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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das große kleine Wollen

Fragen über Fragen: Zum Städtebau in Frankfurt

Von Uwe Kammann

 

Möchte man Dezernent für Planen und Wohnen in Frankfurt sein? Ist Mike Josef, der dieses Amt seit dem Sommer 2016 bekleidet, zu beneiden? Denn immerhin, er bedient, er organisiert eine wichtige Schaltstelle der Stadt; hier läuft zusammen, was das städtische Leben in drei, fünf, zehn Jahren bestimmt und prägt, vor allem, wenn es um alle Aspekte der gebauten Stadt geht.

Wohin geht der Weg?

Doch der Neid dürfte sich bei vielen in Grenzen halten. Denn offensichtlich ist: Wenn eine Stadt wie Frankfurt Menschen zu Tausenden anzieht, und dies im hohen Bereich, Jahr für Jahr, dann sind Konflikte programmiert; keine kleinen, sondern gewaltige – weil die Interessen von Gruppen und Einzelnen auseinanderlaufen und zusammenprallen, weil grundverschiedene Auffassungen von Städtebau und Architektur kollidieren und um Dominanz kämpfen, weil Kapitalströme und Renditeerwartungen viele Weichenstellungen beeinflussen und prägen, weil Grund und Boden nicht beliebig vermehrbar sind, weil die Erwartungen der Bewohner und der Zuziehenden so unterschiedlich sind wie ihre Bedürfnisse und ihre Ressourcen.

 

Individuelle und widerstrebende Wünsche der Bürger, Planungsdezernent Mike Josef im Gespräch

Wie unterschiedlich die Bewertungen und Schlussfolgerungen bei den Schlüsselfragen der Stadtentwicklung sind – sprich: wo und wie und zu welchen Konditionen lassen sich Wohnungen bauen, wo bieten sich geeignete Flächen für neue Viertel an, welche städtebauliche Figuren und Vorgaben lassen sich formulieren und auch durchsetzen? –, das zeigte sich exemplarisch in zwei Beiträgen der FAZ zum aktuell diskutierten Vorhaben, im Nordwesten der Stadt ein neues Bebauungsgebiet auszuweisen, beidseitig der jeweils vierspurigen Autobahn A 5.

Vernichtend fiel das Urteil von FAZ-Feuilleton-Redakteur Niklas Maak aus. Mit dem geplanten neuen Stadtteil steuere Frankfurt auf ein „Desaster“ zu, wiederhole die Fehler beim Bau früherer Schreckenssiedlungen wie jenen der Neuen Heimat oder in den Pariser Vorstädten, setze ein Zersiedelungselend an der Peripherie fort, das wiederum Ackerflächen versiegele und Pendlerkolonnen erzeuge. Und dies, obwohl es Alternativen gäbe, mit besseren, zentraleren Standorten.

Dann, einen Tag später, die Gegenposition in eben dieser Zeitung, scharf formuliert durch den Ressortleiter des Regionalen, Matthias Alexander, unter der Überschrift: „Die hohe Zeit der Schlaumeier“. Den in „miesepetriger Generalkritik“ fixierten Gegnern des Projekts seien mangelnde Sachkenntnis, fehlende Phantasie und Scheinheiligkeit vorzuwerfen. Sicher, so Alexander, sei ein Baugebiet beidseits der Autobahn nicht ideal. Doch gebe es bei der gewünschten und notwendigen Größenordnung keine andere Wahl, weil egoistisch verfochtene Grundpositionen, so bei der CDU und bei den Grünen, vorher diskutierte Alternativen (Pfingstberg und Heiligenstock) bislang verhinderten.

Als Grundsatzkritik fügt er an: Zwar möge es für die etablierten Bewohner der Stadt und der Nachbargemeinden verführerisch sein, die Entwicklung auf dem derzeitigen Niveau einzufrieren, doch widerspreche dies der Grundidee der Stadt und deren Gundprinzip der Stadt: Veränderung. Verweigerung bedeute dann: soziale Verwerfungen. Den Planern wünschte er für die Aufgabe, „ein Quartier unter erschwerten Bedingungen zu entwerfen“, vor allem zwei Eigenschaften: Gestaltungswillen und Vorstellungskraft“ – um beispielsweise das Autobahn-Monster zu zähmen und eine kleine Stadt für 30.000 Einwohner attraktiv zu gestalten.

