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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Aus einem Totenhaus“ von Leos Janácek an der Oper Frankfurt

Gewalt, Erniedrigung, Perspektivlosigkeit – Gulag allgegenwärtig

Text: Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Ein frohes Osterprogramm war die Oper „Aus dem Totenhaus“ von Leos Janácek, 1930 posthum in Brünn uraufgeführt, die in Frankfurt am 1. April Premiere hatte, nicht, wohl aber ein großartiges.

links: Peter Marsh (Sapkin; mit orangefarbenen T-Shirt) und Ensemble sowie rechts von oben nach unten Samuel Levine (Der ganz alte Sträfling), Gordon Bintner (Alexandr Petrovic Gorjancikov) und Karen Vuong (Aljeja)

Verfasser des Librettos ist der Komponist selbst. Die „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ (1862) von Fjodor M. Dostojewski (1821- 1881) haben ihn fasziniert. Ein ungewöhnlicher Stoff für eine Oper. Janácek, der Russisch sprach, hat Sätze der direkten Rede von Dostojewskis literarisch-autobiografisch geprägter Reportage geschickt zusammengefasst oder auch nur einzeln herausgebrochen sowie Episoden einzelner Gefangener entlehnt.

Der russische Schriftsteller Dostojewski, der in Wiesbaden, wo seine Spielleidenschaft begann und endete, in Bad Homburg und in Baden-Baden hoffte, durch Roulette-Glück seiner Schulden Herr zu werden, gehörte in jungen Jahren zu den sogenannten Frühsozialisten. 1849 wurde er zum Tode verurteilt, begnadigt und für Jahre nach Sibirien geschickt. Seine Aufzeichnungen sind daher authentisch.

Über der Partitur des Werks steht das Motto: „In jeder Kreatur ein Funke Gottes“. Die Opernfiguren sind für Janácek lebende Menschen und keine musikalischen Geschöpfe. Abgesehen von der Hosenrolle des jungen Aljeja, emphatisch gesungen und gespielt von Karen Vuong, abgesehen von der herumspazierenden Dirne und der jungen Frau, (Gal Fefferman), Symbol der Freiheit, die mit dem politischen Journalisten Alexandr Petrovic Gorjancikov (Dostojewski) verhaftet wird und geknebelt und gefesselt erscheint, sind nur Männer an der Oper beteiligt. Mal gut, vermerkt Regisseur David Hermann bei Oper extra und alle loben den engen Zusammenhalt des Ensembles. Der ist auch nötig bei den gewalttätigen und manchmal brutalen Szenen sowohl physischer wie  auch psychischer Art.

David Hermann am 18.März 2018 Oper extra; Foto: Renate Feyerbacher

David Hermann gesteht, dass er zunächst Angst vor der Übernahme der Inszenierung hatte. Der Bühnenentwurf von Johannes Schütz habe ihm zudem zunächst auch noch Probleme bereitet. Aber mit dem gebürtigen Frankfurter Schütz, einem Meister des Bühnenbilds, der mit allen bedeutenden Regisseuren weltweit gearbeitet hat, habe er dann die Inszenierung entwickelt.

Das Ergebnis ist überzeugend. Die Bühne ist leer; behutsam wird die große Drehbühne eingesetzt. Dunkle, offene Räume wie Zellen sind durch bewegliche Raumteiler mit Türen getrennt und vermitteln den Eindruck eines Totenhauses, in dem jede Hoffnung stirbt und ein Entkommen unmöglich ist. Joachim Klein verfremdete mit dem Licht.

 v.l.n.r. Chorist der Oper Frankfurt, Samuel Levine (Der ganz alte Sträfling), Karen Vuong (Aljeja), Gordon Bintner (Alexandr Petrovi c Gorjancikov; liegend) und Vincent Wolfsteiner (Filka Morozov)

Es gibt keine durchgehende Handlung, sondern jeder Strafgefangene erzählt seine je eigene Geschichte, schildert seine Tat oder seine Taten. Nur Alexandr Petrovic Gorjancikov, der Journalist, ist unschuldig, aber er wird vom Lagerkommandanten und den Mitgefangenen, die ihn sogar in einen gläsernen Käfig sperren, gequält. Am Ende kommt er frei.

