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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Laura J. Padgett: somehow real

Eine Kooperation der Marielies-Hess-Stiftung mit dem Museum Giersch der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Hier die Laudatio von Brigitta Amalia Gonser

Preisverleihung im Museum Giersch – v.l.n.r.: Manfred Großkinsky, Direktor des Museum Giersch der Goethe-Universität, Saxofonist Ralf Frohnhöfer, Professor Michael Crone, Marielies Hess-Stiftung; Fotos: Erhard Metz

Als Marielies-Hess-Kunstpreisträgerin 2017 präsentiert die herausragende Frankfurter Fotografie- und Film-Künstlerin Laura J. Padgett unter dem Motto „somehow real“ in der für ihr Werk repräsentativen retrospektiven Ausstellung ihr spezifisches Thema der sensiblen Rolle der Wahrnehmung in der ästhetischen Realitätsspiegelung  des öffentlichen und privaten Lebensraumes.

Ihre Fotografien und Filme sind vielschichtige Beobachtungen unserer Alltagswelt. Als Meisterin der Linse integriert sie Architektur und Kunstgeschichte in ihre eigenständigen zeitgenössischen Kunstwerke, die zwischen Nüchternheit und Traum oszillieren.

Zu sehen sind Farbfotografien aus fünf formal unterschiedlichen aber stets malerisch narrativen Zyklen der letzten fünfzehn Jahre: vom Entréebild „What does it mean when you say you have been there?“ über die ambivalenten „Diptychen“ und die atmosphärischen Libanonfotografien in „Confined Space“ zur fotografischen Interpretation des Universums Peter Zumthors in „Architektur denken“ und zu ihren fotografischen Betrachtungen über Vergänglichkeit, Beständigkeit und abstrakte Schönheit der spektakulären baulichen Erweiterung des Städels in „Raum über Zeit“. Sie alle erzählen vielschichtige und simultane Geschichten, die vom Betrachter dechiffriert werden müssen.

Dabei fotografierte Laura J. Padgett bis 2012 weitgehend analog und erst danach digital.

Laura J. Padgetts breit angelegtes Œuvre umfasst seit den 1990er Jahren so unterschiedliche Genres wie Architekturfotografie, Stillleben und Urban Street Photography. Die Grenzen sind aber fließend. Sie arbeitet in Zyklen und liebt die Narration. Begleiten Sie mich also auf einem virtuellen Rundgang zu den einzelnen repräsentativen Stationen dieser Ausstellung im Museum Giersch der Goethe-Universität.

Werkzentral ist der Zyklus ihrer ambivalenten Diptychen, in denen Laura J. Padgett stets zwei analoge Fotografien mit sehr unterschiedlichen Sujets zu Doppelbildern verschränkt, so dass jeweils Außen- und Innenräume divergierender Provenienz miteinander konfrontiert werden. Somit steht der Betrachter vor einem beunruhigenden Geheimnis, das er entschlüsseln möchte. Wobei Wahrnehmungsprozesse aktiviert werden, bei denen Identität und Diversität, Raum und Zeit, Licht und Reflexion, Illusion und Realität eine Rolle spielen. Darin liegt die Qualität dieser poetischen Bildpaare. Sie erzählen zugleich von An- und Abwesenheit der Dinge oder Personen, von der Wahrnehmung und der Erinnerung.

„Wolke“, 2005, C-Prints, Diasec, 2-tlg., 50 x33 cm, 50 x 74 cm, aus: „Diptychen“.

© Laura J. Padgett

 Manchmal setzt Laura J. Padgett unter ihre Fotografien gezielt kurze Phrasen oder Slogans, die in kompakter Form eine dialektisch ergänzende Aussage zur Bildgeschichte vermitteln. Diese Textelemente evozieren zusätzliche visuelle Vorstellungen und sind nicht als Bilduntertitel gedacht. Dabei versucht der Betrachter Bild und Text in Einklang zu bringen.

