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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Präsens“ – Jil Sander im Frankfurter Museum Angewandte Kunst

Jil Sander – Ganz gegenwärtig in Klasse und Stil

„Mir kommt es darauf an, dass alles an einer Kollektion auf demselben Niveau ist“, sagt die Designerin, Unternehmerin und Gesamtkünstlerin Jil Sander, der eine große Ausstellung in Frankfurt gewidmet ist und für die ein komplettes Museum geräumt wurde. Ihre Aussage trifft auch auf die Architektur zu, zu der sie mit ihren Exponaten in Dialog tritt. Im Museum Angewandte Kunst kuratierte sie gemeinsam mit Museumsdirektor Matthias Wagner K auf rund 3.000 Quadratmetern die Gesamtschau „Präsens“. Thematisch gliedert sich die Schau in die Bereiche Laufsteg, Backstage, Atelier, Modekollektionen, Accessoires, Kosmetik, Modefotografie und Kampagnen, Mode und Kunst, Architektur und Gartenkunst. 

Text und Fotos: Petra Kammann

↑ Klarheit und Transparenz beherrschen die Ausstellung „Präsens“ im Museum Angewandte Kunst hier ganz groß das Porträt Jil Sander aus der „Marie Claire“ von 1991
© Peter Lindbergh, Gesamtfoto: Petra Kammann

Eigentlich war ich schon ein wenig traurig, dass ich nicht zur Pressekonferenz von Jil Sanders pünktlich nach Frankfurt zurückkommen konnte, weil ich wegen unvorhergesehener Umstände in Düsseldorf steckengeblieben war.

Sei’s drum. Immerhin hätte ich ja noch zur Ausstellungseröffnung von Jil Sanders Schau ins Museum Angewandte Kunst gehen können. Und vielleicht wäre die scheue Modedesignerin und Künstlerin ja sogar dort ebenfalls präsent gewesen, da sie die Architekturikone von Richard Meier mit dem Ko-Kurator und Direktor Matthias Wagner K am Main innwendig komplett umgestaltet hat.

Aber dann desillusionierten mich die Wartenden vor dem Museum. 4000 müssen dorthin geeilt sein, um die Eröffnung mitzuerleben, sagte mir am Tag darauf die Frau an der Kasse. Hätte ich da überhaupt irgendetwas sehen und hören können von dem, was mich eigentlich an der deutschen Modeschöpferin Heidemarie Jiline Sander aus dem hohen Norden so sehr interessiert? Ihre puristische Strenge, ihre diskrete dezente Farbpalette, ihr Gestaltungswille, der dem von Bildhauern und Architekten gleicht! Ist sie eigentlich eine Modedesignerin? Zweifellos hat sie in der Mode einen bestimmten Stil geprägt, aber eben nicht nur.

↑ Bewusst inszenierte Blickfänge an den verschiedenen Eckpunkten des Museums

Sie ist schlicht eine Frau, die sehr eigenständig mit Stylisten, Fotografen und Werbeagenturen, mit Architekten und Gartenarchitekten, mit den angesehensten Manufakturen und Stoffherstellern, Klangkünstlern und Künstlern wie Mario Merz zusammengearbeitet hat! Sie ist zu allererst die Erfinderin einer neuen Bild- und Wahrnehmungssprache, vergleichbar vielleicht mit der ungewöhnlichen Choreographin Pina Bausch…

Und gelesen hatte ich inzwischen auch schon fast alles, was die Kollegen so positiv an der Ausstellung fanden. Würde ich dem überhaupt noch irgendetwas hinzuzufügen haben und das auch noch mit zeitlichem Verzug?

Nun war der Samstagmorgen nach der Eröffnung aber ein wunderschöner Herbsttag, der letzte vielleicht in diesem Jahr, und ich tröstete mich damit, dass das vielgerühmte Licht in dem strahlend weißen Richard Meier-Bau wirklich fluten würde und der Blick auf die fallenden goldenen Herbstblätter nochmal eine neue Dimension eröffnen könnten.

Also machte ich mich am Samstagvormittag auf, in der Hoffnung, dass die meisten möglichen Besucher vor allem erst einmal lange schlafen und dann ihre Wochenenderledigungen machen.

Und ich beschloss, als Erstes die oberste Etage des Museumsgebäudes aufzusuchen, wo sich das „Architektonische“ aus Jil Sanders Vita finden würde, was mich auch keineswegs enttäuschen sollte. Einfach herrlich kraftvoll ihre konstruktiven Bleistiftzeichnungen aus der unmittelbaren Kreativphase in den Kästen vor den aufgestellten Computerbildschirmen, auf denen man die von ihr gestalteten Räume in ihrer vollendeten Perfektion erleben kann!

