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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Einer erster Gang über den Krönungsweg der rekonstruierten Frankfurter Altstadt

Gelungenes Modell – zum Nachdenken

 

Noch war er in diesen Tagen mit Holzplatten belegt, jener Weg zwischen Römer und Dom, den zwischen 1356 und 1792 deutsche Könige und Kaiser beschritten hatten, um unter steinernem Kirchenhimmel gekrönt zu werden. Jetzt, an einem nasskalten Februartag anno domini 2018, waren schlichte Frankfurter Bürger in genau dieser herrschaftlichen Linie unterwegs, um sich ein erstes laufendes Bild zu machen von jenem Viertel, das im Herbst des Jahres eröffnet werden soll: als neue Altstadt. „Die Stadt lebt“, hieß es nun schon seit der Bauzeit auf Plakaten und Broschüren. Verbunden mit dem Zusatz: „Willkommen in der neuen Mitte Frankfurts“.

Von Uwe Kammann

Haus „Zur Flechte“ am Hühnermarkt 

Oberbürgermeister Peter Feldmann, der höchstselbst zweimal eine Gruppe interessierter Bürger mitten durch die nun in die Endphase gehende Baustelle führte, verhehlte gleich zum Auftakt nicht, dass er anfangs dieses Vorhaben mehr als skeptisch beurteilt habe, mit entsprechender politischer Positionierung. Doch dann, mit fortschreitender Anschauung, habe er seine Haltung geändert. Dies war bei der Führung dann mehr als spürbar.

Denn der oberste Bauherr erläuterte mit Lust und Begeisterung Konzeption und Details, zeigt sich beschlagen in der Geschichte der rekonstruierten Häuser, zog Parallelen zwischen damals und heute, begründete zugleich die Unterschiede zwischen den Zuständen der einst engen, lauten, stinkenden Altstadt und dem, was jetzt entstanden ist und in letzten Zügen hinter Bauplanen und rotweißen Flatterbändern entsteht: ein Viertel als Rekonstruktion, in einer Mischung aus „schöpferischen Nachbauten“ und Neubauten, Neubauten allerdings, welche historische Formen aufgreifen und auf sichtlich moderne Art interpretieren. Wesentlich dabei: die alte Maßstäblichkeit wird wieder aufgenommen, frühere Linien der Gassen- und Platzfluchten werden respektiert, angepasst natürlich an Vorhandenes wie das Langhaus samt Rotunde der Schirn-Kunsthalle, die viele immer noch als auf den Dom zielenden Rammbock empfinden.

Führung mit OB Peter Feldmann

Auch dieser Kulturbau – der den Namen Schirn nur als Erinnerung an die so bezeichneten Metzgerläden trägt – gehört zu den sichtbaren Schichten, welche die Bebauung des Terrains zwischen Römerberg und Dom prägen. Er war ein Anfang der 80er Jahre unternommener Versuch, mit großer Geste diesem Herzen der Stadt neue pulsierende Kraft zu geben. Ein vorheriges, in brutalistischer Manier in Beton gegossenes Unternehmen, hier Zeichen zu setzen, ist inzwischen wieder verschwunden: das 1976 fertiggestellte Technische Rathaus mit seinen drei höhengestaffelten, im Grundriss mächtigen Türmen. Das zur selben Zeit am südlichen Rand dieses geschichtlich so bedeutenden Platzes errichtete Historische Museum existiert ebenfalls nicht mehr – auch dessen scharfkantige Betonseligkeit erwies sich, ebenso wie das Technische Rathaus, als vorwiegend von Architekten und Jurys geschätzter Komplex, völlig untauglich hingegen als Bau, der den Bürgern auch nur Spurenelemente von Kontinuität und Identität hätte vermitteln oder gar Wertschätzung abringen können.

Beide Großbauten waren allerdings symptomatisch für den Zeitgeschmack der damaligen Entscheider, Ausdruck auch einer stark ökonomisch geprägten Phase des Städtebaus, die sich gradlinig und unverhohlen zeigte und keinerlei Rücksicht nahm und nehmen wollte, weder auf Vorhandenes noch auf Geschichtliches oder die Maßstäbe der Umgebung.

Die wahrscheinlich nicht nur vorläufig letzte politische Entscheidung für den Bau eines „neuen“ Viertels auf einem Herzterrain der vormaligen Altstadt – mit drei Dutzend Häusern, welche entweder als Rekonstruktionen ihren historischen Vorbilder nacheifern oder ihnen mit moderner Architektur entsprechen wollen, indem sie an charakteristische Stilelemente anknüpfen – begründete der damalige Planungsdezernent Olaf Cunitz in der Initiierungspublikation „Die Stadt lebt“ mit der „Sehnsucht vieler Menschen nach Heimat und Identifikationsorten“. Dabei solle keine „isolierte Erlebniswelt“ entstehen. Vielmehr müssten auch historisch bedeutsame Elemente der Umgebung gepflegt, das Bestehende geschützt und in einen Gesamtzusammenhang eingebettet werden.

