigens unterschiedliche gebrauchte Holzstühle, Schemel und eine alte Bank mitgebracht und in den Ausstellungsräumen des Städelmuseums platziert. Hierauf kann sich der Betrachter niederlassen, innehalten und länger über das Gesehene – Bilder einer vergangenen Welt – nachdenken. Denn Ursula Schulz-Dornburg dokumentiert mit wacher Aufmerksamkeit und großer Systematik die sozialen Verwerfungen unserer Lebenswelten. Ihre in zartesten Grautönen ausgearbeiteten analogen Fotos stimmen nachdenklich. Durch das Objektiv der Kamera ist die Fotografin einerseits nah an den Menschen, die sie in ihrem komplexen Umfeld wahrnimmt – durch ihre Reisen nach Ost- und Zentralasien und zu den früheren Stätten der Sowjetunion ihrer sich ständig verändernden Alltagswelt sieht sie deren Vereinsamung und Verunsicherung – andererseits werden sie bildkompositorisch auf Distanz stellt und an der Linie des Horizonts gemessen. Schulz-Dornburgs Interesse an den geschichtlichen, politischen, kulturellen und archäologischen Gesamtzusammenhängen, Überlagerungen und Schichten, die sie an den verschiedenen Orten wiederum sichtbar macht, ist groß.

Transit-Orte von traurig-poetischer Schönheit

Ursula Schulz-Dornburg (*1938), Erevan – Parakar (aus der Serie: Transit Orte, Armenien), 2004, Bartyabzug, 44,7 x 34,8 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Ursula Schulz-Dornburg

Solche Elemente und Momente findet sie zum Beispiel an Transit-Orten wie an den surrealen Bushaltestellen vor, die sie zwischen 1997 und 2001 in Armenien antraf. Auf sie war die Fotografin zufällig gestoßen, als sie eine Reise in ein christliches Land machen wollte, um Klöster zu dokumentieren. Inmitten der weiten armenischen Landschaft, zwischen Steppe und Gebirgszügen, tauchten dann am Straßenrand plötzlich diese seltsamen Unorte auf: Dekorative rostige Metallgestelle mit freistehenden Dächern und wie nicht zu Ende geführte Bauwerke, merkwürdige hybride Sonnenschirmdächer aus Stahlkonstruktionen auf vergammelten Betonpfeilern mit primitiven Hockern, die in der totalen Ödnis wie unbehauste Tankstellen oder pompöse Betongebilde mit großer Geste wirken. Man fragt sich, wer diese verwitterten, ehemals politkünstlerisch ausgestalteten Bushaltestellen dahingestellt hat und auf wen an diesen Haltestellen im Niemandsland die dort stehenden oder sitzenden Menschen warten – Szenen wie aus Becketts „Warten auf Godot“, da kein Bus in Sicht ist.

Auch wenn Schulz-Dornburgs Aufnahmen eine traurige Schönheit ausstrahlen, so führen sie uns bisweilen auch die komischen Züge des postsowjetischen Armeniens vor Augen. Und sie machen angesichts der Baufälligkeit dieser heroisierenden Gebäuderuinen aus sowjetischen Zeiten auf die darin verlorenen Menschen aufmerksam, der einzige lebendige Beweis für den ansonsten nicht vorhandenen Nutzen der sinnlosen Gebäude. Dabei scheinen die schweigsamen Menschen noch zu versuchen, eine Würde im „öffentlichen Raum“ zu wahren, wie die zurechtgemachte und bestens coiffierte Frau mit dem feingemachten Mädchen an der Hand, deren Blick auf die Hinschauenden gerichtet ist. Durch sie stellt sich unwillkürlich ein stiller Dialog mit dem Betrachtenden ein. Andere wiederum wirken in der Weite der scheinbar endlosen Landschaft neben den Dingen, den wenigen in der Landschaft  übrig gebliebenen verrotteten  Skulpturen, die dort wie die Schlusslichter einer Epoche des Staatssozialismus stehen, auf sich selbst reduziert.

