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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Stéphane Crémer – Der französische Wort-Schrift-Künstler

Buchstaben, Bildern und dem Klang der Dinge auf der Spur

Von Petra Kammann

Stéphane Crémer in seinem Atelier in Le Bono, Alle Fotos: Petra Kammann

Stéphane Crémer: sein Name hat in Frankreich einen besonderen Klang. Ist doch Stéphane der Sohn des berühmten französischen Schauspielers Bruno Crémer, der hierzulande vor allem als Hauptdarsteller Jules Maigret aus der 19-teiligen „Maigret“-Fernsehserie der frühen 90er Jahre (nach  Georges Simenons Romanen) vertraut ist. Den Franzosen ist aber Crémer aber auch aufgrund seiner großen Theaterkarriere präsent, da er schon Anfang der 50er Jahre in Stücken von Oscar Wilde, Shakespeare oder Jean Anouilh große Rollen spielte… So hatte Vater Bruno schon Anfang der 50er Jahre die Schauspielschule in Paris mit späteren Filmgrößen wie Jean-Paul Belmondo besucht und in Dutzenden von Filmen an der Seite von Stars wie Alain Delon, Jean-Paul Belmondo und Romy Schneider mitgewirkt.

Für den belesenen Stéphane Crémer bilden Schrift und Bild eine Einheit

In die Anfangsphase von Brunos aufstrebender Schauspielerkarriere hinein wurde 1954 dann auch Sohn Stéphane geboren, den seine „Familiengeschichte“ nachhaltig beeinflussen sollte. In seiner Erzählung „Comme un charme“ (etwa: „Alles bestens“) wird die Geschichte eines einsamen, auf sich gestellten Kindes und Einzelgängers geschildert, das zwischen Großeltern und österreichischen Kindermädchen hin- und her pendelnd aufwächst und unter der baldigen Scheidung seiner Eltern leidet. Erzählt wird alles aus der Perspektive des Kindes mit dem Ton der Melancholie wie auch mit einem hintergründigen Humor und vor allem mit absoluter Diskretion.

Ans Licht der Welt kommt die Erzählung aber erst später, nämlich 2006, im Verlag Denoël.
Zunächst begann Stéphane Crémer, der größtenteils im Internat aufwuchs, mit dem Studium der Musik und übte verschiedene Berufe aus, bevor er Schriftsteller – ein besonders von Yves Bonnefoy geschätzter Lyriker –  und Buchgestalter wurde. Er hat Literatur und Philosophie an der Sorbonne studiert, aber auch Musik und Komposition, war ein lang Jahr am Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris (CNSM) in der Klasse von Marius Constant und brachte „Le chant du fantoche lusitanien“ („Der lusitanische Popanz“) von Peter Weiss zur Aufführung.

Da er den Reiz der Bibliophilie auch im handwerklichen Sinne entdeckt hatte, bildete er, der schon als Kind leidenschaftlich zeichnete, sich selbst zunächst autodidaktisch weiter, und arbeitete sieben Jahre lang in der Editionsabteilung des Jeu de Paume in Paris, bevor er dann zur Pariser Agentur Atalanta, welche zahlreiche Kulturprojekte betreut, wechselte. In mehr als 25 Jahren hat er sich durch die Beschäftigung mit zahlreichen Künstlern, Fotografen, Schriftstellern, Galeristen, Sammlern verschiedenste Erfahrungen und Fähigkeiten angeeignet, die seine eigenen Qualitätskriterien herausgefordert und ihm hohe gestalterische Maßstäbe abverlangt haben.

So gestaltete er Künstlerbücher für Künstler und Autoren wie Daniel Buren, Aimé Césaire (Cahier d’un retour au pays natal, éditions du Solstice, 2004), Nobuyoshi Araki (Le journal intime du Japon, Le Solstice, 2007), Giuseppe Penone (Les rêveries du promeneur solitaire de Jean-Jacques Rousseau, Le Solstice, 2010), dann für Penone  (16 pagine, pour le compte cette fois d’Yvon Lambert, 2011), für Lawrence Weiner (Après la traversée du fleuve, Yvon Lambert, 2011). In dieser Zeit begann er auch, eigene Texte zu veröffentlichen.

Nicht nur die Beschäftigung mit Kunst und Literatur, sondern auch mit der sinnlichen Qualität eines Buches, der Umgang mit verschiedenen Papiersorten und -qualitäten, mit feinen Zeichnungen, hochwertigen Fotografien und deren digitaler Verarbeitung, mit Druck- und Falztechniken verführten ihn dazu, 2012 einen eigenen Verlag inklusive Werkstatt für limitierte Auflagen besonderer Bücher zu gründen und das – man höre und staune – in Le Bono, einem kleinen bretonischen Hafenstädtchen. Dort entstehen in seinem Atelier Bücher, die er von A bis Z betreut und die daher einen eigenen Werkcharakter haben. Erschienen ist dort u.a. 2016 das Buch der Fotografin Annabelle d’Huart American painters.

