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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

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„Capriccio“ – Konversationsstück für Musik von Richard Strauss an der Oper Frankfurt

Gebt dem Theater einen neuen Inhalt

Text: Renate Feyerbacher
Fotos: © Monika Rittershaus/Oper Frankfurt (4); Renate Feyerbacher (1)

Die handlungsarme letzte Oper von Richard Strauss (1864 – 1949) mit italienischem Titel, um 1795 in einem Pariser Schloss spielend, zu einer Zeit, in der Christoph Willibald Gluck an der dortigen Oper tätig war, komponiert mitten in den Kriegsjahren 1939 bis 1941, ein Jahr später im Bombenhagel in München uraufgeführt, hatte am 14. Januar 2018 in Frankfurt Premiere.

Capriccio“ ist die dritte Inszenierung von Brigitte Fassbaender in Frankfurt nach ihrer legendären „Ariadne auf Naxos“ und der Operette „Paul Bunyan“ .

Brigitte Fassbaender am 5. November 2011; Foto: Renate Feyerbacher

Brigitte Fassbaender, die nach ihrer weltweiten Karriere als Mezzosopranistin Intendantin in Innsbruck, dann künstlerische Leiterin des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirchen war, arbeitet als Gesangspädagogin, vor allem aber seit über zwei Jahrzehnten als Regisseurin. 24 Ehrungen wurden ihr zuteil, zuletzt 2017 der ECHO Klassik für ihr Lebenswerk. Sie ist eine Kennerin der Strauss’schen Werke, vor allem der Opern. Ihr Octavian im Rosenkavalier war eine Sensation. Viermal hat sie selbst die Oper inszeniert, zuletzt in Baden-Baden – am Pult Sir Simon Rattle. Kein Rokoko-Gehabe. So ist es auch in „Capriccio“, das sie nun in Frankfurt erstmals realisiert hat. Die Handlung des teils heiteren, teils nachdenklichen l‘art pour l’art-Wettkampfs zwischen Wort und Musik wurde aus der Rokoko-Zeit ins Jahr 1942 verlegt, als Paris bereits unter deutscher Besatzung litt.

Der deutsche Richard Strauss und der österreichische Clemens Krauss, weltberühmter Dirigent, beide Nutznießer und Begünstigte des Hitler-Regimes, schrieben den Text von „Capriccio“ (Laune). Sie verstanden das Stück als Komödie. Gehofft hatte Strauss auf ein Libretto von Stefan Zweig, „Jude durch Zufall“, wie er sich nannte, der aber ablehnte und emigrierte.

Brigitte Fassbaender durchbricht die Flucht vor dem Grauen der Zeit, den dieses einaktige Konversationsstück für Musik impliziert, manchmal radikal, aber doch unaufdringlich. Zwar herrscht Schlossatmosphäre, aber in der Ecke stehen Waffen, Libération-Plakate kommen ins Spiel, ein kleiner Junge bewegt sein Panzer-Spielzeug um die Beine der Diskutierenden und später flitzt er mit dem Jagdbomber durch den Salon. Er bestimmt das Ende: er klebt sich einen Schnurrbart an und salutiert zum Publikum. Fassbaender ist eine Meisterin des Details und komödiantischer Feinheiten.

AJ Glueckert (Flamand), Daniel Schmutzhard (Olivier) und Camilla Nylund (Gräfin Madeleine)

Flamand, den Musiker, (locker, stimmsicher AJ Glueckert) und Olivier, den Dichter, (impulsiv, verständlich, sonor Daniel Schmutzhard), lässt sie ziemlich ungehobelt auftreten. Sie werben um die kunstbegeisterte Gräfin Madeleine. So wie sie sich benehmen, ist kaum vorstellbar, dass die Gräfin ihnen gewogen ist. Der eine hält die Musik für die Nummer Eins, der andere das Wort. Der Gräfin, die mal zu dem einen, mal zu dem anderen tendiert, wird allerdings immer klarer, dass beide Kunstarten – Männer – eng miteinander verbunden sind: „Wählst du den einen, verlierst du den andern.“ Schließlich werden beide aufgefordert, eine Oper zu komponieren. Strauss war zeitlebens der Auffassung, dass die Musik nur in Verbindung mit dem Wort und der Bühne zukünftig bestehen könne.

