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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ im Städel

Auf der Suche nach Wahrheit und Erkenntnis

Erstmals Hauptwerke der beiden figurativen Künstler in gemeinsamer Schau

Von Hans-Bernd Heier

Frank Auerbach und Lucian Freud zählen zu den bedeutendsten figurativen Künstlern der englischen Nachkriegskunst. Dank mäzenatischer Unterstützung konnte das  Städel Museum zwei Werke dieser Ausnahmekünstler erwerben. Hinzukommen einige als Schenkungen zugesagte hochkarätige Arbeiten, die den Sammlungsbestand ausgezeichnet ergänzen. Dies nimmt die Graphische Sammlung des Städel Museums zum Anlass, erstmals Hauptwerke der beiden Künstler in einer gemeinsamen Ausstellung zu präsentieren.

Lucian Freud „Head of Bruce Bernard“, 1985, Radierung, 295 × 300 mm,  Köln; Foto: Städel Museum; © The Lucian Freud Archive / Bridgeman Images

Städel Direktor Dr. Philipp Demandt freut sich, Leiter eines regen „Bürger-Museums“ zu sein, das von vielen Gönnern, Stiftungen und Leihgebern großzügig unterstützt wird. Wegen des beschränkten Ankaufsetats ist nur dank dieses mäzenatischen Engagements der Erwerb von „preissensitiven“ Kunstwerken möglich. Dazu zählen auch die Werke von Frank Auerbach und Lucian Freud.So konnte der Städelsche Museums-Verein e. V. dank der Unterstützung der Jürgen R. und Eva-Maria Mann Stiftung das gezeichnete Selbstbildnis („Self-Portrait“, 2017) von Auerbach erwerben sowie die Radierung „Pluto“ (1988) von Freud mit Mitteln der Heinz und Gisela Friederichs Stiftung. Hinzu kommen ausgewählte Druckgrafiken und Zeichnungen von Auerbach und Freud aus Kölner Privatbesitz, die dem Städel als Schenkung versprochen sind, sowie eine Druckplatte Auerbachs, die der Künstler und der Erbe des Druckers gestiftet haben.

Frank Auerbach „Self-Portrait“, 2017, Graphitzeichnung, 768 x 575 mm; Städel Museum; erworben 2017 mit Mitteln der Jürgen R. und Eva-Maria Mann Stiftung; Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; © Frank Auerbach, courtesy Marlborough Fine Art

Diese exzeptionellen Neuerwerbungen fügen sich hervorragend in den Sammlungsbestand ein. Dazu Demandt: „Das Städel Museum erwarb bereits 1994 mit Lucian Freuds „Large Head“ eine der ersten, wenn nicht sogar die erste Radierung des Künstlers für ein deutsches Museum überhaupt. Es ist ein großer Glücksfall, dass wir dieser Arbeit nun weitere neu in die Sammlung gekommene Werke von Auerbach und Freud an die Seite stellen können. Sie stärken diese herausragenden Positionen der figurativen Kunst des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts und steigern die beachtliche Qualität der Graphischen Sammlung“.

Noch heute sucht man Werke von Frank Auerbach und Lucian Freud in den großen deutschen Museen weitestgehend vergebens. Bis zum 12. August 2018 sind jetzt vierzig Zeichnungen und Druckgrafiken der beiden Künstler in der beeindruckenden Schau mit dem lapidaren Titel „Gesichter“ in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung zu bewundern. Die gezeigten Druckgrafiken umreißen exemplarisch ihr Schaffen ab den späten 1970er Jahren. Die versammelten überwiegend Schwarz-Weiß-Arbeiten – ergänzt durch nationale und  internationale Leihgaben – zeigen insbesondere Bildnisse, die laut Demandt zu den kompromisslosesten und innovativsten der zeitgenössischen Kunst gehören.

Lucian Freud „Pluto“, 1988, Radierung und Kaltnadel, vom Künstler mit Wasserfarbe getönt, 322 × 604 mm; Städel Museum; erworben 2018 mit Mitteln der Heinz und Gisela Friederichs Stiftung und des Städelschen Kunstinstituts; The Lucian Freud Archive / Bridgeman Images

Frank Auerbach (*1931) und Lucian Freud (1922–2011) waren über nahezu vier Jahrzehnte, bis zum Tod von Lucian Freud, eng befreundet. Sie verband – trotz unterschiedlicher Formsprache – nicht nur große Wertschätzung für die Kunst des anderen, sondern auch das Schicksal: Beide wurden in Berlin als Söhne jüdischer Familien geboren. Noch im Kindesalter mussten sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach England flüchten beziehungsweise emigrieren. Beide nahmen die britische Staatsbürgerschaft an. Begegnet waren sie einander vermutlich erstmals 1956, in Auerbachs erster Ausstellung in London – ein Kunsterlebnis, das bei Freud, dem Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud, großen Eindruck hinterließ. Sie porträtierten einander und arbeiteten auch bei ihren Radierungen meist mit denselben Druckern zusammen.

