home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Elisabeth Norgall-Preis des International Women’s Club (IWC) für Barbara Stäcker, Gründerin des Vereins „Nana- Recover your Smile e.V.“ Wege aus der Angst – Annehmen und Loslassen

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

„Ich bin hier als Stellvertreterin für Nana, die Tochter, und das ehrenamtlich-arbeitende Team. Wir sind ein großes ‚Herzensteam‘ “, so Barbara Stäcker bei der Preisverleihung am 14.März 2018, als sie für den Verein „Nana –Recover your smile e.V.“ 6.000 Euro entgegen nehmen konnte.

Barbara Stäcker

Ich erlebe Barbara Stäcker bereits im kleinen Kreis der Presseleute, immer wieder lachend, dann sehr ernst und besinnlich, bescheiden. „ Nana fehlt mir, es ist schmerzlich, aber sehen, was schön ist, das habe ich gelernt.“ Es gab Augenblicke für sie und ihren Mann Axel, da fürchteten sie, an ihrem Schmerz zu zerbrechen. Barbara Stäcker sieht es jedoch als Verpflichtung an, nicht im Kummer zu versinken. Der Elisabeth Norgall-Preis gebührt auch ihr persönlich.

Wie sie ihre Tochter Nana in den Monaten ihres Leidens und Sterbens begleitet und ihre Idee für das Projekt „Nana – Recover your smile e.V“ aufgebaut hat, das zeigt Größe. Sie erzählt von Nana und ihrem 15 monatigem Leiden, von der Chemotherapie, die Haare, Wimpern und Augenbrauen vernichtete. Auch Béatrice Portoff, derzeitige Präsidentin des IWC, kennt diesen Zustand aus eigener Erfahrung und spricht über sich. Beim Blick in den Spiegel habe sie sich immer ermutigen müssen.

v.l.n.r.: Béatrice Portoff, Barbara Stäcker, Cornelia Klaus

Was für ein Mensch war Nana?

Wie die Mutter berichtet, hatten die Eltern ihrer 1990 in München geborenen Tochter den Vornamen Mariana gegeben. Diese änderte ihn in Nana ab. 2009 macht sie Abitur und will zunächst etwas entspannen, hat auch bereits den Studienplatz für das Lehramt in der Tasche.

Gerne verbringt sie die Zeit in ihrem Zimmer unter dem Dach des Einfamilienhauses. Das Hochbett hat Vater Axel gebaut. Sie hat es plüschig in den Farben Schwarz, Rot und Pink eingerichtet. Die Damen des IWC haben im Blumenschmuck an diese Farben erinnert. Nana spielt Gitarre, liebt kleine Ausflüge mit ihrer Mutter. „Biete Hausputz gegen Ausflug“ ist ihr Motto, um der berufstätigen Mutter einen freien Tag zu bescheren.

Ein Foto aus dem November 2009 zeigt eine schöne, strahlende, lachende junge Frau, außergewöhnlich gekleidet, mit langem, schwarzem Haar – beeinflusst vom Gothic-Style. Sie wirkt ruhig und doch voller Energie. Mit Chris, ihrem Freund, will sie Kinder haben. Gleich am Anfang, als sie ihn kennenlernt, macht sie ihm klar: „Mich gibt es nur als zukünftige Mutter.“

Und dann einige Monate später treten Blässe, Appetitlosigkeit, ein geschwollenes Gelenk, Erschöpfung, Kraftlosigkeit und zunehmende Rückenschmerzen auf, die Nana zur Abklärung in die Neurochirurgie des Klinikums Großhadern in München zwingen. Dieser Krankenhaus-Koloss, eine der ersten Adressen medizinischer Aufklärung und Behandlung in Deutschland, ist für jeden, der dorthin bestellt wird, angsterregend.

Dann die Diagnose: Ewing Sarkom, ein bösartiger, seltener Krebs, der vom Knochen, manchmal auch vom Weichgewebe ausgeht. Vor allem junge Menschen erkranken daran. Oft ist die Metastasenbildung schon bei der Diagnose fortgeschritten. Der Medizinapparat lässt Mutter und Tochter im Klinikzimmer allein.

„Wie soll ich das Nana beibringen?“ Diese Frage quält Barbara Stäcker. Ein Alptraum für jede Mutter. Sie sagt der Tochter, wie es um sie steht. Was für ein Wendepunkt im Leben dieser zwanzigjährigen Frau. Unvorstellbar, was in ihr vorging, als sie diese schreckliche Wahrheit hören musste. Durch die Chemotherapie verliert Nana ihre wunderschönen Haare, Augenbrauen und Wimpern.