Für viele Wohnungssuchende attraktiv: die Altbauten des Frankfurter Westens

Schon bei dieser Zielvorstellung – attraktiv – scheiden sich oft die Geister. Für die einen ist das Idealbild die klassische europäische Stadt, nach einigen Entwicklungsschüben für große Einwohnerzahlen idealtypisch ausgeprägt in den Gründerzeitvierteln an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, eine Stadtkonzeption, die sich durch klare Straßenräume und -Plätze, durch relativ hohe Dichte und durch eine komplexe Mischung ganz verschiedener Funktionen auszeichnet, vom Wohnen über Arbeiten und Einkaufen bis zur Freizeitgestaltung und zum Erholen in vielfältiger Gastronomie und in nahen öffentlichen Parks. Für die anderen, um einen der Gegenpole zu nennen, ist Wohnen im Grünen ein Idealbild, mit eher individueller Bebauung, mit eigenen Gärten um familienorientierte Einzel- oder Reihenhäuser, auch um kleinere Wohnanlagen. Dazwischen gibt es natürlich jede Menge an Abweichungen und verschiedenen Figuren

Es ist auch nicht so, dass die Vorlieben ganz eindeutig sind. Natürlich, viele, vor allem junge, urbane Menschen zieht es in die Innenstädte, und dort, wenn es nur irgend geht, in jene gründerzeitlichen Viertel, die ihren Charakter bewahrt haben. Oder, besser gesagt, die so herausgeputzt sind, wie sie es vielleicht gerade einmal in der Anfangszeit waren, als die gehobenen Milieus in Neubaugebiete zogen, die Stadterweiterungen waren. Wie, klassischer Fall, das Frankfurter Westend, gesuchtes Gebiet für jene jungen, eher neureichen Kaufleute, die am früher standesgemäßen Innenstadtring keinen Platz mehr fanden. Für sie bauten Investoren – im Prinzip ganz wie heute – das neue Viertel im Westen. Vor allem in Etagenwohnungen, in drei- bis fünfstöckigen Häusern. Aber im Unterschied zu heute waren die Grundstücke kleiner parzelliert, so dass die reich dekorierten Fassaden jeweils individuelle Gesichter zeigen konnten – bei gleichen Grundzügen.

Zum städtebaulichen Grundsatz gehörte unbedingt, dass die Häuser an den Straßenzügen Bezug zueinander hatten, aufeinander abgestimmt waren nach einigen Leitlinien, dass sie „korrespondierten“: So beschrieb der frühere Leiter des Deutschen Architekturmuseums, Vittorio Lampugnani, diese Grundforderung (die im Denken und in der Praxis tief verankert war). Es entstanden über die Außenwände Innenräume, mit klar erkennbaren Konturen und Perspektiven, rhythmisiert durch Plätze, mit Innenhöfen in den Blocks, mit klaren Trennungen zwischen Innen und Außen – alles leicht wahrzunehmen, zu erkennen und wiederzuerkennen. Dazu mit Korrespondenzen zum menschlichen Maß, in Dimensionen, die nicht erdrückten, in der Höhe noch zu Fuß zu erschließen, also ohne auf einen Aufzug angewiesen zu sein – eine Hilfe, die erst um die Jahrhundertwende im größeren Stil eingesetzt wurde.

Seit einigen Jahren nun kann es gar nicht hoch genug gehen: Wohnhochhäuser gelten als neuester Schrei. In Frankfurt gibt es dafür prominente Beispiele, vom gerade fertiggestellten umgebauten Henninger-Turm bis zum gerade im Bau befindlichen Grand Tower am Eingang des noch immer unvollendeten Europaviertels. Bald zwei Dutzend solcher Wohntürme sollen entstehen, meist mit vermeintlich klangvollen englischen Namen (Markenbildung!), in der Höhe von knapp 60 Metern bis zu 190 Metern reichend – das gilt für den ebenfalls gerade emporwachsenden Omniturm mit einer Mischnutzung von Wohnen und Gewerbe.

