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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Rheingau Literaturpreis 2017 an Ingo Schulze für den Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“

Wein-Lese mit liquidem Preis

Schelmische Glückssuche in Zeiten der Wende 

Von Petra Kammann

Preisträger Ingo Schulze

 

Zum Abschluss des Rheingau Literatur Festivals, das vom 14. bis 23. September 2017 erfolgreich unter der künstlerischen Leitung von Prof. Dr. Heiner Boehncke an verschiedenen Orten im Rheingau stattgefunden hat, wurde am 24. September zum 24. Mal der Rheingau Literatur Preis 2017 auf Burg Schwarzenstein in Geisenheim-Johannisberg vergeben. Ein ungewöhnlicher Preis, weil er u.a. mit 111 Flaschen besten Rheingauer Rieslings sowie mit 11.111 Euro belohnt wird. In diesem Jahr erhielt diese besondere Auszeichnung der Schriftsteller Ingo Schulze für seinen Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ (Verlag S.Fischer).

Der 1962 in Dresden geborene und heute in Berlin lebende Ingo Schulze war kurz nach der Wende vor allem durch sein erstes Buch „33 Augenblicke des Glücks“ und seine „Simple Storys“ bekannt geworden. Inzwischen ist er mit verschiedenen internationalen Preisen ausgezeichnet und in 30 Sprachen übersetzt worden. 

Aber auch die bisherigen Preisträger des Rheingau Literatur Preises können sich sehen und lesen lassen. Es sind keine geringeren als: Stefanie Menzinger, Ulla Berkéwicz, Herbert Maurer, Thomas Meinecke, Hella Eckert, Thomas Lehr, Peter Stamm, Bodo Kirchhoff, Robert Gernhardt, Reinhard Jirgl, Ralf Rothmann, Gert Loschütz, Clemens Meyer, Antje Rávic Strubel, Ursula Krechel, Christoph Peters, Jochen Schimmang, Josef Haslinger, Sten Nadolny, Ralph Dutli, Stephanie Bart, Klaus Modick und Saša Stanišic.

Als hätte der Inhalt des ausgezeichneten, tragikomischen und barock angelegten um die 600 Seiten starken und in  zehn Büchern gegliederten pikaresken Romans von Ingo Schulze, der zwischen 1974 und 1998 spielt, die Atmosphäre schon vorab beeinflusst – das angereiste Lesepublikum war heiterster Stimmung, welche sich bei der Lesung der eugenspiegelartig angelegten Textpassagen durchaus auch noch steigerte, so wenn der Protagonist einem Penner im Westen Berlins, der lieber den „Hunni“ Begrüßungsgeld von ihm bekommen hätte, seine Stulle gibt und ihm dazu noch  zwanzig Ostmark schenken will…

Held der Geschichte ist ein ostdeutsches Waisen- und beeinflussbares „Heidenkind“ namens Peter Holtz, dem der Sinn des Geldes im Leben schon als Jugendlicher nicht einleuchtet und er deswegen seine Zeche im Ausflugslokal nicht zahlen will, denn er hält die DDR, in der das Geld eigentlich keinen Sinne mache, für die beste aller Welten. Er versteht und durchschaut später die „Neue (Wende-) Zeit“ zunächst nicht, während andere sich sehr rasch von ihren alten Denkmustern und dem DDR-System  verabschieden. Er glaubt zutiefst an den Kommunismus. Er nimmt ihn beim Wort, so wie er später als evangelikal Bekehrter das Christentum beim Wort nehmen wird. Zwangsläufig eckt der einfältige Schelm und moralische Werteapostel – ein echter Simplicius – mit seiner Meinung an oder geht mit seiner Doziererei den anderen auf den Geist. Er erkennt einfach das Subversive der jeweiligen Situation nicht.

