home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kultur – nur noch Ausdruck museal empfundener Identität?

Eine Überlegung

von Gunnar Schanno

Wir beschrieben Kultur in Unterscheidung zur Zivilisation als eine Lebenswelt, in der die weichen Faktoren das Prägende sind. Wir erkennen Kultur als das Phänomenale, in der harte Wirklichkeit, Realität, Fakten, Konkreta überwölbt, imprägniert, durchdrungen sind von der Emotio, von Gefühl und Erleben, vom Individuellen und Subjektiven, von Ritualisierung in Sitten und Gebräuchen, vom Ausschmückenden, von künstlerischer Kreativität, vom Gestalten über das zivilisatorisch Notwendig-Funktionale hinaus. In der Summe all dessen erkennen wir in den sichtbaren und identitätsstiftenden Traditionen auch ein jeweiliges kulturelles Gesamtempfinden in einer geographisch, regional, ethnisch oder religiös verorteten Gemeinschaft. Wir sind aus gutem Grund, bezogen auf die deutsche Vergangenheit, höchst alarmiert, wenn solcherlei Kultur als Gesamtphänomen in Assoziation mit dem Begriff des Völkischen gerät.

Nacht der Museen in Frankfurt, Foto: Petra Kammann

In einer Bürgergesellschaft, sei es jene einer Stadtgesellschaft wie die Frankfurts mit ihrer Nationenvielfalt oder im Gesamtbild der Bundesrepublik, wird also im allgemeinen Verständnis frei und offen die Kultur vorrangig als ein aus ethnischen Wurzeln stammender Korpus von Traditionen wahrgenommen. Frankfurter Stadtfeste oder immerzu die eindrucksvolle multikulturelle Vielfalt eines Museumsuferfestes, wir hören auch vom Berliner Fest der Kulturen: Es sind Tage, die eine Ahnung vom alle vereinigenden Zustand im Paradiesischen, von einem Utopia aufkommen lässt, wo für Momente das aufscheint, was mit dem Kulturbegriff Menschheit gemeint ist.

Wir wissen aber eines: Unterschiedliche Kulturen haben nie zueinander gefunden, so die Macht des Faktischen sie nicht zueinander gezwungen hat! Sie haben sich immer gegeneinander abgegrenzt, sie haben ihre Identität immer bewahrt in gegenseitiger Distanzierung und Befremdung, wenn nicht gar Feindseligkeit. Wir hatten es von der Religion, zusammen mit der Kunst, als einer der beiden wesentlichen Ausprägungen der Kultur. Auf religiöse Vorstellungswelt bezogen hören wir etwa die Geschichten von Vertretern der alten Generation und dem Widerwillen über Heiraten zwischen katholischen und evangelischen Dorfgemeinschaften. Ethnologie und Kulturgeschichte sind Füllhorne solcher kulturell-gegnerschaftlichen Zwistigkeiten. Wie aber auch Prozesse kultureller Verwebungen sich vollziehen, diesem nachzuforschen wären sicher die meisten Frankfurter Museen veranschaulichende Erkundungsorte.

Heute erscheint uns die kulturelle Vielfalt in den Bürgergesellschaften so selbstverständlich, dass dennoch hilfreich sein kann, zu unterscheiden. Es sind die säkular, neutral, objektiven, es sind die aufklärerisch Erkenntnis schaffenden, also jene die Zivilisation bildenden Charakteristika, die auch den Kulturen die Plattform bieten, ihre Vielfalt in Frieden und Toleranz unter einem gemeinsamen gesellschaftlichen Dach leben und erleben zu können.

Den Kontext, in dem Kulturen heute ohne Anfechtung ihren Ausdruck finden können, bildet aber über den Rahmen der Zivilisation hinaus noch eine Steigerung: Freilich ist es heute die mit der Zivilisation untrennbar verbundene Globalisierung. Doch welche Konsequenzen haben Zivilisation und Globalisierung für die Kultur als identitätsbildendes Agens? Hier lassen sich nur Fragen stellen. Gibt es noch Lebensbereiche, in denen kulturelle Inhalte im bisherigen Verständnis sich erweitern? Ist das, was wir als „unsere Kultur“ verstehen, nur noch begrenzt auf kulturelles Erbe, auf überliefertes volkstümliches Brauchtum? Wir sagten, dass Kultur in ihren je eigenen Ausdrucksformen immer abgeschlossen sei.

Die Angklung-Gruppe Nusantara auf dem Museumsuferfest in Frankfurt auf der Bühne des Museums für Weltkulturen zusammen mit einem senegalesischen Trommler, Foto: Kamillo

Wie will man einen Volkstanz modisch verändern, ohne ihm das Authentische zu nehmen? Im Wiedererstehen der Frankfurter Altstadt lässt die Stadt das genuin kulturelle Erbe in ihr zum Ausdruck bringen. Das, was in Traditionen ihrer Herkunftswelt auch die junge Generation als Brauchtum pflegt und weitergibt in heimatlichen Jahresfesten, ist so gut wie unangetastet vom Zivilisatorischen. Denn kulturelles Erbe kann ja nicht weiterentwickelt werden. Auf multikulturellen Stadtfesten wird mit Stolz das Traditionale von Kunsthandwerk bis heimatlicher Küche präsentiert.