Die Sockelbebauung des Ensemble „Four“ beim Rossmarkt

Alle Projekte sind (nimmt man das Europaviertel hinzu) reine Innenstadt-Standorte. Was teilweise zu hoher Konzentration führt. Zum Omniturm (Ecke Neue Mainzer Straße/Große Galluswarte) werden sich in Kürze vier weitere Türme gesellen (Name des Ensembles dehalb: „Four“), alle auf dem alten Großgrundstück der Deutschen Bank, umgeben von Rossmarkt, Junghofstraße und Schlesinger Gasse. Als kürzlich der ehemalige Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann mit dem „Four“-Projektentwickler Jürgen Groß über städtebauliche Perspektiven Frankfurts diskutierte, war er – ein Befürworter der klassischen europäischen Stadt – deutlich vernehmbar mehr als skeptisch, ob eine solches hochverdichtetes Ensemble (komponiert um eine relativ offene Sockelbebauung mit kommerzieller Nutzung und Gastronomie) die Qualitäten einer herkömmlichen Blockstruktur erfüllen kann.

Er bezeichnete das Gebilde als Hybrid. Zu bezweifeln sei, ob es in dieser Form das Bankenviertel („ziemlich trist und verlassen“) beleben könne. Er setze „große Fragezeichen“, ob „Solitär- und Luxusbauten“ zur Belebung dieses Viertels beitragen könnten, aber immerhin: Das Ganze sei auszuprobieren. So wie anzuerkennen sei, dass mit der Integration von sozial geförderten Wohnungen (nach dem Frankfurter Schlüssel mit einem Anteil von 30 Prozent) eine soziale Mischung angestrebt werde.

Klar wurde bei dieser Diskussion auch: Wohntürme können in keiner Form zur Lösung des drängenden Wohnungsproblems beitragen. Sie sind konstruktionsbedingt und wegen der weit komplexeren technischen Infrastruktur schlichtweg viel teurer als „normaler“ Geschosswohnungsbau. Das alles, so Jürgen Groß, funktioniere über eine „Quersubventionierung“: Über den Verkauf der teuren Wohnungen (mehr als 10.000 Euro pro Quadratmeter) würden die politisch gewollten erschwinglicheren Wohnungen (knapp die Hälfte des Preises) mitfinanziert. Die Herstellungskosten selbst unterschieden sich kaum.

Perspektivansicht der Hochhausballung des Ensemble „Four“ 

Ob die auf Luxus und damit auf gutbetuchte Käufer/Mieter getrimmten Türme überhaupt zur Linderung der Wohnungsknappheit im Ballungsraum Frankfurt beitragen können? Der Projektentwickler sieht das – trotz der auch insgesamt begrenzten Zahl – positiv: auf diese Weise werde „der Restmarkt entlastet“. Allerdings hatte Frankfurts Planungsdezernent Mike Josef gleich eingangs unterstrichen, dass bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum inzwischen „auch die breite Mittelschicht betroffen ist, welche nicht mehr mithalten kann.“ Zu den Gründen zählten „strukturelle Fehlentwicklungen“, von der mangelnden Ausweisung von Wohngebieten bis hin zum gravierenden Ausgangspunkt der begrenzten Bodenflächen und den eingeschränkten Steuerungsmöglichkeiten sowie den oft heftig ausgetragenen Interessenkonflikten beim Weiterentwickeln der Stadt.

Die ästhetische Frage, auch jene nach den städtebaulichen, den stadträumlichen Qualitäten ist dabei gerade in Frankfurt von vielen Akteuren weitgehend ausgeklammert worden – ein Missstand, den Mike Josef dankenswerter Weise klar anprangerte. Sicher hat Hans Stimmann recht, wenn er feststellt: „Die Nordweststadt würde heute niemand mehr so bauen“. Die Frage ist allerdings, ob so prominente Neubaugebiete wie Riedberg oder Europastadt so viel besser sind als die Beton-Retorteninsel aus den 60er Jahren, die damals (Stichwort: Neue Heimat) als Großsiedlung gerade auch in der Politik viel Beifall fand, zudem von damals renommierten Architekten in nur sechs Jahren gebaut wurde.

