home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Brigitte Binzer-Zitouni: „Ägyptische Triptychen“

Trichotomie und Geometrie, Form und Farbe

Von Erhard Metz

1981 die erste Gruppenausstellung, ein Jahr darauf die erste Einzelausstellung – die anschließende Reihe der Werkschauen der Malerin, Kunstpädagogin und Städel-Meisterschülerin Brigitte Binzer-Zitouni in Galerien, öffentlichen wie privaten Ausstellungsstätten und Kunstvereinen füllen bald zwei gedruckte Katalogseiten. Vielfältige Werkgruppen sind entstanden, Papierarbeiten in Aquarellfarben, Pastell- und Ölkreiden, Arbeiten in Acryl auf Papyros, darunter ihre Kalendarien „Nilreise“ und „Kairo“, ihr 24-teiliger Stundenkalender auf Japanpapier, das Polyptychon „Euro“ (5 bis 500 Euro) in Acryl, Arbeiten auf Postkarten, expressive Schwarz/Weiß-Malereien in Acryl auf Papier und natürlich Tafelbilder, letztere im mittleren Format, früher teils in Eitempera, später in Acryl auf Nessel auf Holz. Mit diesen Tafelbildern hat es seine besondere, uns faszinierende Bewandtnis: es sind Triptychen. „Ägyptische Triptychen“ – so der Name dieser außergewöhnlichen Reihe. Auf sie wollen wir uns konzentrieren.

SAMSUNG CSC

Ägyptisches Triptychon Nr. 47_4, 1997, 2007, 100 x 120 cm

Der Tag, an dem wir vor geraumer Zeit schier fassungslos vor den Pyramiden in Gizeh standen, hat sich unauslöschlich in unserem Gedächtnis verankert. Vielleicht mag es der Künstlerin ähnlich ergangen sein, als sie diese Zeugnisse einzigartiger menschlicher Leistungen einer Jahrtausende zurückliegenden Hochkultur das erste Mal erblickte. Binzer-Zitouni bereiste neben zahlreichen Gebieten des Mittelmeerraums mehrfach Ägypten, neben den Pyramiden die ihnen kaum minder nachstehenden Tempelanlagen, deren Säulenhallen und -reihen wir, ähnlich den Pyramiden, in ihren Bildtafeln nachspüren können. Es sind Arbeiten, die der geometrischen Abstraktion zuzurechnen sind, in welcher Farben und Formen einen Eigenwert gewinnen und sich durch Logik, strukturelle Organisation und Gesetzmäßigkeit zu einer mehr oder weniger ungegenständlichen bildlichen Darstellung verbinden.

SAMSUNG CSC

Ägyptisches Triptychon Nr. 60_1, 2016, 100 x 120 cm

In ihren „Ägyptischen Triptychen“ setzt Brigitte Binzer-Zitouni ihr subjektives Erleben bei ihren Reisen zu den altägyptischen Kulturstätten in eine eigene, von ihr formulierte und weiterentwickelte rationale wie zugleich sinnliche systemische Bildsprache um – der Spannungsbogen zwischen einerseits analytischer Rationalität und vornehmlich durch Farben artikulierter Sinnlichkeit andererseits macht einen Teil der Faszination aus, der sich der Betrachter nicht entziehen kann. Entgegen früheren Arbeiten verzichtet die Künstlerin in dieser Werkgruppe gänzlich auf geschwungene Linien und Flächen oder gar Kreise und konzentriert sich auf die Elemente Linie (Horizontale, Vertikale, Diagonale), Quadrat und Dreieck. Wie selbstverständlich stellen sich dabei unsere Assoziationen an Pyramiden oder Säulenreihen ein, bilden doch jede der vier Seitenansichten einer Pyramide ein Dreieck, die Grundfläche eines solchen Bauwerks ein Quadrat. „Symbolisch und archetypisch“ hat die Künstlerin ihre aus Flächen und Linien gebildeten Gestaltungselemente genannt; und wie wir sehen werden, gilt Gleiches auch für die Wahl ihrer Farben.

