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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Cézanne. Metamorphosen“ in der Kunsthalle in Karlsruhe

Cézannes Äpfel und Birnen, seine Jacken und Gebirge

Die Bilder des französischen Malers Paul Cézanne (1839 – 1906) hängen heute in den großen Museen der Welt, von New York bis Sankt Petersburg, und sie erzielen auf den Kunstauktionen schwindelerregende Preise. „Der Kartenspieler“ soll 2011 für 275 Millionen Dollar der höchste Preis, der jemals für ein Gemälde gezahlt wurde – verkauft worden sein. Der zu Lebzeiten wenig geschätzte Künstler, der selbst eher bescheiden bis zu seinem Tod in Aix-en-Provence lebte, gilt als „Vater der Moderne“. Anders als in Tübingen mit den Sonderschauen von 1978, 1982 und 1993, anders als die darauf folgende Ausstellung 1994 in Paris und 2004 im Essener Museum Folkwang oder die im Musée Granet in Aix-en-Provence zu Cézannes hundertsten Todestag, anders auch als die große Porträtausstellung Pariser Musée d’Orsay in diesem Jahre nimmt die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe nun eine spannende, andere Seite dieses ungewöhnlichen Malers in den Blick: „Cézanne. Metamorphosen“.

Von Petra Kammann

Hereinspaziert in die Ausstellung: Cézanne lädt ein in sein Atelier in Aix-en-Provence. Der Maler wurde 1906  von Gertrude Osthaus fotografiert, Gesamtfoto: Petra Kammann

Am 13. April 1906 müssen wohl Gertrude und Karl-Heinz Osthaus, Kunstsammler aus Hagen und einer der wichtigsten Unterstützer der „Moderne“, den Maler Paul Cézanne in Aix-en-Provence in seinem Atelier am Chemin des Lauves besucht haben. Ein Schwarzweißfoto, das Gertrude Osthaus seinerzeit dort gemacht hat, zeugt jedenfalls von diesem Besuch, der dem kunstsinnigen Ehepaar sehr wichtig gewesen sein muss. Immerhin gehörten sie zu den ersten Käufern von Gemälden des südfranzösischen Malers, die für deutsche Museen angeschafft wurden, während der damalige Leiter des Musée Granet in Aix-en-Provence schwor, dass niemals ein Werk von Cézanne Einzug in sein Museum halten würde. So berichtete es Michel Fraisset in seinem launigen Vortrag über Paul Cézanne und dessen Wirken in Aix-en-Provence in der Karlsruher Kunsthalle vor Journalisten. Der kenntnisreiche Fraisset war viele Jahre über Leiter des immer noch existierenden authentischen Atelier Cézanne in Aix-en-Provence und ist heute Direktor des dortigen Office de Tourisme. Die Wiedergutmachung an Cézanne hat in der provenzalischen Stadt insofern stattgefunden, als man sich nun sogar mittels eigenem Stadtplan dort auf die Spuren des Malers begeben und dabei nicht nur die Malerei, sondern auch besondere Orte und die Landschaft entdecken kann.

↑ Paul Cézanne, Jacke auf einem Stuhl, 1890-1892 © Privatsammlung

Der gezeichnete und aquarellierte Mantel erinnert an ein sich auftürmendes Gebirge

↓ Paul Cézanne, L’Estaque, 1879-1883©2016 Digital Image / The Museum of Modern Art / Scala, Florenz

Die im Todesjahr Cézannes (1906) von Osthaus beim Künstler selbst gekauften Gemälde wie der in Karlsruhe ausgestellte „Steinbruch von Bibémus“ gehören heute zu den kostbaren Schätzen des Essener Museum Folkwang, während das charakteristische Schwarz-Weiß-Foto von Gertrude Osthaus nun am Eingang der fulminanten Karlsruher Ausstellung steht. Osthaus war seinerzeit von den „Raumwerten der Farben“ zurecht begeistert, die der Maler zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine neue Wahrnehmungsweise erschlossen hatte. Was damals der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe durch seine Schriften bewirkte und auslöste, wollte der Pionier Osthaus mit seinen Landsleuten teilen und mit seinen neu gewonnenen Erkenntnissen zur Geschmacksbildung für die Rezeption der Kunst des 20. Jahrhunderts in Deutschland beitragen.