Die Freunde besaßen jeweils Werke des anderen und tauschten sich intensiv über ihr eigenes Schaffen und die westliche Kunst aus. „Von Beginn ihres Schaffens an ringen Auerbach und Freud um ein tieferes Verständnis der sichtbaren Welt. Es geht ihnen nicht um Abbildhaftigkeit, sondern um Wahrheit, und dabei kommen sie immer wieder zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, Erkenntnissen, müsste man korrekterweise eigentlich sagen. Die so unterschiedlichen Werke der beiden Künstler lohnt es also unter diesem Gesichtspunkt einmal gemeinsam zu sehen“, erläutert Kuratorin Regina Freyberger, Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750 am Städel Museum.

Frank Auerbach „Julia“, 1998, Radierung und Aquatinta von zwei Platten in Schwarz über Gold, 258 × 203 mm; Privatsammlung, Köln; Foto: Städel Museum © Frank Auerbach, courtesy Marlborough Fine Art

Über Jahre baute Freud eine der größten Privatsammlungen mit Werken Auerbachs auf. Nach seinem Tod wurde diese Sammlung dem britischen Staat gestiftet und auf verschiedene Museen verteilt. Zwei Zeichnungen daraus, heute im Fitzwilliam Museum in Cambridge, sind als Dokumente dieses engen künstlerischen Austausches nun erstmals in Deutschland zu sehen. Auerbach wiederum schenkte neun seiner Radierungen von Freud 2012 dem Courtauld Institute in London; eine weitere Radierung von 1982, die sich bis heute im Besitz Auerbachs befindet, wird ebenfalls in der Ausstellung gezeigt.

Trotz großer formaler und stilistischer Unterschiede entstanden ihre Arbeiten nach überraschend gleichen Strategien: Über Wochen, manchmal Jahre hinweg beobachteten und porträtierten Auerbach und Freud dieselben Menschen aus ihrer jeweils näheren Umgebung. „Dabei sind für sie Wiederholung und Beschränkung Mittel der Konzentration auf der Suche nach Erkenntnis: über das Gegenüber, über sich selbst und über die Welt. Gegenseitige Vertrautheit von Künstler und Modell ist dafür unentbehrlich“, sagt die Kuratorin. Deshalb wählten die Maler die Modelle stets aus einem sehr engen Personenkreis: So porträtierte Freud seine Mutter ab den 1970er Jahren in über eintausend Sitzungen. Auch seine Kinder saßen immer wieder Modell. Ähnlich verhält es sich bei Auerbach: Seine Frau, die Malerin Julia Wolstenholme, zeichnet er seit 1958 des Öfteren (Julia, 1981, 1998, 2001). Wiederholt proträtiert er zudem seinen Sohn Jake (1990, 2006) sowie verschiedene Künstlerkollegen und Freunde.

Lucian Freud „Girl Sitting“, 1987, Radierung, 530 × 705 mm; Marlborough Fine Art, London; Foto: Francis Ware und Luke Walker; Marlborough Fine Art © The Lucian Freud Archive / Bridgeman Images

Auerbach und Freud geht es laut Freyberger dabei nicht um bekannte Persönlichkeiten, sondern „um den Menschen in seiner physischen und psychischen Ganzheit, um seine Präsenz und seine Kreatürlichkeit. Deshalb zeigt Freud seine Modelle auch meist nackt und unverstellt. Gleichzeitig erklärt dies das Motiv des Schlafes oder des Einschlafens in Auerbachs und Freuds Schaffen: Denn je müder die Modelle werden, desto deutlicher kommt ihr wahres Gesicht zum Vorschein“.

Frank Auerbach „Lucian Freud“, 1981 (Blatt 4 der Folge Six Etchings of Heads), Radierung von 4 Platten, 150 × 135 mm (Platte); Privatsammlung Köln; Foto: Städel Museum; © Frank Auerbach, courtesy Marlborough Fine Art

Zu Beginn der eindrucksvollen „Gesichter“–Schau werden die Besucher von zwei Selbstbildnissen der Künstler empfangen, die deren unterschiedliche Formsprache und Handschrift dem Betrachter sofort verdeutlichen: eine Grafitzeichnung mit abstrahierenden, energisch bewegten, spontan gesetzten Strichen von Frank Auerbach („Self-Portrait“, 2017) und eine Radierung mit einer Vielzahl nahezu malerisch beschreibender Linien von Lucian Freud („Self-Portrait: Reflection“, 1996). Die Wiederholung einzelner Linien schafft so Plastizität. „Beiden Bildnissen ist eine ähnlich intensive psychische Aufladung eigen. Sie sind formal sowie in der kritischen und unsentimentalen Selbstreflexion typisch für das Œuvre beider Künstler“, erläutert Freyberger.

Die außergewöhnliche Präsentation „Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ ist bis zum 12. August 2018 in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung des Städel zu sehen; weitere Informationen unter: www.staedelmuseum.de

Abbildungen: Städel Museum Frankfurt am Main

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