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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt ( 14)

Romeo und Julia von William Shakespeare

von Renate Feyerbacher

Fotos: Thomas Aurin und Robert Schittko  / Schauspiel Frankfurt 

Sarah Grunert, Fridolin Sandmeyer, Jakob Benkhofer, Torsten Flassig, Nils Kreutinger, Matthias Redlhamme, Foto: Thomas Aurin /Schauspiel Frankfurt

Die Geschichte von „Romeo und Julia“, die William Shakespeare 1595 dramatisiert hat, ist auf der ganzen Welt bekannt. Das Drama, das am 20. Januar am Schauspiel Frankfurt Premiere hatte, basiert auf der Novelle des italienischen Autors Luigi da Porto (1530), der wiederum Anleihe bei einem anderen Autor aus dem Jahrhundert zuvor machte.

Seitdem wird immer wieder die Romeo und Julia Story neu erzählt und interpretiert. Gewalt, Hass, Liebes- und Todestrieb in Shakespeares Stück interessieren auch heute, verlangen aber eine andere Sprache und Interpretation. Übersetzer waren Wieland, Schlegel –Tieck, die Hauptarbeit erledigte Tochter Dorothea Tieck, Sigmund Freud und heute ist es der Übersetzer und Theatermann Frank Günther, der seit den 80er Jahren den kompletten Shakespeare übersetzt. Es heißt, jeder Theatermann, der etwas auf sich hält, übersetzt Shakespeare in seinem Jargon.

So tat es auch Marius von Mayenburg, Dramatiker, Übersetzer, Regisseur der außergewöhnlichen Frankfurter Aufführung, die bereits 2017 in Bochum zu sehen war.

Rau und deftig ist die Sprache, so wie auch zu des Dichters Zeiten, aber auch zotig in der Jetzt-Zeit-Sprache – nicht salonfähig. Lederjacken, schlampige T-Shirts, Tätowierungen gehören zum Outfit. Rock-Songs ergänzen Text. Die Geschichte hat kaum noch Spuren eines romantischen Liebesdramas, sondern bewegt sich zwischen Liebe und Todesfaszination, fokussiert die Suizidgedanken. „Die Morbidität dieses Liebespaares war für mich eine spannende Entdeckung“, so Marius von Mayenburg. Bei Shakespeare besteht die Feindschaft zwischen adeligen Familien in Verona zur Zeit der Renaissance, nun sind es heutige Familienclans, die sich befehden. Dennoch wagt sich Romeo auf das Fest, mehr Orgie als Fest, und lernt Julia kennen. Sie verkriechen sich unter die große Tafel und tauschen Zärtlichkeiten aus. Ausgerechnet die Kinder aus diesen verfeindeten Familien schwören sich ihre Liebe. Da Julia eine Zwangsehe droht und Romeo die Stadt verlassen muß, weil er Tybalt (Fridolin Sandmeyer), Julias Cousin, getötet hat, traut Pater Lorenzo, ein verkiffter Typ (Michael Schütz), das Paar heimlich. Seine Droge, die er Julia gibt, beschleunigt das katastrophale Ende; den Tod des jungen Paares. Die Versöhnung der Familien findet in dieser Inszenierung nicht statt. Sie fehlt und wäre doch so wichtig bei diesem unsäglichen Hass, den die Parteien offenbaren. Zu wenig wird auf diesen Konflikt geachtet. Die Welt ist zerrissen.

Es gibt keinen Balkon, auf dem Julia angeblich stand und mit Romeo flirtete. Diese Touristen-Attraktion in Verona ist sowieso unecht. Der Balkon wurde erst 1930 an die sogenannte Casa Giulietta angebaut. Eine Mauer ist es, die die verfeindeten Familien der Capulets und der Montagues in der Frankfurter Aufführung trennt. Und auch das Publikum ist zweigeteilt. Die einen sitzen auf der Bühne, auf dieser Seite agiert Julias Familie, die Capulets, auf der Zuschauerseite Romeos Clan, die Montagues. Eine symbolisch gute Idee des Bühnenbildners Stéphabe Laimé, für die zerrissene, unversöhnliche Welt. Durch mehr oder weniger gute Videoaufnahmen wird jeweils das Geschehen jenseits der Mauer gezeigt. Zum Beispiel das Festgelage ist für den Zuschauer auf der regulären Zuschauerseite schlecht nachvollziehbar. Die Kameraführung wird sicher im Laufe der Vorstellungen immer besser.

