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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Max Weinberg †

Von Erhard Metz

Zweieinhalb Stunden können im Leben viel bedeuten – wie viel, konnte ich am Mittwoch Nachmittag für mich selbst erfahren, im Frankfurter Hospital zum Heiligen Geist. Max (Moshe) Weinberg wollte ich besuchen, am Wochende wurde mir geschrieben, er freue sich sehr über Besuch an seinem „temporären“ Ort. Temporär, in der Tat: Als ich ins Krankenzimmer eintrat, wurde mir die wahre Bedeutung dieses Wortes bewußt. Max Weinberg war vor zweieinhalb Stunden entschlafen.

Das Fenster war geöffnet, er lag aufgebahrt in seinem frisch und sorgfältig gedeckten Bett, die Augen geschlossen, sein Gesicht kündete von dem Frieden, den er in einem reichen künstlerischen Leben gefunden hatte. Zweieinhalb Stunden kam ich zu spät. Zur Trauer das Gefühl von Schuld und Schmerz. Nein, tröstete Caspar Knieper, Max‘ künstlerischer Freund auch am Kranken- und Sterbebett, es ist immer richtig so, wie es kommt, und es ist alles rechtzeitig. Diesen übersinnlichen, vom Irdischen entrückten Frieden im Gesicht des Künstlers werde ich in Erinnerung behalten, und ich weiß, dass es ihm genau so und nicht anders recht gewesen wäre.

Noch am Sonntag, erzählt Caspar Knieper, hätte Max darum gebeten, ihm eine 9-Meter-Leinwand zu beschaffen. Er wollte stets noch Großes malen. Ich erinnere mich an Max‘ einstige Worte, einhundert Jahre wolle er schon werden, wenn „der da oben“ es auch wolle. Mein Blick geht aus dem geöffneten Fenster auf den großen Fontainenbrunnen des Rechneigrabenweihers. Auf meinem Rückweg entdecke ich in den aufsteigenden und sich verteilenden Wassern den Regenbogen. Er erinnert mich an den Bund des Alten Testaments (1. Mose 9). Ob Max ihn im sommerlichen Wetter dieser Tage von seinem Zimmer aus auch so hat sehen können?

Max Weinberg, im Januar 1928 in Kassel geboren, lernte ich 2007, kurz nach Eröffnung meines noch jungen Kulturblogs, kennen. Ich sagte damals, auch ich komme aus der Kunst- und documenta-Stadt Kassel, und eine verbindende Brücke zwischen uns war geschlagen. Er duzte mich, was ich als Ehre empfand, ich blieb beim respekterbietenden „Sie“. Der Blick in seine Augen nahm mich von Anfang an gefangen. Er hat in den meinen gelesen, dass da mehr als ein Funke übergesprungen war. Ich sah mir seine Arbeiten in Ruhe an, er erzählte aus seinem durch viele Schicksale geprägten Leben im Deutschland des Nationalsozialismus, in Israel und wieder zurück im jungen Nachkriegsdeutschland, in der Stadt Frankfurt am Main. Jede meiner späteren Begegnungen mit ihm geriet zu einem in die Zukunft ausstrahlenden Ereignis. Wie selten ein anderer verkörperte er Authentizität zwischen seinem Leben und seinem künstlerischen Werk. Zum materiellen Dasein benötigte er in seiner bescheidenen Lebensführung nicht viel. In den letzten Jahren lebte und schlief er in seinem städtisch geförderten Atelier im Künstlerhaus Ostparkstraße. Bei der Eröffnung seiner letzten Ausstellung – zu seinem 90. Geburtstag in der Frankfurter Oberfinanzdirektion – konnte ich leider nicht anwesend sein. Sie wird nun bis zum kommenden Donnerstag verlängert.

In der Frankfurter Kunst- und Kulturszene war Max Weinberg mit seinem prägnant geschminkten Antlitz, seiner wallenden weißen Bart- und Haarpracht, seiner kunterbunten Kleidung eine überaus markante, von manchen belächelte, von vielen verehrte Erscheinung.

Jetzt am Mittwoch, Max‘ Sterbetag, besuchte ihn auch Oberbürgermeister Peter Feldmann. An Nachrufen auf Leben und Werk des Künstlers wird es in diesen Tagen nicht mangeln – die Stadt Frankfurt am Main machte bereits alsbald den Anfang. Im Januar und Februar 2016 wurden seine Bilder im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gezeigt. Max‘ großer Wunsch nach einer Ausstellung im institutionellen Rahmen, vor allem etwa im Frankfurter Museum für Moderne Kunst MMK, blieb allerdings – dies sei allen heutigen „institutionellen“ Nachruf-Laudatoren ins Gewissen geschrieben – unerfüllt. Verdient gehabt hätte er es -– aber was gilt der sprichwörtliche „Prophet im eigenen Land“? Nun hilft es ihm auch nichts mehr, dass die Stadt Frankfurt ihn in diesem Jahr zur Auszeichnung mit der Goethe-Plakette vorgesehen hatte.

Ich kam am Mittwoch zweieinhalb Stunden zu spät – die Stadt, in der und keiner anderen er leben und arbeiten wollte, um einiges mehr.

SHALOM, MAX!

 

Fotos (Max Weinberg im September 2016 in seinem Atelier; Blick auf den Rechneigrabenweiher am Sterbetag; eine vom Autor erworbene Leinwand des Künstlers mit persönlicher Widmung vom 30. Juni 2008; Bodenornament im Foyer des Hospitals zum Heiligen Geist): Erhard Metz

→ Max Weinberg im Kunstverein Familie Montez
→ Atelier Max Weinberg – Spielraum der Phantasie
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→ Das Kunstwerk der Woche (6)
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