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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Denis Dailleux, Égypte Mère et Fils in der Galerie-Peter-Sillem

 

Bilder rätselhafter Stille 

Wer 2013 in der Ausstellung „Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution“ im Essener Museum Folkwang Bilder von der Arabellion gesehen hat und ähnliche Erwartungen an die neue Fotoausstellung „Denis Dailleux. Egypte. Mère et fils“ in der Galerie-Peter-Sillem hegt, welche ebenfalls um das Leben im heutigen Ägypten kreist, der sieht sich getäuscht: Die Macht der Bilderflut und ihrer damit verbundenen Netzwerke scheint im Umfeld der Bilder dieser Schau schlicht nicht zu existieren.

Von Petra Kammann

Denis Dailleux, Jeune fille dans un village près du Caire, 1996, C-Print, kaschiert auf Alu-Dibond, vom Künstler nummeriert und signiert, Galerie-Peter-Sillem

Nichts erinnert an die tumultösen Geschehnisse um das Jahr 2011 wie die Massenszenen auf dem Tahrir-Platz, die zur Zeit des Arabischen Frühlings mit dem schlichten neuen Fotoapparat namens Handy in der Masse gekapert wurden.

Die großformatigen geheimnisvoll beleuchteten Bilder in der Ausstellung vom französischen Fotografen Denis Dailleux, die noch bis zum 28. März 2018 in der der Galerie-Peter-Sillem zu sehen ist, strahlen vielmehr die Ruhe und Atmosphäre eines Ägyptens aus, das geradezu biblisch anmutet. Seine Bildkompositionen erinnern eher an Gemälde, in manchen sogar an Vermeer, wie zum Beispiel die diskret beleuchtete „Jeune fille dans un village près du Caire“ aus dem Jahre 1996, eine Szene, an die der Fotograf per Zufall geriet, weil er, als er von einer Gruppe von Leuten verfolgt wurde, in dem Haus Schutz angeboten bekam.

Wie kann ein Fotograf zeigen, was trotz aller Katastrophen, die Welt im Innersten zusammenhält? Wie kann er das Wesen der Dinge fotografisch ausloten? Dailleuxs Antworten darauf scheinen so schlicht wie überzeugend. Der aus dem ländlichen Anger stammende Fotograf, der inzwischen mehr als ein Jahrzehnt in Kairo gelebt hat, knipst nicht einfach drauf los, sondern er nimmt sich die Zeit, die er braucht, um den Kairos, den glücklichen Moment, abzupassen, um eine Person, die ganz bei sich ist, zu porträtieren. Das verlangt nicht nur Zeit, sondern verlangt auch viel Diskretion.

Denis Dailleux , Homme regardant la Mer Rouge à El Qusier,  2003   , C- Print, Ed. 6 Foto: mit freundlicher Genehmigung der Galerie-Peter-Sillem 

Diskret also nähert Dailleux sich den Menschen und Orten, die er fotografiert, verbunden mit der Hoffnung, dass sie sich ihm öffnen mögen, ohne jedoch dies von ihnen zu erwarten. Das Ergebnis seiner Investition in die Dauer und die individuelle Beziehung zur jeweiligen Person zeigt sich dann in den malerischen, teils archaisch anmutenden Fotografien, die sowohl den Ort als auch die Zeit transzendieren.

Dabei vertraut Dailleux auf seine Erfahrung, dass sich kulturelle Zusammenhänge vor allem in alltäglichen Situationen, in banalen Gegenständen, Landschaften oder alltäglichen Orten manifestieren, denn Immaterielles ist nicht unmittelbar dokumentierbar. Der Fotograf betrachtet vor allem die Körper, ihre Körpersprache, die Haltung der Persönlichkeiten und das auf sie fallende Licht: Den einsam wartenden Mahmoud auf dem Divan bei seinen Schwiegereltern in Sakkara in einer Art grün getünchten „Vorzimmer“ aus dem Jahr 2000 oder das Kind, das stolz eine einzige Kartoffel wie einen Schatz auf dem Fahrrad vor sich her balanciert und keck in die Kamera schaut (1998), einen jungen Schäfer (1996) mit seiner Schafherde unter Palmen in Sakkara. Sie alle strahlen geradezu eine bukolische Idylle aus.

Der französische Fotograf Denis Dailleux, Foto: Petra Kammann

Dailleux hat aber auch einen Sinn und einen Blick für die Würde der kleinen Leute wie zum Beispiel für den liegenden und rauchenden Garagisten, in dessen „Arbeitshöhle“ er mit seiner Kamera gedrungen ist oder auch für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Männer an einem frühen Morgen im „Café à Bab Zuweila“ unter freiem Himmel.  Als im Jahre 2000 dieses Motiv entstand, da schien allerdings die Welt auch noch in Ordnung, ebenso auf seinem Foto vom Hammam in Kairo.