Die Mauer, geschätzt drei Meter hoch, ist für Romeo und Julia ein athletischer Kraftakt. Mit Hilfe eines Stuhls schaffen sie die Klimmzüge. Auch das Herumlaufen oben auf dem schmalen Steg verlangt Mut, wie es Intendant Anselm Weber bei der Premiere bewies, der mitteilte, dass sich Jakob Benkhofer, der den Mercutio spielt, bei den Proben verletzt habe.. Er spielt(e) mit Krücken. Torsten Flassig als Romeo und Sarah Grunert als Julia leisten in den drei Stunden schauspielerisch sehr gute Arbeit. Matthias Redlhammer als Julias Mutter versucht nicht, sich auf Frau zu trimmen. Noch ein Geschlechtertausch. Nils Kreutinger spielt die Amme, die lächerlich daher stöckelt. Immer wieder Lacher im Publikum, dem der Abend offensichtlich gut gefallen hat. Viel Beifall. Einzelne Stimmen danach: ein Kollege aus Köln ist begeistert, einer aus Frankfurt ist so zwiegespalten wie ich auch.

Weitere Aufführungen am, 22. Februar, am 2., 11., 23., 24. März 2018

„Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek

Nils Kreutinger, Sarah Grunert, Heidi Ecks, Wolfgang Vogler; Foto: Robert Schittko / Schauspiel Frankfurt

Wolfgang (Astronaut): „Also der König hat mehr am Kerbholz, er ist derzeit beschäftigt, er muss Millionen Kerben in seine Pistole schnitzen, natürlich nicht in den Lauf, der ist zu hart; aber einen Lauf hatte der, unglaublich! Wirklich niemand glaubt es. Und alle seine Verwandten sind nicht gekauft, sie kaufen selbst ein.“ 

Nils (Hockey): „Das Weltanschauliche, es wird jetzt selbst zur maßgebenden und einzigen Weltanschauung, die wir haben, wir haben ja auch keine andre Welt, die wir uns anschauen könnten.“

Sarah (Pamela): „Es hat alles Gewicht, doch wer soll das heben? Nur Kurzsichtigkeit und Nörgelsucht konnten meinen, hier komme eine bestimmte, wenn auch willkürliche Weltanschauung von einem hinreichend Gewalttätigen zur Geltung, der seine Anschauung jederzeit entschlossen durchsetzen würde. Schon fängt er damit an.“

Nils (Hockey): „Doch diese Einmütigkeit verschwindet zur Gänze hinter den Mythen und Lügen, die aus dem Fernseher quellen, der Mann spricht, er ist seine eigene Religion, die, die Sie haben, können Sie jetzt wegschmeißen.“

 

In den Zitaten aus dem neuen Stück von Elfriede Jelinek „Am Königsweg.“  ist wohl Donald Trump gemeint, auch wenn sein Name nie fällt. Den Schaden, den der Präsident der USA in der Umwelt, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft anrichtet, kann allerdings jetzt noch nicht überblickt werden.

Es gibt keine Handlung, sondern eine Sammlung von Thesen, Geschichten, Fakten. Die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek vermischt die Erzählung mit der Mythologie vom geblendeten König Ödipus, seiner Mutter, seiner Kinder, mit dem Fluch des Vaters und dem Orakel.

Zitat: Sarah (Latex): Was, alle blind? Der König blind und seine Untertanen, alle? Der Seher auch blind? Wer sieht denn da noch was in diesem Staat, der so viele beherrscht, alle Länder beherrscht, nach Belieben, wofür sie ihn nicht lieben, das ist ihm aber egal. Die einen schiebt er ab, die andren schiebt er dorthin, wo er sie braucht, die nächsten läßt er gar nicht mehr herein, andre wieder schiebt er vor, damit er es nicht gewesen sein wird“. 

Trump gleich Ödipus. Es ist ein schwieriger Text, der zwei Stunden seine Gedanken, seine Wortkaskaden auf die Zuschauer prasseln läßt. Es sollen über 40.000 Worte sein. Kein Gedanke, keine These kommt zum Ende. Mit Witz und Sarkasmus legt Jelinek den Finger auf den Machthunger und die Verfehlungen des neuen Königs. Manchmal schweift sie ab und erzählt scheinbar Belangloses – vom Nachbarn und seinem Laub im Garten.

Der vielfach ausgezeichnete junge serbische Regisseur Milos Lolic wagt sich an dieses Werk, das kein Theaterstück ist, sondern ein Traktat. Die fünf Schauspieler, Heidi Ecks, Sarah Grunert, Nils Kreutinger, Michael Schütz quetschen sich zu Beginn im Guckloch, das in den kitschigen Theatervorhang gestanzt wurde. Wolfgang Vogler als Astronaut deklamiert, davor. Sie spielen keine Rollen, rezitieren nur Texte in unterschiedlichen Kostümen unter anderem als Scheich, als Star Trek, als Freddie, als Mormone, als Exorzist und zeigen sich als Figuren aus dem 18. Jahrhundert und aus dem Spanischem Bürgerkrieg und schließlich als Geishas, die Quadrille ähnlich trippeln – auf komplett leerer Bühne. Alf, der Außerirdische aus der Fernsehserie, hat sich unter sie gemischt.