Es ist schon köstlich, wie Schulze die für Peter Holz rätselhafte Welt aus dessen verwunderter Perspektive beschreibt und welchen Lebensweg er ihm andichtet. Der gute „Trottel“ macht am Ende sogar gegen seinen Willen Karriere und wird unfreiwillig zum Millionär. Eigentlich möchte er das Geld ja ganz abschaffen. So renoviert er, der Maurer, ganz selbstlos Häuser, um sie guten Zwecken zuzuführen. Durch die enorme Wertsteigerung von Immobilien in der Nachwendezeit bekommt er aber gerade dadurch immer viel mehr Geld, als ihm lieb ist. Absurderweise gelingt es ihm aber nicht, das Geld honorig wieder los zu werden, bis er es am Ende in einer Kunstaktion verbrennt, der Film darüber ihm noch mehr Geld bringt…

→ Die Laudatio hielt Jurymitglied Prof. Dr. Wilfried Schoeller (rechts). Hier mit der Lektorin Christina Links

In seiner Laudatio betonte der Berliner Literaturkritiker Prof. Dr. Wilfried Schoeller: „Die Kunst ist die erste und die letzte Antwort jenes Erzählers Ingo Schulze, der sich seit 1995 mit Grandezza mehrstimmig zwischen den Wirklichkeiten und Daseinsformen bewegt, als wären „33 Augenblicke des Glücks“ „Simple Storys“, „Handy“-Geschichten, nicht vor allem virtuose Übungen eines leichtgängigen Kunstsinns. Wir freuen uns über einen Erzähler, der Geschichten über kleinwüchsige Spießermoral genauso aus dem Handgelenk zu schütteln versteht wie erzählerische Beiträge zum Enthusiasmus, den wir mit seinem Peter Holtz in jener Eremitage finden können, die den Familiennamen ,Jean Paul‘ trägt.“

Auch die Vorbilder ,Simplizissimus‘ oder ,Der Idiot‘ von Dostojevski stehen dem hintergründig verschmitzten Autor durchaus nah. Peter Holtz hat größte Schwierigkeiten, sein Geld mit Anstand wieder loszuwerden. Weil ihm das nicht gelingt und sich alle seine Versuche, mit dem Geld Gutes zu tun, ins Gegenteil kehren, will er verantwortlich handeln und das überflüssige verteilen. Schulze beschreibt eine aberwitzige Utopie. Zweifellos. Aber er wirft genau auch deshalb berechtigte Fragen nach der Priorität menschlichen Zusammenlebens auf.“

Da Schulze schon wusste, dass ihm als Preis 111 Weinflaschen übergeben würden, konnte er sich, noch bevor er Passagen aus seinem Roman las, eine Bemerkung auf seine Herkunft nicht verkneifen. Sein Vater sei in der DDR einst Verleger gewesen, wohlgemerkt ein „Bier-Verleger“,  dennoch sei er zum Weintrinker geworden, wenn auch eher zunächst einmal zum „Rotweintrinker“… Ist er in quasi prophetischer Voraussicht auf den Preis vom Saulus zum Paulus geworden? Der Fabulierlust, die man dem Erzähler in jedem Satz anmerkt, tut dieser Frage keinerlei Abbruch.

→ v.l.n.r. vor den 111 Flaschen Rheingauer Riesling: Ernst-Udo Grossmann (Eigentümer des Relais + Châteaux Hotel Burg Schwarzenstein und Hauptsponsor des Rheingau Literatur Festivals), Michael Herrmann, Intendant und Geschäftsführer des Rheingau Literatur Festivals), Ingo Schulze, Claus Wisser , Vorsitzender des Vorstands des Rheingau Musik Festival e.V.

Die Jury des Rheingau Literatur Preises setzt sich unter der Leitung von Prof. Dr. Heiner Boehncke zusammen aus Dr. Alf Mentzer (Literaturredakteur hr2-kultur), Dr. Viola Bolduan (ehemalige Feuilletonchefin des Wiesbadener Kuriers), Andreas Platthaus (Literaturchef der F.A.Z.), und Prof. Dr. Wilfried Schoeller (Journalist und P.E.N. Deutschland). 

Medienpartner des Rheingau Literatur Festivals ist hr2-kultur. Der Preis wird zu gleichen Teilen vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und vom Rheingau Musik Festival e. V. gespendet. 