003-Ägypt. triptychon Nr

Ägyptisches Triptychon Nr. 47_4, 1997, 2007, 100 x 120 cm

Dem Quadrat misst Binzer-Zitouni im Rahmen ihrer Bildsprache die Grundfarbe Rot zu, dem Dreieck das Blau, ebenso eine der drei Grundfarben. Das Quadrat wiederum verortet sie in der Sphäre des „Weiblichen“ und Emotionalen, das Dreieck in der des „Männlichen“ und Rationalen. Dem entsprechen das warme Rot für das Quadrat, das kühle Blau für das Dreieck. Man könnte dieses Farbensystem durchaus auch andersherum verstehen, wenn man das Rot dem Blut, der Nähe, dem Vitalen und Agressiven und das Blau dem Ruhigen, Kontemplativen, Fernen, gar Romantischen zuordnen wollte. Wir empfinden es als einen weiteren besonderen Reiz dieser bildsprachlichen Systematik, wenn sich insoweit beim Betrachter Überkreuzungen, Wechselwirkungen oder gar Kontrapunkte hinsichtlich der entsprechenden Zuschreibungen einstellen.

Wie selbstverständlich gesellen sich das Orange und das Gelb der Farbpalette hinzu: wir assoziieren – nicht nur in Erinnerung an unseren Tag in Gizeh – Sand und Wüste, Sonne, gleißendes Licht und flimmrige Hitze. Und wir möchten noch ein Stück weiter gehen und im Blau die Wasser des seit uralten Zeiten für Land und Menschen lebensspendenden Nils und im Grün die vielfältig bebaute Landschaft an dessen Ufern und im weitverzweigten Delta erkennen. Das von vielen als „Nichtfarben“ apostrophierte Weiß und Schwarz setzt die Künstlerin als gestaltende, abgrenzende und kontrapunktische Elemente ein.

Von besonderem Reiz sind die Effekte, die Binzer-Zitouni mit einem mehrschichtigen Farbauftrag erzielt: zuweilen „brechen“, schillern und changieren die Farben in einer Art von Transparenz, die jenen Schichtaufbau erkennen lässt.

007-Ägyptisches Tript. Nr

Ägyptisches Triptychon Nr. 47_4, 1997, 2007, 100 x 120 cm

Kehren wir zurück zu der eingangs erwähnten Verbindung von Farbe und Form in Binzer-Zitounis geometrisch-abstrakten Tafelbildern mit der Gestaltung als Triptychen, handelt es sich bei dieser Dreigestaltigkeit in der Malerei inzwischen doch um ein eher selten anzutreffendes Format. Die dreiteiligen, miteinander verbundenen Bildtafeln gründen auf älteren, wohl byzantinischen Vorbildern, die im Mittelalter in der europäischen christlichen Malerei als Andachts- und Altarbilder in Form kleiner Reise- und größerer stationärer Klappaltäre aufgegriffen wurden. In den meist von links nach rechts zu lesenden erzählenden Darstellungen dominierte in der mittleren Tafel das Hauptmotiv, oft der gekreuzigte Christus; die über den mitteleren Teil zusammenklappbaren Seitentafeln waren um die Hälfte schmäler, ihre Bildmotive verwiesen zumeist auf das Zentrum. Das Triptychon begegnet uns später in der Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts wieder, etwa bei Otto Dix, Oskar Kokoschka oder Max Beckmann. Zum weltweit berühmten Beispiel eines Triptychons wurde Pablo Picassos „Guernica“.

