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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Internationale Kampagne: ZONTA Says NO

„Frauen stören das System“ – Eine Veranstaltung des ZONTA Club Frankfurt II Rhein Main

Text: Renate Feyerbacher
Fotos: Kathrin Dassel /Zonta

Die Internationale Kampagne ZONTA Says NO, die 2013 begann, tritt für die Gleichberechtigung von Frauen und gegen Gewalt an Frauen ein. ZONTA, internationales Netzwerk von berufstätigen Frauen in gehobenen Positionen, gegründet 1919 in den USA, hat bei den Vereinten Nationen (UN) konsultativen und beim Europarat partizipierenden Status.

links: Nicole Kreja, FeM Mädchenhaus, rechts: Pia Ullmann, Präsidentin des Zonta Clubs Frankfurt II Rhein Main

Der Frankfurter ZONTA-Club II zeigte seinen Mitgliederinnen und Gästen den Dokumentarfilm „Der Jungfrauenwahn“ der deutsch-türkischen Regisseurin Güner Yasemin Balci, deren Werdegang und Berufstätigkeit die Präsidentin Pia Ullmann skizzierte: 1975 in Berlin-Neukölln geboren, Studium der Erziehungs- und Literaturwissenschaften, Tätigkeit in einem sozialen Brennpunkt und in einem Mädchentreff. Heute arbeitet Güner Yasemin Balci als freie Journalistin, Fernsehautorin und Schriftstellerin. Sie erhielt bereits zusammen mit einer Kollegin den Europäischen Medienpreis für Integration – Civis – und den Bayrischen Fernsehpreis für ihre Dokumentation „Der Jungfrauenwahn“. (2015). Ihr Thema ist die Situation der Migranten in der deutschen Gesellschaft, vor allem die der muslimischen Frauen. Nach ihrem Debütroman „Arabboy – eine Jugend in Deutschland“ (2008) folgte der Roman „ArabQueen oder der Geschmack der Freiheit“ (2010), für den sie ein Jahr später den Jugendbuch-Preis „LesePeter“ erhielt. Das Thema des Films ist hier schon angedeutet. Im Buch geht es um Mariam, die aus ihrer streng muslimischen Familie ausbricht und künftig ein Doppelleben führen muss. Im Film „Der Jungfrauenwahn“ – der Titel lässt es erahnen – geht es um das sexuelle Verhalten, um die Vorstellungen von ihrem Leben, die Hoffnungen und Wünsche junger Muslime beiderlei Geschlechts. „Du musst Jungfrau sein, sonst nimmt dich keiner mehr.“ Die mutige Fernsehjournalistin Balci begibt sich auf ein äußerst schwieriges Terrain, das unter den Muslimen Pro und Contra diskutiert wird. Ein starker Beitrag, der vielen jungen Muslimen gezeigt werden sollte.

Der Film

Das Blut auf dem Bettlaken in der Hochzeitsnacht soll beweisen, dass die Braut noch Jungfrau ist – ein Beweis der vor allem bei muslimischen Frauen notwendig ist. Dabei ist bekannt, dass nur etwa fünfzig Prozent der jungfräulichen Frauen in dieser Nacht bluten.

Vor über 50 Jahren erfuhr ich erstmals von einem griechischen Arzt von der Möglichkeit, das Jungfernhäutchen zu rekonstruieren. Diese Operation ist heute nicht mehr notwendig. Künstliches „Jungfrauen“ – Blut wird mittlerweile im Tütchen geliefert. So beginnt der Film: Güner Yasemin Balci packt ein solches Tütchen aus.

„Die Natur hat einen gewissen Widerwillen gegen eine solche (Frau), die schon ein anderer berührt hat“, heißt es im „Buch der Ehe“, Band 12 der „Wiederbelebung der Wissenschaften des Glaubens“, das der persisch-muslimische Theologe, Philosoph und Mystiker Al-Ghazali vor über 900 Jahren schrieb. Aus diesem Buch wird im Film immer wieder zitiert. Nach den Thesen dieser Schrift richten sich streng religiöse muslimische Familien auch in Deutschland. Für Mädchen und Jungen aus diesen Familien, die anders leben wollen, die vor der Ehe Sex haben wollen, heißt das: ein Doppelleben führen oder wegziehen, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Denn der Ehrenmord ist nicht ausgerottet. Nicht nur die Religion, sondern auch die Kultur der Ehre spielen eine Rolle in der von Männern dominierten islamischen Welt. „Patriarchat in Reinkultur“, nennt es die Frankfurter Professorin Susanne Schröter, Direktorin des Instituts für Ethnologie und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI). „Die Ehre sitzt zwischen den Beinen der Frau, die Familienehre. Die gesamte Familie verliert die Ehre, wenn eine Frau sexuellen Verkehr hat mit einem Mann außerhalb und vor der Ehe.“

Regisseurin Güner Yasemin Balci lässt junge Muslime ihre Geschichte erzählen. Sie sind geprägt von Not und Angst. Beeindruckend ist das Gespäch, dass sie mit Dalil Boubakeur, dem Rektor der Pariser Großen Moschee und einem bedeutenden Repräsentanten des europäischen Islams, führte. Solche Persönlichkeiten lassen hoffen, dass sich die muslimische Tradition nach und nach lockert.