Noch nicht vollendet: der Krönungsweg

Dass dies gelingen könnte, das hatten allerdings viele Kritiker vehement bestritten. Was Cunitz als „isolierte Erlebniswelt“ bezeichnete, hieß bei ihnen in schneidender Verachtung „Disneyland“, so wie auch schon beim scharf ausgetragenem Streit um die Rekonstruktion der sieben Fachwerkhäuser auf der Ostseite des Römers, eine Rekonstruktion, die verbunden war mit dem Neubau der Schirn-Kunsthalle – und damit in eine Zeit fiel, als die angesagte Postmoderne ironisierende Collagen erlaubte und damit auch den teilweisen Rückgriff auf Historisierendes.

Umstrittener Teil einer postmodernen Collage: Die Ostzeile des Römers, Foto: Petra Kammann

Ausgestanden ist die Debatte, was denn nun sinnvoll, moralisch vertretbar, städtebaulich angemessen, ästhetisch befriedigend, für die Mehrheit der Bürger attraktiv und aus funktionaler Sicht wünschenswert sei, noch lange nicht. Nach der jetzigen ersten Vorbesichtigung Mitte Februar kondensierte FAZ-Architekturkritiker Niklas Maak seine Eindrücke zu einem deftigen Verriss, der allerdings weniger auf die Form als auf das künftige Alltagsleben im neu-alten Viertel zielt. Er sieht im Idyll eine „gebaute Illusion“, ein „mit dem Luxusbesen gereinigtes, sozial desinfiziertes Bild“, das die gelebte Vergangenheit des „dreckigen Bauches von Frankfurt“ ausblende und keine „soziale Grundhitze“ erzeuge, sondern stattdessen zum „staatlichen Freilichtmuseum“ werde. Also nicht zu einer lebendigen „Stadt für alle“, sondern zu einer symbolisch tröstenden „Kulissenarchitektur“, zu einem „Luxusviertel im Altstadtkostüm“.

Das wiederum sehen die heutigen Verantwortlichen ganz anders, auch die früheren Entscheider wie Cunitz. Sie verweisen auf die angestrebte Mischung, auf das Zusammenspiel von sprechender Architektur und einer Nutzung, die zu einem vitalen und funktionierendem Viertel führen solle, die an einem in den letzten Jahrzehnten unbewohnten Ort eine neue Attraktivität schaffe.

Mit dem unbewohnten Ort ist ein Stichwort gegeben, das tatsächlich das Bild des Altstadtareals lange spiegelte – noch Ende der 70er Jahre beherrschte eine Armee aus Betonhöckern das Bild. Es waren Stümpfe, die aus der obersten Abdeckung der großen Tiefgarage zwischen Dom und Römer ragten, die ohne jede Rücksicht auf die Reste der verbliebenen Grundmauern der früheren Altstadt in den Boden getrieben wurde – dem Vorrang einer damals favorisierten autogerechten Stadt geschuldet. Allein der winzige Ausschnitt des archäologischen Gartens blieb verschont.

Trümmerlandschaft um den Kaiserdom – Dokumentation im Dom, Foto: Petra Kammann

Das alles gehört zur sprunghaften Nachkriegs-Planungsgeschichte des Areals, das die Bomben der Alliierten in eine gespenstische Trümmer- und Aschelandschaft verwandelt hatten (im Vorraum des Doms hängt ein großformatiges Foto dieses Grauens, im Historischen Museum lässt ein Modell dieses apokalyptischen Niemandslandes rund um den Dom immer noch den Atem stocken).

Fünf Anläufe gab es zur Gestaltung dieses Gebietes, alle bestimmt von dem, was der feinfühlige, vor zwei Jahren verstorbene Architekturkritiker Dieter Bartetzko als einen bis in die Gegenwart reichenden, stark moralisch grundierten Grundsatzstreit beschrieben hat zwischen Traditionalisten und Modernisten. Deren Forderung nach einem „reinen Tisch“ bestimmte in vielen deutschen Städten die Nachkriegsplanung – mit dem Ziel, „eine neue, international moderne und vermeintlich unschuldige (Bau-)Welt zu schaffen, in der nichts mehr an die Verfehlungen der jüngeren Vergangenheit erinnern sollte.“

