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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis … Fotografien von Paulina Heiligenthal

Von Erhard Metz

Wir betrachten eine Serie von farbigen Photographien (wir verwenden eingangs bewußt diese ältere Schreibweise) der Fotokünstlerin Paulina Heiligenthal. Warum? Serien von Farbfotografien sehen wir überall. Warum also gerade diese? Weil diese „Lichtmalerei“ – phos, Licht; graphein, malen, zeichnen – der „Lichtmalerin“ uns sehen, uns auf die Abbilder einer irdische Welt blicken und uns dabei erahnen lässt, was wir durch unser Sehen nicht zu ergründen vermögen. Denn:

„Alles Vergängliche
ist nur ein Gleichnis …“

Was zeigen uns diese lichtmalerischen Fotografien? Sie scheinen, prima facie, von einem herrschaftlichen Haus Kunde geben zu wollen, von seinem Glanz, seinem Elend, seinem Verfall, einem Verfall, in dem sich eben jener vormalige Glanz widerspiegelt; ob auch Kunde vielleicht von Menschen, die einst in ihm wohnten, in ihm lebten, liebten, litten, sich entzweiten, literarisch schrieben, dichteten, für ein paar Tage, für Monate, für Jahre – mag sein. Einem dieser Menschen möchten wir denn auch begegnen.

Was ist das für ein Haus, wo steht es? Aber ist das überhaupt wichtig zu wissen? Sollten wir uns nach ihm auf die Suche machen, googeln? Wer mag, kann dies tun. Das Haus, soviel sei vermerkt, ehemals ein nobles Sommerhotel, steht im Harz, aber steht es, existiert es wirklich? Täuscht uns gar eine nur vorgespiegelte physische Präsenz? Hat ein Investor es erworben, um ihm seinen ehemaligen Glanz zurückzugeben oder um es abzureißen, an seiner Stelle anderes zu errichten? Oder bleibt es, Woche für Woche, Monat für Monat, einem sich nähernden, gleichsam irdisch-schicksalhaften Verfall überlassen, ist dieser bereits eingetreten oder tritt er schon morgen ein?

„… denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, daß nichts entstünde …“

(Mephistopheles zu Faust im Studierzimmer – einer der anfänglichen Szenen in Johann Wolfgang Goethes Faust-Tragödie.)

Ginge es nun Paulina Heiligenthal, der künstlerischen Fotografin, der „Lichtmalerin“, um eine Dokumentation, solange es noch etwas zu dokumentieren gibt oder gab? Wohl kaum, denn deren finden wir bereits einige, und überhaupt – es wäre zu kurz gegriffen. Und erst recht nicht geht es ihr um vordergründige gesellschafts- oder kommunalpolitische Schelte.

Blicken wir in den Wintergarten des Anwesens, hinter dessen Fenstern wir einen auch heute noch gepflegten Park gewahren:

„Diese war das schönste der Szenerie, schöner als die Bergwand samt ihren fantastischen Zacken, und wenn schon das saftige Grün der Wiese das Auge labte, so mehr noch die Menge der Bäume, die gruppenweise von ersichtlich geschickter Hand in dies Grün hineingestellt waren. Ahorn und Platanen wechselten ab, und dazwischen drängten sich allerlei Ziersträucher zusammen, aus denen hervor es buntfarbig blühte: Tulpenbaum und Goldregen, und Schneeball und Akazie.“

Theodor Fontane schrieb im Jahr 1884 diese Zeilen beim Blick in den Park, in „Cécile“. Er ist es, dem wir in diesen dem irdischen Werden und Vergehen verhafteten Räumen begegnen wollten, in welchen er sich wiederholt aufhielt. Auch den tragisch endenden Roman, aus dem wir zitierten, verfasste er hier. Weilte er vielleicht in diesem Zimmer unterm Mansardendach und schaute in diese Baumkrone?

Ein Wort zur „Lichtmalerei“ der Fotografin (die im übrigen sehr wohl auch die dokumentarische Fotografie beherrscht): Feine, bewußt angelegte Schleier scheinen als ein Staub der Geschichte über diesen Abbildungen zu liegen, über der vergehenden Pracht in Vergessenheit sinkender Räume. Winterlich ist der besungene Park, nur durch die milchig trüben, sprossenverglasten Fenster des „Wintergartens“ zu erahnen – zu erahnen nur auch die blattlose Baumkrone hinter dem verblichenen Spitzenvorhang.

Fände die Künstlerin nun Genuß an der verführerischen Ästhetik des Morbiden, am dem Untergang Geweihten, eine heimliche Lust am Moribunden, am „in Schönheit Sterben“? Sie solches zu fragen hieße auch uns als Betrachter diese Frage zu stellen. Wir sehen es anders.

„Alles Vergängliche
ist nur ein Gleichnis …“

Mit diesen Zeilen, deklamiert von einem metaphysisch-jenseitigen „Chorus mysticus“, beginnt der kurze letzte Vers in Goethes monumentaler zweiteiligen Faust-Tragödie, seinem Opus magnum und philosophisch-literarischen Vermächtnis, diesem einzigartigen Welttheater, der wohl wirkmächtigsten und bedeutendsten Menschheitsparabel der Weltliteratur.

Fast erläuternd dazu, könnte man meinen, schreibt der Dichterfürst zu Beginn seiner posthum publizierten naturwissenschaftlichen Schrift „Versuch einer Witterungslehre“: „Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direkt erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen“. Entsprechend versuchen wir auch das sinnliche Abbild jener Vergänglichkeit, das uns Paulina Heiligenthal mit ihren fotografischen Verkörperungen zu betrachten gibt, zu verstehen: das Sinnliche als Gleichnis für das Geistige, für das Eigentliche hinter den Dingen und ihren Erscheinungen, als ein Gleichnis auch eines ewigen Werdens, Vergehens und wieder erneuten Werdens.

Fotos © Paulina Heiligenthal

Neue Arbeiten wird Paulina Heiligenthal in ihrer nächsten Ausstellung unter dem Titel „Die Sinnlichkeit der Natur“ vom 4. Mai (Vernissage 19.30 Uhr mit einführenden Worten von Friedhelm Häring) bis 27. Mai 2018 in der Ehemaligen Synagoge Assenheim im Frankfurt nahen Niddatal-Assenheim zeigen.

→ Fotografie von Paulina Heiligenthal im Kunstverein Bad Homburg Artlantis
→ Paulina Heiligenthal: „Menschen in Äthiopien“

 

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