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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Jutta Heun: „Giantesses Landfall“ in der Frankfurter Galerie Söffing

Was trägt eine Riesin in ihrer Handtasche?

Von Erhard Metz

Nein, Riesen mag Jutta Heun nicht so sehr, Riesinnen umso mehr. Das ist verständlich, jedenfalls für den einfühlsamen Mann. Ist es doch generell ein Credo der Künstlerin und Gründerin des vom ZONTA Club Frankfurt II Rhein-Main alle zwei Jahre verliehenen Preises ZONTA Art Contemporary, Frauen als bildende Künstlerinnen zu fördern. Aber auch ein einfühlsamer Mann ist nicht frei von Neugierde: Was hat es auf sich mit den Riesinnen? Riesinnen sind natürlich auch Frauen. Und Frauen tragen bekanntlich Handtaschen. Also auch Riesinnen? Jutta Heun meint: ja! Was aber führen Riesinnen darin mit sich? Die fantasivolle Zeichnerin weiß die Antwort: Alles, was Riesinnen eben so benötigen, wenn sie sich das Land erobern, eben für ihren „landfall“.

Largely Bag, crayon on paper, 150 x 150 cm, Totale und Details

Wahrlich vollgepackt ist die Tasche: Vor dem „landfall“ muß sich die Riesin informieren und das Terrain erkunden: Dazu schaut sie sich erst einmal auf dem Globus um, wobei sie ein Fernglas benötigt. Bei der Orientierung helfen ihr die vielen kreisförmigen Zielscheiben, es sind solche für Pfeil- und Bogen, wie sie Diana, die römische Göttin der Jagd, zugleich Göttin der Geburt und Beschützerin der Frauen und Mädchen, mit sich führt. Zur Bewältigung der großen Strecken beim landfall braucht die Riesin ferner einen bequemen, die Füße schonenden Laufschuh. Und, wenn sie ihr Land erreicht hat, will sie die Erde dort bestellen und bepflanzen, wobei ein Garten-Kultivator gute Dienste erweist. Und bei Jutta Heun gleichsam als Attribute immer mit dabei: ein Huhn, ein Schmetterling. Das mag seine besondere Bewandtnis haben, wie überhaupt die Künstlerin gleich ihrer Riesin freundlich und friedlich ist, die Tiere und die Pflanzen liebt.

Noch etwas gilt es zu entdecken: Wer genau hinschaut, findet im oberen linken Viertel des Bildes ein in manchen Arbeiten der Künstlerin wiederkehrendes Zitat des Hortus conclusus, eines Paradiesgärtleins, wie es ein oberrheinischer Meister um 1410/1420 gemalt hat (die winzig kleine Frankfurter Ikone ist bekanntlich im Städel zu sehen als Leihgabe des hiesigen Historischen Museums.) Das in der Handtasche versteckte, von Hecken umzäunte Gärtchen ist Jutta Heuns Hortus conclusus – ein auch auf den Garten Eden der Genesis zurückzuführendes Bildmotiv. Der geschlossene Garten ist der Künstlerin ein Symbol für Ruhe, Frieden und Verbundenheit mit der Natur, mit der Schöpfung, für Kontemplation und innere Einkehr. Doch im Hintergrund öffnet sich unter einer behütenden Mondsichel das Gärtlein hin zu einem mit Bäumen bestandenen Weg zu einem andedeuteten, in einem Weinberg gelegenen, im Inneren der Tasche auch an anderer Stelle erkennbaren Haus.

Verweilen wir weiter bei der Riesin: Im Tondo „Neuland“ sehen wir sie durch das Fernglas in ihr neues Land schauen – mit einem Wasserlauf und allerlei Bäumen, welche als Kronen verschiedene Symbole tragen. Sie sind Geheimnisse der Künstlerin, von denen sie uns lediglich eines verraten hat: der Baum mit den zwei Lippenpaaren ist ihr „Baum des doppelten Mundes“. Womit sie dem Betrachter wiederum ein neues Rätsel zu ergünden aufgibt.