Architektur und Spurensuche spielen auch im Zyklus „Confined Space” eine Rolle, mit dem Laura J. Padgett 2011 begonnen und den sie 2013 und 2015 weitergeführt hat. In diese Zeit fallen drei Aufenthalte in den Libanon, vor allem in Beirut, die es ihr ermöglichten, nach und nach tiefer in die libanesische Gesellschaft einzutauchen und mit ihren Fotografien auf die Umgebung und auf die Spannungen, die auf dem Land lasteten, zu reagieren.

 

Another kind of vacuum, 2013/2015, Lichtechter Pigmentdruck, Photo Rag, Ultra Smooth, 80 x 60 x 3 cm, aus: “Confined Space”. © Laura J. Padgett

Diese atmosphärischen Libanonfotografien sind keine Momentaufnahmen, sondern Aufnahmen von Zuständen und Sachlagen. Sie zeigen die Verletzungen und die Gefährdung einer ehemals als „Paris des Ostens“ genannten Kulturmetropole, die nachhaltigen Folgen von Bürgerkrieg, von Aufbau und Wiederaufbau, das Leben in Provisorien und fügen sich zu einer komplexen Geschichte, die einen spezifischen Eindruck vom Ort und seinen Menschen vermittelt.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Laura J. Padgett der Architektur des 21. Jahrhunderts mit der ihr innewohnenden vermeintlichen Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum. So faszinierte sie im Zyklus „Architektur denken“ die besondere bauliche Situation von Peter Zumthors neuem Wohn- und Atelierhaus, in dem sich Erinnerungen, Stimmungen und Sehnsüchte verdichten.

Blüten, 10. Juli 2005/2017, Dye Transfer Print, semi-glossy Barytkarton, 54,5 x 36,5 cm, aus: „Architektur denken“. © Laura J. Padgett

Das auf ihn selbst zugeschnittene Haus verkörpert nicht nur Peter Zumthors Entwurfsstrategien und Raumkonzepte; es drücken sich darin ebenso unmittelbar bewusste oder unbewusste Wünsche, Sehnsüchte und Gefühle aus.

Sieben der dazu kongenialen Fotografien von Laura J. Padgett werden hier zum ersten Mal in einer Ausstellung gezeigt. Dabei werden Relationen zwischen dem Außen und dem Innen, Spiegelungen, Transparenz und Schatten taktil wahrnehmbar. Scheinbar befestigte Betonmauern aber auch Fenster, in denen sich die Umwelt spiegelt, hindern den Betrachter am Eindringen. Doch dann öffnen sich dezent schmale Einblicke ins Private.

Der im Juli 2005 dazu entstandene Zyklus von analogen Fotografien wurde zwischen 2006 und 2010 bisher nur in Peter Zumthors Essaysammlung „Architektur denken“ sowie in seiner Monografie 2014 veröffentlicht.

Das Städel Museum in Frankfurt am Main diente Laura J. Padgett als Muse für ihre fotografischen Betrachtungen über Vergänglichkeit, Beständigkeit und abstrakte Schönheit in ihrem Zyklus „Raum über Zeit“. Zwei Jahre lang, von Januar 2010 bis Januar 2012, fotografierte sie die spektakuläre bauliche Erweiterung des Museums und Renovierung des Altbaus durch das Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher.

 

„Oberlicht im II. OG Städel Mainflügel“, Februar 2011, aus: „Raum über Zeit“ © Laura J. Padgett

Dabei ging es der Künstlerin als Malerin und Filmemacherin primär nicht um Dokumentation, sondern um das Sammeln von Momenten, die wie scheinbare Fragmente zu etwas neuem zusammengefügt werden: sensible Beobachtungen von Flüchtigkeit, von greifbarer Materialität und Licht. Der Wechsel zwischen Innen und Außen, die Wahl des Unscheinbaren, aber auch die Wahl einer seltenen Perspektive, einer ungewöhnlichen Sichtweise auf das Objekt macht ihre Arbeiten interessant und faszinierend.

