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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutschland und Frankreich – Fruchtbare Gegensätze. Ein deutsch-französischer Kongress in Hamburg voller Weltoffenheit

Auf der Suche nach der Zukunft und Anknüpfen an gelungene Beispiele

Bindungen eingehen, Abgründe überbrücken, Spannungen aushalten. Und das mit Musik, mit Vorträgen, mit Gesprächen und mit Arbeitsateliers. Darum ging es beim  62. Jahreskongress der Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG)  und ihrer französischen Schwesterorganisation, der Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l’Europe (FAFA), in der Hamburger Handelskammer.

Von Petra Kammann

Gespräch mit Prof. Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Institutes Ludwigsburg, der vor der offiziellen Eröffnung des Kongresses Kernaussagen einer aktuellen sozialwissenschaftlichen Studie seines Institutes zur Lage der Deutsch-Französischen Gesellschaften in Deutschland und Frankreich vorstellte: v.l.n.r: Petra Kammann, Vorstand DFK Düsseldorf, Barbara Kubis-Martin, Präsidentin der FAFA, Dr. Margarete Mehdorn, Präsidentin der VDFG, die Journalistin Hilke Maunder, Prof. Baasner,  Stefan Endell, Pressesprecher der VDFG, Foto: Hilke Maunder

„Bien sûr, ce n’est pas la Seine,
Ce n’est pas le bois de Vincennes,
Mais c’est bien joli tout de même,
A Göttingen, à Göttingen…“

Und à Hambourg? Da fließt die Elbe. Das französische Chanson, das die Sängerin Barbara während ihres Konzertbesuches 1964 in Göttingen komponiert und auf Französisch wie auf Deutsch vorgetragen hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geradezu ein Kultchanson der deutsch-französischen Aussöhnung… Ja, aber warum wurde es ebenso eindringlich im gefüllten prächtigen Hamburger Rathaussaal vorgetragen? Hier sollte zweifellos an die Kraft der frühen Begegnungen erinnert werden.

v.l.n.r.: Norbert Kremeyer,Vors. DFG Cluny, Hamburg, Laurent Toulouse, Generalkonsul von Frankreich in Hamburg, Barbara Kubis-Martin, Präsidentin der FAFA, Dr. Margarete Mehdorn, Präsidentin der VDFG, Olaf Scholz, Bürgermeister von Hamburg

Bürgermeister Olaf Scholz, gleichzeitig auch Bevollmächtigter der Bundesregierung für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen, hatte etwa 300 Kongressteilnehmer aus Frankreich und Deutschland zu einem Empfang in die gute Stube der Freien und Hansestadt Hamburg geladen. Anlass der Zusammenkunft deutscher und französischer Gruppen war der traditionelle Jahreskongress der beiden Landesorganisationen, der in diesem Jahr mit dem 70. Geburtstag der Deutsch-französischen Gesellschaft Cluny e.V. Hamburg und ihrer ganz besonderen Geschichte zusammenfiel, und das wiederum im Jahr des 60-jährigen Bestehens der VDFG (Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V.), die seit vielen Jahren produktiv und zivilgesellschaftlich mit ihrer französischen Schwesterorganisation FAFA (Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l ́Europe) zusammenarbeitet. Entsprechend geballt war auch das Kongressprogramm, um allen Anlässen gerecht zu werden.

Die DFG Cluny war immerhin noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland als erste deutsch-französische Gesellschaft nach dem Krieg in Deutschland gegründet worden, und zwar auf Initiative von Erich Lüth, dem damaligen Pressesprecher des Hamburger Senats. Diese weitsichtige Grundlegung löste dann auch bald andere bilaterale Gründungen aus. Bereits 1951 folgte die erste Stiftung eines „Institut Français“ in Hamburg  und schon 1958 kam es zur Städtepartnerschaft mit Marseille. So setzten die beiden großen Hafenstädte Hamburg und Marseille 1963, noch vor dem Élysée-Vertrag, ein wichtiges Zeichen für die deutsch-französische Aussöhnung.

Véronique Elling beim Singen der „Marseillaise de l’espoir“, im Hamburger Rathaus

Als nun im Hamburger Ratssaal die Schauspielerin und Chansonsängerin Véronique Elling mit ihrer eindringlichen Stimme das berühmte Chanson von Barbara so schonungslos wie zärtlich vortrug, wurde wieder etwas von der Aufbruchstimmung dieser ersten Aussöhnungsversuche lebendig wie auch das tiefverwurzelte Bemühen der beiden Nachbarländer, aufeinander zuzugehen und um das, was durch den Elyseevertrag festgezurrt wurde, wieder zu erneuern und bekräftigen.

