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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

LIU XIAODONG im NRW-Forum und in der Kunsthalle Düsseldorf

 

„Langsame Heimkehr“: Malen für Menschlichkeit

Als Liu Xiaodong zum ersten Mal aus seiner Heimat China ins Ausland reisen durfte, erlitt er gleich zwei Kulturschocks auf einmal. Zum einen musste er mit der unfassbaren Stadt New York fertig werden. Zum zweiten – man schrieb das Jahr 1993 – wollte dort niemand mehr etwas von Malerei wissen. Concept Art und Minimal Art bewegten die Kunst-Gemüter. Doch Herr Liu blieb beim Malen, denn das war und ist die Ausdrucksform, mit der er sein Gefühl für Menschlichkeit am besten darstellen kann. Zum Glück für Düsseldorf, wo in diesen Monaten zwei Hotspots der Kunstszene seine meist großformatigen und tief beeindruckenden Ölgemälde ausstellen. Daneben sind Bildskizzen, Fotografien übermalte Fotografien und Tagebuchnotizen des chinesischen Ausnahmekünstlers zu sehen.

Liu Xiaodong, Out of Beichuan, 2010©Liu Xiaodong

Von Angelika Campbell

Liu Xiaodong ist in Asien längst ein Superstar und gehört zu der legendären Künstlergeneration, die friedlich auf dem Platz des Himmlischen Friedens demonstrierte, mit dem System aneckte und Jahre später weltweit Furore machte. „Langsame Heimkehr“, eine gemeinsame Ausstellung von Kunsthalle Düsseldorf und NRW-Forum Düsseldorf, widmet ihm nun seit dem 9. Juni bis zum 19. August 2018 die weltweit erste umfassende Retrospektive.

Die ungewöhnliche Doppelausstellung hat der Kunstkritiker Heinz-Norbert Jocks engagiert und sachverständig kuratiert. Zusammen mit ihm waren Gregor Jansen, Direktor der Kunsthalle, sowie Alain Bieber, Leiter des NRW-Forums, und ihre Teams für das Gelingen des spektakulären Kulturereignisses verantwortlich. Jansen: „Die Ausstellung ist eine Weltpremiere, Und eine Premiere ist es auch, dass ein Künstler in zwei Düsseldorfer Häusern gleichzeitig präsentiert wird. Ich denke, die beiden Ausstellungen greifen wunderbar ineinander!“ Liu Xiaodong selbst ist glücklich, dass er in der NRW-Landeshauptstadt ausstellen darf: „Diese Stadt hat einen großen Namen als Kunstmetropole, die Ausstellung ist wichtig und sehr klug gemacht!“

Eine Reise in vier Kapiteln

Kurator Heinz-Norbert Jocks und Liu Xiaodong in der Kunsthalle Düsseldorf, Foto: Angelika CampbellGezeigt werden Arbeiten aus den Jahren 1983 bis 2018. Die Kunsthalle Düsseldorf gibt einen Überblick über Lius Malerei,während das NRW-Forum den Fokus auf die fotografischen Werke legt. Dem Schaffen von Liu Xiaodong nähert sich „Langsame Heimkehr“ nicht nur durch die mediale Aufteilung an den beiden Ausstellungsorten, sondern auch durch eine thematische Aufteilung in vier Kapiteln. Den Ausgangspunkt bildet der Ort Jincheng (Liaoing-Provinz), in dem Liu Xiaodong 1963 geboren wurde und aufwuchs. Das zweite Kapitel behandelt seine Reisen innerhalb Chinas, das dritte das Unterwegssein außerhalb der Heimat und das letzte Kapitel die Heimkehr nach Peking.

Als Maler, der gegen den Absolutismus des kollektiven Denkens kämpft, engagiert sich Liu Xiaodiong für die Vielfalt der Kulturen und die Diversität der Subjektivität. In seinen Werken beschäftigt er sich mit den Bedingungen des Menschseins und thematisiert globale Themen wie Bevölkerungsverlagerung, Umweltkrisen und wirtschaftliche Umwälzung. Seit Jahren setzt er sich einfühlsam mit Minderheiten sowohl in als auch außerhalb Chinas und subtil-kritisch mit den rasanten Veränderungen der chinesischen Gesellschaft auseinander. Dabei ist arbeitet er häufig vor Ort, beispielsweise in Beichuan nach dem Erdbeben am 12. Mai 2008 oder 2015 im Flüchtlingscamp in Bodrum/Türkei. So wird er zum Historienmaler und Chronisten unserer Zeit.

Liu Xiaodong in der Kunsthalle Düsseldorf © Foto: Katja Illner

Auch im Film

Eigens für die Doppelausstellung in Düsseldorf realisierte Liu Xiaodong in Berlin das Projekt „Transgender/Gay“, für das er die Transgender Sasha Maria van Halbach und den schwulen chinesischen Künstler Isaac Chong porträtierte. Parallel zu den Gemälden, welche die unmittelbaren Eindrücke vor Ort verarbeiten, thematisiert ein nach dem Konzept des Künstlers realisierter Film die wechselseitige Beziehung zwischen dem Künstler und seinen Modellen.