Ursula Schulz-Dornburg (*1938), Everan – Gyumri (aus der Serie: Transit Orte, Armenien), 2004, Bartyabzug, 44,7 x 34,8 cm, Archiv der Künstlerin © Ursula Schulz-Dornburg

Gleich wohin es die Fotografin bei ihren Reisen mit der analogen Mittelformat-Kamera führt, überall fängt sie das jeweils besondere Licht, das auf die Dinge geworfen wird, auf subtile Weise ein, sei es das gleißend helle fast verschwindende Licht der Wüsten wie auch das Spiel von Licht und Schatten, etwa in ihrer frühen Serie „Sonnenstand“, die 1991/92 auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela entstand. Dort dokumentierte sie in den winzigen Einsiedeleien den Lauf der Sonne im Inneren der Bauten und verfolgte die Lichtstrahlen in den karg eingerichteten Kapellen und Kirchenräumen bis hin zum Brechen des Lichtstrahls auf dem Altar – um an die Übergangssituation zwischen Christentum und Islam zwischen dem 10. und 11. Jahrhundert in Spanien zu erinnern. Damit spielt sie auf den „Kalender von Cordoba“ von 961 an, der nicht nur angibt, wie der Himmel in jedem Monat aussieht, wann die Sonne und die wichtigsten Sternbilder auf- und untergehen, wie lange die Morgen- und Abenddämmerung dauern – was für die Gebetszeiten der Moslems von Bedeutung war, sondern erwähnt auch deren damals fortschrittlich medizinische Anwendungen.

Ausstellungsansicht: „Sonnenstand“ Ursula Schulz-Dornberg verfolgt den Verlauf des Lichts im Tagesablauf: Foto: Petra Kammann

„15 Kilometer entlang der Georgisch-Aserbaischanischen Grenze“ – so der Titel einer anderen Serie  machte sie zwischen 1998 und 2000 in die aserbadschanischen Höhlen aus dem 7. Jahrhundert auf, in dem einst Mönche im Verborgenen auf Steinbetten lebten, um die besonderen Architekturen dieser Höhlen, die sich aus dem Inneren gebildet haben, sichtbar zu machen; darüberhinaus auch die erkennbaren Risse im Gestein, das in einer Erdbebenzone liegt und nicht zuletzt die Graffitis, welche die Russen hinterlassen haben. Auch diese Bilder wirken wie Palimpseste.

Verschwundene Landschaften

Im Tal der Gräber im syrischen Palmyra fotografierte Ursula Schulz-Dornburg zwischen 2005 und 2010 in einer Serie „Verschwundene Landschaften“ die reduzierten Grabstätten, Mauerreste – übrig gebliebene Steine. Im Irak dokumentierte sie die alten Wüstenlandschaften und Gebäudereste der sumerischen Kultur des 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, der Epoche des Gilgamesh-Epos, Ausgrabungsstellen in Ur, wo Abraham begraben sein soll.

Reste von Mauern: Ursula Schulz-Dornburg (*1938), Tal der Gräber (aus der Serie: Verschwundene Landschaften, Palmyra, Syrien), 2010, Barytabzug, 30 x 31,8 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © Ursula Schulz-Dornburg

Ihr besonderes Interesse galt auch hier den Architekturen, auf die sie kurz vor dem Irak-Iran-Krieg einen letzten Blick warf, und bevor der Islamische Staat sie komplett zerstört hatte wie in Palmyra, in Syrien. Die Katastrophen, die Golfkriege, die Syrienkriege, das Gemetzel scheint über Euphrat und Tigris, über Syrien, über den Irak hinweggezogen zu sein. Was zurückbleibt, ist eine merkwürdige Stille, die über den meisten ihrer Fotos liegt.