Hier, in der Nähe des Atlantik und abseits des Trubels der Metropole Paris, hat er die Ruhe und den nötigen Abstand, verschiedene Gestaltungsprinzipien und den inneren Zusammenhang der verschiedenen Künste in seinem Atelier auszuloten und sowohl bildnerisch als auch sprachlich ungehindert zu experimentieren. 2014 wurde er von der „Maison des écrivains“ in Rennes als „Writer in residence“ eingeladen, was für seine Zusammenarbeit mit dem Künstler und früheren Weggefährten Gilles A. Tiberghien von Bedeutung werden sollte, mit dem er dort gewissermaßen vierhändig im Dialog  „Des apparences bien suivies“ schrieb. Er : „L’amertume du pamplemousse“ und Tiberghien: „La lanterne rouge“.

So geheimnisvoll wie doppeldeutig sind sowohl die Texte als auch die Bilder von Stéphane Crémer – z.B. in seiner Serie „Me voir en peinture II“ – eine Collage nach dem Gemälde „Das rote Zimmer“ von Felix Vallotton, in das er sich selbst einschrieb 

Betritt man sein Haus, so wird der Blick magisch von einem „Gemälde“ angezogen, das einem irgendwie bekannt  vorkommt und das doch auch ganz anders ist: „Das rote Zimmer“ des welschschweizer Künstlers Felix Vallotton. Da sitzt am runden heimeligen Tisch der zeitgenössische Schriftsteller fast wie „auf dem Sprung“ und macht sich Notizen, während rechts und links des Kamins ein Mann und eine Frau ihn anzublicken scheinen. Es könnten seine Eltern sein. Ein Selbstporträt des Künstlers? Jedenfalls typisch für seine bildnerische wie auch für seine schriftstellerische Arbeit. Er übermalt die gegebene Bild-Komposition und eröffnet damit einen neuen Blick auf die Dinge. Er schreibt sich selbst oder andere emblematische Figuren in die Geschichte ein.

In dem Künstlerbuch „Tombeaux et taxidermies“ (in etwa: „Grablegungen und Präparationen“), das als Buchhandelsausgabe 2015 bei éditionsART3 /Plessis entstand, hat Stéphane Crémer ein Ensemble von insgesamt 30 Sonetten geschaffen, zu denen 26 Gouachen entstanden sind, die sich als eine Art farbige Maske über das fotografierte oder gezeichnete Porträt verstorbener Künstlerpersönlichkeiten zu legen scheinen, die den jeweiligen Gestalten zugeordnet sind. Dabei bleibt der Ausdruck der jeweiligen Persönlichkeit in dieser Form der Reduktion und Wiederbelebung völlig wiedererkennbar.

Ähnlich wie bei Andy Warhols Siebdrucken sind es frische Ansichten der Crémerschen Intellektuellen – und Künstlerstars, gleich ob Philosophen, Musiker oder Schriftsteller: es geht von Platon über Franz von Assisi,  Rembrandt, Frédéric Chopin, Franz Schubert, Franz Liszt, Arnold Schönberg, Arthur Rimbaud, Edgar Allen Poe, Gustave Flaubert, Stéphane Mallarmé, Marcel Proust bis hin zu Samuel Beckett. 28 dieser ungewöhnlichen Sonette sind „Tombeaux“, also Hommagen an die nicht mehr lebenden Künstlerpersönlichkeiten, jedoch sind 26 von ihnen nur illustriert. Ausgelassen wurden wohl mit Bedacht der Marquis de Sade und der rätselhafte Isidore Ducasse alias Lautréamont.

Dieser raffiniert komponierte und subtile Band, dessen Schichten sich vor allem im handgemachten Künstlerbuch Schicht für Schicht aus der Pappbox entfalten lassen bis hin zu einem großen farbigen Blatt, das wie ein Gemälde wirkt und in seinem Flur hängt, ist graphisch von großer Klarheit und wurde zurecht von der Académie Française mit dem „Prix Henri Mondor 2016“ für Lyrik ausgezeichnet. Seine hoch anspielungsreichen Texte auf Deutsch lesen zu können, wäre sicher erstrebenswert und ein surreales Vergnügen; die Übersetzung würde allerdings eine besondere Herausforderung darstellen. Mag die diesjährige Buchmesse mit dem Frankreich-Schwerpunkt „Francfort en Français“ dazu einen Anstoß geben!

Schichten, die Neues entstehen lassen: Das Künstlerbuch „Tombeaux et taxidermies“ („Grablegungen und Präparationen“) mit Sonetten von Stéphane Crémer

 

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