Europaboulevard im Neubauviertel an der Messe

Frankfurts umtriebiger und streitbarer Architekt Christoph Mäckler hatte im letzten Jahr bei einer Podiumsrunde zu Perspektiven des Städtebaus gefordert, angesichts der nach seinem Urteil katastrophalen Ergebnisse in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung „einfach den Fachleuten“ zu überlassen. Die politisch Verantwortlichen der Stadt seien offensichtlich überfordert oder nicht willens, neue Viertel nach den bewährten Grundsätzen des klassischen Städtebaus zu gestalten und als Steuerungsmittel für entsprechende klare Vorgaben zu sorgen.

Auch hier sind natürlich große Fragezeichen angebracht. Denn auch Architektur und Städtebau unterliegen Moden, kennen nahezu dogmatische Phasen, die für viele Jahre die Großplanungen und die Entwürfe dominieren – und dann irgendwann als vollkommen überholt gelten. So war für viele Architekten und Städteplaner die 1933 bei einem internationalen Kongress für neues Bauen (CIAM) beschlossene „Charta von Athen“ lange Zeit ein geradezu heiliges Buch. Mit der zentralen Forderung, die städtischen Grundfunktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen und Verkehr strikt zu trennen, ein Leitbild, das zu den heute beklagten Verödungen des städtischen Lebens führte.

Frankfurts Hochhäuser: Markenzeichen oder „Unwirtlichkeit der Stadt“?

Noch heute viel zitierte Buchtitel zur Kritik an den Ergebnissen dieser Trenn-Politik – wie „Die Unwirtlichkeit der Städte“ von Alexander Mitscherlich oder „Die gemordete Stadt“ von Wolf Jobst Siedler (beide Mitte der 60er Jahre erschienen) – zeigten dann, dass große, mit der Charta von Athen verbundene Architekten, an der Spitze Le Corbusier, eine schreckliche Spur gelegt hatten. Nicht zu vergessen dabei: Le Corbusier wollte unter dem Signum der Funktionalen Stadt die komplette Innenstadt von Paris abreißen, zugunsten von militärisch aufgereihten Wohnmaschinen entlang von mehrstöckigen Schnellstraßen.

Wer solches im Kopf hat, fand natürlich gut, dass Berlins Ex-Senatsbaudirektor Hans Stimmann bei der Frankfurter Diskussion an die Absolutheitsthese des immer noch als Architektur-Guru der heutigen Moderne gehandelten Rem Koolhaas erinnerte. Der befand nämlich vor 30 Jahren rundweg: „Die Stadt ist tot“. Was Stimmann ebenso kurz und bündig als „den größten Blödsinn eines Architekten“ abkanzelte (und der große Drang in die Städte, zum Teil auch eine Rückkehr aus dem Umland, belegt dies ebenso wie die in manchen Teilen geradezu mediterran belebten Städte).

Doch hilft diese Grunderkenntnis weiter, wenn es jetzt darum geht, für den Zustrom nach Frankfurt (in Deutschland ein besonders dynamischer Raum) die notwendigen Quartiere zu schaffen, mit allen notwendigen Einrichtungen, von den Wohnungen über die Einkaufsmöglichkeiten bis zu den Bauten für Bildung und Kultur? Kann es eine verbindliche Linie geben, sind Stadterweiterungen wie einst das Westend und dann das Nordend mit ihren heute so geschätzten Qualitäten (räumlich, ästhetisch, funktional) noch möglich?

Wünschenswert, das haben verschiedene öffentliche Diskussionen im letzten Jahr gezeigt, sind sie für eine Mehrheit von Bewohnern (und Planern) schon. Aber ebenso klar sind die Grenzen und Widerstände zu erkennen. So der Verlust eines früheren Planungs- und Gestaltungselements mit eindeutigen Vorzügen der Vielfalt – nämlich einer möglichst kleinteiligen Parzellierung – zugunsten von Großgebieten, die von den sogenannten Projektentwicklern im großen Stil beplant und bebaut werden. Die städtischen Einwirkungsmöglichkeiten sind dann in der Regel begrenzt, die Planer müssen sich eher auf Versprechen verlassen wie jenes von Jürgen Groß: „Wir wollen ein lebenswertes Umfeld schaffen“.

