home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Wir brauchen eine zweite Aufklärung.“ – Ein Gespräch mit der Frankfurter Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig

Für das FeuilletonFrankfurt traf Petra Kammann die Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt Dr. Ina Hartwig zu einem Gespräch.

Petra Kammann: Sie waren in kurzer Zeit mit dem Fortgang starker Kulturpersönlichkeiten konfrontiert: Der erfolgreiche Städeldirektor Hollein ging nach Kalifornien, die renommierte Susanne Gaensheimer vom MMK verließ Frankfurt in Richtung Düsseldorf, Claudia Dillmann vom Deutschen Filmmuseum trat früher als erwartet in den Ruhestand, und Prof. Dr. Niekisch schied nach fast zehn Jahren an der Zoospitze aus seinem Amt aus – lauter Abgänge von Schwergewichten.

Ina Hartwig: Holleins Weggang fiel noch in die Amtszeit meines Vorgängers. Aber Sie haben recht, er war ein sehr starker Städel-Direktor. Über die Berufung seines Nachfolgers, des von mir sehr geschätzten Philipp Demandt, habe nicht ich befunden, sondern die Städel-Administration, denn das Städelsche Kunstinstitut ist nicht städtisch. Generell gesagt, ist es mir glücklicherweise gelungen, exzellente Neubesetzungen durchzuführen und Persönlichkeiten mit großer Expertise, Kraft und Ausstrahlung, die zudem weltweit vernetzt sind, nach Frankfurt zu holen. Ich habe mit Susanne Pfeffer für das MMK, Dr. Wolfgang David für das Archäologische Museum, Ellen M. Harrington aus Los Angeles für das Deutsche Filmmuseum und den Spanier Dr. Miguel Casares als neuen Leiter für den Zoo Frankfurt großartige Direktorinnen und Direktoren gewonnen. Damit haben wir einen Generationenwechsel eingeleitet, und ich bin nun sehr gespannt auf neue Ideen und Impulse.

Vorstellung des Städeldirektors Philipp Demandt auf dem Podium mit Ina Hartwig

Trotzdem ist es sicher etwas anderes, wenn man im umkämpften politischen Raum eines Stadtparlaments auf andere Entscheidungsträger Rücksicht nehmen muss, während man im Feuilleton eher ein Einzelkämpfer ist. Haben Sie jetzt, in einer Position mit großem Gestaltungspotential und großer Verantwortung nicht manchmal das Empfinden, in den vorgegebenen Strukturen eher eine Art „Magd der Politik“ zu sein?

Von der Kritikerin, die ich zuvor etwa zwanzig Jahre lang mit großer Leidenschaft gewesen bin, wird erwartet, dass sie recht unverblümt ihr Urteil fällt. In der Politik gelten andere Regeln und Prinzipien. Aber im Feuilleton gehörte zu meinem Bereich bereits die Literatur- und Kulturpolitik, schon alleine durch meine vielen Tätigkeiten in Jurys oder in Beiräten. Da muss man ebenfalls Mehrheiten strategisch organisieren, wenn man sich zum Beispiel für einen Autor oder eine Autorin einsetzt.

Wie steht es mit dem parteipolitischen Lagerdenken: Müssen Sie nicht ständig ein enormes Spannungsverhältnis aushalten?

Schon allein, weil die Stadt von einer Dreierkoalition regiert wird, stehen wir in einem oft durchaus produktiven Spannungsverhältnis. Es gibt natürlich Themen, die stärker von parteipolitischen Fragestellungen geprägt sind und andere, bei denen man über parteipolitische Grenzen hinweg konstruktiv diskutieren kann, und natürlich gibt es die Herzensthemen. Für uns Sozialdemokraten gehört beispielsweise der freie Eintritt für Kinder und Jugendliche in die städtischen Kulturinstitutionen zu diesen Herzensthemen, weil wir überzeugt sind, dass die Kultur allen zugänglich sein soll, und zwar möglichst früh, so dass ein Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft entstehen kann, ein gerade heute wieder so wichtiges Signal. Keiner darf nur wegen seiner Herkunft ausgeschlossen werden. Dass wir genau diesen kostenfreien Zutritt in den städtischen Häusern für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre durchsetzen konnten, darauf bin ich schon ein bisschen stolz. Das kam sogar parteiübergreifend sehr gut an, was belegt, als wie wichtig diese Maßnahme erkannt wird. Mit guten Gründen sind unsere staatlichen Schulen kostenfrei, so sollten wir es auch mit den Museen halten.

Von der Literaturkritikern zur aktiven Politikerin: Ina Hartwig beim Versteigern von Kunstwerken von Städelschule-Schülern

Wird die Kultur einschneidend von den finanziellen Einschränkungen und Einsparungen betroffen sein, die schon generell angekündigt sind, weil Frankfurt in die roten Zahlen rutscht? Und das paradoxer Weise auch, weil es so dynamisch wächst?

