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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Frankfurter Städel zeigt „Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes“

Hommage an eine Pionierin der Naturwissenschaften und an eine Jahrhundertkünstlerin

Von Hans-Bernd Heier

Jacobus Houbraken nach Georg Gsell: „Bildnis Maria Sibylla Merian“, Kupferstich, aus der ersten lateinischen Ausgabe des „Raupenbuchs“, um 1717

Maria Sibylla Merian war ein Jahrhunderttalent, eine ganz außergewöhnliche Frau, die in einer patriarchisch geprägten Gesellschaft ein äußerst ungewöhnliches und abwechslungsreiches, ja geradezu abenteuerliches Leben führte. Die 1647 in der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main geborene und 1717 in Amsterdam gestorbene Merian war eine selbstbewusste Pionierin der Naturwissenschaften und eine exzellente Malerin, die zu den namhaftesten Künstlerinnen ihrer Zeit zählt. Aus Anlass ihres 300. Todestags widmet das Städel Museum ihr unter dem Titel „Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes“ eine großartige Sonderschau.

Maria Sibylla Merian „Buschrose mit Miniermotte, Larve und Puppe“, aus dem „Raupenbuch“, Radierung und Kupferstich, koloriert, nach 1679

Die äußerst vielseitige Merian gilt nicht nur als eine der bedeutendsten Naturforscherinnen, sie war auch gelernte Kupferstecherin sowie herausragende Blumen- und Insektenmalerin. „Maria Sibylla Merian zählt zu den berühmtesten Töchtern der Stadt Frankfurt am Main. Hier hat sie ihre professionelle Ausbildung erhalten, hier wurden entscheidende Grundlagen für ihr ganz und gar außerordentliches Wirken als Naturforscherin und Künstlerin gelegt. Umso mehr freut es uns natürlich, dass wir nun eine umfassende Ausstellung zu Merian und der von ihr maßgeblich vorangetriebenen Tradition des Blumenbildnisses im Städel Museum zeigen können“, sagt Städeldirektor Philipp Demandt. „Das Werk Maria Sibylla Merians nimmt eine Sonderstellung ein. Diese resultiert aus der genuinen und nicht aufzulösenden Ambivalenz, die zugleich den besonderen Reiz der Arbeiten ausmacht: Künstlerische und wissenschaftliche Aspekte sind bei Merian untrennbar miteinander verwoben, und ihre Darstellungen bewegen sich stets gekonnt an den Grenzlinien zwischen hoher Kunst und naturwissenschaftlicher Detailwiedergabe“, ergänzt Martin Sonnabend, Leiter der Graphischen Sammlung bis 1750 am Städel Museum.

Maria Sibylla Merian (und Töchter?): Weiße Cyclamen, Aquarell und Deckfarben,
nach 1691 (?)

Die vom Städel Museum in Zusammenarbeit mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin und der Technischen Universität Berlin entwickelte Ausstellung präsentiert handverlesene Blätter aus beiden Sammlungsbeständen. Ergänzt werden diese durch wertvolle Leihgaben aus der Bibliothèque Nationale in Paris, der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden, der Staatsbibliothek zu Berlin sowie der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg in Frankfurt.

Insgesamt sind über 150 Werke in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung im Städel versammelt. Das ganz Besondere an dieser sehenswerten Schau ist, dass die Werke von Maria Sibylla Merian eingerahmt werden von floralen Darstellungen ihrer Vorläufer, an die sie anknüpfte, sowie von denen ihrer Zeitgenossen und Nachfolger. So besticht die filigrane Welt der Blumen- und Pflanzendarstellungen in Zeichnungen und Druckgrafiken des 15. bis 18. Jahrhunderts. Die Präsentation verdeutlicht, was Merians Eigenständigkeit ausmacht und in welche Richtungen sich das Blumenbild nach ihr und unter ihrem Einfluss entwickelt hat.

Maria Sibylla Merian „Weizenähre mit Marienkäfer, Kornrade mit Schlupfwespe und Fliege mit Larve und Puppe“, Aquarell und Deckfarben, nach 1683

Richtschnur für Maria Sibylla Merians Arbeiten war stets die Einheit von Kunst und Natur, welche die Malerin, Kupferstecherin und Insektenforscherin in ihrem „Blumenbuch“ von 1675 in dem folgenden Gedicht so trefflich beschreibt:

„So muß Kunst und Natur stets miteinander ringen /

Bis daß sie beederseits sich selbsten so bezwingen /

Damit der Sieg bestehn‘ auf gleichen Strich und Streich:

Die überwunden wird / die überwindt zugleich!“

Maria Sibylla Merian (und Werkstatt?) „Südamerikanische fußlose Eidechse, Leguan oder ostindische Baumeidechse und Seenadel“, Aquarell über schwarzem Stift auf Pergament, nach 1701

Bereits als Kind begann die Frankfurter Bürgerstochter im elterlichen Garten die Natur zu erforschen. Auf Basis ihrer Beobachtungen gelangen ihr Entdeckungen, die sie schon zu Lebzeiten berühmt machten und noch heute faszinieren, darunter die Verwandlung von Raupen zu Schmetterlingen. Das Thema der Metamorphose von Insekten beschäftigte sie zeitlebens und gipfelte in dem Werk „Metamorhosis Insectorium Surinamensium“. Der großformatige Prachtband entstand nach ihrer damals äußerst gefährlichen und beschwerlichen Forschungsreise in die holländische Kolonie Surinam, die sie von 1699 bis 1701 in Begleitung ihrer Tochter Dorothea unternahm. Aufgrund ihrer frappierenden Doppelbegabung konnte sie ihre naturwissenschaftlichen Erkenntnisse akribisch auf wundervollen Blättern festhalten. Johann Wolfgang von Goethe widmete ihr einige wenige, dennoch treffende Zeilen: Ihre erzählerischen Darstellungen von Pflanzen und Insekten bewegen sich stets „zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Naturbeschauung und malerischen Zwecken hin und her“.