Nana ist sterbenskrank und dennoch lebensmutig. Als sie nach einer Chemotherapie, in den Nachtstunden allein auf sich gestellt, äußerst heftige Nebenwirkungen hat, schreibt sie der Mutter eine SMS: „Was, wenn mein Körper mich wieder im Stich lässt und ganz kaputt geht? Ich mag doch nicht so früh sterben!“ Am nächsten Tag entschuldigt sie sich bei der Mutter, dass sie so negativ war und sie zum Weinen gebracht und ihr Angst gemacht habe. „Ich versuche, wieder besser drauf zu sein und mehr Mut zu haben.“ Was für Sätze!

30 Bestrahlungen hat Nana ertragen müssen, bevor sie im Januar 2012 zu Hause, umgeben von den Eltern, von der Oma, von Bruder und Freund, stirbt.

Nana Stäcker

Barbara Stäcker, die zunächst Innenarchitektur und Bildhauerei studierte, erlernt den Beruf der medizinischen Fachangestellten und arbeitet seit 25 Jahren in einer hausärztlich-internistischen Praxis in München, als die Diagnose bekannt wird. Sie managt die Gesamt-organisation, aber auch den Kontakt mit den Patienten. Sie nimmt Blut ab, legt Infusionen und ist im Labor tätig. Sofort lässt sie sich nach der Diagnose freistellen, um ganz für Nana da zu sein. Ihr kompetentes Fachwissen wird der Tochter in vielen Situationen des noch verbleibenden Lebens große Freiheiten ermöglichen.

Perücken seien ein Riesenthema für die Tochter gewesen, sagt Barbara Stäcker. Meist habe sie jedoch eine Wollmütze oder ein Tuch um den Kopf gebunden. In den ersten Wochen in der Klinik, als sich Angst und Hoffnung abwechselten, dachte Nana nicht daran, sich schön zu machen oder sich fotografieren zu lassen.

Weihnachten 2010 hat sie sich geschminkt, und sie lässt sich von der Mutter mit Perücke fotografieren. Nana hat die Schönheit mitten in ihrer lebensbedrohlichen Krankheit wiederentdeckt. So eine profane Äußerlichkeit in einer solchen Situation, mag sich mancher fragen. Wenige Monate später fotografiert Barbara Stäcker ihre Tochter mit Glatze. Was tut Nana? Sie setzt das Foto nach zweitägiger Überlegung auf ihre Facebookseite (Nana Sixx (RS): https://www.facebook.com/SixxNana/ Was für ein Mut! Dies ist wie eine Signalwirkung für andere Frauen.

Schließlich schreibt sie, motiviert von einer Mitarbeiterin des Vereins ‚Lebensmut e.V‘, der seit 1999 krebskranke Menschen psycho-onkologisch begleitet, eine Mail an Sandra Kader, die in München eine Make-up Schule leitet. Diese hatte bis dahin vergeblich versucht, Kontakt mit Krebspatientinnen zu bekommen. „Schminken? Glauben Sie wirklich, die Frauen hätten jetzt keine anderen Sorgen?“, bekam sie von einem Arzt zu hören.

Sandra Kader ist von Nanas Idee begeistert. Das Projekt „Recover your smile“ kann beginnen. Die Idee: Chemopatientinnen sollen mit Hilfe der Make-up-Schule in kleinen Gruppen und natürlich in geschütztem Rahmen mit den Möglichkeiten des Schminkens vertraut gemacht werden und wenn sie wollen, sich mit Perücken, und in besonderen Outfits fotografieren lassen. Nana selbst konnte ihr Projekt nicht mehr verwirklichen. Ihre Mutter tat es dann.

Im Mai 2012 gründet sie, unterstützt vom Ehemann, von Sandra Kader, dem Fotografen Frank Jagow und anderen, den gemeinnützigen Verein „Nana –Recover your smile e.V.“, der sich einen Monat später in der Öffentlichkeit präsentiert. Sowohl Dorothea Seitz, Cross Media Autorin, Schwägerin der Fachärztin für Innere Medizin als auch Silke Seitz gehören zum Gründungsteam. Dorothea Seitz hat mit Nana noch kurz vor ihrem Tod ein Gespräch geführt.

Zusammen mit Barbara Stäcker hat sie das Buch „Nana…der Tod trägt Pink – Der selbstbestimmte Umgang einer jungen Frau mit dem Sterben“ geschrieben (Irisiana Verlag 2013). Sie hat Barbara Stäcker zur Preisverleihung nach Frankfurt begleitet.

Barbara Stäcker  und Dorothea Seitz

Schönheit in der Krankheit entdeckenoder „Der Krebs mag Schönheitsattribute rauben, aber niemals die Persönlichkeit.“ Oder „Abschalten, in eine andere Rolle schlüpfen, sich neu entdecken.“ So und ähnlich lauten die Sätze aus dem Flyer des Vereins.