Neuland, crayon on paper, ∅ 93 cm

Jutta Heun nimmt uns mit ihrer landnehmenden Riesin, mit der wir uns inzwischen angefreundet haben, mit auf eine Reise; eine Reise, in der sich Traumbilder und unter ihrem virtuosen Zeichenstrich Bild gewordene Assoziationen an- und ineinander fügen. Eine Reise, die uns als Betrachter selbst auf die Suche nach jenem fernen Gefilde führt, an dem wir gerne anlanden und das Erdreich bebauen möchten, aber auch auf die Suche nach unserem eigenen Hortus conclusus, in den wir uns in Kontemplation und Meditation zurückziehen können, um, wenn die Zeit dafür gekommen ist, die umschließende Hecke zu öffnen und den sich auftuenden Weg zu beschreiten.

Diese Reise hat ein Doppeltes: Sie ist zugleich eine Reise in der Zeit und durch die Zeit, die Künstlerin formuliert sie in ihrer Bildsprache als eine Abfolge unendlich vieler Sekunden, visualisiert in kleinen Strichen. Sie hat die Sekunden zunächst gesammelt in ihrer „Großen Vase der Sekunden“, die sie uns bereits im Frühjahr 2017 in der Galerie Unterer Hardthof gezeigt hat. In ihrer zur aktuellen Ausstellung ortsspezifisch gefertigten, 180° um eine Türöffnung herum geführten Eckzeichnung schickt sie die Sekunden nunmehr auf eine Reise, aufwärts in eine Wolke, und läßt sie auf der anderen Seite wieder herabfließen zur Erde. Ein Kreislauf, der uns an den Kreislauf allen irdischen Lebens erinnern mag, an das im Fließen der Zeit geschehende Werden und Vergehen, das wiederum neues Werden gebiert.

↑ Große Vase der Sekunden, 2017, Farbstift auf Papier, 194 x 210 cm
↓ Sekundenwolke, Farbstifteckzeichnung auf Papier, 150 x 150 cm (Totale und Details)

So beginnt der reisende Aufstieg der Sekunden im Ausbruch aus glut- und blutroten Vulkanen und Gebäröffnungen im von der Riesin erkundeten Land, bestanden mit den Bäumen, die in ihren Kronen jene geheimnisvollen Symbole tragen. Und so strömen die Sekunden wieder herab auf eine in Konturen dargestellte nackte Riesin und – natürlich – auf das stets wiederkehrende nicht minder geheimnisvolle Huhn.

Wer nun sind die Riesinnen in Jutta Heuns Kunst? Es sind, wie DeDe Handon es letztes Jahr in Sinnesverwandschaft mit der Künstlerin formulierte, „jene und alle Frauen, die jeden Tag über sich hinauswachsen und von allen still und unbemerkt über sich hinauswachsen müssen“. Und so ist auch die Landnahme ihrer Riesinnen zu verstehen.

Die virtuose Zeichnerin Jutta Heun fordert den Betrachtern ihrer Werke einiges ab: nicht weniger als die Geduld und Hingabe beim Aufspüren auch kleinster Details, eben jener Geduld und Hingabe, die die Künstlerin sich selbst in ihrem aufwendigen Arbeitsprozeß mit Tausenden feiner Farbstiftstriche abverlangt; und ebenso die Neugier wie die Bereitschaft, sich gemeinsam mit ihr auf die Landnahme und die Reise der Sekunden zu begeben, in das Werden und Vergehen, aus dem neues Werden erwächst. Ist es ein Märchen, welches die Künstlerin uns erzählt? Ist es eine Vision, die diese Reise auf sich zu nehmen uns lockt?

Fotos: Erhard Metz

Jutta Heun, Giantesses Landfall, Galerie Söffing, nur noch bis zum 3. März 2018

→ Jutta Heun: „Riesinnen leben länger“ – Zeichnungen in der Gießener Galerie Unterer Hardthof
→ Jutta Heun und der Genius loci

 

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