Und als Elling dann noch die Marseillaise de l’Espoir, ihre neue Version der französischen Nationalhymne, sang, war es schon bewegend zu erleben, wie alle Deutschen und Franzosen geschlossen aufstanden und applaudierten. Aus der französischen Nationalhymne, dem leidenschaftlichen Kampflied aus der Französischen Revolution, war durch die Veränderung des Textes ein Appell für mehr Frieden und Zusammenhalt geworden:

 

„Allons enfants de la patrie                        „Auf, Kinder des Vaterlands,
Le jour de gloire est arrivé                        
 Der Tag des Ruhmes ist gekommen!
Liberté, liberté chérie                                
Freiheit, Freiheit, mein Schatz
L’étendard d’espoir est levé                      
Das Banner der Hoffnung ist erhoben
L’étendard de justice et de paix                
Das Banner von Gerechtigkeit und Frieden
Entendez-­vous près des frontières            
Hört Ihr bei den Grenzen
L’appel des peuples voisins                        
Auf den Ruf der Nachbarsvölker
Qui viennent nous tendre la main          
    Die kommen, Euch die Hand zu reichen
Peuples unis, peuples solidaires            
    Vereinigte Völker, solidarische Völker

En marche citoyens                                      En marche, Ihr Bürger,
Pour l’Europ’ de demain                             
Auf in das Europa von morgen
Marchons, chantons                                     
Lasst uns aufmachen, lasst uns singen,
Et que la paix                                              
Damit der Friede
Éclaire nos chemins“                                  
Unsere Wege erhelle“

 

Die Anwesenden auf dem Kongress vertraten insgesamt etwa 150 deutsch-französische Gesellschaften und Partnerschaftsvereine in Deutschland und fast 200 in Frankreich, somit rund 30.000 Menschen. „Also ein sehr großes und weit verzweigtes zivilgesellschaftliches Netzwerk, das über die gesamten nationalen Territorien verteilt ist und ein enges Geflecht an Verbindungen über die Grenzen hinweg knüpft, dessen Anfänge auf die Nachkriegszeit zurück gehen“, wie die Vorsitzende des deutschen Dachverbandes VdfG, Margarete Mehdorn, in ihrer Ansprache betonte.

Der Eingang zur Hamburger Handelskammer mit dem Bekenntnis zu Weltoffenheit und Zivilcourage

Auf dem Kongress, der ansonsten tagsüber bezeichnenderweise in der Hamburger Handelskammer stattfand, da Frankreich zu den wichtigsten Handelspartnern der Freien und Hansestadt zählt, die man weiterhin in Europa stärken möchte, ging es insgesamt um eine gelungene Verbindung von Tradition und Moderne, weswegen man als sich als Kongressmotiv für Hamburgs Elbphilharmonie entschieden hatte. Dort fand übrigens schon am ersten Veranstaltungsabend ein eindrucksvolles Konzert des Felix-Mendelssohn-Jugend-sinfonieorchesters im – mit Eichenholz von der Loire ausgekleideten – Kleinen Saal statt, eines mit Pauken und Trompeten und mit ganz leisen und zarten Tönen, vor allem, als die junge Solo-Cellistin Teresa Beldi das deutsch-französische Publikum mit ihrer Zugabe „Dolcissimo“ des lettischen Komponisten Peteris Vasks zum differenzierten Hinhören zwang.

↑ Konzert des Felix-Mendelssohn-Jugendsinfonieorchesters im Kleinen Saal mit Cellistin Teresa Beldi 

Im Kleinen Michel sangen deutsch-französische Chöre. Hier die Begrüßung von Präsident Erik Cummerwie

Aber auch die Architektur der Elbphilharmonie regte dazu an, über die gelungene Verbindung von Tradition und Moderne nachzudenken: „Der rote Speicher bildet ein solides, aber eher unspektakuläres Fundament für einen Aufbau, der ungewöhnlich, einzigartig, modern und gewagt ist, der aus 2200 einzelnen Glaselementen unterschiedlicher Form besteht, so viele wie es Kommunalpartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich gibt (vielleicht könnte man einmal Patenschaften dafür anregen), ein Glasaufbau, der alle Stimmungen und Schattierungen der Umgebung aufgreift und reflektiert, dessen Wellenbewegung eindeutig nach vorne und nach oben strebt“, sagte Mehdorn in ihrer Eröffnungsrede. Und weiter: „Es wäre mein Wunsch, dass wir auf diesem Kongress einer solch gelungenen Kombination ein wenig näher kommen: solide in der Tradition gegründet, und doch modern, außergewöhnlich, voller Elan und Schwung und mit großer Anziehungskraft.“

