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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gerhard Richters Frühwerk in Wiesbaden

Irritationen und Scheinobjektivität – Schönheit als optische Täuschung

Von Petra Kammann

Gerhard Richter, Foto: Petra Kammann

In der Sammlung des Museums Wiesbaden befinden sich derzeit nicht nur sechs frühe Arbeiten Gerhard Richters aus den Jahren 1964 bis 1968. Das Museum Wiesbaden war 1966 auch eine der ersten Ausstellungsorte der Schlüsselfigur der Malerei des 20. Jahrhunderts: Gerhard Richter.

Seinerzeit war Richter gemeinsam mit Konrad Lueg, Sigmar Polke und Thomas Bayrle im Museum Wiesbaden zu Gast. Aus der Präsentation von damals ist das Gemälde „Vorhang IV“ (1965)  zu sehen, aber es gibt auch auch etliche andere seiner frühen Werke. In ihnen spiegelt sich die grundsätzliche Auseinandersetzung Richters mit dem Medium Malerei.

Der inzwischen 86-jährige so freundliche wie skeptisch dreinblickende  Maler Gerhard Richter ist in Wiesbaden abwesend und doch anwesend zugleich. Auch wenn er nicht zur Vernissage erschien, so zwingt er uns, mit ihm seine Seherfahrungen zu teilen und uns Fragen zu stellen: Wie nähern wir uns einem Raum? Was sehen wir? Können wir dem, was wir sehen, trauen?

Schon, wenn wir den oktagonalen Saal im Museum Wiesbaden betreten, werden wir als Besucher sogar ganz unmittelbar mit solchen und ähnlich irritierenden Fragen konfrontiert. Was bedeutet ein Durchblick in andere Räume, welche Funktion hat ein Vorhang, welche der dahinterliegende, sich verbergende Raum? Dann das Spiegelbild an der gegenüberliegenden Wand. Was hat es uns zu sagen? Spiegelt es die Wirklichkeit, die wir wahrnehmen?

„Nur Malerei“ – Vorhang und Vorhang im Spiegel eröffnen eine Sichtweise vom Verbergen und Enthüllen, vom Widerspiegeln und Verzerren, von Bild und Wirklichkeit. Foto: Petra Kammann

Noch leer – der Richter-Raum vor der Pressekonferenz im Museum Wiesbaden wirkte perfekt inszeniert, Foto: Petra Kammann

Gerhard Richter, 1932  in Dresden geboren, schnupperte 1959 anlässlich der documenta II in Kassel erstmals westliche Luft; 1961 floh er über West-Berlin in die BRD. Bald schon dockte er an der Düsseldorfer Kunstakaemie an, er fand dort Anschluss an die „internationale Moderne“, traf auf die Konzeptkünstler der 60er Jahre und setzte sich systematisch mit den Mitteln einer zeitgemäßen Malerei auseinander. 1971 notiert er:  „Die Türen, Vorhänge, Oberflächenbilder, Scheiben usw. sind vielleicht Gleichnisse einer Verzweiflung über das Dilemma, dass zwar unser Sehen uns die Dinge erkennen lässt, dass es aber gleichzeitig die Erkenntnis der Wirklichkeit begrenzt und partiell unmöglich macht.“

Anders als Maler aus der Epoche der Renaissance, die wie Vermeer, van Eyck oder Rembrandt perspektivisch den Raum öffneten und ausloteten, erhebt Richter das Motiv des Vorhangs, des Fensters, des Spiegels zum Gegenstand seiner Malerei, ohne den Blick in eine andere Wirklichkeit zu zeigen. Richters scheinbare Durchblicke führen ins reine Nichts. Sie bestimmen lediglich die geometrische Komposition eines Bildes, die Spuren und Muster auf der Bildfläche hinterlassen haben. Diese Struktur wird umso sichtbarer, je mehr Richter dabei die Farbe auf die differenzierte und kühle Palette der Abstufungen zwischen schwarz und weiß reduziert.

Als 1961 an der Düsseldorfer Kunstakademie der ehemalige Akademieschüler Joseph Beuys Professor wird, stellen sich in seiner Klasse auch Gerhard Richter und Sigmar Polke vor; zu Beuys‘ damaligen Studenten zählen Blinky Palermo, Jörg Immendorff, Imi Knoebel, Anatol, Katharina Sieverding, Klaus Rinke und Gotthard Graubner. Und sie  tauchen dort auf, wo die Avantgarde ihren kongenialen Aufenthaltsort in der Altstadt fand: in Hans-Joachim und Bim Reinerts legendärem Szene- und Tanztreffpunkt „Creamcheese“, einem unter anderem von Gerhard Richter, Heinz Mack, Konrad Lueg und Adolf Luther ausgestatteten Keller an der Neubrückstraße, wo zehn Jahre lang Ausstellungen, Performances und Theater- und Fluxusaufführungen der Avantgarde stattfanden und das in unmittelbarer Nähe der legendären Galerie Schmela, gleich neben dem Satiretheater Kom(m)ödchen von Kay und Lore Lorentz.