Eine Cézanne-Schau der„Metamorphosen“ mit diesem Foto zu eröffnen, setzt zudem ein wichtiges Zeichen, wegen des abgebildeten Motivs einerseits und wegen des damals jungen Mediums Fotografie andererseits: Die Fotografie hatte die Malerei insofern abgelöst, als sie die Wirklichkeit „naturgetreuer“ abbilden und sogar Bewegungen festhalten konnte und es daher auch nicht notwendig erschien, ihr nachzueifern. Der auf dem Osthaus-Foto abgebildete völlig uneitle Maler Paul Cézanne trägt beherzt den schlichten Alltagsstuhl aus seinem Atelier ins Freie und macht sich auf in die Natur, womöglich ging er „sur le motif“, wie er es nannte. Denn dort fand er die ihn inspirierenden Motive und das besondere Licht. Das Wahrgenommene verwandelte er dann seiner Komposition im Atelier an und sprengte dabei den Rahmen des illusionistisch Dreidimensionalen, indem er ganz neuartig massige, flächig gemalte, gestrichelte und „unfertige“ Bildpartien nebeneinander stellte oder miteinander verschachtelte. Einige der zeitgenössischen Künstler erklärten ihn damit zum „Vater der Moderne“. Selbst der ansonsten so eifersüchtige Künstler Pablo Picasso zollte ihm für seine neuartige Malweise Respekt und kaufte ihm sogar schon früh ein Bild ab: das „Meer bei l’Estaque“ von 1878, das heute zum Bestand des Pariser Musée Picasso zählt, derzeit aber auch in Karlsruhe zu sehen ist.

↑ Paul Cézanne, Mardi Gras, 1888©Staatliches Museum für Bildende Künste A.S. Puschkin, Moskau
In dem so gegensätzlichen Doppelporträt „Mardi Gras“ zeigt der Maler seinen Sohn Paul als stolzen Harlekin an der Seite seines Freundes Louis Guillaume, des „schrägen“ Pierrots – beide in durchgestalteten und stilisierten Kostümen der Commedia dell’Arte – und knüpft dabei an die Tradition der Manet’schen Malerei an. Auch Picasso bediente sich der Figur des Komödianten als Symbol des Künstlers und Außenseiters. In der Karlsruher Schau wird an vielen ähnlichen und doch auch ganz unterschiedlichen Exponaten deutlich, dass der zu seiner Zeit in Paris verschmähte und von seinem früheren Freund Emile Zola als erfolgloser Künstler ironisierte Cézanne auf der Suche nach dem Neuen, auch auf der Suche nach Stabilität war. Und das geschah häufig bei ihm über das Kopieren älterer Werke, die er sehr eigenständig in Grundzügen mit dem Bleistift auf Papier übertrug, in Aquarelle verwandelte, abmalte und so dass damit ein äußerst facettenreiches Werk entstand.

Da er diesen Vorgang periodisch wiederholte, kann man bei Cézanne kaum von einer chronologischen Entwicklung sprechen. Für ihn bedeutete das Kopieren eine Art Rückversicherung und Selbstüberprüfung. Dabei befasste er sich ebenso mit der „neuen“ Malerei eines Manet, Corot oder Courbet wie mit der alten Kunst – von El Greco über Rubens bis hin zu Delacroix –, um seine eigene Bildsprache zu finden, die in manchem den Kubismus und bisweilen die flächig-abstrakte Malerei vorwegnimmt. Immer wieder umkreist und verwandelt er beim Vorgang des Kopierens die ihm bekannten Motive, ob die Porträts seiner Frau Hortense oder die seines Sohnes Paul, die Akte und Badenden, die er aus mythologischen Zeichnungen ableitete, oder die Stillleben, welche den alltäglichen Gegenständen wie Tüchern, Äpfeln und Birnen, eine neue Dimension und Aufmerksamkeit geben.

Die strukturelle Anordnung der Exponate in dieser Schau, in der es um Metamorphosen geht, macht das Work in Progress des nach neuen Wegen suchenden Künstlers, das innovativ Prozesshafte, besonders augenfällig. Auf diesen Ansatz hat der Kurator Alexander Eiling wohl auch schon im Vorfeld gesetzt und gebaut. Wie sonst hätte er die Museen der Welt und die Privatsammler überzeugen können, ihre kostbaren Skizzen, Aquarelle und Ölgemälde aus den verschiedenen Schaffensphasen Cézannes als Leihgaben nach Karlsruhe zu schicken! Da war schon Engagement gefragt. Hätte er ihnen nicht seine Ideen von der Ausstellungskonzeption vorgetragen und wäre fast zwei Jahre lang mit äußerster Konsequenz vorgegangen, wäre es wohl kaum zu dieser reichhaltigen Ausstellung gekommen mit um die 100 hochwertigen und teils unbekannten Exponaten.