Alle Fotos: Petra Kammann

Und hier die Laudatio von Prof. Dr. Wilfried Schoeller:

Von der Erfindung des Grundsätzlichen

Etwas von einem Orchideengarten ist unverkennbar, wenn man Ingo Schulzes Lebensdaten mustert. Er wurde 1962 in Dresden geboren, studierte bis 1988 Klassische Philologie, arbeitete zwei Jahre lang als Dramaturg am Landestheater in Altenburg, aber es trieb ihn zum Journalismus. Er begründete 1990 eine Regionalzeitung mit, betreute ein Annoncenblatt, betrieb zeitweilig ein solches Unternehmen auch in Russland, wurde in St. Petersburg zum Schriftsteller. Seit Mitte der neunziger Jahre lebt er in Berlin als freier Autor. Das sind für viele geläufige Fakts, die sich mit seinen Büchern verbunden haben.

Ingo Schulze gehört zu den denjenigen, die in der Nachwendezeit ihre eigene Stimme der Erinnerung, der Einrede, des Protests und der Selbstbehauptung unter den neuen Verhältnissen fanden. Aber seine Stimme ist eine der dominanten. Nichts von DDR-Nostalgie hat sich jemals in seine Texte geschlichen, Sentimentalität und Selbstmitleid sind ihm fremd. Er schreibt mit kühlem Blick, untrüglichem Witz für die Skurrilitäten des Alltags. Kaum ergibt sich ein Vorsatz zur Selbstrechtfertigung oder Selbstberichtigung. Von seinem Erstling „33 Augenblicke des Glücks“ bis zu seinem neuen Roman „Peter Holtz“ spannt sich eine Kette von Motiven des Schreibens über sein literarisches Werk. Der Erzähler ist in diesen Storys ungewöhnlich präsent, ergreift das Wort; der Urheber wird zum Geschöpf im Roman. Seine geheime Sehnsucht aber geht weiter: dass sich die Bilder selbst erzählen könnten. Seine Leipziger Poetik-Vorlesungen hat Schulze mit der Behauptung überschrieben: „Tausend Geschichten sind nicht genug.“ Sein Lesehunger verführt ihn zu der waghalsigen Vermutung, dass der Leser in ihm die Bücher schreibe, dass seine Erfahrungskunde mit der Überschreibung fremder Texte durch den eigenen (und umgekehrt) zu tun haben könnte.

Ingo Schulzes Meisterschaft besteht darin, scheinbar einfache Menschen aus angeblich übersichtlichen Verhältnissen in unterschiedlicher Manier einander begegnen zu lassen, sie der diskreten Kunst der Variation auszusetzen, so dass jeder auch seinen eigenen Sonderweg geht. Ähnlich präsentiert sich Ingo Schulze auch persönlich: jedes Gespräch mit ihm ist eines über Politik, über des Kaisers märchenhafte neue Kleider, das Format des so schwierigen einfachen Lebens, über die Klugheit, die man braucht, es zu bestehen.

In seinem kapitalen neuen Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ schickt Ingo Schulze einen Simplicius, einen ausgewachsenen Schelm durch deutsche Lande in Ost und West, in die Nachwendejahre, durch Romane von Grimmelshausen über Dostojewski bis Günter Grass, durch die jäh sich wandelnden Zeiten bis 1998, durch die Ideologien. Diese Kurse auch durch die Bücher kommen ihrerseits mit einer Anmut daher, als handle es sich um Übungen in Leichtigkeit auf dem Atlas der Bücher.