Konrad Lueg wurde unter dem Namen Konrad Fischer ein international bekannter Galerist. Ungewöhnlich viele der einst „jungen Wilden“ wie Uecker, Richter, Nam June Paik, Immendorff, Graubner, Klaus Rinke oder Konrad Klapheck wurden ab den 80er Jahren dann selbst Professoren an ihrer früheren Ausbildungsstätte. Die Auseinandersetzung mit den innovativen Kollegen mag auch Richters künstlerische Entwicklung, die zunächst beim Foto ansetzt, befruchtet haben.

Ab 1962 jedenfalls wird für Richter das Foto in seinem Aufbau das perfekteste Bild, allen voran das Reportage-Foto aus Zeitschriften, das  die Grundlage seiner Komposition bildet, das er dann jedoch übermalt oder verschleiert, um der Malerei einen neuen „Anstrich“ zu geben.

Unschärfe wird für ihn zum Moment größerer Wahrheit, so, wenn er etwa Landschaften wiedergibt, die man in Wiesbaden wegen der großzügigen Hängung besonders gut miteinander in Beziehung setzen kann.

Im Museum Wiesbaden in einem Raum versammelt: Seestück (bewölkt) von 1969 bpk /Staatsgalerie Stuttgart, das Porträt Dieter Kreuz von 1971, Kunsthaus NRW, Kornelimünster, und die Mondlandschaft II von 1968 aus dem Kunstmuseum Bonn ©Gerhard Richter 2018, Foto: Petra Kammann

In einem anderen Raum erleben wir in unterschiedlichen Formaten seine Auseinandersetzung in den späten 1960er Jahren mit verschiedenen Mal- und Farbschichten, Überlagerungen und Schlierenbildern, bis ihm durch sein Experimentieren mit Farbtafeln bewusst wird, dass am Ende jede Farbe zu jeder Farbe passt und es keine schlüssig sinnvolle Ordnung gibt. Letztlich gibt der Zufall den Ausschlag, so sein Credo.

Vielleicht zeigen die offenen und menschenleeren Landschaftsbilder die schwelende Sehnsucht des Romantikers Richter. 1973 äußert er sich so zum Thema der Unschärfe: „Ich habe in einem unscharfen Bild noch nie etwas vermisst. Im Gegenteil, man sieht viel mehr darin als in einem scharfen Bild. Eine mit Genauigkeit gemalte Landschaft zwingt uns, eine bestimmte Anzahl deutlich unterscheidbarer Bäume zu sehen, während man in einer unscharfen Landschaft eine beliebige Anzahl von Bäumen erkennen kann. Das Bild ist offener.

Das Spannungsfeld von Gegenständlichkeit und Abstraktion bestimmt darüber hinaus sowohl den „politisch-wachsamen“ Richter als auch den Porträtisten Richter, der es auch in diesem Themenumfeld vorzieht, die Dinge im Ungefähren zu belassen. Hätte er Agit-Prop-Kunst machen wollen, wäre er vermutlich auch besser in der DDR aufgehoben gewesen.

Als er Fotografien und Zeitungsausschnitte als Vorlagen für seine Ölgemälde benutzte, sind ihm während des Malens und beim Abgleich der Farbwerte immer wieder Ölfarben auf die Fotos getropft. Die dabei entstandenen Farbeffekte und die Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Medien Fotografie und Malerei haben den Maler dazu angeregt, mit dieser außergewöhnlichen Kombination intensiv zu experimentieren.

Gerhard Richter, Königin Elisabeth, 1967, Museum Wiesbaden©Gerhard Richter 2018 

Im Porträt-Raum der Wiesbadener Schau befindet sich die „Mona Lisa“ des Museums, wie Museumsleiter Christian Klar das farbig-strahlende fast popartige Bild von Königin Elisabeth aus dem Jahre 1967 nicht ohne Stolz charakterisiert. Das Museum hatte es schon früh angekauft wie auch das berühmte Bild „Terese Andeszka“ von 1964, das ebenfalls zu den Schätzen des Wiesbadener Museums zählt.

Auf den ersten Blick wirkt bei dieser familiären Badeszene alles ganz harmlos und scheinbar idyllisch. Wir können nur vermuten, dass sich die  auf dem Bild angedeutete „Dreierfamilie“ Vater Mutter Kind in den Westen retten konnte. Die Kommentierung „Terese Andeszka und ihr Mann Franz waren Flüchtlinge“ ist auf dem Gemälde abgeschnitten. Ein Zufall, zeigt vielleicht doch die Wahl des Motivs eine Nähe zu Richters eigenem Schicksal.