↑ Paul Cézanne, Bildnis Hortense Cézanne mit Hortensienblüte, 1882 – 1885/86 © Privatsammlung, Foto: Elmer de Haas

Eigentlich empfand sich der Künstler nicht als Porträtist. Aber er umkreiste das Bildnis von Hortense in verschiedenen Medien und experimentierte mit dem „non finito“, um verschiedene Ebenen zu schaffen

Paul Cézanne, Madame Cézanne im gelben Lehnstuhl, 1888-1890

Während der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe 1904 schrieb: „So ein Cézannescher Apfel ist gekonnt, wie ein Kostüm bei Velasquez, mit der gewissen Selbstverständlichkeit, an der nicht zu rütteln ist“, blieb Cézanne für die Franzosen noch lange ein Außenseiter. Weil er Äpfel mit Birnen vergleicht? Mitnichten. Aber er malte sie so, indem er sie in eine fruchtbare Spannung brachte und etwas Neues aus ihnen machte, weil sein Interesse im Prozess des Malens ihnen galt. Dabei fügte er kraftvoll Farbschichten ineinander, über- und zueinander. Sein Interesse an Formanalogien zwischen gedrehten Körpern, Stoffen und Bäumen, Pflanzlichem und Geologischem war ebenso groß, weswegen er sie auf eine Ebene stellte und die Akzente einfach anders setzte, und ihnen damit eine andere Bedeutung zumaß.

In der Langsamkeit und Unablässigkeit seiner Bearbeitung der Dinge entstand auf diese Weise nicht nur eine neue Dichte, sondern gleichzeitig eine subtile Balance zwischen lichten und dunklen Räumen. In den neu geschaffenen Freiräumen entwickelte der Maler aus dem Süden dabei ganz besondere Zwischentöne, die Raum für Assoziationen des Betrachters bieten. Es ist seine „eigenartige Tektonik“, mit Hilfe derer er die Welt erfasste und ummodelte. Er umkreiste die Dinge des Alltags, eignete sie sich an, um sie dann zu transformieren. Den kreativen Spuren seines kontinuierlichen Schaffensprozesses zu folgen, ist allein deshalb schon eine Fahrt nach Karlsruhe wert. Aber man wird auch reichlich durch das Anschauen von in aller Welt verstreuten Originalwerken belohnt.

↑ Paul Cézanne, Blick auf die Kathedrale Saint-Sauveur von Les Lauves, 1902-1906, Photography by David Allison Recto Shot

↓ Paul Cézanne, Weiblicher Akt und Birnen (Leda II), 1887

Wie ungewöhnlich eigenständig die Arbeiten Cézannes sind, erlebt man in Karlsruhe vor allem aber auch, weil sie motivisch in einen Kontext mit anderen früheren Künstlern gestellt werden. Die Modernität des Künstlers liegt vor allem auch im Ausloten der Grenzen von Gegenständen, Figuren und Techniken, was er mit seinem ausgeprägten Sinn für Querverweise verknüpft. Da kommt einem der Frauenkörper den auf dem Tisch komponierten Früchten als Stilleben ebenso nahe wie eine gebirgige Landschaft oder eine liegen gelassene Jacke auf einem Stuhl, der zu kippen droht, dann aber doch gehalten wird.

Der sehr informative Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Alexander Eiling, auf den wir uns in Frankfurt schon freuen können, ist im Prestel Verlag erschienen. Mit einem Vorwort von Pia Müller-Tamm, mit Vorbemerkungen zur Cézanne-Forschung von Walter Feilchenfeldt und Beiträgen von Juliane Betz, Michael Clarke, Alexander Eiling, Inken Freudenberg, Eva-Maria Höllerer, Richard Kendall, Mary Tompkins Lewis, Astrid Reuter, Tessa Rosebrock, Fabienne Ruppen und Margret Stuffmann.

Die Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe läuft noch bis zum 11. Februar 2018

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