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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Norma“  von Vincenzo Bellini in der Oper Frankfurt

Düster-trüb die Szene, psychologisch grandios die Interpretation – ein Sängerfest des Belcanto

von Renate Feyerbacher

Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Die Norma von Bellini: Damals gab es nur eine konzertante Aufführung in der Alten Oper. Nach  zehn Jahren nun, am 10. Juni 2018 eine Neuinszenierung von Christof Loy in der Oper Frankfurt: Buhrufe gab’s für die szenische Darbietung, einmütig dagegen wurde die sängerisch-musikalische Interpretation gefeiert.

vorne Stefano La Colla (Pollione) und Elza van den Heever (Norma) sowie im Hintergrund Ensemble, Foto: Barbara Aumüller

Regisseur Christof Loy hat sich schon als junger Mensch mit dem Libretto der Norma beschäftigt, das Werk aber jetzt zum ersten Mal inszeniert und das in relativ kurzer Zeit. Die Oper Frankfurt hatte die Übernahme der angekündigten Koproduktion mit der Norske Opera Oslo aus künstlerischen Gründen kurzfristig aufgekündigt. Loy, der auf feierliche Druiden-Riten, Tempelbrimborium verzichtet – die karge Szene könnte die Buhrufe provoziert haben – ist ein außergewöhnliches Psychodrama gelungen. Allerdings die triste Kostümierung (Ursula Renzenbrink) und das konstante holzgetäfelte Bühnenbild (Raimund Orfeo Voigt) will gar nicht gefallen. Nur die feinen Schattenspiele, die Olaf Winter mit dem Licht erzeugt, trösten. Besonders am Anfang präsentiert sich Norma, die verehrte Priesterin, die Anführerin der Widerstandskämpfer, zwar wortgewaltig, aber äußerlich herb kommt sie wie ein Mannweib daher. Schwarz in schwarz gekleidet. Noch etwas von ihrer Schönheit und Weiblichkeit hätte Norma anfangs ausstrahlen dürfen, mit der sie, damals noch jung, den Gouverneur der römischen Besatzungsmacht, den Feind, faszinierte. In späteren Szenen zeigt sie sich auch als liebende, leidende Frau. Adalgisa, jung, ihre nichtsahnende Konkurrentin, schreitet derweil in weißem Kleid über die Bühne.

v.l.n.r. Elza van den Heever (Norma) und Gaëlle Arquez (Adalgisa), Foto: Barbara Aumüller

Konflikt zwischen Liebe und Pflicht, zwischen Keuschheit und Sinnlichkeit

Während des Vorspiels öffnet sich kurz der Vorhang: ein Schlachtfeld mit Toten übersät.

Die keltischen Widerstandskämpfer verlangen von Norma, ihrer Anführerin, dass sie den Befehl zum Angriff gegen die Römer gibt. Sie jedoch lehnt ab, will Waffenruhe, Frieden. Niemand ahnt ihr schon lange währendes Verhältnis zu Pollione, dem Erzfeind. Nur ihre Freundin Clotilde (Alison King –Stipendiatin des Frankfurter Opernstudios) kennt das Geheimnis. Norma merkt, dass Polliones Liebe zu ihr erloschen ist und erfährt, dass er nach Rom zurückkehren wird. Adalgisa, vermutlich Normas Nachfolgerin im Amt, ist verwirrt und vertraut sich Norma an. Sie spricht von Liebe, durch die sie sich schuldig machte und den Kampf für die Freiheit verriet. Norma ist berührt von ihrem Geständnis, das sie an ihr eigenes Verhalten erinnert. Als Pollione unerwartet, um die Kinder zu sehen, Normas Wohnung betritt, wo die beiden Frauen miteinander sprachen – eine der ergreifendsten Szenen – erkennt Norma, dass Adalgisa die neue Frau an seiner Seite ist.

Wut, Verzweiflung, Eifersucht, Wahn, Gedanken an die Tötung der Kinder, an Suizid, an Rache, dann der opferbereite Entschluss und schließlich Besinnung auf etwas wie Tugend. Widersprüchliche Gefühle. Norma will Adalgisa die Kinder anvertrauen, damit sie, mit ihnen und Pollione das Land verlassen kann. Adalgisa will das nicht, sie will versuchen, Norma und Pollione zu versöhnen. Das misslingt. Norma zu Pollione: „Ich flehe dich an, nimm mit deinen Söhnen auch die Mutter mit.“ Er antwortet unberührt: „Damit würde ich zu viele Angriffe auf Rom herausfordern.“ (2. Akt, 4. Szene). Als Normas Vater (ausdrucksstark Robert Pomakov), Gründer der Partisanengruppe, mitteilt, dass ein neuer römischer Gouverneur kommt, ist Norma nun entschlossen, den Feind zu vernichten und bereit, Pollione zu töten, der im gallischen Lager entdeckt wurde, nachdem er sich an Adalgisa vergangen hat. Norma ist auch bereit, Adalgisa zu denunzieren. Dann wird sie plötzlich ruhig, ihre Wut legt sich, ihr Rachebegehren hört auf und sie bekennt sich schuldig. Die Musik wird ruhig. Nachdem der Vater bereit ist, sich um die Kinder zu kümmern, schreitet sie zum Scheiterhaufen.

