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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Frankfurter Theater!!!

ENDLICH: Diskussionen zur Zukunft der Städtischen Bühnen

Ein Kommentar von Uwe Kammann

Es wurde Zeit, höchste Zeit. Viel zu lange hielt sich die Politik bedeckt, wenn es um die Zukunft der Städtischen Bühnen ging. Dies wurde schon bei den letzten Römerberggesprächen im Herbst heftig moniert, Oberbürgermeisterwahl hin oder her. Dabei lag die Machbarschaftstudie schon seit dem Sommer vor, die damals eine Art Schock ausgelöst hatte: rund 900 Millionen Euro in der Endsumme, um das gemeinsame Haus für Theater und Oper baulich und technisch auf Vordermann zu bringen. Knapp eine Milliarde – unglaublich. Auch wenn angeblich alles total marode war, was doch tagtäglich bespielt wurde. Höchste Alarmstufe!

Zum Jahresanfang hörte sich das dann aus dem Mund der Kulturdezernentin Ina Hartwig ganz anders an.

Sie gab nämlich eine deutliche Entwarnung, ganz im Kontrast zu den vielen Kassandrarufen beim Bekanntwerden der Studie. Es sei keinerlei Gefahr im Verzuge, so versicherte sie es gegenüber FeuilletonFrankfurt. Das habe ein ausführliches Gespräch mit dem Feuerwehrchef ergeben, der folglich auch keinerlei Einschränkungen wegen des Versammlungsrechts habe andeuten müssen.

Mithin, so die Quintessenz der Aussagen Ina Hartwigs: Man habe wertvolle Zeit gewonnen. Gut fünf Jahre ließen sich Theater und Oper noch nutzen. Dann werde es schwierig, weil die technischen Gebäudeanlagen veraltet seien, ewig ließen sie sich nicht mehr reparieren, irgendwann gebe es auch keine Ersatzteile mehr.

Fünf Jahre: Das ist ein Wort. Nicht, dass man sich nun beruhigt zurücklehnen könnte. Denn wenn nun ein brauchbarer Plan erarbeitet werden soll, dann muss gründlich nachgedacht werden, was man will, wohin man will, auch, mit welchen Konzepten künftig Theater und Oper ihre Spielpläne und Aufführungen gestalten wollen. Denn derzeit, das belegt jeder Blick in die Feuilletons, verschwimmen die Grenzen zwischen Künsten, Medien, Genres immer mehr. Das bedeutet: Alles muss grundsätzlich in Frage gestellt werden: Standort(e), Baukonzepte, Zeitpläne.

Öffentliche Diskussion im Chagall-Saal im vergangenen Jahr: v.l.n.r.: Architekt Peter Böhm, Moderator Alf Mentzer und Architekt Ernst Ulrich Scheffler, Herbst 2017

Jetzt also, endlich, bewegt sich die Stadt. Mit gleich zwei parallelen Veranstaltungsreihen. Einmal mit drei Podien, die das Kulturdezernat zusammen mit dem Deutschen Architekturmuseum veranstaltet. Und dann mit einer Ausstellung des Deutschen Archiktekturmuseums unter dem schönen Fragezeichen-Titel „Große Oper – viel Theater?“, die ebenfalls von Informations- und Diskussionspodien begleitet wird. Es wird um Beispielhaftes gehen – also um neue Bühnenbauten anderswo, wie Kopenhagen und Linz, um Sanierungsfälle in Köln, Berlin, Düsseldorf, um die Rolle von Kulturbauten für die Stadtentwicklung (hier: Hamburg und München).

Die weiteren Themen dieser bis Mitte Mai laufenden Großdiskussionen betreffen natürlich auch die Grundsatzfragen: Was kann, was soll das Theater sein, wie steht es darum bei der Oper? Was braucht es dafür an Bauten und Orten? Gerade diese Grundsatzfragen, bezogen auf den augenscheinlichen Wandel der inzwischen vielerorts fluiden Inszenierungen, sollten gründlich erörtert werden. Denn gerade von den Ergebnissen dieser Erörterungen und Debatten wird es abhängen, was sinnvoll ist für Frankfurt: Sanierung des vorhandenen Doppelhauses?