Gerhard Richter, Terese Andeszka, 1964 Museum Wiesbaden©Gerhard Richter 2018 

Auch andere Fotografien oder Schnappschüsse, die den Bildern zugrunde liegen, verweisen noch auf die Fakten als Auslöser wie zum Beispiel die „Bomber“ aus den Jahren 1963 und 1964, die an den auch bei uns präsenten Vietnamkrieg erinnern. Doch  mahnen die Bilder an die Wirklichkeit eines Krieges oder an den damit verbundenen Appell an die Moral?

Was als Resultat bleibt, sind Grauabstufungen, Flecken und Flächen, die Spuren von Richters Pinsel auf der Leinwand. So verwischt und in Auflösung begriffen lassen sie lediglich unscharfe Assoziationen zu, und sie erinnern den Betrachter daran, dass ein Bild, ein Bild, ein Bild ist und dass es ausschließlich seinen gestalterischen Gesetzen folgt.

Richter bestätigte später, dass es ihm bei der Auswahl der verschiedensten Vorlagen in erster Linie um die ausschnitthafte Alltäglichkeit der jeweiligen Fotos ging: „Auch hier war es nur das Bild, auf das ich flog, und nicht die Geschichte.“ Für ihn bekommt das Bild so etwas wunderbar Beiläufiges. Richters Technik der Übertragung von Illustriertenphotos auf das große Format der Leinwand lässt sich dabei  jeweils beispielhaft studieren.

Für seine Arbeiten nach Fotos aus den entsprechenden Popularmedien isolierte Richter Motive aus den Bildstrecken der Magazine wie Stern oder Quick und brachte sie danach ins große Format des Gemäldes. Aus den Magazinfotos schuf Richter so seine Ikonen einer Epoche, der Nachkriegsgeschichte mit den glamourösen Wirtschaftswunderverlockungen, aber er verlangt dem Zeitspezifischen auch eine Erinnerungsdimension ab, wenn die Anspielungen auf die verdrängte und unterdrückte Geschichte des Nationalsozialimus zielten.

Bisweilen ließ er die Quadrierung, die er zur Vergrößerung der Darstellung auf das großformatige Gemälde benötigte, stehen. Außerdem ließ er die Seitenstreifen unbemalt wie im Porträt von Arnold Bode, dem Maler, Raumkünstler und Begründer der documenta–Weltausstellung der zeitgenössischen Kunst in Kassel aus dem Jahre 1964, wodurch er betont, dass es sich nicht um die Wiedergabe von Realität handelt, sondern um die Reproduktion einer Abbildung.

Seine Gemälde der sechziger Jahre bleiben so auf eine seltsame Weise beunruhigend. Sie zeigen zwar den Moment eines Geschehens, das aber in sich rätselhaft bleibt. Das macht seine Malerei so faszinierend, vielleicht auch deshalb vielleicht auch so begehrt und kostbar.

Einmal im Monat sind im Museum Wiesbaden alle Ausstellungen bei freiem Eintritt zu besuchen. Am Samstag den 7. April 2018 ist es wieder soweit. Dann lädt das Museum Wiesbaden zum eintrittsfreien Samstag ein. Das Thema des kommenden Samstags ist die aktuelle Sonderausstellung „Gerhard Richter – Frühe Bilder“ (16. März bis 17. Juni 2018) Ansonsten ist die Schau geöffnet: Dienstag und Donnerstag von 10 bis 20, Mittwoch und Freitag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

Der Katalog

„Gerhard Richter. Frühe Bilder“, der Katalog, herausgegeben von Christoph Schreier, Kunstmuseum Bonn, mit Beiträgen von Stephan Berg, Martin Germann sowie Christoph Schreier, bettet die frühen Werke Richters auch in den Kontext des Gesamtwerks von Gerhard Richter ein.

Außerdem berücksichtigt er die Variation der jeweiligen Ausstellung an den drei kooperierenden Orten Bonn, Gent und Wiesbaden. Er ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet Euro 24,90 (Sonderpreis im Museumsshop).

 

Die Biografie

In den vergangenen 55 Jahren ist ein Werk des Malers Gerhard Richter entstanden, das seine herausragende aktuelle Position aus dem Dialog der Malerei mit dem mechanischen Medium der Fotografie gewonnen hat. Die für sein Œuvre charakteristische stilistische Vielfalt Richters erweist sich dabei als der Versuch, sich ein Bild von dieser Welt zu machen. Mithilfe der Biografie des Künstlers Gerhard Richter, Maler eröffnet Dietmar Elger eine neue Sicht auf dessen Werk: mit überraschenden Interpretationen vieler bekannter Bilder. Das Standardwerk enthält u.a. ein neues Kapitel über die letzten 10 Jahre. Die in der dritten Auflage überarbeitete sehr kenntnisreiche Biografie  erscheint im Verlag Dumont und kostet 36 Euro.

Das Museum Wiesbaden ist die dritte Station der Präsentation, die schon im Kunstmuseum Bonn und im Stedeldijk Museum vor Actuele Kunst Gent zu sehen war.

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