home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Giersch zeigt „Freiraum der Kunst – Die Studiogalerie der Goethe-Universität Frankfurt 1964–1968“

Mit avantgardistischer Kunst die Gesellschaft verändern 

Von Hans-Bernd Heier

Ein halbes Jahrhundert nach dem legendären Jahr 1968 widmet das Museum Giersch unter dem Obertitel „Freiraum der Kunst – Die Studiogalerie der Goethe-Universität Frankfurt 1964–1968“ der nahezu in Vergessenheit geratenen Studenten-Galerie eine Sonderausstellung. Die beeindruckende Schau zeichnet die Geschichte, Entwicklung und das Programm der vom Allgemeinen Studentenausschuss (AStA) und der „Stiftung Studentenhaus“ betriebenen und finanzierten Studiogalerie auf dem Campus Bockenheim nach. „Die Präsentationen der nationalen wie internationalen Avantgarde, aber auch von Fluxus-Konzerten und Happenings verstanden sich als studentischer Beitrag zur Demokratisierung von Kunst und Gesellschaft – eine einmalige studentische Initiative in der Bundesrepublik der 1960er Jahre“, sagt Museumsleiter und Kurator der Ausstellung Dr. Manfred Großkinsky.

Jan Kubícek „Konkrete Kombination I“, 1967 Acryl auf Leinwand, 135 x 135 cm Privatbesitz; Foto: Martin Polák

Die Studiogalerie, die in der Frankfurter Kunstszene eine Sonderstellung einnahm, leitete Siegfried Bartels, ein Soziologie-Student. Sein Interesse für zeitgenössische Kunst – insbesondere für ihre gesellschaftspolitische Relevanz und für das Wechselspiel von Kunstwerk und Betrachter – sowie seine Vernetzung in der Frankfurter Kunstszene prädestinierten ihn für die Leitung der Studiogalerie. Seine Affinität zur Kunst teilte Bartels mit seinem Bruder Hermann Bartels, einem in den 1950er Jahren informell arbeitenden Künstler, der sich ab den 1960er Jahren jedoch mit konkret-konstruktiven Ausdrucksformen beschäftigte.

Das breit gefächerte Programm vermittelte die neuesten Tendenzen einer überraschend progressiven und experimentierfreudigen Kunst: Ausstellungen mit Malerei und Objekten der Licht- und Kinetischen Kunst, der Konkreten Kunst, des Neuen Realismus, der Op- und Pop-Art, der Hard Edge- und Farbmalerei. „Der avantgardistische Geist der hier gezeigten Ausstellungen erstaunt und fasziniert bis heute“, schreibt Professorin Brigitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität, in dem opulenten Begleit-Katalog. Insgesamt zeigte die Studiogalerie in den knapp fünf Jahren neun Ausstellungen. Wie konsequent und zeitnah die Ausstellungsmacher ihren Anspruch verfolgten, neueste Kunstentwicklungen und damit einhergehend die Veränderung des Kunstbegriffs zu vermitteln, verdeutlichten die Fluxus-Konzerte der amerikanischen Cellistin Charlotte Moorman und des koreanischen Medienkünstlers Nam June Paik. Auch das Happening mit einem der bekanntesten Vertreter der Aktionskunst, Wolf Vostell, das sich gegen den Vietnam-Krieg richtete, ist hier zu nennen.

Ferdinand Kriwet „Yeahoneyouth“, 1967 Farbserigraphie auf Karton, 64,6 x 64,6 cm Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.; © KRIWET / BQ, Berlin

Die studentischen Galeristen distanzierten sich klar von der etablierten Kunst. Thematisch wie stilistisch setzte die Studiogalerie sofort ein programmatisches Zeichen. Gleich die erste Ausstellung mit dem Titel „Neue Graphik“ im Sommer 1964 verstand sich als „Kampfansage“ an das damals vorherrschende Informel. Gezeigt wurden Druckgraphiken von Winfred Gaul, Georg Karl Pfahler, Lothar Quinte und Arnulf Rainer. Alle Blätter hatten die Künstler zeitnah produziert.