Alle Vorgaben, die nicht unbedingt nachvollziehbar sind, stammen von Elfriede Jelinek. Der siebzehnjährige Luciano Hiwat, der als Tänzer, Schauspieler und Choreograf arbeitet, begeistert durch eine brillante HipHop-Einlage. Sie kann als Demonstration eines Benachteiligten gegen den neuen König gedeutet werden. Später versteckt sich der Tänzer unter dem Alf-Kostüm. Das und andere verrückte Kostüme fielen Jelena Miletić ein. Evi Bauer verantwortet das Bühnenbild.

Ein schwieriger Abend, der mir erst durch das Nachlesen der Texte voll verständlich wurde.

Er hat keine wirklich gesellschaftspolitische Botschaft. Ein baldiges Verfallsdatum könnte ihm jedoch beschert sein. Dem Publikum gefiel das kunterbunte Kaleidoskop, das dem Text aber auch die Brisanz nahm.

Weitere Aufführungen am 25., 26. Februar, am 8., 21., 22. März 2018

„Invisible Hand“ von Ayad Akhtar

Heiko Raulin, Omar El-Saeidi; Foto: Thomas Aurin /Schauspiel Frankfurt

Die Metapher von der „Unsichtbaren Hand“ wird dem schottischen Nationalökonomen Adam Smith zugeschrieben, die er in seinem Buch „Der Wohlstand der Nationen“ 1776 verwendet. „In der Tat, im allgemeinen hat (der einzelne) weder die Absicht, das öffentliche Interesse zu fordern noch weiß er, wie sehr er es fördert [..] Er beabsichtigt nur seinen eigenen Gewinn, und er wird dabei, wie in vielen anderen Fällen, durch eine unsichtbare Hand geleitet, die ein Ziel befördert, das nicht Teil seiner Absichten war.“

Ralf Dahrendorf, ehemals Direktor der London School of Economics and Political Science, interpretiert 1984 in der ZEIT Smith’ Text: „Die unsichtbare Hand“, welche die vielen Einzelinteressen zum Gemeinnutzen zusammenfügt, ist wenn nicht Tatsache (sie ist ja unsichtbar), so doch in Tatsachen erfahrbar. Sie ist es übrigens für die ökonomische Theorie bis heute, auch wenn ihr Wirken in der Realität durch Interventionen so sehr abgelenkt wird, daß es kaum noch auffindbar ist.“

Kulturelle Identität, Markt und Moral, Religion und Ideologie, Terror und Freiheitskampf, das sind die Themen, die in Ayad Akhtars Stück verhandelt werden. Der Autor, Sohn pakistanischer Eltern, 1970 in New York City geboren, wurde bereits für sein Stück „Geächtet“ unter anderem mit dem Pulitzerpreis Theater ausgezeichnet. Mehrere deutschsprachige Bühnen übernahmen „Invisible hand“, so auch 2016 in Bochum und damit Anselm Weber, der Regisseur dieser Inszenierung. Er hat es also aus Bochum mitgebracht. Zweifelsfrei ein spannender Theaterabend, der anstehende Fragen unserer Zeit behandelt.

Nick Brights, der amerikanische Investmentbanker, wurde von einer Islamistengruppe entführt und im ländlichen Pakistan festgehalten. Er ist ein Mitarbeiter aus der zweiten Reihe und wurde mit seinem Chef verwechselt. Die zehn Millionen Dollar, die Imam Saleem von der Bank fordert, werden nicht bezahlt. Drohnen der US-Luftwaffe kreisen über den Tälern, aber niemand weiß, wo Nick ist. Für Nick Bright heißt das, entweder Tod oder eine gute Idee, die ihm einfällt. Geld sei zur Ersatzreligion der westlichen Welt geworden, argumentiert Imam Saleem, der Markt sei, wie es die „unsichtbare Hand“ deutet, quasi zur Ersatzreligion geworden. Der Imam unterschätzt Nicks Willen und Glauben an sich selbst. Er schlägt einen Deal vor: er will auf den Aktienmärkten das Lösegeld selbst „verdienen“. Er trickst und manipuliert seine nichts ahnenden Gegner. Bashir, Gefolgsmann des Imam, ist allerdings ein guter Beobachter und Lernender. Er ist der Profiteur des Deals. Der Ausgang überrascht. Die Tötungsmaschinerie läuft ab wie ein Computerspiel. Weber und die vier Schauspieler Heiko Raulin als Nick Bright, Omar El-Saneidi als Bashir, Matthias Redlhammer als Imam Saleem und Samuel Simon als Bewacher machen die Unsicherheit, die Ängste, die Zerris-senheit und Spaltung der Menschheit tiefgründig deutlich. Die karge Bühne: Mauersteine, dann weiß verfugte schwarze Kacheln an der Wand, ein Bett, Stühle (Bühne Raimund Bauer), Videoeinspielungen (Bibi Abel) unterstützen das brisante Feilschen. Waffengewalt gegen digitale Kenntnis. Saleem, der die Machenschaften und Fehler des Westens zunächst ruhig benennt, geriert zum gewaltbereiten Machtmenschen wie auch Bashir.

 

Weitere Aufführungen am 26. und 28. März 2018

 

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