In diesem Spannungsfeld hatte sich auch der in Frankfurt so exemplarische wie dramatische Streit um den Wiederaufbau des Goethehauses abgespielt. Zu den strikten Gegnern dessen Rekonstruktion hatte auch der seit 1946 amtierende Leiter des Stadtplanungsamtes, Werner Hebebrand, gehört, der in der zweiten Hälfte der 20er Jahre Assistent des damaligen Stadtbaudirektors Ernst May gewesen war. Für das Altstadt-Areal hatte Hebebrand damals vorgeschlagen, das Grundgefüge der Gassen und Plätze zu belassen und über den Stümpfen der verbliebenen Erdgeschossmauern Konstruktionen aus Stahl und Glas mit Flachdach-Abschlüssen zu errichten. Woraufhin, so Bartetzko, die Mehrheit des Magistrats und die gesamte Architektenschaft ihn als „hoffnungslosen Romantiker“ geschmäht habe.

Rekonstruiertes Goethehaus

Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, an dessen Ende als gebaute Realität das stand, was noch heute am Rand der Altstadt als eine Art Zeilenbau mit einem für die 50er Jahre typischen Siedlungscharakter zu besichtigen ist. Lange Zeit wirkte dieser Randbereich ziemlich spießig und wie eine eigene, vom Zentrum abgewandte Kleinstadt-Welt. Jetzt gibt es erste Beispiele einer intelligenten Nach-Verdichtung, und dies in einer sehr modernen Architektursprache, die gleichwohl die „alte“ Grammatik der Vorkriegsbebauung aufnimmt.

Der große Mittelbereich zwischen Dom und Römer interessierte die politischen Entscheider damals wenig. So blieb er lange eine Restfläche, bis es schließlich Anfang der 60er Jahre zu einem Wettbewerb kam, dessen Mitte der 70er Jahre in Beton gegossene Gestalt für viele Bürger ein Dauerärgernis blieb, ebenso wie das dem gleichen Zeitgeist verpflichtete Historische Museum. Allerdings, auch dieser mehrheitlich so geschmähte bis verhasste Bau des Technischen Rathauses war mit einer Amputation von Architekten-Plänen verbunden. Denn die einhelligen Sieger des Wettbewerbs – das damals sehr renommierte Büro Bartsch Thürwächter Weber – hatten für die Mitte des Areals einen mächtigen Multifunktionsbau vorgesehen, eine niedriger gestufte Weiterführung ihrer drei Rathaustürme (deren Helmdächer übrigens stark vom ursprünglichen Entwurf mit Flachdächern abwichen).

Das Technische Rathaus wurde inzwischen abgerissen

Nun, zu dem Multi-Zentrum aus Betonschichten kam es nicht. Dem Technischen Rathaus selbst wiederum half es nach drei Jahrzehnten, die stark am baulichen Bestand genagt hatten, nicht, dass noch Pläne zu einer Umnutzung geschmiedet wurden und sich durchaus auch Befürworter einer Sanierung gefunden hatten. Den Ausschlag für den Abriss der drei Türme habe, wie es FAZ-Redakteur Matthias Alexander in seinem Buch zum „Ungebauten Frankfurt“ beschrieben hat, der damalige Planungsdezernent Edwin Schwarz gegeben: „Die müssen weg.“

Flachdachbauten im Stil einer gemäßigten sogenannten zweiten Moderne bestimmten auch die Computersimulationen, mit denen das Büro KSP Engel und Zimmermann 2005 einen erneuten Wettbewerb für das Altstadtareal dominierte. Um sofort einen heftigen Widerspruch vor allem aus der Bürgerschaft zu ernten, den auch eine leicht historisierende Bearbeitung nicht zu zähmen vermochte. Woraufhin vier Jahre später ein weiterer Wettbewerb ausgerufen wurde, der zu jenem Ergebnis führte, das nun in seiner Endphase zu erleben ist, mit dem Bau von 28 historisierenden Stadthäusern und acht Rekonstruktionen, in die auch Reste der früheren Häuser eingebaut sind, sofern sie noch zu finden waren.

Auf die Vorstellung, die Altstadt in dieser Form wiederaufzubauen, reagierten nun nicht vorrangig Frankfurter Bürger mit Protest, sondern vor allem viele Architekten und Stadtplaner, die darin einen Verrat an den Grundpositionen der Moderne sahen (und auch heute noch sehen). Damit war und ist belegt: Darin lebt auch immer noch der alte Grundsatzstreit weiter, der schon nach dem Kriegsende die Debatte beherrscht hatte und auch bei anderen Wiederaufbauprojekten mit aller Heftigkeit ausgetragen wurde: so beim Prinzipalmarkt in Münster, der Frauenkirche in Dresden, dem Knochenhauerhaus in Hildesheim, dem Berliner Schloss.