An der Diskussion im Salon der Gräfin beteiligen sich ihr Bruder, witzig und ausdrucksstark der kanadische Bassbariton Gordon Bintner, und die von ihm verehrte Schauspielerin Clairon, keck und schlagfertig gesungen von Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner. Das langjährige Ensemblemitglied agiert auf der ganzen Welt. Ihre Fricka im letzten Jahr in Bayreuth begeisterte. Die Azucena (Il trovatore) und Cassandre (Les Troyens) sind ihre Höhepunkte derzeit an der Oper Frankfurt. 

Tanja Ariane Baumgartner (Clairon) und Gordon Bintner (Der Graf)

Alfred Reiter gefällt als Theaterdirektor La Roche – komisch, dann staatstragend, fast deklamierend. Wie ein Possenreißer erscheint er, schwingt sich dann aber zu einer ernsthaften Grundsatzrede auf, die vor allem an Flamand und Olivier gerichtet ist: „Ich will meine Bühne mit Menschen bevölkern! Mit Menschen, die uns gleichen, die unsere Sprache sprechen!“

Bühne und Kostüme, die Johannes Leiacker erdachte, passen grandios: zuerst ein Glassalon, der mit einer Bühne abschließt, dann nach dem letzten, einprägsamen Zwischenspiel, Zitat aus seiner Kompositon „Krämerspiegel“ von 1918, ein erweiterter Glaspalast mit veränderter Fensterfront. Einfach toll!

Der Bühnenvorhang, der während des Vor- und Zwischenspiels bewundert werden kann, ist dem Vorhang der Opéra Garnier in Paris nachempfunden. Er ist handgemalt. Die Künstler des Malersaals, die Handwerker aller Abteilungen haben wunderbare Arbeit geleistet.

Das Ensemble

Ein vortreffliches Sängerteam vervollkommnet diese einmalige Inszenierung. Die Finnin Camilla Nylund, Ariadne in Fassbaenders hiesiger Inszenierung, die zu den besten Sopranistinnen des Strauss- und Wagnerfaches gehört, verleiht der Rolle der Gräfin Madeleine ein feines, melancholisches Timbre, vor allem in ihrem letzten Solo. Da wirft sie ihr Rokoko-Kostüm, nur einmal vorkommend, ab, zieht ein Straßenkleid an und verlässt den Palast, um sich mit ihren Dienern der Résistance anzuschließen. Insgesamt ein bewundernswertes, selbst in kleinsten Auftritten gutbesetztes Gesangsteam. Katharina Wiedenhofer, junge Balletteuse im Schlepptau von La Roche, tanzt extravagant.

Camilla Nylund (Gräfin Madeleine)

Last not least die Musik. Am Pult steht Strauss-Spezialist Sebastian Weigle, der vor kurzem mit dem Rosenkavalier und dem Fidelio an der Metropolitan Opera New York gastierte. Allein 50 Streicher, ein Sextett und ein Trio im Orchestergarben, ein Sextett auf der Bühne sowie 23 Bläser, Pauke, Schlagzeug, Harfen und Cembalo mussten geleitet, gemanagt werden. Außer beim Oktett, ein bewußt gesanglich-musikalisches Chaos, war es ein behutsam-einfühlsames Musizieren des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Ein Erlebnis, wie die Musik von „Capriccio“ zu hören ist!

Capriccio dauert fast zweieinhalb Stunden ohne Pause, wird durch Übertitel begleitet. Dass es kein langatmiger Abend wurde, ist den schöpferischen Produzenten, dem großartigen Sängerteam und den emphatischen Musikern zu verdanken. Langer Applaus für alle.

Weitere Vorstellungen am 20., 24., 26., 28. (um 15.30 mit Kinderbetreuung) Januar und am 1., 10. und 18. Februar 2018

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