Sie haben völlig recht, es klingt wie eine Paradoxie. Denn die wirtschaftliche Dynamik Frankfurts erkennt jedes Kind. Das Problem sind zweifellos die rückläufigen Gewerbesteuereinnahmen, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Zudem gibt es einen veränderten kommunalen Finanzausgleich. Es finden strukturelle Veränderungen statt, die letztlich auf der Ebene Stadt-Land gelöst werden müssen. Aber dabei kann, dabei darf die Kultur in ihrer Gesamtheit gar nicht zur Disposition stehen. Natürlich sind wir alle aufgefordert, vernünftig zu haushalten. Aber vergessen wir nicht, dass bei einem wachsenden Tourismus Kultur auch ein wichtiger Standortfaktor ist. Denn der Tourismus profitiert zu großen Teilen von den kulturellen Einrichtungen, nicht nur von den Leuchttürmen, sondern von der gesamten kulturellen Atmosphäre in der Stadt.

Kommen wir auf die freie Szene zu sprechen. Gibt es für sie einen Platz?

Die freie Szene setzt entscheidende, manchmal korrigierende Akzente, sie bereichert das kulturelle Leben der Stadt, das alles ist von großer Bedeutung. Wir haben deshalb im vergangenen Jahr insgesamt 36 Millionen für die freie Szene zur Verfügung gestellt. Das sind vier Millionen mehr als 2016. Wichtig ist aber auch, dass die Kreativen in der Stadt bleiben können. Wir haben hier hervorragende Ausbildungsstätten wie zum Beispiel die international angesehene Städelschule, aus der viele berühmte Künstlerinnen und Künstler hervorgegangen sind, dann die Hochschule für Gestaltung in Offenbach und die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Es wäre äußerst bedauerlich, wenn die jungen Künstler Frankfurt verlassen müssten, allein weil das Leben bei uns zu teuer wird. Da die Stadt flächenmäßig begrenzt ist und dementsprechend die Mietpreise sehr hoch sind, ist der bezahlbare Platz überschaubar. Wir unterstützen, so gut wir können.

Die freie Szene: Atelierhaus an der Schwedlerstraße

Läuft im Atelierhaus an der Schwedlerstraße nicht bald der Mietvertrag aus?

Das Atelierhaus ist mit etwa 130 Künstlern eine großartige Einrichtung, in der die Künstler und Künstlerinnen zu vertretbaren Mieten arbeiten können. Richtig, es gibt einen befristeten Mietvertrag – wir sind hier in enger Abstimmung mit dem Atelierhaus. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um das Haus in seiner jetzigen Funktion langfristig zu erhalten.

Frankfurt spielt eine dominierende Rolle in der Region und für die Region. Wie sieht es mit finanziellen Beteiligungen und dem Austausch aus, wie mit tragenden Kooperationen in Rhein/Main?

Eine Einrichtung wie der Kulturfonds RheinMain leistet hier seit zehn Jahren eine segensreiche Arbeit, andere Einrichtungen tun dies auch. Natürlich steckt in der gesamten Kulturregion des Rhein-Main-Gebietes viel Dynamik und ausbaufähiges Potential. Dennoch: Frankfurt bleibt Frankfurt. Spannend wird sein, wie der Austausch mit dem Umland definiert wird. Langfristig stelle ich mir einen größeren Austausch vor. Und ich wünsche mir, dass die Region ein noch stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt, in welch hohem Maße sie von Frankfurts vielfältigem Angebot profitiert. Wir versorgen das Umland kulturell ja mit. Denken wir an die Herausforderungen der nächsten Jahre, um nur die Städtischen Bühnen zu nennen, muss an diesem Punkt mit dem Land verhandelt werden. Frankfurt leistet gerne, braucht aber Unterstützung.

Frankfurt ist eine internationale, eine sehr offene Stadt und traditionell auch eine Stadt mit einer starken jüdischen Tradition. Anderswo gibt es antijüdische Demonstrationen, speziell aus der stark angestiegenen, auch durch die Nahostkonflikte geprägten muslimischen Migrantenszene. Wie kann man die Dialogfähigkeit bei sehr konträren Strömungen erhalten oder überhaupt erst in Gang setzen?