Mittlerweile haben hunderte Frauen und auch Männer jeden Alters – bislang insgesamt 750 – die kostenlosen Workshops, die fast immer am Sonntagnachmittag etwa fünf Stunden lang dauern, wahrgenommen. Sie kommen von überall her. Es gibt eine Kennenlern-Runde, im Fundus werden Perücken und Kleider fürs Fotoshooting ausgesucht und die Art des Make-up besprochen. In einem großen Fotostudio in München, das mit Couch, Bett und Küche eingerichtet ist, findet das Geschehen dann statt. In Ausnahmefällen wird schon mal ein Hausbesuch gemacht oder das Team ist mobil unterwegs. Viele Ehrenamtliche sind daran beteiligt – nur Profis schminken und fotografieren.

Alle von der Krankheit Gezeichneten sehen nach dem Schminken gut aus. Die Frauen erfahren Glücksmomente, das bewusste Wahrnehmen eines Augenblicks und schönen Moments, welche sie für den Alltag mitnehmen. Die späteren Kontakte, die „Nana – Recover your smile e.V.“ mit den Frauen pflegt, zeigen, dass sie das dauerhaft tun.

Was sagte der Professor: „Glauben Sie nicht, dass Frauen andere Sorgen in dieser Zeit haben?“ Natürlich haben sie vor allem andere Sorgen! Es gibt Wissenschaftler, die zusammen mit „Nana – Recover your smile e.V.“ sich jedoch die Frage stellen: „Kann die Wiederentdeckung der eigenen Schönheit in einer schweren Erkrankung nicht auch einen positiven Effekt auf den weiteren Verlauf haben?“

Unter der Leitung von Psychologie-Doktorandin Anna Richard beteiligen sich an einer entsprechenden gemeinsamen Studie: die Universität Salzburg / Fachbereich Psychologie mit Professor Dr. Frank Wilhelm und Professorin Dr. Nadia Harbeck von der Ludwig Maximilian Universität München / Brustzentrum .

Die Doktorandin hat zahlreiche Parameter abgefragt, um herauszufinden, ob die Make-up-Kurse und das Fotoshooting, einen Einfluss auf das Selbstbildnis der Patientinnen haben kann, denn viele der Frauen fühlen sich durch das veränderte Erscheinungsbild „schon rein äußerlich als schwerstkrank stigmatisiert.“

37 junge, an Brustkrebs erkrankte Frauen nahmen 2015 an der Studie teil. Standarisierte Fragebögen mussten beantwortet werden. Anna Richard konnte beweisen, dass nicht nur die Teilnahme an den Workshops, sondern auch die professionell bearbeiteten Fotos positive Effekte bei den Frauen hinterließen. „Depressive Stimmung wurde reduziert, die Lebensqualität hat sich subjektiv verbessert und das Selbstwertgefühl konnte gesteigert werden“, so lautet kurz zusammengefasst das bisherige Ergebnis der Studie .

„Drei Dinge helfen die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen“. Mit diesem Zitat von Immanuel Kant hat Barbara Stäcker die kleine Presse-Runde beendet. Ein Lebensmotto.

Die Workshops von „Nana – Recover your smile e.V.“ sind sehr begehrt und schnell ausgebucht. Aber das Team sorgt dafür, dass in vier bis acht Wochen für jeden eine Möglichkeit geschaffen wird, teilzunehmen.

Cornelia Klaus  und Barbara Stäcker

Informationen können aber bereits auf www.recoveryoursmile.org eingeholt werden. Frauen, die sich ausführlich informieren wollen, denen kann das Buch“  „Nana….der Tod trägt Pink“ von Barbara Stäcker, Sandra Kader und Dorothea Seitz empfohlen werden. Ein SPIEGEL Bestseller.

Zusammen mit dem Palliativmediziner am Klinikum Großhadern in München und Professor (Dr.Dr.) Berend Feddersen verfassten die Autorinnen Barbara Stäcker und Dorothea Seitz „Der Reisebegleiter für den letzten Weg – Das Handbuch zur Vorbereitung auf das Sterben“  und mit Sandra Kader„Jung. Schön. Krebs. –Schönheit, Selbstbewusstsein und Sexualität in der Krebserkrankung“ (2014). Darin werden alle Themen angepackt, die krebskranke Frauen beschäftigen. Eine kleine Broschüre „Make-up Manual“ von Sandra Kader gehört mit zum Buch. Verlegt sind alle Bücher im Irisiana Verlag (Verlagsgruppe Random House).

 

Comments are closed.