Eine Etage tiefer dringen aus der ausgeklügelt inszenierten Catwalk-Szene Motive aus Schuberts „Winterreise“ oder ein paar melancholische Mollklänge aus Chopins Klaviermusik, die wohl der Sounddesigner-Komponist Frédéric Sanchez in seine eher sphärische Klangkunst hat einfließen lassen… Der Stoff an den Models fließt, und dazwischen vernimmt man ein fast hingehauchtes Stöhnen.

Ganz oben hingegen strahlen die von ihr entworfenen schlichten Möbel für die Sander-Showrooms Klarheit aus

Faszinierend aber auch die so grazilen wie präzisen Zeichnungen vom neuen Jil Sander-Haus in Paris in der Avenue de Montaigne, wo es für deutsche Modeschöpfer sicher nicht so leicht ist, sich zu behaupten.

Vor allem aber taten es mir Jil Sanders Zeichnungen zu dem von ihr gestalteten Garten in der Nähe des Plöner Sees an, wo sich Präzision, Geometrie und Organisches nicht ausschließen. Als Inspiration muss ihr dabei wohl Vita Sackville-Wests Garten in Sissinghurst Castle in der englischen Grafschaft Kent gedient haben.

Sander legte hinter Buchsbaumhecken einzelne „Gärten im Garten“ an, wie intime Räume, in dem jeder sein eigenes Farb-und Blütenschema hat, ausgenommen die freie Fläche des Zen-Gartens mit Steinen und Kies.

↑ Bild aus der Videoschleife von einem Drohnenflug über Gut Ruhleben im Dark Room

Der Präsentation dieses ungewöhnlichen Gartens ist zu Recht ein dunkler Raum mit schwarzen Wänden gewidmet, in dessen Kosmos man, kaum hat man sich hineingegeben, eintaucht.

An der Vorderwand läuft eine Bildschleife mit sich wandelnden Bildern dieses natürlichen Zaubergartens, während auf der Rückwand auf schwarzem Fond ein kleines bedeutendes Bild hängt, dazu noch eines meiner Städelfavoriten: „Das Paradiesgärtlein“ vom Oberrheinischen Meister aus dem beginnenden 15. Jahrhundert. Welch atemberaubende Preziose, die auf dem schwarzen Hintergrund noch einmal eine zusätzliche Wirkung entfaltet!

↑ Oberrheinischer Meister, „Das Paradiesgärtlein“ aus dem Städel, um 1410-1420, Mischtechnik auf Eichenholz, 26,3 x 33,4 cm, © Städel Museum – ARTOTHEK

Trotz der unterschiedlichen räumlichen Dimensionen erlebt man beide Bildwelten, die des weiten Gartens auf Gut Ruhleben am Plöner See und die des minutiös angelegten kleinen Paradieses vom Oberrheinischen Meister als gleichwertig und lässt sich dabei auch gern auf den Sound des Vogelgezwitschers  ein. Die japanischen Brücken darin – besonders die gebogene rote – erinnern an Claude Monets realisiertes Paradies in Giverny.

Wie von Ferne klingt dann ein verlockendes „Tanderadei“ des mittelalterlichen Dichters Walther von der Vogelweide an mein Ohr, das mich an mein längst vergessenes Germanistikstudium erinnert und mich doch wieder in seinen Bann zieht, die Sprache des sich öffnenden Mittelalters mit seinem schützenden Hortus conclusus, in dem man noch dem Klang der Nachtigall lauschen kann:

Under der linden
„an der heide,

dâ unser zweier bette was,
Dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal“.

(Auf hochdeutsch: )

Unter der Linde,
auf der Wiese,
dort wo das Bett von uns zweien war,
da könnt ihr sehen,
liebevoll gebrochen,
Blumen und Gras.
Vor einem Wald in einem Tal,
tandaradei,
sang schön die Nachtigall.)

↑ Der geschützte Raum des Gartens: amerikanische Architekt Michael Gabellini (links) entspannt im Gespräch mit Jil Sander vor dem „Paradiesgärtlein“ aus dem Städel

Völlig versunken in diesen Erinnerungen drehe ich mich um, weil ich hinter mir gedämpfte Stimmen vernehme. Mein Erstaunen ist groß. Ist es tatsächlich sie, die Schöpferin dieser neu eroberten Räume? Die zierliche und scheue Jil Sander – als solche wurde sie jedenfalls in den verschiedenen Reportagen geschildert? Dort steht sie plötzlich hinter mir, vertieft ins Gespräch mit ihr zwei vertrauten Menschen. Habe ich das Recht, sie zu stören, zu fragen, sie zu fotografieren?