Also noch ein sogenannter „Wenderoman“, ein „deutsch-deutscher“ – und doch alles andere als ein Buch, das sich in diese Rubrik fügen wollte. Peter Holtz ist vor allem eine Kunstfigur, die alle möglichen Genres und Muster streift, im besonderen die Aventüren des Schelmenromans. Der antikisierende Untertitel „Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ bezieht sich auf Lebensepisoden, die Peter Holtz ungerührt und mit der Gabe zum Allesüberstehen erzählt. Kein Mäander von sogenannten dokumentarischen Geschichten oder psychologisch begründeten Episoden, sondern heiter leichte, in die Wonnen der Komik vertiefte Rollenprosa, die auf gewandte Zungenfertigkeit als verlässliche Größe setzt. Der Simplicius, der durch diesen wohlleibigen Roman geistert, lebt zunächst ziemlich lange in der besten aller Welten, also in der DDR. Am Beginn ist Peter Holtz, ein 12jähriger Waise aus einem Kinderheim an der Elbe, in den Streit mit einer Bedienung vertieft. Er weigert sich, seine schmale Zeche zu bezahlen, denn für ihn, der sich als einen in der Wolle gefärbten Kommunisten versteht, ist das Geld im Sozialismus grundsätzlich eine hinfällige Größe, auf die es nicht ankommt. Peter Holtz glaubt so bedingungslos an die verhießene kommunistische Zukunft, dass man ihn zum Heer der Einfältigen rechnen muß. Er hat sich in seinem Kinderheim abgemeldet und ist auf der Suche nach dem von ihm geliebten antifaschistischen Heimleiter Paul Löschau, der angeblich einen anderen Posten übernommen hat. Löschau ist ihm nahe, denn im Gegensatz zu seinem Nachfolger macht er den Anschein einer entwickelten sozialistischen Persönlichkeit. Aber Peter kann sein Idol nirgendwo finden, ein Geheimnis umwölkt sein Geschick. Peter Holtz ist ein „kleiner Tugendbold, der immer weiß, was richtig ist“. Dieser Schelm kommt mit einem schmalen Vorrat an Wörtern aus; er beharrt auf ihm wie Glückssignalen. Nur mit diesem Fundus kann er ideologisch weiterleben und alle Anfechtungen durch Widersprüche, Einwände und andere Kalamitäten bestehen. Er muß mit seinem Glauben gleichsam innig verkehren, ständig in nächster Nachbarschaft. Er darf ihn nicht portionieren, in kleiner Münze auszahlen, mit Zweifel versehen, dann wäre er selbst verloren. So betreibt Peter Holtz über seinen Roman des wahren Kommunisten, eben einen Roman der Glückssuche für alle. Und so vernarrt ist er in seine Idee, dass er eine Zeitlang glaubt, die Revolution von 1989 mache die Welt kommunistisch.

Holtz erweist sich als ein hemmungslos moralischer Wortapostel, als ein Sammelbecken närrischer Irrtümer. Er geht mit seinen ideologischen Tiraden den meisten Leuten auf die Nerven, aber er steht gleichsam unter einem Schutzdach ihres Wohlmeinens: Dieser komische Held wird von freundlichen Menschen adoptiert, und wenn es im Fach der Dialektik bei ihm noch nicht so richtig klappen mag, findet er eben Zuspruch und Aufmunterung. Die Stasi heuert ihn an und diese Art von Vertrauen erfüllt ihn mit so viel Stolz, dass er überall davon herumerzählt und sich damit als Quelle unbrauchbar macht. Also: ein roter Clown, ein Schelm ist unterwegs und hält unbeirrt an seiner Rosinante, dem richtigen Glauben ans kollektive Glück und an irdische Belohnung, fest, auch wenn ihn das ins Abseits bringt. Aber Peter Holtz ist nicht nur auf dem Kriegspfad des Narren, er erweist sich auch als Eulenspiegel und mit seiner ausgeprägten Schreib- und Leseschwäche als Kaspar Hauser. Ganz zu schweigen von jenem ausufernden Familienroman, in den mehr als ein Dutzend Figuren zwischen Ost und West, Gefängnis und Ausreise verstrickt ist. Jede von ihnen bleibt kenntlich, weist im Verlauf des monumentalen Werks eine eigene Geschichte vor. So changiert dieser Roman zwischen mehreren Möglichkeiten, immer in vorgeblicher Einfachheit erzählt und mit inhaltlichen Stichworten wie ein barocker Roman versehen.

Unter allem Wörterschutt des Träumens, inmitten aller Verkrustungen bleibt mit Peter Holtz noch etwas eigenartig Unbestimmtes verbunden, nämlich die Behauptung von utopischen Resten, die nicht alle vergilbt und verbraucht sind, die 1989, für einen ebenso historischen wie vergänglichen Augenblick, offen dalagen, damals als unverwendete Momente der Hoffung, nämlich der berühmte und berühmt vergangene vergangene Sozialismus mit menschlichem Augesicht. Inzwischen ist dieses Erbe selbst ein wenig peinlich geworden, weil durch jede Zuchtknute der Wirklichkeit und ihres Pragmatismus dementiert.