Von Medina an die jordanische Grenze

Längs eines alten Pilgerwegs von Damaskus nach Medina aus dem 2. Jahrhundert wurde um 1900 im Osmanischen Reich mit technischer Hilfe des Deutschen Reiches eine „fortschrittliche“ Eisenbahnstrecke gebaut. Auch hier wirken die dazugehörigen Bahnstationen völlig fehl am Platze. Da lag wohl auch das Interesse der Fotografin darin, die Unvereinbarkeit so unterschiedlicher historischer Spuren zwischen technischer Bahntrasse, alter Pilgerroute, Weihrauchstraße und isalmischer Pilgerroute festzuhalten.

Ursula Schulz-Dornburg (*1938), aus der Serie: „Von Medina an die jordanische Grenze“, 2003, Barytabzug, 31,3 x 25,3 cm, Archiv der Künstlerin © Ursula Schulz-Dornburg

Ploschtschad Wosstanija – Platz des Aufstandes

Aus der Ausstellung fallen die ungerahmten Fotografien vom Platz des Aufstandes im doppelten Wortsinn aus dem Rahmen: Menschen in einem anderen Transit-Raum, nämlich auf der Rolltreppe. Da erleben sie, nach unten und nach obenkommend –  innerhalb der unendlichen Bewegung einen kurzen Moment des Stillstands. „Es ist nicht nur die Zone von hier nach da auf einem Alltagsweg, sondern die lange Zeit- und Lebensstrecke der gesellschaftlich-politischen Transformation nach dem Ende der Sowjetunion“, sagt Ursula Schulz-Dornburg  in einem klugen und kommentierenden Gespräch mit Julian Heynen, deren passende Passagen in der Ausstellung neben die jeweilige Serie gestellt sind.

Blick in die Ausstellung: Bilder vom „Platz des Aufstandes“, Foto: Petra Kammann

Auf Bilder einer demontierten Welt stieß sie sowohl in St. Petersburg, wo sie Dioramen von Polarexpeditionen vorfand von, nämlich „dort, wo kein Adler mehr fliegt“ wie auch in Kronstadt. Als sie eigentlich die havarierten Atom-U-Boote, die 2000 auf den Weg nach Murmansk waren, mit ihrer Kamera festhalten wollte, was natürlich nicht möglich war, fand sie stattdessen diese „schlafenden“ und raumgreifenden Metallmonster in der Leere der Landschaft vor, die sie wie Mahnmale eines zeitgenössischen Zivilsationsfriedhofs dokumentierte.

Ursula Schulz-Dornburg (*1938), Kronstadt (aus der Serie: Kronstadt), 2002, Heliografie, 70 x 45 cm, Archiv der Künstlerin © Ursula Schulz-Dornburg

Verunsicherung über den Realitätsgrad durch die Vergrößerung der Dioramen aus der Zeit des stalinistischen Terrors aus dem Arktis- und Antarktismuseums in St. Petersburg. Memoryscapes St. Petersburg nennt die Ursula Schulz-Dornburg die mit der Ixus aufgenommen und stark vergrößerten Abzüge, Ausstellungsansicht – Foto: Petra Kammann

Verstrahlte Landschaften schließlich bilden gewissermaßen auch den Endpunkt der Schau. Die letzte Serie der Fotografin entstand 2012 in Kasachstan, wo die Russen zwischen 1949 und 1990 mehr als 470 Atombomben zündeten. Dafür hatten sie eigens viele Gebäude errichtet, um deren Stabilität auszutesten. Diese Ruinen wirken wie surreale Gebilde einer Zeit, die noch nicht untergegangen ist. Chagan und Opytnoe Pole sind die Hinterlassenschaften der Sowjetunion in einer radioaktiv verseuchten Landschaft: Diese minimalistischen Gebäude entstanden vier Jahre nach Hiroshima, als die Sowjetunion ihre erste Atombombe zündete. Auf diese Weise sollte die Zerstörungsenergie von Atomwaffen getestet werden. Als 1991 die Russen abzogen, wurden die Einrichtungen in Chagan und Opytnoe Pole geplündert. Übrig blieben lediglich die Landmarks.