 

„Deckenbewehrungsmatten“, August 2010, aus: „Raum über Zeit“. © Laura J. Padgett

Die in dieser Zeit entstandenen analogen Fotografien gewähren daher Einblick in Raum und Zeit und in die Poesie der Wahrnehmung, ohne jemals die konkrete Realität des untersuchten Objekts aus dem Blick zu verlieren.

Im Frühjahr 2012 wurden achtzig davon als Buch mit dem Titel „Raum über Zeit“ im Kehrer-Verlag veröffentlicht. Außerdem erwarb die Kunstsammlung der DZ BANK eine erlesene Auswahl dieser Fotografien. Exemplarisch werden mit dem Plakatmotiv sieben der Arbeiten in dieser Ausstellung so zum ersten Mal gezeigt.

Als Pendant zu ihren Fotografien werden in der Ausstellung „somehow real“ auch zwei repräsentative Digitalvideos der talentierten Film-Künstlerin Laura J. Padgett als Endlosschleifen gezeigt: „ambient noise“, von 2004, eine indirekte Hommage an den Film „Wavelength“ von Michael Snow, an das Erlebnis Kino und unsere Beziehung zur Innen- und Außenwelt sowie der speziell für diese Ausstellung produzierte Found-Footage-Film „Solitaire“, von 2017. Dieser beleuchtet zwischen privatem und öffentlichem Raum angesiedelte, sich auflösende soziale und kulturelle Grenzbereiche der sechziger Jahre, die sich durch die filmische Umsetzung als fundamental erweisen. Ausgehend von gezielter Recherche im Archiv des Hessischen Rundfunks besteht er hauptsächlich aus Dokumentarfilm-Material der Zeit.

„Dem Prozess des Fotografierens geht immer das tiefe Verständnis meiner Erfahrungen voraus“, sagt Laura J. Padgett und fügt hinzu: “Was mich immer interessiert, ist die Art und Weise, wie sich das Humane im Alltäglichen offenbart. Es ist diese vermeintlich beiläufige oder anonyme Geschichte, die tatsächlich unsere Welt ausmacht.“

Dabei konzentriert sie sich auf Überlagerung und Dichte. Sie schaut lange hin und fotografiert oft Dinge, die es nicht ewig geben kann: Spuren.

Folgen Sie diesen Spuren in der Ausstellung „somehow real“ und beglückwünschen Sie mit mir die Künstlerin Laura J. Padgett dafür.

Laura J. Padgett; Bildnachweis: die Künstlerin

Laura J. Padgett, 1958 in Cambridge, Massachussetts, USA geboren, weist ein außergewöhnliches künstlerisches Profil auf.

Sie studierte von 1976 bis 1980 zuerst Malerei und Film am Pratt Institute in New York, dann nach ihrer Umsiedlung 1981 nach Europa ab 1983 bis 1985 Film und Fotografie an der Frankfurter Städelschule bei Peter Kubelka und Herbert Schwöbel sowie von 1991 bis 1994 Kunstgeschichte und Ästhetik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Als Dozentin lehrt sie seit 1990 an mehreren Hochschulen Fotografie, Film, Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Seit 2010 unterrichtet sie an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden.

Sie ist in öffentlichen Sammlungen vertreten und hat seit den neunziger Jahren in Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich, Italien, Türkei und Zypern in Museen und Galerien einzeln ausgestellt. Außerdem war sie als Artist in Residence in England, der Schweiz, in Libanon aber auch auf Schloss Balmoral in Bad Ems.

Laura J. Padgett lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Ein Künstlergespräch zwischen Laura J. Padgett, der Kuratorin und den geladenen Gästen, wird am So. den 13. August 2017 um 11 Uhr in der Ausstellung „somehow real“ im Museum Giersch der Goethe-Universität stattfinden. Ebenda hält am 27. August 2017 um 15 Uhr Laura J. Padgett einen Workshop zur Fotografie als Prozess. Außerdem gibt es auch zwei Führungen der Kuratorin am 26. August um 15 Uhr und am 27. August 2017 um 11 Uhr.

→ Laura J. Padgett erhält den Kunstpreis 2017 der Marielies Hess-Stiftung

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