Oder doch besser ein Neubau mit ganz anderen Möglichkeiten? Nur für das Theater? Nur für die Oper? Und wenn ja: am angestammten Ort? Oder für eine Einrichtung hier, am Willy-Brandt-Platz? Und für eine andere an einem anderen Platz, vielleicht am geplanten Kulturcampus in Bockenheim, vielleicht auch im Ostend, Stichwort Stadtentwicklung?

Die goldenen Wolken schweben über allem

Gut also, dass jetzt endlich öffentlich nachgedacht wird, mit vielen interessanten und in der Theater- und Architekturszene relevanten Referenten. Bei den Römerberggesprächen glänzte die Stadtpolitik noch mit Abwesenheit, damals wollte keiner die heißen Kartoffeln anfassen. Jetzt, immerhin, wagt sie sich aus der Deckung, nachdem auch eine Arbeitsgruppe auf Ämterebene – an der die Dezernate Kultur, Planen und Bauen beteiligt waren, ebenso wie die Theaterleute selbst – eine erste gemeinsame Prüfung der Ergebnisse der 6,6 Millionen Euro teuren Machbarkeitsstudie durchgeführt hat.

Deren Wert, so Ina Hartwig, bestehe vor allem in einem Element: nämlich der sehr gründlichen Prüfung des Bestands der Gesamtanlage. Auf der Basis dieser Bestandsanalyse könne jetzt weitergearbeitet werden, seien jetzt Varianten zu ermitteln und zu vergleichen. So dass dann, dies die Erwartung der Kulturdezernentin, die politisch Verantwortlichen Ende des Jahres eine Entscheidung treffen könnten.

Dass auch sie schon jetzt eine klare Aussage trifft, ist gut und für viele sicher auch beruhigend: nämlich, dass die Studie perfektionistisch ein Ideal ermittelt habe. Man kann es auch drastischer ausdrücken: Hier hat ein Büro einen Luxusdampfer auflegen wollen, koste es, was es wolle.

Wobei in Deutschland, im weltweiten Vergleich das Schlaraffenland öffentlich geförderter Kultur, tatsächlich Milch und Honig in Millionen von Euros fließen. Bald über 600 Millionen für die Sanierung von Oper und Schauspiel in Köln, über 450 Millionen für die Sanierung der Lindenoper in Berlin, hohe dreistellige Millionenbeträge für die Sanierungen des Gärtnerplatztheaters in München und des Stadttheaters in Augsburg – das sind nur die prominentesten Fälle.

Den Vogel hat in der öffentlichen Wahrnehmung die Elbphilharmonie in Hamburg abgeschossen, mit 900 Millionen (wozu allerdings auch integrierte Wohnungen und ein Hotel gehören). Die anderen neuen Konzertsäle haben diese Höhen nicht erklommen und zeigen, dass billiger nicht schlechter sein muss. So in Dresden (wo Sanierung des Kulturpalastes allerdings auch von rund 60 auf nun 100 Millionen stiegen), so beim Pierre-Boulez-Saal in Berlin, so beim Musikforum in Bochum.

Wohin München steuert, ist teilweise noch offen. Das Gasteig-Kulturzentrum mit seinem großen Saal soll für knapp eine halbe Milliarde Euro saniert werden, dazu soll noch ein brandneuer Konzertsaal in einem abseitigen ehemaligen Fabrikgelände entstehen. Geschätzte Kosten: knapp 400 Millionen. Hier übrigens ließe sich gut diskutieren, welche Chancen oder Risiken mit einem vom Zentrum entfernten Standort verbunden sind. Nimmt das Konzertpublikum eine öde Anfahrt und einen unwirtlichen Ort in Kauf, lässt sich vom Stichwort Kreativterrain einnehmen? Oder fremdelt es, scheut es weitere Wege und eine eher krude Umgebung?