An seinem Glücksauftrag hält Peter Holtz unerbittlich fest, seine Wörter sind ihm heilig. So gerät er unversehens aber zwangsläufig in die Theologie, zum Gottesglauben. Einen parteilichen und klassenbewußten Standpunkt einzunehmen heißt dann soviel wie an die christliche Verheißung glauben. „Plötzlich hat man solche Ideen! Die tauchen einfach so auf.“ Christentum und Marxismus kommen in seinem Verständnis überein, der Gottesglaube ist für ihn „ein zweites Standbein“. Also einerseits der methodische Irrsinn des sogenannten „wissenschaftlichen“ Sozialismus, andererseits die geballte Frömmelei. Er glaubt daran, dass die Welt besser wird, indem sie sich Jesu Christi wie Karl Marx gleichermaßen verschreibt. Peter Holtz, der gerne Offizier geworden wäre, schafft es wegen seines heiligmäßigen Ernstes nur bis zum Maurer mit Abitur. Die Figur tänzelt der Logik auf dem Kopf herum und in diesem Gemenge aus Klassenkampf und Nächstenliebe bleibt sie jener Kundschafter des höheren Sinns, dessen praktische Rolle ihm von der Stasi verwehrt worden ist.

Peter Holtz gerät in der Wendezeit in Tuchfühlung mit der Ost-CDU, den sogenannten „Blockflöten“, Klarnamen und Pseudonyme wechseln munter miteinander ab, eine Sprecherin von damals hat – gut merklich – die Züge einer Bundeskanzlerin angenommen. Das Techtelmechtel des Romanciers mit der Zeitgeschichte versandet aber bald wieder und eine andere Paradoxie greift um sich. Peter Holtz, als Maurer handwerklich versiert, fängt an, Häuser, die ruinöse Hinterlassenschaft der DDR, zu renovieren. Vom Waisenkind bis zum Multimillionär durchläuft er eine steile Karriere, tourt gewissermaßen im Hochgebirge jenes Widersinns, dass einer, dem das Geld verdächtig, null und nichtig ist, unversehens zu einem Kapitalisten wird. Ein Held der Marktwirtschaft als Glückssucher für alle – ein wandelndes Paradox. Was ist da falsch gelaufen, wenn Peter Holtzens Glück einen so monströsen Verlauf genommen hat? Es ist wie im Märchen mit Hans im Glück: Peter mit dem seelenkalten Goldklumpen.

Es wirft ein Arsenal von Fragen auf: Was geschieht mit dem Helden, wenn er sich vom Geld herausfordern läßt? Auf welchem Weg könnte man das erworbene Kapital wieder loswerden? Gibt es dafür einen richtigen und einen falschen Weg?  Der Erzähler Ingo Schulze hat dafür eine Romanantwort gefunden, die hier allerdings verschwiegen bleiben soll. Nur soviel können wir, befasst mit schütterem Lachen und versehen mit dramatischem Unterton, verraten: Sie hat etwas mit Kunst zu tun.

Die Kunst ist die erste und die letzten Antwort jenes Erzählers Ingo Schulze, der sich seit 1995 mit Grandezza mehrstimmig zwischen den Wirklichkeiten und Daseinsformen bewegt, als wären „33 Augenblicke des Glücks“ „Simple Storys“, „Handy“-Geschichten, nicht vor allem virtuose Erprobungen. Wir freuen uns über einen Erzähler, der Geschichten über kleinwüchsige Spießermoral genauso aus dem Handgelenk zu schütteln versteht wie erzählerische Beiträge zu jenem Enthusiasmus, den wir mit seinem Peter Holtz in jeder Eremitage finden können, die den Familiennamen „Jean Paul“ trägt. Wir fragen nicht, um welchen Preis Ingo Schulze seine fabulöse Heiterkeit erzielt. Wir bekämen sowieso keine Antwort, denn er ist ein freundlicher Mensch und die sind oft große Schweiger. Ich behaupte nur: wir können uns freuen, dass dieses Großwerk des Witzes nun vorhanden ist. Es dient unserem Leserglück.

 

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