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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wunsch und Wirklichkeit – Der Einfluss der Fotografie auf das Porträt im Clemens Sels Museum

Und ab sofort dort auch Instagram, Snapshot und Facebook…

Von EA van den Hoogen

Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. Der Künstler muss wissen, auf welche Art er die anderen von der Wahrhaftigkeit seiner Lügen überzeugen kann.“ sagt Pablo Picasso im Jahr 1923.

 ↑ Felix Vallotton, Gabrielle Vallotton en robe jaune – Gabrielle Vallotton im gelben Kleid, 1908, Öl auf Leinwand, Clemens Sels Museum Neuss

↓ Vergleichsfoto : Gabrielle Vallotton, um 1911 © Fondation Félix Vallotton, Lausanne 

Um Wunsch und Wirklichkeit geht es in der aktuellen Sonderausstellung „Der Einfluss der Fotografie auf das Portrait“ im Clemens Sels Museum im rheinischen Neuss. Ein aktuelles Thema, werden doch täglich Millionen Fotos auf Instagram oder Snapshot hochgeladen.

Rund 100 Porträts aus dem eigenen Bestand zeigt das Neusser Mehrspartenhaus bis zum 18. Februar 2018 in der Gegenüberstellung zum fotografierten Modell. Eine akribische Recherchearbeit in Archiven und Künstlernachlässen hat Kuratorin Romina Friedemann hinter sich. Das Ergebnis ist erstaunlich.

Den Gemälden, Zeichnungen, Radierungen von Paul Cézanne, Henri de Toulouse‑Lautrec, Franz von Stuck, Fernand Khnopff, Félix Vallotton, Marc Chagall und vielen anderen aus dem Sammlungsbestand des Hauses konnte die Kuratorin ein fotografisches Pendant gegenüberstellen.

Dabei war das Lichtbild, seit Louis Daguerre (1787‑1851) im Jahre 1839 die neue Technik entdeckte, verpönt. „Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und der Faulen“, klang das schmetternde Verdikt aus dem Munde des französischen Dichters Charles Baudelaire.

Und doch: Was nach vornhinaus gescholten ward, fand im Hintergrunde sehr wohl statt. Zwar mochte kaum einer der großen Künstler zu Lebzeiten einräumen, etwas für die Fotografie übrig zu haben oder gar mit ihr zu arbeiten; doch die Nachlässe brachten manch überraschendes Bild ans Licht: So fand man bei dem prominenten belgischen Maler Fernand Khnopff eine professionelle Fotoausrüstung, obwohl der doch in einem Interview seine Abneigung gegen das neue Medium erklärt hatte.

links: Fernand Khnopff, L’Encens – Weihrauch, um 1917, Öl auf Holz, Clemens Sels Museum Neuss, Vergleichsfoto: Marguerite Khnopff, um 1898, Fotograf: Fernand Khnopff

Henri de Toulouse‑Lautrec hingegen experimentierte ganz offen mit der Fotografie und gestaltete viele Selbstporträts nach Vorlagen. Franz von Stuck pauste gar die Konturen von den Lichtbildern ab und übertrug sie auf die Leinwand, wie an einem schlagkräftigen Beispiel der Ausstellung „Wunsch und Wirklichkeit“ nachzuvollziehen ist: Die Gemahlin und die Tochter erscheinen in „realer“ Gestalt und in ihren idealisierten, verschönerten Varianten – und haben beide dabei bedeutend an Ausdruck und Persönlichkeit gewonnen. Denn nach wie vor gilt der Ausspruch von Otto Dix: „Mit der Wiedergabe der äußeren Gestalt fängt man auch das Innere ein.“

Blick in die Ausstellung mit der Kuratorin Romina Friedemann , Foto Angela van den Hoogen

Und auch der oben zitierte Charles Baudelaire ist in der Ausstellung vertreten. Der französische Starfotograf Nadar durfte ihn mehrfach ablichten – und exakt nach einem dieser Fotos entstand sechs Jahre später eine Radierung des Impressionisten Édouard Manet.

Es ist eine Schau, die zum Vergleichen einlädt, Momentaufnahmen und künstlerische Überhöhung einander gegenüberstellt. Es gibt Selbstbildnisse der Künstler und ihre Fotos, den Bereich der #VIPs, Musen & inspirierenden Modelle mit den entsprechenden Ablichtungen, die Darstellung verschiedener Rollen – Ensor beispielsweise als „Märtyrer Christus“ zwischen Kritiker und Freunden, Fernand Khnopffs Schwester als Weihepriesterin – und endlich die Freundschaftsbilder, die als Porträts unter Kollegen entstanden: Sie alle erzählen zwischen den Zeilen und Linien ihre Geschichten und fragen nach Wunsch und Wirklichkeit.

Eine inspirierende Ausstellung, die man keinesfalls versäumen sollte. Und wer dort ist, kann sich mit Selfiestick selbst à la Gabrielle Vallotton aufnehmen: Die Selfie‑Ecke bietet einen entsprechenden Sessel und den gehörigen Bilderrahmen. Und dann heißt es: gleich mit Hashtag #clemensselsmuseumneuss hochladen, und schon wird man im Foyer zu einem Teil der Ausstellung. Die neuesten Techniken – Instagram, Snapshot und Facebook – machen es möglich: Und die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist wieder einmal kleiner geworden.

 

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