Heftig umstritten: Wiederaufbau der Frauenkirche und des Neumarktes in Dresden, Foto: Petra Kammann

Noch immer übrigens wird bei den Kritikern und Gegnern kaum oder gar nicht gefragt, ob die Formensprache des Rekonstruierten dem Ort gut tut und eine von vielen „gefühlte“ Schönheit wiederzugewinnen ist, die neue Identität und Verbundenheit stiften kann. Sondern in der Regel wird die Ablehnung damit begründet, dass eine Rekonstruktion eine systematische Lüge sei, eine Fälschung der Geschichte mit ihren Zeitschichten – zu denen eben auch die Spuren und Ergebnisse der Vernichtung gehörten. Und überhaupt, so ein weiteres Hauptargument: Ein solches Bauen sei nichts als (negative) Restauration, sei kleinbürgerliche Sehnsucht nach Idylle und Ausdruck einer verschwiemelten Nostalgie; dazu natürlich auch Verrat am Bekenntnis zu zeitgenössischer architektonischer Sprache.

Lassen sich all’ diese stark moralisch imprägnierten Verdikte nun an den sichtbaren Ergebnissen ablesen, blenden hier lauter fake buildings die Augen? Mein Urteil ist: nein. Denn die Entstehungsgeschichte des jetzt Sichtbaren ist schließlich nicht auszusparen, selbst der Unbedarfteste weiß oder spürt zumindest, dass dies nicht das Original der Altstadt ist, sondern eine Interpretation, die vieles aufnimmt, die alte Elemente zitiert, die Vergangenes in großen und kleinen Spuren vergegenwärtigt, die mit dem Modellhaften spielt, die Erinnerungen anstößt und Visionen von Künftigem zulässt.

Rekonstruiert und neu konstruiert werden in dieser Form vor allem Räume, jene von den Fluchtlinien und Fassaden der Häuser gebildeten Innenräume des Städtischen, wie sie einst so selbstverständlich waren und wie sie immer noch von der großen Mehrheit der Menschen geschätzt werden. Das Behagen der Bewohner in den Vierteln der klassischen europäischen Städte und der Zuspruch vieler Touristen können kaum verdächtigt werden, in sich nichts als Lug und Trug zu transportieren.

Ohnehin: Wer die Namen der Architekten liest, die am jetzigen Aufbau der Altstadt beteiligt waren und sind (wie Hans Kollhoff, Jourdan & Müller, dreibund architekten, ValentynArchitekten), der wird auch als Insider der Branche nicht sagen können, hier seien die willigen Helfer der Disney-Unterhaltungsbranche oder lauter moralisch zweifelhafte Kitschwarenhändler am Werk gewesen. Es fügt sich vielmehr vieles zu einem vielversprechenden Bild zusammen, besser gesagt: zu Bildern, die aber zu einem erlebbaren Puzzle gehören, die sich ergänzen, ohne eine nur aufgesetzte Einheit vorzutäuschen. Es wird aber noch bis zum Herbst dauern, bis die Handwerker auch im nördlichen Bereich mit ihren Arbeiten zum Ende kommen und dann integral zu sehen sein wird, wie das vom Mittelalter bis zur Neuzeit reichende Spektrum der Baustile im Ganzen und in den jeweiligen Details wirkt.

Prachtvolles Kaufmannshaus: Die Goldene Waage

Was schon jetzt in vielen Fällen zu bestaunen, auch zu bewundern ist: die handwerkliche Kunst beim Bearbeiten von Naturstein und Holz. Es ist also noch genügend individuelles Können vorhanden, um Traditionelles nachzubilden oder in schöpferischer Aneignung neu zu interpretieren. Seine eigenen Spuren wird dies bekommen, so wie auch die Fachwerk-Nachbildungen der sieben Ostzeilen-Häuser des Römers nach und nach Patina angenommen haben. Dass ihr Bild durch die in der Regel höchst geschmacklos zugemüllte Andenken- und Gastronomienutzungen beeinträchtigt wird, muss man vielleicht als neuzeitliche Authentizität des Ortes schweren Herzens akzeptieren: Früher war die Altstadt in vielen Bereichen alles andere als eine herausgeputzte Schönheit, sondern litt unter vielen Zügen schäbiger Verelendung.