Dailleux hat als Fotograf zwar noch ein Standbein in Paris, doch eigentlich ist die herausfordernd-anstrengende Metropole für ihn ein wahres Kreuz, weswegen er sie schnell wieder flieht. Ägypten erlebte er vermutlich auch deshalb als so befreiend, weil er einfach fasziniert war von dem entspannten Leben der Menschen dort. Allerdings sieht er es durch die Entwicklungen der letzten Jahre zunehmend bedroht, selbst auf dem Lande. Deswegen fährt er heute oft nach Ghana, wo er begonnen hat, das Leben der einfachen Fischer fotografisch festzuhalten, in der Galerie anzuschauen im ausliegenden Buch „Ghana“.

Als Chronist des Unspektakulären zeigt Dailleux auch die Strukturen und sensiblen Zusammenhänge der Kultur der Ghanaer auf, die in ihrer Alltagsarbeit zum Ausdruck kommt. So ist der Akt des Fotografierens für ihn zweifellos auch der Versuch, sich seiner selbst wie auch seiner Umwelt zu vergewissern und mithilfe der Beobachtung durch das Objektiv tiefere Erkenntnis zu erlangen. Sein Bezugssystem zieht seine Stärke aus der Mischung von Dokumentarismus und künstlerischer Reflexion.

Dailleuxs Bilder sind wohlüberlegte Kompositionen in ihrer ausgewogenen Verteilung von Licht, Schatten und Farbflächen. Rein technisch fotografiert er noch ganz traditionell  mit einer Mittelformatkamera – und inzwischen fast eine Seltenheit – mit Zelluloid-Filmen. Das muss man schon im Sucher das Bild komponieren, was einer größeren Sorgfalt in der Vorbereitung bedarf, wenn man nicht unnötig Material verschwenden will.

Denis Dailleux, Islam et sa mère, le Caire, 2012, Lamda Print, kaschiert auf Alu-Dibond, vom Künstler nummeriert und signiert, Foto mit freundlicher Genehmigung der Galerie-Peter-Sillem

In dem kleinen Kabinett der Galerie-Peter-Sillem werden darüberhinaus Fotografien aus Dailleuxs Serie „Mères et Fils“ (entstanden um 2012 und 2013) gezeigt, auf denen er eindrucksvoll Bodybuilder mit ihren Müttern porträtiert. Wenn sich die ägyptischen Bodybuilder mit ihren nacktem Oberkörper und den durchtrainierten Muskelpaketen mit ihren Müttern präsentieren, so wollen sie mit ihrer eigenen Statur zum Stolz der Familie beitragen.

Dailleux nimmt uns unauffällig mit in die Intimität ägyptischer Familien und führt uns dabei das in Ägypten herrschende Mutter-Sohn-Verhältnis vor Augen, das von der Ambivalenz zwischen Schutz und Herrschaft, zwischen Zärtlichkeit und Unterwerfung geprägt ist und welches auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in Ägypten spiegelt.

Für diese melancholisch anrührenden Fotos – man schaue nur den Abgelichteten in die Augen oder betrachte ihre zum Teil zärtlichen Gesten – erhielt er 2014 zum wiederholten Mal den „World Press Photo Award“ in der Kategorie Porträts – eine Art Ritterschlag für Fotojournalisten, ist doch der jährliche vergebene Photo Award der weltweit größte und international anerkannte Wettbewerb für Pressefotografie. Außerdem wurde der Fotograf 2000, mit dem „Prix Hasselblad de la ville de Vevey“ und im Jahr 2001 mit dem „Fujifilm Award, Biarritz“  und 1997 mit dem „Monographies Award“ ausgezeichnet.

„Durchdrungen von einer ausnehmenden Zartheit, erscheint Denis Dailleuxs fotografische Arbeit ruhig an der Oberfläche, ist aber unglaublich anspruchsvoll, durchströmt von ständigem Selbstzweifel und geprägt von den persönlichen Bindungen zu jenen, die er porträtiert.“ So sieht es Christian Caujolle, der Gründer der renommierten Agence VU.

Auf fast allen seiner Fotos werden die Fotografierten in ihrer Schutzbedürfigkeit und in ihrer Menschlichkeit wahrgenommen. Dailleux zeigt nicht ihre aktiven Kämpfe, sondern er konfrontiert uns in seinen Bildern mit den Opfern ihrer gesellschaftlichen und sozialen Lage, denen der Revolution oder der Miliz von Moubarak, von denen etliche inzwischen ihr Leben verloren haben. Dabei zeigt er die Menschen in ihrer Würde, die ihnen trotz aller widrigen Umstände nicht abhanden gekommen ist.

 

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