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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Eva Schwab und Mathias Deutsch: „Moonshiner“ im Kunstverein Familie Montez

Von Erhard Metz

„Das Gleiche unterschiedlich wahrgenommen, und im eigenen Schnapsbrand-Keller zu Moonshine inklusive Angel´s share gebrannt, so empfinde ich unsere Ausstellung“ – sagt Eva Schwab.

In der Tat ist diese Gemeinschaftsausstellung, um im Bild zu bleiben, hochprozentig. Eva Schwab und Mathias Deutsch – mit den Geburtsjahrgängen 1966 und 1967 in etwa gleichaltrig, sie in Frankfurt am Main, er in Rendsburg geboren, sie Meisterschülerin bei Professor Markus Lüpertz in Düsseldorf, er Städelschulabsolvent bei den Professoren Per Kirkeby und Franz West, beide stehen regelmäßig mit einem „Ausstellungsbein“ in Frankfurt, leben und arbeiten aber in Berlin, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Malerei in deren Sinnlichkeit wie im Diskurs ihrer Werke verbunden – sie geben sich bei Familie Montez ein künstlerisches Stelldichein, dem es an Herausforderungen an den Betrachter nicht mangelt. Ach ja, bevor wir’s vergessen, für die womöglich Unwissenden in unserer geschätzten Leserschaft: unter „Moonshine“ versteht man schwarz, also illegal gebrannten Schnaps, und bei „Angel’s share“ handelt es sich um den bei der Whiskybrennerei während der Faßlagerung verdunstenden Anteil des edlen Stoffes.

Eva Schwab, The Hungerveil, 2017, Mischtechnik auf Nessel, 280 x 480 cm (Bildausschnitt unten)

Beginnen wir mit Eva Schwab und ihrer Version eines „Hungertuchs“, welches, eher als „Fastentuch“ bekannt, in der Passionszeit in Kirchen das Kruzifix verhüllt. Sofort erkennbar das Motiv des zum Skelett abgemagerten, von Heinrich Hoffmann kreierten Suppenkaspars, ein Motiv, das bei der Malerin als Paradox von Hunger wie zugleich Prasserei und Überfluß an Nahrungs- und Genußmitteln in dieser Welt erinnert. Wie immer muß man genau hinschauen, auf die Details, die uns konkret vom Hunger und Überfluß erzählen: auf die Herden ihrer Schlachtung entgegensehender schwarzbunter Kühe, auf das Heer an Alkoholgetränke beinhaltender Flaschen und mit solchem Stoff gefüllter Gläser; aber auch auf die Ansammlung bunter, sich friedfertig ausbreitender Pilze am oberen Bildrand oder die Schar vermeintlich werbewirksam „glücklicher“ Hühner am unteren, die uns aber selbstredend an das Massenangebot von Hähnchenschenkeln und Hähnchenbrustfilets zu Dumpingpreisen in den Supermärkten gemahnen. Der apokalyptische Zug des dreifachen klapperdürren, dem Tod geweihten Suppenkaspars – bei Heinrich Hoffmann stirbt er als Trotzkopf an Verweigerung, stürbe er heutzutage nicht vielmehr aus Ekel und Verzweiflung am Überfluß? Die Fantasie des Betrachters fordert die Bildmitte heraus, ein von Moonshine und Angel’s share entfesselter wilder Rausch an Farben und Formen, an Chiffren und Bildfetzen aus Traum und Halluzination.

Moonshiner, Ausstellungsansicht

Aus der Schau an vielfältigen Arbeiten Eva Schwabs greifen wir eine fünf Darstellungen umfassende Gruppe an der Südseite des großen Gewölbes unter der Honsellbrücke heraus – platziert wie die Tafeln eines auseinandergenommenen Flügelaltars. Der über den Gemälden aufsteigende gewaltige Rundbogen suggeriert uns obendrein eine kathedralenhafte räumliche Situation – ja der Raum gewinnt mit den Werken der Künstlerin eine geradezu sakrale Dimension.