v.l.n.r.: Andrea Ufer, Produzentin des Films, Prof. Marlis Hellinger, Moderatorin, Lydia Weyerhäuser, FeM Mädchenhaus, Prof. Susanne Schröter

Vier Protagonisten tragen den Film: die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, der Psychologe Ahmad Mansour, die ehemalige FEMEN-Aktivistin, bekannt durch ihre Oben-ohne-Aktionen, Zana Ramadani, und die Studentin Arife Yalniz. Mansour, Sohn arabischer Israelis, als junger Mensch ein Islamist, kam 2004 nach Deutschland. Er ist inzwischen deutscher Staatsbürger. Der Islamismus-Experte, mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Verdienstorden des Landes Berlin, und als Botschafter für Demokratie und Toleranz, verliehen von der Bundeszentrale für politische Bildung. Er arbeitet wissenschaftlich. Oft ist er Gast in den Medien, bei Seminaren und Workshops für Pädagogen und Sozialarbeiter sowie Sprecher des Mulimischen Forums Deutschland. Die Tabuisierung der Sexualität spielt für ihn eine Schlüsselrolle in der Radikalisierung junger Muslime. Er erzählt aus seinem Privatleben und zeigt sich mit seiner jungen deutschen Ehefrau bei der traditionellen Hochzeit in Israel – ein Zugeständnis an die Eltern.

Auch die in Istanbul geborene Seyran Ateş, deutsche Anwältin, Autorin und Frauenrechtlerin, mit 13 Auszeichnungen geehrt, gewährt einen Einblick in ihre Familiengeschichte. Sie hat sich von der traditionellen Frauenrolle befreit, die ihr in der Familie schon als kleines Mädchen zugewiesen wurde. Mit siebzehn Jahren verließ sie diese heimlich. Im Film wird die Versöhnung mit ihrer Mutter gezeigt. Die Kämpferin gegen Zwangs- und Kinderehen sowie Ehrenmorde, Seyran Ateş, auf die schon einmal ein Attentat verübt wurde, die Morddrohungen vor allem nach ihrem Buch „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ erhielt, zog sich zeitweilig als Anwältin zurück. „Für die islamische Welt würde es eine riesengroße Entspannung bedeuten, wenn man diesen Jungfrauenwahn ablegen würde. Dann wäre der Wahnsinn vorbei.“ Mit diesen Worten von Seyran Ateş endet die Dokumentation, die drastische Kommentare bei YouTube provoziert habe, sagt Produzentin Andrea Ufer in der anschließenden, von der emeritierten Professorin Marlis Hellinger moderierten Diskussion. Über die Not der Frauen und Mädchen, die von allen Seiten instrumentalisiert werde, wie auch von der falschen Toleranz der Linken sprechen Professorin Schröter und Lydia Weyerhäuser vom FeM-Mädchenhaus Frankfurt, für das der Erlös der Veranstaltung bestimmt war.

Und wieder gibt es Morddrohungen und Personenschutz für Seyran Ateş, weil sie, mittlerweile auch Imamin, mit Gleichgesinnten in Berlin eine Moschee gegründet hat, in der Frauen und Männer gemeinsam beten. In einer Kritik von muslimischer Seite hieß es, Frauen könnten nicht gemeinsam mit Männern beten, und schon erst recht nicht ohne Schleier. Zu den Gründungsmitgliedern gehört auch der deutsch-algerische Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der in Freiburg lehrt. Er hat soeben seine Vorschläge zur Islam-Reform in Anlehnung an Luthers Thesenanschlag in 40 Thesen veröffentlicht und sie auch an der Tür der Dar-as-Salam Moschee in Berlin angebracht. In der These 33 heißt es: „Der Islam hat die Frauen nicht zu freien Menschen gemacht, sondern zu Knechten der Männer. Die Frauen des Islams müssen sich erheben, denn ihre Peiniger werden sie nicht befreien.“ These 34: „Das Kopftuch ist keine religiöse Vorschrift, sondern ein historisches Produkt der männlichen Herrschaft.“ These 40: „Nur ein liberaler Islam ist zukunftsfähig.“

Muslim Abdel-Hakim Ourghi hat Recht. Der Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat mit seinen Thesen bereits Streit ausgelöst. Der Imam hat ihm geholfen, das Papier an der Berliner Moschee anzubringen. Ein Berliner Pfarrer fand sein Begehr falsch. Die Freiburger Hochschule stellte seine Lehrbefähigung infrage, aber sein Chef, der Rektor, verteidigte ihn. Es ist noch ein weiter Weg zu einem liberalen Islam, aber so mutige Muslime wie Ourghi, wie Ateş, Mansour, Ramadani und die Mädchen und Frauen, die ihre Familien unter Lebensgefahr verlassen, machen Hoffnung, dass sich etwas bewegt. Über unsere falsche Toleranz, von den Frauen in der Diskussion zur Sprache gebracht, muss unbedingt nachgedacht werden.

Abdel-Hakim Ourghi: „Reform des Islam. 40 Thesen“ (Claudius Verlag).

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