↑ VdfG-Präsidentin Margarethe Mehdorn bei ihrer Eröffnungsansprache

↓ Norbert Kremeyer, der Vorsitzende der Hamburger DFG Cluny

Der Vorsitzende der Hamburger DFG Cluny Norbert Kremeyer scheute sich nicht, auch die Risse zu benennen, welche durch die Geschichte und den zerstörerischen Krieg aufgeworfen waren, lautete doch das Motto des Kongresses: „Fruchtbare Gegensätze“. Diesen Begriff der „contradictions fécondes“ hatten die Veranstalter übrigens dem Roman „Kompass“ von Matthias Enard entnommen. Kremeyer führte in seiner Begrüßungsrede die unmittelbare depressive Nachkriegsstimmung in einer Stadt wie Hamburg vor Augen: „Wenn Sie in Hamburg an der Alster spazieren gehen, kann es passieren, dass Sie – etwa auf der Höhe des Literaturhauses am Schwanenwik – auf ein Denkmal mit folgender Aufschrift stoßen: Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist der Abgrund. Das sind Sätze, die von dem Hamburger Autor Wolfgang Borchert (bekannt vor allem durch die Erzählung ,Draußen vor der Tür‘, der Geschichte über einen Spätheimkehrer) stammen, einem herausragenden Vertreter der Generation, die jung in den Krieg ziehen musste und sich danach – vor dem Nichts stehend – eine Zukunft erhoffte. Borchert starb am 20.11.1947 an den Folgen des Krieges.“

Und Kremeyer wies darauf hin, dass der Wille, ein neues Weltbild zu schaffen, in Hamburg besonders ausgeprägt war. Denn schon sieben Tage später habe sich die erste Deutsch-Französischen Gesellschaft  – Cluny eben – auf deutschem Boden – formiert und bald schon über 500 Mitglieder verfügt, wohlgemerkt noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Namen des burgundischen Cluny wollte die engagierte zivile Hamburger Bürgerschaft nach den Verheerungen durch die NS-Diktatur bewusst an humanistischen europäischen Werten anküpfen, „die es erlauben, dass Menschen sich begegnen, sich für einander interessieren, Bindungen eingehen, Abgründe überbrücken, Spannungen aushalten. Darin sei Cluny als Zentrum der europäischen Cluniazenser-Bewegung des humanistischen Mittelalters einfach ein positives Vorbild gewesen. Und man hat immer auch auf die Jugend gesetzt.

Die jungen „Botschafter“ des Franco-allemand trugen ihre Ergebnisse vor

Natürlich lebte der Kongress nicht nur von Festtagsreden. Begonnen hatte es mit einem generationen-übergreifenden Forum auf dem innovative, künftige deutsch-französische Ansätze auf zivilgesellschaftlicher Ebene erarbeitet wurden.

Und in vier thematisch unterschiedlich angelegten Ateliers  (Intergenerationelles Forum, Partnersprache, Erinnerungskultur und berufliche Bildung) wurde an dem gearbeitet, was in Zukunft noch verbesserungsfähig ist, und da war es zwischen den Kongress-Teilnehmern zu einem regen Gedankenaustausch gekommen: Herauskamen 101 Ideen für lebendige deutsch-französische Partnerschaften in Europa, Verstehen, Verständnis, Verständigung, die Zukunft der Erinnerung  und berufliche Bildung, die nicht nur an eine akademische Ausbildung anknüpft, sowie wirtschaftliche Kooperationen. Man denke nur daran, dass Hamburg in Deutschland der Sitz von Air Liquide ist und in solchen Unternehmen ein Austausch auf vielen Ebenen möglich ist.

Corinna Nienstedt, Leiterin des Geschäftsbereichs International der Handelskammer Hamburg, sprach von 160 000 französischen Mitgliedsfirmen als mögliche Handelspartner, in Unternehmen, die sich in frankophonen Ländern weiterentwickeln werden in Nordafrika und in Afrika. 35 000 Beschäftigte arbeiten allein schon heute bei Air Liquide. 

↓ Zur Verleihung des Prix Cluny – hier an Linnéa Hopp– war auch die neue französische Botschafterin S.E. Anne-Marie Descôtes aus Berlin angereist. Die Botschafterin beschwor in ihrer Rede die wertestiftende „Culture de l’Europe“, Mobilität und Mehrsprachigkeit

Dass es dem 62. Jahreskongress der VDFG und der FAFA gelungen ist, beherzt die Themen der Zukunft auch der jungen Leute anzupacken, davon zeugt zum einen die Rede der Cluny-Preisträgerin Linnéa Hopp, die zum Abschluss des Kongresses in ihrer Rede auch begründete, welche Rolle die langue française für sie spielt und zum anderen war das Resultat dieses gelungenen Kongresses die auf Deutsch und Französisch gemeinsam formulierte „Hamburger Erklärung“, die Schule machen könnte.

Fotos: Petra Kammann

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