In der Mitte im Hochformat „Eva“ – die Urmutter der Menschheit. Sie scheint, einer Jongleurin ähnlich, mit ballförmigen, samentragenden Früchten zu spielen und so Trieb und Willen zum Fortbestand des Lebens zu symbolisieren. Ihr zur Linken zwei Bildtafeln: „Witches of the west“ – Hexen des Westens – und, man beachte den Plural, „Agni dei“ – Lämmer Gottes. Bei ersterer Darstellung denken wir natürlich an Shakespeares drei Hexen, die unheimlichen Schwestern, in Macbeth, auch an die Trinität der Hexen in Theodor Fontanes Drama-Ballade Die Brück‘ am Tay oder in Karl Kraus‘ Hexenszenen. Aber die in der Bildmitte dominante weibliche Figur im karminroten Gewand: wiegt sie nicht ein kleines Kind in den Armen, von ebenso dunkler Hautfarbe wie die Mutter? Hinter ihr, uns den Rücken zugewandt, fast wie ein Gespenst, ein Geist, eine Verschleierte ganz in Weiß, rechts eine ebensolche in Schwarz. Aber ist da nicht noch eine vierte Figur links der Gruppe – nicht nur der Bildkomposition geschuldet – auszumachen, die eine nur schwer zu bekämpfende Assoziation weckt an eine gewisse deutsche Politikerin, schwarze Hose, untersetzte kräftige Gestalt, ein lebhaft blauer, viel zu kurzer und zu enger Damenblazer? Oder haben wir jetzt bereits zuviel „Angel’s share“ eingeatmet? Dann – nein, nicht das, sondern – die „Lämmer Gottes“. Lämmer? In der Tat, es sind zwei, das tierische, mit gekreuzten, gebrochen wirkenden Beinen, stürzend niedergebeugt zu der winzig kleinen Frau am unteren linken Bildrand, diese elend, verlassen, im Schmutz liegend, erscheinen auch ihre Gliedmaßen gebrochen, durch eine Steinigung? Im irritierenden Kontrast zu der ergreifenden Szene rechts ein mächtig schwerer, theatralisch-kathedralenhafter Vorhang.

(li.) Witches of the west, 2017, Wachs, Öl, Tusche auf Nessel, 125 x 84 cm, (re.) Agni dei, Wachs, Öl, Tusche auf Nessel, 80 x 120 cm

About Eve, 2017, Wachs, Öl, Tusche auf Nessel, 180 x 110 cm

(li.) Paradise Lost, 2017, Wachs, Tusche auf Nessel, 160 x 120 cm, (re.) El Santo, 2016, Öl und Enkaustik auf Nessel, 130 x 90 cm

Zur Rechten im fünfteiligen Tableau das „Verlorene Paradies“ und „Der Heilige“. Eine weiß gekleidete und verschleierte Frau mit starrem Blick hält einen neugeborenen Säugling in ihren Armen, links und rechts in der Hüfte wieder die Bälle der jonglierenden Eva. Und anschließend ein Mann, heilig nennt ihn die Künstlerin, aber könnte er nicht für den in der Landschaft aufsteigenden Atompilz verantwortlich sein, der sich zugleich in seinem linken Brillenglas widerspiegelt? Die Stirn – und damit das Gehirn – dargestellt durch Zickzack-Linien indianisch anmutender Zeichen und das Dreieck, das als „Auge der Vorsehung“, als „Auge Gottes“ verstanden wird?

An einer zunächst humorvoll erscheinenden Arbeit „Der weite Rock“ kommen wir nicht vorbei, eine Art runder Umkleidekabine für eine Frau, versehen mit in das Nesseltuch geschnittenen Löchern für höher und kleiner gewachsene Voyeure. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt und ins „Tempelinnere“ schaut, in dem er das Begehrte allerdings körperlich nicht antrifft. Doch bleibt ein bitterer Geschmack auf der Betrachter-Zunge: Das dominante Rückenbild ist Eva Schwabs Werk „Atom & Eve II“. Wer hinschaut, sieht oben „Little Boy“ oder „Fat Man“ vom Himmel fallen, der Atompilz entfaltet sich in künstlerischer Freiheit in umgekehrter Richtung.

Der weite Rock, 2017, Wachs, Tusche, Nessel, Gaze, 270 x 150 x 150 cm

Wer der harten Kunst-Kost noch nicht genug hat – und wir hoffen, dass dies bei einem jeden Betrachter der Fall ist – , wendet sich den Arbeiten von Mathias Deutsch zu und wird erkennen, wie sehr die beiden Ausstellungsteile in einem inneren Bezug zueinander stehen..

Mathias Deutsch, Ausstellungsansicht

Schonungsloser noch als Eva Schwab geht der Künstler mit dem Betrachter um. „Schwangerschaft“ betitelt er sein „Röntgenblick“-Bild, die beiden Totenschädel-Köpfe mögen für Frau und Mann, Mutter und Vater des alsbald zu gebärenden Kindes stehen. Den gemeinsamen Brustkorb besetzt ein geheimnisvoller Nachtfalter, ein wiederkehrendes Motiv des Künstlers. Im Gegensatz zum Schmetterling steht das an einer heißen Lichtquelle sich tödlich verletzende Tier für den Kontakt zur dunklen, verborgenen Seite des menschlichen Wesens. Das dominante, mystische Violett – in ihm vereinigen sich gegensätzlich das Rot und das Blau, das Warme und das Kalte, das Nahe und das Ferne – erinnert an die Farbe der Spiritualität und Einkehr in der christlich-kirchlichen Tradition, an die Farbe für Tod und Niedergang, aber auch für Transzendenz.