Ursula Schulz-Dornburg (*1938), Opytnoe Pole (aus der Serie: Opytnoe Pole), 2012, Barytabzug, 35 x 35 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main© Ursula Schulz-Dornburg die Ruinen von Opytnoe Pole wie eine Typologie von verschiedenen Seiten fotografiert.

Zur Vita der Fotografin Ursula Schulz-Dornberg

Die 1938 geborene Ursula Schulz-Dornburg, die zunächst Ethnologie und Zoologie in München studierte, wechselte schon bald ans Institut für Bildjournalismus und wurde dort vor allem mit politischen Inhalten konfrontiert, weswegen sie sich selbst gern als „Aktivistin“ bezeichnet, die von den 1968er Jahren beeinflusst wurde. Ihre fotografische Arbeit hat neben dem Ästhetischen, sowohl von ihrer ethnologischen Neugierde und dem archäologischen Blick her wie auch von Ihrer systematischen Art in Serien zu arbeiten, etwas Wissenschaftliches. Und da sie 1967 in New York lebend Künstler wie Dan Flavin, Michael Heizer, Lawrence Weiner und Walter De Maria begegnete, wurde sie sich von den Künstlern der Minimal Art geprägt. 1969 zog die Fotografin dann nach Düsseldorf.

Ihr Vater war Geologe und Architekt, ihr Onkel Fotograf, ihre Mutter Lisa Maskell (1914–1998), eine Enkelin des Fabrikanten Fritz Henkel, der 1876 in Aachen die Firma Henkel & Cie. gegründet hatte, hat die Gerda-Henkel-Stiftung 1976 ins Leben gerufen, die alle zwei Jahre einen hoch dotierten internationalen Wissenschaftspreis ausschreibt. Die Stiftungsnamensgeberin Gerda Henkel stammte aus der bekannten Düsseldorfer Künstlerfamilie Janssen, und auch ihre Tochter Lisa Maskell hatte als Schülerin des Bildhauers Ewald Mataré eine hohe Affinität zu den Kunst- und Kulturwissenschaften. Sie hatte ihre Stiftung der Förderung der Geisteswissenschaften, insbesondere den Historischen Wissenschaften Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte, den Historischen Islamwissenschaften und der Rechtsgeschichte gewidmet. Das alles mag Ursula Schulz-Dornburg unverkennbaren strukturellen und historischen Blick geschult und geschärft haben. Auch ihre Tochter Julia Schulz-Dornburg, folgt dieser Henkelschen Familientradition und setzt diese als heutige Vorsitzende des Kuratoriums der Gerda Henkel Stiftung seit 1999 fort.

Ursula Schulz-Dornburg Interesse gilt den sich überlagernden historischen politischen Spuren, welche durch den Stalinismus, den Golfkrieg oder auch andere und ältere historischen Prozesse in der Landschaft hinterlassen haben. Seit sechs Jahren fotografiert Ursula Schulz-Dornburg allerdings nicht mehr. Stattdessen betreut sie ihr großes Archiv zu Hause, womit sie in den nächsten Jahren gut ausgelastet sein wird.

Städeldirektor Philipp Demandt im Gespräch mit der Künstlerin Ursula Schulz-Dornburg

Städeldirektor Philipp Demandt freut sich, dass diese besondere Foto-Retrospektive im Städelmuseum zustande kam, denn „In der Städelschen Sammlung bildet Fotografie einen zentralen Fotschungs-und Sammelpunkt. Ursula Schulz-Dornberg ist ein exzellentes Beispiel für die Erweiterung der Gattungsgrenzen. Ihre Fotografien bewegen sich zwischen Dokumentation und Konzeptkunst. Ein Anliegen unserer, in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entstandenen Ausstellung ist es, ihr Werk in seiner Gesamtheit erfahrbar zu machen und in die Kunstgeschichte einzuordnen“. In den Räumen hat es auf jeden Fall die gebührende Würdigung nicht verfehlt.

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