Völlig verdutzt sage ich ihr einfach nur, wie gut mir ihr Gartenkonzept, das in seiner Vegetation dem Rhythmus der Jahreszeiten folgt, gefällt, wie sie die Natur eingebunden und zur Geltung gebracht hat, dass sich in ihrer Garten-Landschaftsanlage die zurecht geforderte Nachhaltigkeit spiegele.

„Ja, es tut der Seele gut, wenn man darin neue Kräfte schöpfen kann“, sagte sie so selbstverständlich, als kennten wir uns schon seit Jahren. Wie lange sie für die Planung des Gartens gebraucht habe, will ich wissen. 30 Jahre seien es schon gewesen. Ob sie Farb- und Pflanzenstudien dazu gemacht habe: „Natürlich“.

„Schauen Sie sich draußen die Zeichnungen an.“ Während wir miteinander reden, wirkt sie völlig entspannt. Und weil sie so entspannt ist, würde ich auch gerne mit ihr ein Gespräch führen. Als ich sie frage, ob sie noch zusätzlich Architektur studiert habe, antwortet sie lakonisch und auch gewendet zu ihrem amerikanischen Begleiter, dem Architekten Michael Gabellini: „I studied 50 years my eyes“. Ja, es ist neben der Begabung wohl auch die Seherfahrung eines halben Jahrhunderts.

↑ Skulptural wirken ihre ausfeilten Schatten,  kostbar sind die Materialien zusammengefügt

Wir verlassen die „Camera obsura“. Leider habe ich kein Tonband griffbereit. Aber eigentlich ist sie ja auch im Gespräch mit anderen. Und natürlich würde ich sie gerne fotografieren, zumal ihr Gesicht völlig entspannt ist und das Licht sublim. Bin ich deswegen eine Paparazza? Nichts liegt mir ferner.

Aber dann sagt sie, während sie die passende Sonnenbrille aufsetzt: „Ach, wissen Sie, wir haben in den letzten Tagen so viel gearbeitet. Wir haben ein Jil Sander-Haus gebaut. Da fühle ich mich eben auch ein bisschen erschöpft.“

↑ Passend sind auch die Accessoires – Jil Sander Kampagne Frühling-Sommer 1996 © Craig McDean 

Natürlich haben auch andere die Faszination durch ihr Gesicht gespürt, weswegen u.a. die herrlichen Schwarz-Weiß-Fotografien von Peter Lindbergh sie zu einer Ikone stilisierten und ihre Person zum Markenzeichen machten.Die in der Mode so wichtige Kampagnenfotografie verwirklicht sie auch mit Fotografen wie Irving Penn, David Sims, Nick Knight, Craig McDean, Mario Sorrenti und Jean-François Lepage. Dies ist bestens an den verschiedenen Eckpunkten im Frankfurter Museum räumlich inszeniert.

Wie viele meiner Fragen hätte ich dennoch so gerne der Designerin gestellt. Aber ich kann mich eben auch in die anstrengende Arbeit der anderthalbjährigen sorgfältigen Vorbereitung dieser so besonderen Ausstellung hineinversetzen und lasse sie ziehen.

Ich sehe noch, wie sie ihren Gesprächspartnern den herbstlichen Park zeigt und manche Details der Installationen und Präsentationen erläutert. Dann verlässt sie mit der sie begleitenden Japanerin das Haus mit ein paar ihrer kostbaren Kataloge.

↑ Blick in die Ausstellung auf die letzte Frühjahrskollektion 2014. Faszinierend, wie Jil Sander Stoffe entwickelte und mit bedeutenden Stoffmanufakturen arbeitete

„Präsens“ heißt nicht allein die Ausstellung, Gegenwart für das Unternehmen Jil Sander heißt auch: Es gehört heute der japanischen Firma Onward Holdings Co. Ltd., nicht mehr ihr, die es aufgebaut hat, und nicht mehr Prada, an die sie es zunächst verkaufte. Präsent als Person ist sie nicht nur für mich, sondern überall im Haus durch sämtliche Acessoires, durch ihre konsequent durchgestaltete Kosmetiklinie (ausgehend vom Parfumkubus Women Pure) durch ganze Wände mit Lookbooks, mit Einblicken in ihre Produktionsweise, mit der konsequent strengen Typografie, die sich auch in allen Beschriftungen durch das gesamte Museum zieht und nicht zuletzt mit ihrem sachlich-diskreten modern-zeitlosem Stil, den sie auf allen Ebenen bis zur Perfektion getrieben, und der den Frauen ein neues Selbstbewusstsein vermittelt hat.

Die Ausstellung im Museum Angewandte Kunst geht bis zum 6. Mai 2018

 

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