↑ Pregnancy, 2017, Öl/Leinwand, 1,90 x 1,40 m
↓ O.T., 2017, Öl/Leinwand, 1,90 x 1,40 m

Könnte man nun das Werk aber lesen als das ständige Gebären des Neuen aus dem todgeweihten Alten, begehrt da nicht etwas Protestierend-Vitales auf gegen Tod und Vergängnis in Gestalt der über dem Falter aus einem Gesicht aus Nase und Mund ausgestreckten roten Zunge gleich einem „Ätsch!“? Was verheißt uns die linke, zum Schwur erhobene Hand, was die rechte, wie zum Empfang einer Botschaft geöffnete? Und was sagt uns die weitere, in der Duplizität der Falter und im Violett vor schwarzem Hintergrund auffallende Arbeit, die zum einen an einen computertomographischen Schnitt durch den Kopf erinnern könnte, zum anderen uns ein expansiv-zentrifugales Geschehen in der Bildmitte – dem „Bauch?!“ – assoziieren läßt? Die Kunst entstehe im Auge des Betrachters, kann man hier und dort immer wieder lesen – obwohl keinesfalls Goethe dieses Wort geprägt hat – , aber ein Kunstwerk fordert einen jeden ernstzunehmenden Betrachter zum Dialog auf – nicht mehr, aber vor allem nicht weniger! Das kann für den Moment anstrengend sein – führt aber oft zu ungeahnten, sich zum Überschreiten einladend öffnenden Horizonten.

Anatomy to go, 2016, Öl/Leinwand, 1,90 x 3,40 m

Einen „Röntgenblick“ bietet uns auch die Großleinwand „Anatomy to go“: in ein Pferd, den getreuen wie oft geschundenen Begleiter des Menschen seit Jahrtausenden. Dem Pferdeskelett entwachsen knöcherne Flügel, wir lesen in Frakturschrift „sub umbra floreo“ – im Schatten blühe ich – dem Wahlspruch in den Wappen von Belize oder des venezolanischen Municipio San José de Guaribes. Welche Botschaft will uns der weitgereiste Künstler (Spanien, Brasilien, Mexiko, New York, Ghana) mit dem Studium auch der Romanistik und der Philosophie vermitteln? Welche die kleinen Zeichen und Chiffren im Bild, die liegenden Skelette am unteren Rand, Hammer und Sichel, die geballte Faust, der kleine Vogel, der Blick in Organe und Gedärm, der wiederum dreiteilige apokalyptische Zug der Pferde?

Zu einer anderen Werkgruppe, den anamorph verzerrten Porträts von (slim) Ida und Lopino. Wer näher hinschaut, erkennt in beiden Arbeiten ein und dieselbe berühmte, 1995 verstorbene Hollywood-Schauspielerin, Sängerin, Regisseurin und Produzentin Ida Lupino. Vielleicht auch, aber nicht nur zwei launige Vexierbilder; vielmehr Symbolik für die zwei Gesichter eines Menschen, verkörpert in einer wandlungsfähigen Darstellerin und Regisseurin vor wie auch hinter der Kamera?

↑ Slim Ida, 2017, Öl/Leinwand, 1,90 x 1,30 m
↓ Lupino, 2017, Öl/Leinwand, 1.90 x 1,90 m

Zum Abschluß bekennen wir, unsere Betrachtungen weder bei einem Schluck „Moonshine“ noch beim Inhalieren von „Angel’s share“, aber durchaus beim Genuß eines Glases ordentlichen Weißburgunders verfasst zu haben. Eva Schwab und Mathias Deutsch, Künstlerin und Künstler dieser wunderbaren Gemeinschaftsausstellung, präsentierten ihre Arbeiten in zahlreichen Werkschauen über Frankfurt am Main und Deutschland hinaus bereits europa- und weltweit bis hin nach China und Mexiko. In den Künstler-Kanon des internationalen Kunst- und Ausstellungsbetriebs fanden sie jedoch bislang noch keine nachhaltige Aufnahme. Darf man, wenn man das im undurchsichtigen wie durchkommerzialisierten „Betrieb“ mancherorts Dargebotene kritisch Revue passieren läßt, ganz sine ira et studio, aber durchaus ketzerisch fragen, ob dies einem Versäumnis oder eher einem Kompliment für die beiden gleichkommt?

Eva Schwab und Mathias Deutsch, „Moonshiners“ im Kunstverein Familie Montez, verlängert bis zum 11. Februar 2018

Abgebildete Werke © Eva Schwab bzw. Mathias Deutsch; Fotos Erhard Metz

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