Ausstellungsansicht

Im Mittelpunkt der äußerst gelungenen Ausstellungsarchitektur werden die Meistwerke Merians präsentiert. Zu sehen sind auch einige ihrer sehr seltenen Frühwerke sowie Arbeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren wissenschaftlichen Publikationen wie den Blumenbüchern und dem berühmten „Raupenbuch“ stehen. Gezeigt werden zudem „Arbeiten, deren traditionelle Zuschreibung an Maria Sibylla Merian in jüngerer Zeit infrage gestellt oder widerlegt worden ist. Sie verweisen auf die Tatsache, dass das Gesamtwerk der Künstlerin bis heute nicht umfassend kritisch erforscht ist“, so die Kuratoren Dr. Martin Sonnabend und Dr. Michael Roth, Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin.

Die Schau, die durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain gefördert wird, setzt deutlich vor Merians Zeit an und beginnt mit einer Auswahl floraler Darstellungen in Buchmalereien, Kupferstichen und Holzschnittillustrationen in Kräuter- und Apothekerbüchern des 15. Jahrhunderts. Besonders erwähnt sei Georg Flegel (1566–1638), der mit seinen frühen Blumenbildern die wegweisende und auf Naturstudien basierende Darstellungstradition Albrecht Dürers aufgriff und weiter entwickelte. Die ebenfalls zur Zeit Flegels entstandenen zarten Blumen- und Insektenbilder des aus Antwerpen stammenden und zeitweilig in Frankfurt lebenden Georg Hoefnagel (1542–1600/01) wurden von dessen Sohn Jacob Hoefnagel (1573–1632/35) in Kupferstichen publiziert und damit einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich gemacht.

Georg Flegel „Zwei Tulpen“, Aquarell und Deckfarben mit Weißhöhungen auf Papier , ca. 1620-1630

Ein im wahrsten Sinne des Wortes Gegengewicht zu den kleinformatigen Kunstwerken der Hoefnagels bildet die wohl anspruchsvollste Publikation dieser Zeit: der 1613 veröffentlichte Hortus Eystettensis (Garten von Eichstätt) des Nürnberger Apothekers Basilius Besler (1561–1629). Dieses Buch wurde zum Vorbild zahlreicher, damals sehr verbreiteter Florilegien (Blumenbücher). Stolze Gartenbesitzer konnten so die Blumenpracht auch noch genießen, wenn die Pflanzen bereits längst verwelkt waren. Diese Handbücher ließen den Reichtum der Blumenpracht überdauern.

Johann Walter der Ältere „Früchte, Nüsse, Tomate, ein Vogel (Tangara fastuosa) und eine Spinne“, aus dem Florilegium des Grafen von Nassau-Idstein, Idstein und Straßburg, Deckfarben auf Pergament, 1662

Auch andere Florilegien aus dem 17. Jahrhundert begeistern mit prachtvollen Deckfarbenzeichnungen auf Pergament oder als exklusive Drucke mit kolorierten Kupferstichen im Großformat. Eine Sonderstellung in der Schau nimmt das mehrbändige von Johann Walter d. Ä. (1603–1676/77) geschaffene Florilegium des Grafen Johannes von Nassau-Idstein ein. Die zwei prachtvollen Exemplare sind in ihren Originaleinbänden erhalten – mit rotem Samt bezogenen und feuervergoldeten Beschlägen versehen. Sie waren 1817 die ersten Erwerbungen für die graphische Städel-Sammlung. Nun werden sie erstmalig der Öffentlichkeit gezeigt.

Unbekannter Maler, Zuschreibung Barbara Regina Dietzsch „Blumengebinde mit Rosen, Tulpen, Mohn und anderen Blumen, mit Admiral“, Aquarell mit Deckfarbe, ca. 1770

Im 18. Jahrhundert greift das Sujet der Blumen- und Pflanzendarstellungen insbesondere die Nürnberger Künstlerfamilie Dietzsch auf, deren wichtigste Vertreterin Barbara Regina Dietzsch (1706–1783) war. Barbara Regina Dietzsch entwickelte gemeinsam mit ihren Geschwistern einen erfolgreichen Typus von Zeichnungen, der nach Aussage der Kuratoren “mit seiner gemäldeartigen Wirkung in die Domäne der männlich dominierten Malerei eindrang“. Es entstanden Werke, die „durch den Kontrast eines flächigen dunklen Hintergrunds mit plastisch gestalteten, in strahlenden Farben ausgeführten Pflanzen ihre Wirkung auch als gerahmte Werke an der Wand entfalteten“. Besonders Barbara Regina Dietzsch erreichte mit ihren Blumenkompositionen höchste Qualität.

„Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes“ in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung im Städel Museum bis zum 14. Januar 2018; zeitgleich ist auch die spannende Präsentation „Matisse – Bonnard. Es lebe die Malerei!“ zu bewundern; weitere Informationen unter: www.staedelmuseum.de

Abbildungen: Städel Museum

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