Dass selbst dem Gemeinwohl verpflichtete Institutionen oft nur die größtmögliche Rendite anstreben, zeigt gerade der Konflikt beim Areal des nun schon seit eineinhalb Jahrzehnten verrottenden Polizeipräsidiums. Während die Stadt Frankfurt anstrebt, dass ein Käufer an eine vielfältige Nutzung und städtische Bauvorgaben gebunden wird, hat das Land Hessen bislang nur eines im Sinn gehabt: das in seinem Besitz befindliche Grundstück zum höchsten Preis zu verkaufen – was potentielle Projektentwickler natürlich auf ihre Konzepte münzen.

Neues Wohnviertel am Riedberg mit wenig Charme

Genau solche Mechanismen führen natürlich zu so rendite-funktionalen Quartieren wie am Riedberg oder im Europaviertel, die trotz aller Versprechen beim Planungsauftakt so wenig (bis gar nichts) vom Charme früherer gründerzeitlicher Viertel aufweisen. Selbst die Chance, mit einer klar erkennbaren breiten Straße, dem „Europaboulevard“, einen wirklichen Raum mit vielfältigen „Wänden“ zu schaffen, wurde mit grober Geste und Kastenbauweise vertan. Der erste Teil der damaligen Berliner „Stalinallee“ (heute Schimpf-Spitzname in Frankfurt) hatte übrigens weitaus bessere Qualitäten.

Zu spüren ist, dass mit Mike Josef nun seit eineinhalb Jahren ein Planungsdezernent die Linien vorgeben will, der mit klar ausgesprochener Kritik an der bisherigen Frankfurter Praxis (die keine wirkliche Handschrift erkennen lässt, die vieles hat zerfasern lassen, die oft willkürlich und willfährig wirkt) umsteuern will – und dabei weiß, wie langwierig und schwierig die Prozesse sind. Sei es bei der Planung ganz neuer Großgebiete (wie jetzt in Richtung Nordwesten, über die A5 hinaus), sei es bei der weiteren Erschließung und Verdichtung bisheriger innerstädtischer Quartiere.

Wo immer Grundstücke als Baumöglichkeit ausgemacht werden, regt sich heftiger Widerstand (wie jetzt am Dornbusch, im Dichterviertel). Klar, sagen die sofort sich bildenden Initiativen allüberall, natürlich fehlen Wohnungen, muss die Stadt mit dem starken Zuzug fertigwerden. Aber ebenso klar: nicht bei uns, wir kämpfen um jeden Baum und jede Brache, um jeden Ausblick und um alles, was als Kaltluftschneise deklariert werden kann. Ob dieser halsstarrige Egoismus der Besitzenden je darauf befragt wurde, warum eine Stadt wie Paris so begehrenswert ist, obwohl die Einwohnerdichte um ein vielfaches höher ist als in Frankfurt und die Bewohner dort von den üppigen hiesigen Grünflächen nur träumen können?

Vorschlag von Richter Architekten für eine Rebstock-Bebauung

Als kürzlich das Frankfurter Büro Karl Richter Architekten einen sehr interessanten und vielversprechenden städtebaulichen Entwurf für eine Bebauung des verbliebenen Rebstock-Geländes vorlegte, dauerte es nicht lange, bis sich die Widerständler meldeten. Dazu gehörten auch landesbehördliche Einrichtungen – wieder wiegen danach alle ‚Grün’-Argumente wesentlich schwerer als die Interessen all jener, die zur Stadtgesellschaft schon gehören oder bald gehören könnten. Die Simulation des Architektenbüro zeigt eine Gestaltung, die dem Leitbild der herkömmlichen Stadt mit klaren Straßen- und Platzräumen nahekommt; und damit sich auch positiv von den jetzigen Rebstock-Ausläufern des Europaviertels abheben würde.