Weitsichtig setzten sie auch auf Neuentdeckungen: Dem Autodidakten Reimer Jochims, Vertreter der neuen Abstraktion, widmeten sie die erste Einzelausstellung und präsentierten seine chromatischen Flächen und Reliefs. Die herrlichen Werke voller Energie und Dynamik der Farbe sind in einem eigenen Raum im Museum Giersch zu bewundern.

Ebenfalls wenig bekannt war damals noch Ferdinand Kriwet, der Texte zu ästhetischen Gebilden verarbeitete, die als „Sehtexte“ und „Hörtexte“ die medialen Möglichkeiten ausschöpften. Eine feste Zuweisung seiner Werke zur Literatur oder zur bildenden Kunst lehnte Kriwet ab. Sein künstlerischer Anspruch bestand gerade in der grenzüberschreitenden Verknüpfung von Text, Sprache und Bild, wie in der 65er Schau „Publit Poem-Paintings“ zu sehen und zu hören war.

Barbara Klemm, Blick in die Ausstellung „Konstruktive Tendenzen aus der Tschechoslowakei“, Studiogalerie, 1967, Fotografie, 18 x 24 cm; © Barbara Klemm

Aufgrund der ideologischen Trennung Europas in Ost und West erwies sich die Vorbereitung der Schau „Konstruktive Tendenzen aus der Tschechoslowakei“ als besonders ambitioniert. Die Kuratoren beabsichtigten mit ihrem Konzept die Vermittlung einer eigenständigen tschechoslowakischen Kunst und damit die Entlarvung des Klischees vom West-Ost-Gefälle. Die Realisierung gelang nur infolge des politischen „Tauwetters“ und der verbandsinternen Entwicklungen der tschechoslowakischen Künstlerschaft. Eine Auswahl der damals ausgestellten Arbeiten ist im Obergeschoss des Museums am Schaumainkai zu sehen.

Als kunsthistorischer Höhepunkt der Studiogalerie-Projekte gilt die Schau „Serielle Formationen” Mitte 1967. Als Auflagenkunst sollten die Arbeiten auch für schmale studentische Geldbeutel erschwinglich sein. Diese von Peter Roehr und Paul Maenz, dem späteren Galeristen, kuratierte Präsentation brachte erstmals Vertreter der amerikanischen Minimal Art wie Donald Judd, Frank Stella, Sol LeWitt mit europäischen Positionen wie Jan Henderikse, Adolf Luther, Peter Roehr und Jan Schoonhoven zusammen. Dank der Kooperation mit der Daimler Art Collection kann auch diese herausragende Schau in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Insgesamt sind in der neoklassizistischen Villa am Schaumainkai 147 Arbeiten von 67 Künstlern versammelt. Die Leihgaben stammen von Museen und Galerien sowie aus Privatbesitz.

Nach anfänglicher Aufbruchsstimmung stellte die Studiogalerie Mitte 1968 im Zuge der Radikalisierung der Frankfurter Studentenschaft ihre Aktivitäten sang- und klanglos ein – ohne mediale Berichterstattung. Besonders die gewaltbereiten Studenten der 67er und 68er Jahre konfrontierten die Ausstellungsmacher immer wieder damit, welch geringen Stellenwert die Kunst in der Wahrnehmung der Kommilitoninnen und Kommilitonen einnahm. Viele Kunstwerke wurden auch beschädigt. Rückblickend bemerkte Paul Maenz 2012: „Dieselbe Ausstellung („Serielle Formationen”) wäre nur ein Jahr später an dieser Stelle der Universität Frankfurt kaum mehr möglich gewesen – zu rabiat waren mittlerweile das politische Klima, die antibürgerliche Polemik und die Unduldsamkeit gegenüber den angeblich ‚politik-ignoranten‘ Freiräumen der Kunst“.

Die Ausstellung zur Studiogalerie im Museum Giersch versteht sich als kunsthistorischer Beitrag zum Projekt „50 Jahre 68“ der Goethe-Universität, die mit zahlreichen Veranstaltungen an das epochale Jahr erinnert.

„Freiraum der Kunst – Die Studiogalerie der Goethe-Universität 1964–1968“ bis 8. Juli 2018 im Museum Giersch der Goethe-Universität; weitere Informationen unter: www.museum-giersch.de

Fotos: Museum Giersch

Comments are closed.