Die Dreigestaltigkeit, die Trichotomie also, fußt ihrerseits wiederum auf alten, in die Mythologie weisenden Vorstellungen wie die Dreiheit der griechischen Götter Zeus, Poseidon und Hades oder der Ägyptischen Mythologie mit den drei Gottheiten Isis, Osiris und Horus. In der Trichotomie alter heidnischer Vorstellungen stehen die Göttinnen Jungfrau (Liebe), Mutter (Fruchtbarkeit) und Altes Weib (Tod) für Frühling, Sommer und Winter, im übertragenen Sinn auch für die Stationen menschlichen Lebens. Griechische Philosophen gingen von den drei menschlichen Wesensgliedern Geist, Seele und Leib aus. Im Christentum begegnen wir der Trichotomie in der Lehre von der Trinität, der Dreifaltigkeit Gottes; weitere Beispiele sind die dreiköpfige Heilige Familie, die Heiligen Drei Könige oder die Auferstehung Christi am dritten Tag. Bis heute spielt die Zahl Drei in zahlreichen Redewendungen des Alltags eine Rolle.

Was also könnte näher gelegen haben als der Gedanke, das (jeweils von einer Seite her betrachtete) Dreieck der ägyptischen Pyramide, gerade vor dem Hintergrund der skizzierten trichotomischen Vorstellungen in der altägyptischen religiösen Kultur, mit der gestalterischen Form des Triptychons in Verbindung zu bringen?

SAMSUNG CSC

Ägyptisches Triptychon Nr. 47_4, 1997, 2007, 100 x 120 cm

Brigitte Binzer-Zitouni komponiert ihre Triptychen als drei jeweils unmittelbar aneinanderstoßende Bildtafeln. Schauen wir sie uns im einzelnen genauer an, stellen wir fest, dass jede Einzeltafel als eine eigenständige Arbeit auch für sich selbst stehen könnte. Alle drei Bildtafeln sind (entgegen frühen Triptychen der Künstlerin) gleichformatig, kaum nur könnte man einen motivischen Schwerpunkt in der Mitteltafel ausmachen. Die Künstlerin verlässt damit bewusst die erzählerische Leserichtung mittelalterlicher Altartriptychen und komponiert die Tafeln bei all deren möglicher Eigenständigkeit zu einer geometrisch-abstrakten Gesamtheit. Bemerkenswert, wie sie bei dieser Komposition stets ein untereinander Austarieren, eine ausgewogene Balance aller bildgestaltenden Elemente erreicht.

Nicht minder bemerkenswert ist das spezifische Vorgehen Binzer-Zitounis bei der Produktion ihrer Triptychen. Sie malt – und überarbeitet entsprechend – stets mehrere Tafeln gleichzeitig, oft neun an der Zahl, also jeweils drei Tafeln für drei Triptychen: Sind wir angesichts dieses Arbeitsprozesses wieder bei der Trichotomie angelangt? Die Künstlerin breitet dabei die Einzeltafeln auf dem Boden aus und umschreitet sie, fügt sie forschend immer wieder zu verschiedenen möglichen Kompositionen zusammen, bis nach oft längerer Zeit das „richtige“ Ergebnis erreicht ist.

010-Ägypt. Triptychon Nr

Ägyptisches Triptychon Nr. 47_4, 1997, 2007, 100 x 120 cm

Brigitte Binzer-Zitouni, 1950 im hessischen Kirch-Göns geboren, studierte Kunsterziehung am Pädagogischen Fachinstitut Jugenheim und anschließend an der Städelschule Freie Malerei bei Professor Joachim Georg Geyger mit dem Titel Meisterschülerin. Binzer-Zitouni lebt und arbeitet in Kronberg am Taunus.

Die nächste Ausstellung mit Werken der Künstlerin, gemeinsam mit der Frankfurter Bildhauerin Ann Reder und kuratiert von Brigitta Amalia Gonser, findet vom 9. September (Eröffnung) bis 28. Oktober 2018 im Kunstforum Mainturm in Flörsheim statt. Brigitte Binzer-Zitouni wird dort „Ägyptische Triptychen“, „Tunesische Triptychen“ und „Griechische Diptychen“ zeigen.

Abgebildete Werke und Fotos © Brigitte Binzer-Zitouni

Comments are closed.