Einen großer Gewinn des neu entstandenen Areals werden auch die Grundsatz-Kritiker der Rekonstruktion kaum leugnen werden: Der auf den Dom zulaufende Schirn-„Rammbock“ wirkt jetzt deutlich gezähmt und sowohl durch die größere Form des benachbarten neuen Stadthauses über dem Archäologischen Garten als auch die angrenzend aufscheinende Kleinteiligkeit der Stadthäuser in die Umgebung eingebunden, mit attraktiven Raumbeziehungen und überraschenden Perspektiven. Die vom Dom her sanft ansteigende Schirn-Rampe mit ihren Arkaden lässt sich so beispielsweise als eine Parallele zum Krönungsweg lesen und erleben: als Kunst-Aufgang, der an der Rotunde geradezu spielerisch auch zum Kulinarik-Abstecher einlädt.

Alles in allem: Für das in den ersten Phasen des Wiederaufbaus in vieler Hinsicht geschundene Frankfurt ist der jetzige Neuaufbau der Altstadt – der eben kein naiver Abklatsch ist, sondern eine sorgfältig bedachte neue Interpretation – ein großer Gewinn. Das gilt nicht zuletzt für die Braubachstraße, die Anfang des 20. Jahrhunderts selbst als Durchbruch in das enge Altstadtgewirr geschlagen wurde. Jetzt säumen ihren nördlichen Rand wieder Interpretationen der damaligen soliden Bürgerhäuser – und lassen das durch das ungeschlachte Technische Rathaus verursachte Massaker am Bild der Straße vergessen.

In allen diesen Punkten, in all’ dieser Form gelingt an zentraler Stelle tatsächlich eine Art Versöhnung der Stadt mit sich selbst, gerade deshalb, weil auf diesem Areal (das natürlich von der Paulskirche bis zum Main hin zu verstehen ist) so viele Zeitschichten nebeneinander zu sehen sind, mit jeglichem Kontrast, in vielfältiger Verschränkung – manchmal kurios, manchmal verblüffend, immer jedoch voller Anregungen zum Nachdenken und Nachsinnen. Auch die 50er-Jahre-Annexe zu den Römer-Giebeln ziehen aus dieser sich schließenden Gesamtschau einen neuartigen Reiz, jetzt gesteigert durch die farbliche Auffrischung und die neue gläserne Klammer der Evangelischen Akademie sowie die zwei spitzgiebeligen Langhäuser des Historischen Museums, die einen schönen Platz rahmen (dem allerdings ein überzeugender hinterer Abschluss fehlt).

Das neue Stadthaus über dem archäologischen Garten

Natürlich, das neu-alte Ensemble ist auch und nicht zuletzt eine Inszenierung, steht für den Versuch, ein klar umrissenes Gegenmodell zu bilden zu den rein ökonomisch ausgerichteten Funktionseinheiten, die das Gros heutigen Städtebaus ausmachen. Dies geschieht, man sieht es leicht, im kleinsten Maßstab, aber immerhin, es ist ja nicht nur, wie der Kritiker Niklas Maak es bemängelt, ein städtisches Freilichtmuseum. Das ist es auch, ja, in all’ dem Bemühen um Anschauung, um vergegenwärtigte Erinnerung. Aber es ist doch auch ein neuer Raum des Wohnens, mitten in der Stadt, es ist ein Ort des (gehobenen) alltäglichen Lebens, des kleinteiligen Handels, des Zusammenkommens durch Gastlichkeit. Dies lässt sich nicht durch das oft rein abschätzig gebrauchte Wort touristisch diskreditieren. Zumal wir inzwischen an vielen Orten der Welt selbst Touristen sind und sie folglich nur transitorisch queren und erleben.

Eine Kampfansage an jene Formen der Architektur, die sich pauschal mit modern klassifizieren lassen, ist die rekonstruierte Altstadt ebenfalls nicht. Frankfurt ist ja reich an Bau-Beispielen der Moderne, hier sogar im ganz großen Maßstab und an vielen Stellen der Stadt, in immer neuen Varianten und Schüben. Wenn nun, gerade auch im Vergleich, Unterschiede zu sehen sind, Vor- und Nachteile benannt werden und Qualitäten hervorgehoben werden können, dann ist auch das ein Gewinn.

Lageplan der neuen Altstadt, genannt Dom-Römer-Quartier

Einen Krönungsweg des Städtebaus, den wird es derzeit ohnehin nicht geben. Aber das Nachdenken über Ideale sowie über Fehler und Misslichkeiten anzustoßen und zu fördern, das ist vieler Mühen wert. Bezogen darauf, sind die investierten rund 200 Millionen Euro ein Pappenstiel – und die Grundlage für gute Perspektiven in der Zukunft.

 

Fotos: Uwe Kammann, falls nicht anders erwähnt

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