Ihn macht der Regisseur David Hermann zum Hauptdarsteller, obwohl diese Partie, gesungen von Gordon Bintner, unbedeutend ist. Luka Kuzmic, der am Ende im dritten Akt als Schurke Filka Morozov entlarvt wird, hat einen Major ermordet. Vincent Wolfsteiner, singt ihn herrisch, dämonisch, bösartig, in weißem Kittel, als Arzt alle Foltermethoden anwendend.

Heftig, aufgewühlt, verzweifelt gibt AJ Glueckert die Figur des Skuratov, der seine große Liebe Luise erschoss. Als Landstreicher wurde Sapkin (Peter Marsh) verhaftet und gefoltert.

Johannes Martin Kränzle (Siskov)

Und dann kommt Siskov, der 18 Minuten lang seine Geschichte enthüllt. Ein Höhepunkt der Oper. Schon in seiner Kleidung (Kostüme Michaela Barth) unterscheidet sich dieser Strafgefangene von den andern. Wie ein Herr tritt er auf.

Martin Johannes Kränzle, das langjährige Ensemblemitglied, ist nach zwei Jahren wieder bei einer Opernproduktion in Frankfurt dabei. Seine außergewöhnliche Baritonstimme hat er in den Monaten seiner schweren Krankheit wie durch ein Wunder nicht verloren. Sie ist meines Erachtens noch prägnanter geworden. Lang, stockend, bewegt erzählt Šiškov über seine Frau Akulka, die er sehr liebte.

Einst war sie die Geliebte von Filka Morozov (Luka Kuzmic), den sie als verheiratete Frau immer noch liebte, daraufhin ermordete Siskov sie. Er hält die Tat für notwendig, verachtet sich jedoch dafür. Die beiden einstigen Rivalen, Siskov und Filka Morozov, treffen im Straflager aufeinander und erkennen sich. Auch die Darstellung von Johannes Martin Kränzle, die ihm immer viel bedeutet, ist wieder umwerfend. Er wurde stürmisch gefeiert.

Der aus Mähren stammende Janácek studierte in Leipzig und Wien, wo er aber nur kurz blieb. Er kehrte nach Brünn zurück und gründete eine Orgelschule. Janácek war sehr gebildet und unglaublich aktiv: als Chorleiter, Rezensent, Sammler von Volksliedgut und Komponist – ein Multitalent. Er wird als zerrissener Charakter geschildert, mal liebevoll, mal harsch und rücksichtslos. Nationalistisches Gedankengut prägte ihn. Über die Oper „Aus einem Totenhaus“ schrieb der in Wien geborene Komponisten-Kollege Ernst Krenek (1900 – 1991), dessen Eltern aus Böhmen stammten: „Die Musik, die die Erzählungen begleitet, scheint von größter Sparsamkeit und Simplizität, ist aber höchst kunstvoll und weise dotiert. Meist sind wenige, rein bewegungshafte kurze Motive, die sich wie ein Rosenkranz in unablässiger Wiederholung ineinander schlingen, aber stets instrumental und rhythmisch gewandelt.“ (Zitat aus dem Krenek-Beitrag im Programmheft). Die harten, musikalischen Kontraste fallen auf, aber auch die weichen, psychologisierenden Klangmotive.

Die Chorherren der Frankfurter Oper, fast 30 an der Zahl, einstudiert von Tilman Michael, haben keine großen Partien, müssen aber auf der Bühne ständig präsent sein. Für den italienischen Dirigenten Tito Ceccherini, der in Frankfurt erstmals eine Neuproduktion leitet, war es spannend, den Chor in die Monolog-Berge einzubauen. Engagiert führte er das stark besetzte Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das wie die Sänger und das Regieteam zu Recht gefeiert wurde.

Weitere Vorstellungen am 12., 15., 21., 27. danach Oper lieben und am 29. April 2018

Und hier der Kurzfilm von Thiemo Hehl zur Neuinszenierung von Leoš Janáceks Aus einem Totenhaus / Z mrtvého domu (Musikalische Leitung: Tito Ceccherini; Inszenierung: David Hermann) im Internetauftritt der Oper Frankfurt

http://www.oper-frankfurt.de/de/mediathek/?id_media=152

 

 

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