Die Verteidigung der offenen Dialogbereitschaft ist für Frankfurt, und nicht nur für Frankfurt, existenziell bedeutsam. Dies ist eine Aufgabe, die alle betrifft – nicht nur die Kulturpolitik. Wir haben Grund zur Sorge, und es kommt darauf an, in allerdeutlichster Weise Position zu beziehen, Haltung zu zeigen. Ich hätte vor zehn Jahren nicht gedacht, dass wir grundlegende demokratische Werte wie einen respektvollen Umgang miteinander in dieser Weise würden verteidigen müssen. Es sind allerlei Tabus gefallen, die Verrohung und der Anstieg von Aggression im Alltag sind unübersehbar – einhergehend mit abnehmendem Respekt vor Institutionen, vor der Polizei, vor der Wissenschaft, vor der Presse, nicht zuletzt vor der Politik. Die Spaltung der Gesellschaft befeuert einerseits Ressentiments und Hass, andererseits Angst: Das ist eine gefährliche Mischung. Der Antisemitismus äußert sich im Übrigen nicht nur an den Rändern. Wahrscheinlich war er nie verschwunden, doch immerhin galten Tabus, immerhin wurden Xenophobie und Antisemitismus geächtet. Jetzt ist die Hemmschwelle wieder gefallen, das ist beschämend. Frankfurt ist vielleicht bislang noch weniger von dieser Tendenz betroffen. Aber ich sehe diese Entwicklung europaweit, ja, sogar weltweit.

Europa in Frankfurt: mehr als die EZB-Türme

Wie kann man denn kulturpolitisch dagegen angehen? Sind Diskussionsveranstaltungen sinnvoll, können sie helfen?

Es ist unsere genuine Aufgabe, das im Blick zu haben. Vor allem die kulturelle Bildung muss gelingen. Wir müssen Kinder und Jugendliche gewinnen für den Reichtum der Kulturen und der Traditionen als etwas sinnlich Erfahrbares. Das ist für mich der Kern der kulturellen Bildung. Und die Kultur selbst ist geeignet, in dieser Hinsicht sowohl bereichernd als auch befriedend zu wirken.

Beim Stichwort Europa denken wir in Frankfurt oft zuerst an die EZB von Coop Himmelb(l)au mit ihrem imponierenden verschränkten Doppelturm. Doch die allgemeine europäische Idee selbst scheint geschwächt. Die Zukunft Europas wird sehr konträr diskutiert, die politischen Modelle auch innerhalb der EU sind inzwischen unterschiedlich. Was steht im Zentrum dieser Fragen und Auseinandersetzungen?

Was ist das Fremde, was das Eigene – Bereicherung oder Bedrohung? Über diese Frage muss man immer wieder neu sprechen und vor allem mit Kindern, die per se vorbehaltlos sind. Das ist überhaupt die große Hoffnung, die auf den hier in Frankfurt nachwachsenden Generationen liegt. Für sie ist das Neben- und Miteinander, für sie ist die Einwanderungsgesellschaft gelebte Normalität.

Ist das vielleicht nicht nur diskursiv zu lösen, nicht nur über die Vermittlungen in Elternhaus und Schule, sondern mindestens ebenso sehr über prägende sinnliche Erfahrung? So kann gemeinsames Theaterspielen und Musizieren mehr an Einstellungen und Haltungen verändern als der Appell an den Verstand.

Vollkommen richtig! Wir brauchen Räume – konkrete und gesellschaftliche Räume -, in denen Kinder und Jugendliche sich selbst ausprobieren und ihre Identität finden, erfinden und stärken können. Da müssen wir noch mehr Angebote machen. Was wir brauchen, ist so etwas wie eine „zweite Aufklärung“ – eine Aufklärung über demokratische Werte, über unsere Art zu leben, über unsere Freiheit, über den Pluralismus der offenen Gesellschaft. Sie müssen wir verteidigen und für sie werben. Und zur Aufklärung gehören nun einmal die Menschenrechte. Und da gilt: Gleiches Recht für alle. Wir müssen intensiv bemüht sein, uns über die jeweiligen Erfahrungen zu verständigen, die wir in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Kritisches Denken muss aber mit Lebenslust gepaart sein, das ist sogar entscheidend.

Den Europäischen Impuls auch andernorts weitertragen

Ist da der Austausch mit den Partnerstädten, wie zum Beispiel mit Lyon in Frankreich, hilfreich?

Der kulturelle Austausch mit Frankreich, in dessen Geist ich vom Elternhaus her groß geworden bin, kann sehr wohl neue Impulse vermitteln. Die Zusammenarbeit mit Krakau oder Lyon würde ich in den nächsten Jahren gerne ausbauen. Ich freue mich sehr, dass durch Emmanuel Macron wieder Schwung in das deutsch-französische Verhältnis und damit in die europäische Debatte gekommen ist. Dass wir 2017 Frankreich und die frankophone Literatur in Frankfurt im Rahmen der Buchmesse zu Gast hatten, war eine glückliche Fügung. Das war wie eine Frischekur für die deutsch-französischen Beziehungen.

Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

Aussagen zum Thema Städtische Bühnen folgen in Kürze.

Fotos: Petra Kammann

Comments are closed.