„Am Ende blitzt so etwas auf: Dass Menschen die Möglichkeit haben, sich zu ändern.“ Der Scheiterhaufen – ein Selbstopfer? „Es bedeutet, sich mit einem Mal klar zu äußern, ohne Lüge.“ heißt es im Gespräch zwischen Christof Loy und dem Dramaturgen Konrad Kuhn im Programmheft.

Felice Romani (1788-1865), der an die hundert Libretti schrieb, verfasste den Text nach der Tragödie „Norma ou L’Infanticide“ (1831) von Alexandre Soumet, Bellinis Lieblingslibrettist.

Romani zeichnet in Norma sehr differenziert die beiden Kriegsgruppen. Nicht nur die Besatzer sind die Bösen, sondern auch die Okkupierten, die geradezu blutrünstig nach Rache schreien. Norma, Pollione, Adalgisa haben das Vaterland verraten.

Gesang als magisch-dramatische Kraft

Vincenzo Bellini (1801-1835), der bereits mit 34 Jahren verstorbene Opernkomponist und Repräsentant der romantischen, italienischen Oper und des Belcanto, hat die herausragende Fähigkeit, seelische Zustände in Töne umzusetzen. „Das Drama per musica muss einen zu Tränen, zum Schauder, zum Sterben bringen“, so Bellini 1834. Als Norma ihre schlafenden Kinder betrachtet, das Messer bereits in der Hand haltend, um sie zu töten, schwankt sie zwischen Mutterliebe und Hass, da sie Abbild ihres treulosen Vaters sind. Unweigerlich kommt es in Medeas Sinn, ihre Kinder zu töten. Bei Norma ist jedoch die Mutterliebe stärker. Eine musikalisch zu Herzen gehende Szene, die einige zu Tränen rührte, die dennoch nicht zu Kitsch gerät. Große Duette von zehn bis zwölf Minuten mit einmaligen Melodiebögen hat Bellini komponiert. Kollege Giuseppe Verdi, zwölf Jahre jünger, war 1898 begeistert von den langen Melodien „wie sie niemand zuvor geschrieben hat…“. Die Musik ist insgesamt ungewöhnlich ausdrucksstark.

Dirigent Antono Fogliani am Premierenabend Foto: Renate Feyerbacher

Der Italiener Antonio Fogliani, europaweit an den großen Opernhäusern aktiv, ist einer der führenden Dirigenten dieser Musik, der schon  Norma in Oslo dirigiert hat. Nun steht er, dem Belcanto und der romantischen Musik verpflichtet, am Pult der Oper Frankfurt und leitet das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Mal kräftig, mal einfühlsam ist die Tonlage. Sehr exakt und behutsam führt er die Sängerinnen und die Sänger. Überzeugend die musikalische Dynamik, die das Publikum honoriert.

Elza van den Heever bei Oper extra am 27.Mai 2018, Foto: Renate Feyerbacher

Die drei Protagonisten Elza van den Heever,  Gaëlle Arquez und Stefano La Colla haben es sich nicht nehmen lassen, zu Oper extra zu kommen. Ihre sängerischen Kostpoben ließen erahnen, welch emotionaler Siedepunkt erreicht werden würde.

Elza van den Heever, die schon Norma schon gesungen hat, betont, dass sie all ihre Kraftreservieren mobilisieren muss: „Ich bete immer, dass ich das schaffe.“ Und sie schafft es.

Die beiden sehr unterschiedlichen Frauen, die ältere Norma bestimmend, die junge Adalgisa, verunsichert, eine noch Suchende, sind die den Abend prägenden Figuren.

Elza van den Heever – was für eine Norma! Schon mehrfach hat sie, die einmal Ensemblemitglied war, in Frankfurt gesungen und immer wurde sie begeistert gefeiert. Ihre Norma ist ein Höhepunkt. Sowohl sängerisch, als auch darstellerisch ist sie eine emotional-extreme Titelheldin. Ihre Stimme anfangs noch verhalten, entfaltet im Lauf des Abends ihr enormes Können, Stimm-Artistik pur. Tiefe, höchste Höhe, eine unglaubliche Spannweite ihrer Stimme muss sie bewältigen. Ihre Wut- und Hassausbrüche sind markant und ihre mütterlichen, ihre der Liebe gedenkenden Augenblicke sind von überwältigender Zartheit, ein Pianissimo vom Feinsten.

Gaëlle Arquez, Foto: Renate Feyerbacher

Die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez ist der Oper Frankfurt ebenfalls schon lange verbunden. Ihre Rolle ist ruhig, emotional verhalten und verbindet sich ideal mit der oft konfrontativ reagierenden Norma. Die Duette der beiden Frauen sind zum ‚Dahinschmelzen‘. Ausdruck von Frauen-Solidarität.

Zwischen ihnen steht Pollione, gesungen von Stefano La Colla. Der international gefragte italienische Tenor geht anfangs die Partie zu expressiv an, findet sich dann aber leiser in die Rolle und gefällt. Ohne Zweifel ein klarer, starker Tenor, der mit Leichtigkeit die Höhen erreicht.

Stefano La Colla, Foto: Renate Feyerbacher

Norma, die Tragedia lirica von Vincenzo Bellini in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln, wird in dieser Spielzeit am 17., 20., 23. und 27. Juni aufgeführt. Danach beginnen die Theaterferien. Auf eine Wiederaufnahme von Norma muss dann ein Jahr gewartet werden.

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