Wie widerstreitend die Interessen sind, wie unfähig zur Einschätzung städtischer Qualitäten dabei in der Regel die Besitzstandswahrer, hatte sich davor gezeigt, als es um die städtebauliche Grundfigur für ein Baugebiet im Nordend ging. Der im November schließlich prämierte Entwurf sieht eine klassische Blockrandstruktur mit Innenhöfen, was der den Magistrat beratende Städtebaubeirat als „klug und richtungsweisend“ bezeichnete. Die Entscheidung setze Maßstäbe für die künftige Stadterweiterung, weil der Entwurf die Qualitäten des Nordends aufgreife, „statt mitten in Frankfurt Vorstadt-Atmoshären oder dörfliche Nachbarschaften zu suggerieren“. Als die Entwürfe im Stadtplanungsamt öffentlich vorgestellt wurden, konnten die Bürger jeweils ihre Anmerkungen an Pinnwände heften. Die überwiegende Zahl der Meinungskarten zeigte einen eindeutigen Wunsch: grün, Bäume, grün. Der Siegerentwurf hatte bei den Anliegern (?) keinerlei Chance.

Siegerentwurf der Günthersburghöfe im Norden

Es sind diese fast unversöhnlichen Gegensätze der Interessen und der individuellen Bewertung, welche eine gemeinsame große Linie so schwierig machen. Und wer sieht, wie vielfältig die aktuellen Projekte der Stadtentwicklung sind – vom Ernst-May-Viertel in Seckbach über den Osthafenplatz und das Honselldreieck bis zum Kulturcampus, zum Niederrad-Rahmenplan, zum Fischerfeld- und Allerheiligenviertel oder zum projektierten Hochhausensemble an der Stiftstraße -, der sieht auch sofort ein: Individualität ist ebenso gefragt wie die Suche nach einer gemeinschaftlichen, für möglichst viele Bürger und Besucher an den Räumen und Bauten erkennbaren Frankfurter Identität.

So, wie dies einst in einem großen Kraftakt dem Baron Haussmann in Paris gelang (der dabei, nicht zu vergessen, ohne jede Rücksicht auf Bestehendes vorging), so ist dies natürlich nicht mehr möglich. Aber die in vielen Punkten Frankfurts vorherrschende Zerfledderung des Stadtbildes, die fast körperlich spürbare Unverbundenheit von Vierteln, sie muss keinen Bestand haben. Gerade hier ist der Zuzugs-Druck auf die Stadt sogar eine große Chance: weil er, über die egoistischen Einzelinteressen hinaus, dazu zwingt, die Möglichkeiten der innerstädtischen Verdichtungen und des ganz konkreten baulichen Zusammenfügens der Nahtstellen auch intensiv zu nutzen.

Zum Nachdenken muss auch gehören, weitere Höchst-Verdichtungen (wie beim Projekt „Four“ am Rossmarkt) in Frage zu stellen. Hans Stimmann brachte es bei der Diskussion mit Mike Josef fast beiläufig auf den Punkt: Die geplanten Hochhäuser (vom international renommierten Büro UN Studio) stufe er in den Rang einer „Designer-Messe“ ein. Sie seien zwar – wie andere Bauten in Frankfurt auch – als Objekte jeweils einzeln interessant; doch trügen sie kaum zum Stadtraum bei, bildeten keine Straßenbegrenzung, ließen als Hybride keine Einordnung über die Blockkanten zu, kurz: „Das kann nichts werden“.

Mike Josef setzt Hoffnung dagegen, sieht Vorzüge bei dem gemischt zu nutzenden Sockel als Verbindungselement und stellt sich insgesamt vor, dass dieses Hochhausbündel auf dem ehemaligen Deutsche-Bank-Areal über funktionierende neue Wegebeziehungen eines schafft: eine Anbindung des Bankenviertels an die Innenstadt. Was Stimmanns Wunsch nach der Ausarbeitung klarer Kanten betrifft, stellt der Planungsdezernent schlicht/sibyllinisch fest: „Das schaffen wir schon so nicht.“

 

Fotos: Uwe und Petra Kammann

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