Diese Frage wäre auch für Frankfurt wichtig, beispielsweise, wenn man im Ostend suchen würde. Der Kulturcampus in Bockenheim hingegen ist ja durchaus noch zur Innenstadt zu zählen, ein Theaterneubau dort hätte auch den Charme, mit dem Depot eine attraktive weitere Spielstätte als funktionale Brücke zu bieten.

Das Schauspielhaus, erbaut 1902, 1944 durch Bomben schwer beschädigt. Seit 1951 Spielstätte der Oper Frankfurt, Fassade 1959 bis 1962 komplett erneuert. Der historistische Bau befindet sich teilweise noch immer unter der heutigen Fassade von 1963

Eine sich bildende Initiative um Jürgen Aha (der schon den Altstadt-Neubau mit vorantetrieben hat) allerdings sähe dort eher den Ort für einen Neubau der Oper. Zentrales Ziel dieser Initiative ist nämlich, das Theater in seiner alten Gestalt wieder aufzubauen, als möglichst detailgenaue Rekonstruktion des reich verzierten Neubaus vom Anfang des 20. Jahrhunderts, eines Musterbeispiels für einen üppigen Historismus. Teile dieses Hauses sind noch in jetzigen Theaterdoppelanlage (welch’ ein Monsterwort) erhalten, allerdings gut verborgen. Als bestes Beispiel, wie in Frankfurt ohne viel Federlesens auf Abriss und Neubau gesetzt wird. Wobei die jetzige gemeinsame Schaufront von Oper und Theater nicht nur in Architektenkreisen geschätzt wird. Bei den Römerbergesprächen plädierte die Mehrzahl des Publikums für den Erhalt dieser gläsernen Großgeste, die als demokratisch offen und einladend empfunden wird. In der Tat, Otto Apel – in Frankfurt einst einflussreicher Architekt – hat hier eine seiner besten Arbeiten verwirklicht. Dass die anderen Teile der Doppelanlage eher plump bis abstoßend wirken, dass der neugebaute rückseitige Werkstatttrakt mit seinen Stahlbalken ein zusätzliches Element hineinbringt: Gut, das ist Teil einer ablesbaren Geschichte.

Dies wiederum könnte ein Argument für den Erhalt des Ganzen sein, verbunden mit einer Sanierung, die sich auf die Kernbereiche und das absolut Notwendige beschränkt. Das, so sagen Architekten, wäre durchaus möglich und mit weit geringeren Kosten verbunden. Wobei sie hinzufügen: Auf zeitmodische Mätzchen wie eine (sündteure) Energiedämmung nach neuestem Standard könne man gut verzichten. Nicht zuletzt aus Gründen einer anders verorteten Nachhaltigkeit und des Einsparens von Material.

Ganz was anderes wäre es natürlich, wenn die großen Visionäre die Oberhand bekämen. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte erinnerte bei den Römerberggesprächen an den Wunschtraum des Berliner Theatergiganten Erwin Piscators, in einem „Totaltheater“ zu spielen, einer „Raummaschine“, die ihm der Bauhaus-Direktor Walter Gropius Mitte der 1920er Jahre auch entwarf. Es sollte ein entgrenztes und ein entgrenzendes Theater sein: als ur-demokratisches Aufklärungsinstrument für ein großes Publikum, das zusammen mit den Schauspielern eine „soziale Gemeinschaft“ bilden sollte. Nun, dazu kam es nicht, weil eine ganz andere Gemeinschaft die Herrschaft übernehmen würde.

Das Totaltheater: ein Modell für Frankfurt, die Stadt, die sich immer auch als soziales, politisches und kulturelles Labor versteht?

Vielleicht wird es ja diskutiert werden in den kommenden Wochen. Wie heißt ein vielzitierter Slogan? Jetzt geht’s los. Ja. Endlich!!!

 

Links zum Totaltheater:

https://e-pub.uni-weimar.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/982/file/Franz_Ehrlich.pdf

https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=buw-001:1947-1949:1-5::1554

https://vimeo.com/59497126

https://blog.hslu.ch/expandedcinema/files/2015/04/Das-epische-Theater.pdf

 

 

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