Apropos Film: Liu Xiaodong machte auch als Schauspieler von sich reden: Er trat in dem im Ausland gefeierten schwarz-weißen Avantgardefilm „The Days“ (1993) des Regisseurs Wang Xiaoshuai auf. Außerhalb des staatlichen Filmsystems produziert, wurde der Film nach Erscheinen in China prompt auf die ,Schwarze Liste‘ gesetzt. Er erzählt die Geschichte des verheirateten Liebespaars Dong (gespielt von Liu Xiaodong) und Chun (gespielt von seiner Frau, der Künstlerin Yu Hong), die nach ihrem Studium am Beijing Art Institute erbärmlich von der Hoffnung lebte, sich eines Tages durch ihre Kunst finanzieren zu können.

Außenwelt, Innenwelt

Das Außergewöhnliche an der künstlerischen Praxis von Liu Xiaodong ist, dass er in der Regel nicht nach Fotos oder aus der Erinnerung malt, sondern wie Cézanne „vor dem Motiv“. Dazu passt es, dass er in seinen Anfangsjahren ein Werk von Cézanne kopierte. Liu geht es stets um die physische wie psychische Eigenkonfrontation mit der Außenwelt und deren Übersetzung in einzigartige Innenbilder parallel zur Wirklichkeit, die von seiner tiefen Empathie und Sensibilität zeugen. Mit größtmöglicher Offenheit begegnet er der Fremde und den Fremden. Aus dem Wunsch heraus die Welt um sich herum darstellen zu wollen, verlässt er sich lieber auf die eigene Wahrnehmung, das eigene Erleben und die eigene Selbsterfahrung als auf mediale Bilder. Das Ergebnis: Werke, die uns unmittelbar ansprechen, Geschichten erzählen und zum Schauen, Staunen und Nachdenken bringen.

Die Malmaschine

Und, ach ja:  Über sein malerisches Schaffen hinaus hat sich Liu Xiaodong letztendlich doch mit moderner Concept Art auseinandergesetzt. Im NRW-Forum präsentiert er die zusammen mit Wissenschaftlern entwickelte ,digitale Malmaschine‘. Diese überträgt im Ausstellungsraum Bilder, die mit einer auf dem Dach des NRW-Forum installierten Webcam eingefangen werden, in Realzeit auf Leinwand. Die Langsamkeit, mit der das digitale Bild sich in ein analoges verwandelt, lässt den irritierenden Eindruck entstehen, der Maler würde den Pinsel per Fernsteuerung über die Leinwand führen… Was die Kamera aufnimmt? Düsseldorfs Rheinpromenade mit der Oberkasseler Brücke im Hintergrund.

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Gut zu wissen

Die Ausstellung (bis 19. August 2018) ist eine Kooperation von Kunsthalle Düsseldorf und NRW-Forum Düsseldorf. Sie wurde in Zusammenarbeit mit Alain Bieber und Gregor Jansen von Heinz-Norbert Jocks kuratiert. Das Ausstellungsdesign stammt von Francesca Fornasari. Begleitend zur Ausstellung erscheint ein von Jianping He gestalteter Katalog, der ein Gespräch mit Liu Xiaodong und Texte von Gregor Jansen, Heinz-Norbert Jocks und Pi Li enthält.

 

Über Liu Xiaodong:

Liu Xiaodong, 1963 in der kleinen Industriestadt Jincheng geboren, zog mit 17 Jahren nach Peking, um Kunst an der Central Academy of Fine Arts (CAFA) zu studieren. 1988 erhielt er einen Bachelor of Fine Arts und 1975 den Titel „Meister“ im Bereich der Ölmalerei. Von 1998 bis 1999 setzte er sein Studium in Übersee an der Akademie der Bildenden Künste der Universität Complutense in Madrid fort. Danach wurde er Professor für Malerei am CAFA. Noch als Student am CAFA, der bedeutendsten Kunstakademie in ganz China, wirkte er als Schauspieler im Undergroundfilm „The Days“ des Filmemachers Wang Xiaoshuai. Der Streifen wurde von der BBC als einer der 100 bedeutendsten internationalen Filme des vergangenen Jahrhunderts gelobt.

Fasziniert von seiner Malerei, war es der berühmte amerikanische Maler Mark Tobey, der als erster in New York die Qualität der Arbeit von Liu Xiaodong erkannte und ihn bereits 1994 in seinem Studio ausstellte, um seine Entdeckung Künstlerfreunden und wichtigen Persönlichkeiten der amerikanischen Kunstszene zu präsentieren. In Europa war Liu Xiaodong u.a. in der Gruppenausstellung „Des artistes chinois à la Fondation Louis Vuitton“ (2016) zu sehen. Im Oktober ist er in der von Alexandra Munrow, Hou Hanru und Philip Tinari kuratierten Gruppenausstellung „Art and China after 1989: Theater of the World“ im New Yorker Guggenheim Museum mit wichtigen Gemälden vertreten.

 

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