Kultur als solche kann nicht modifiziert, modernisiert, aktualisiert werden wie der immerzu sich erneuernde meist technisch generierte Gegenstandsbereich der Zivilisation. Kultur kann nicht übergehen in internationale, zivilisatorische bis globale Formen, geprägt von Lifestyles, Moden, technischen Ausstattungen, sich verähnelnden Geschmacksformen von Kiel bis Kapstadt. Sicher gibt es Hybridformen, die originale kulturelle Artefakte in neue, technisch produzierte Materialien gießt, alte Kultur also mit zeitnah Zivilisatorischem vermengt, eine Art Transkultur entstehen lässt. Doch immer noch wollen  Touristen unverfälschte Traditionen sehen, wollen originalen Tanz, keinen Disco-Dance, wollen alte, originale Handwerkskunst, kein internationales Design vorgeführt bekommen, wollen Originalplastiken, keine abstrahierende Nachbildungen, ob in afrikanischer oder alpenländischer Kulturregion.

Der Hühnermarkt in der „neuen Altstadt“, Foto: Petra Kammann

Es waren die begrenzten, separierten Räume, die Kulturen nach unserem Verständnis hervorgebracht haben in all ihren sich unterscheidenden Traditionen, Sitten, Bräuchen und ihrer künstlerischen Ausdruckswelt. Ist solcherlei Art besonders der ethnisch-geprägten Kultur zum Stillstand gekommen? Wie kann etwa das Regionale, Heimatliche im Künstler noch Gestalt finden inmitten auf ihn einströmender Globalität, in der er medial oder als Reisender in Nähe zu allen möglichen kulturellen Emanationen über alle Kontinente hin gerät. Was an Neuem im Raum des Künstlerischen geschaffen wird, geschieht nunmehr doch vor allem im transkulturellen Raum universal wirkender Einflüsse und Impressionen.

Kann es sein, dass neu entstehende Kultur sich allein noch im Individuum selbst personalisiert, im Subjektiven, im Individuellen? Dass in Kultur bzw. im künstlerischen Werk im besagten Sinne nicht mehr der künstlerische Repräsentant einer ethnischen, religiösen, geographischen Entität erscheint? Dass vielmehr die künstlerische Leistung allein auf den Künstler als Individuum bezogen wird, er allein das Zentrum ist, dass Ausdruck von Kultur und Kunst in seiner „internationalisierten“ Person vereinigt ist, welches Land, welche Region auch immer seine Herkunftswelt ist oder war.

Ausstellungsansicht von „William Kentridge. O Sentimental Machine“ in der Skulpturensammlung des Liebieghauses in Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Irgendwie drängt sich assoziativ die Multikulturalität in der Welt des Sports auf. Wenn der Sieg von Frankfurt Eintracht gefeiert wird, dann ist es die Leistung des Einzelnen, freilich im Team, die gefeiert wird. Der Einzelne, der aber nicht steht für eine Ethnie, eine Religion, genau besehen, nicht einmal für eine nationale Identität, sondern für eine Ad-hoc gebildete Gemeinschaft, temporär, funktional zusammengesetzt aus Einzelnen welcher Ethnie, Religion, Region auch immer, sodann in Zuordnung zu jeweiligem Vereins- und Stadtname. In unserem Fall Eintracht Frankfurt. Die Völkerverständigung findet also bereits innerhalb der Mannschaft statt. Der Einzelne kann, wann immer er in die Auswahl gerät, wechseln und seine Leistung global weitfern unter Beweis stellen und wieder Anlass zum Feiern eines Sieges in neuer Formation geben, kaum jemand wird ihn noch mit dem sportlichen Sieg in Frankfurt in Verbindung sehen. Gefeiert werden besonders teamoptimierte Effizienz und Leistung des Einzelspielers, doch kaum ethnische, regional-landsmännische Eigenheit.

Würdigen wir also analog dazu auch im Repräsentanten der Kultur, besonders im weiten Bereich der Kunst, allein noch die individuelle Leistung, wo doch der Künstler der bildenden oder darstellenden Kunst, die Intendanten, die Dramaturgen, die Museumsdirektoren, die Ensemble-Mitglieder in regen Umbesetzungen zwischen Ländern und Kontinenten stehen? Ist also Kultur im altverstandenen, traditionalen Sinne allein noch Ausdruck musealer Identität, die wir würdigen als überkommene ethnisch-regionale Eigenheit oder erleben in Traditionen für Augenblicke aus dem kulturellen Gedächtnis heraus? Ist also der Vertreter heutiger Kultur, wie er unter zivilisatorisch-globalisierten Verhältnissen seinen Ausdruck sucht und finden muss, näher am Renaissance-Menschen denn je? Wo doch in der sozusagen wissenschaftsaffinen Renaissance es zum ersten Mal der Mensch, damals der europäische Mensch war, und nunmehr der globale Mensch ist, herausgelöst aus Ethnie, Religion und Region, der als Individuum und Persönlichkeit zum Mittelpunk und Zentrum der säkularen wie auch der kulturellen Leistung und Weltgestaltung wurde.

 

Comments are closed.