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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Peace: Auf Friedenssuche in der Schirn

Der Taiwanesische Künstler Lee Mingwei

„PEACE“  – Die derzeitige Sammelausstel­lung in der Schirn versteht sich als Impuls, darüber nach­zu­den­ken, was Frie­den für uns heute sein kann.  12 internationale Künstler haben zu dieser Fragestellung ihr ästhetisches Statement – größtenteils Installationen – abgegeben, darunter der französische Schriftsteller Michel Houellebecq und die Künstler Jan de Cock, Minerva Cuevas, Ed Fornieles,  Surasi Kusolwong, Isabel Lewis, Katja Novitskova, Heather Phillipson, Agnieszka Polska, Timur Si-Qin, Ulay und auch der taiwanesische Künstler Lee Mingwei mit seinem seit 1998 laufenden Work in Progress: „The Letter Writing Project“. Der englische Begriff  „Peace“ wird in dieser Gruppenausstellung dabei sehr weit gefasst. Für die einen kann er die kritische Auseinandersetzung mit der globalisierten Konsumgesellschaft und ihren ökologischen und sozialen Verwerfungen bedeuten, für die anderen wiederum die Suche nach dem inneren Frieden in der Beschäftigung mit ganz privaten Dingen wie zum Beispiel Houellebecq mit seinem Hund. Daneben finden beglei­tend Live-Events wie etwa Vortra­̈ge, Lesun­gen, Poetry-Perfor­man­ces sowie Tanz- und Musik­ver­an­stal­tun­gen statt. Aber auch das Publikum ist gefordert. Die Kommentare zum Thema Frieden werden im digitalen Auftritt der Schirn weitergeschrieben. Die Ausstellung ist bis zum 24. September zu sehen.

Von Petra Kammann

Lee Mingwei in der Schirn, Foto: Petra Kammann

Mehr und mehr öffnet sich die Kunst weltweit für Formen, in denen die Besucher einbezogen werden, in denen das Werk erst in dem Moment entsteht, in dem Zuschauer ihm begegnen. In den Projek­ten des in Taiwan gebo­re­nen Küns­tlers Lee Ming­wei (*1964)  geht es um intime Begeg­nun­gen zwischen Menschen. Dabei spie­len Austausch und das Geschenk eine tragende Rolle. Was das mit Frieden zu tun hat? Aggression, Frustration und schließlich Unfrieden geschieht häufig aus einer Kränkung heraus, die einen zunächst einmal in Stockstarre versetzt und einen Abbruch der Kommunikation und der sich zusammenballenden Aggression nach sich zieht. Mit wem aber würde ich gerne wieder Frieden schließen? Und wie lassen sich dabei Hemmschwellen überwinden?

Wen habe ich gekränkt und wem würde ich einen Brief schreiben, und das am besten ganz neutral, ohne das Gesicht zu verlieren? Habe ich im entscheidenen Moment den Zeitpunkt verpasst, die richtigen Worte zu finden? Da muss dem Künstler Lee Mingwei, der zeitweise in Tokio und in New York lebte, der partizipatorische Gedanke für seine langfristig angelegte Aktion gekommen sein. Für ihn bedeutet „Peace“ zunächst einmal, über die innere Ruhe und das Denken oder gar über das Meditieren zur Ruhe kommen, zu sich selbst zu finden: „Erst wenn ich eine Balance zwischen schön und hässlich, zwischen schlecht und gut finde, kann ich mich zunächst vertrauten Freunden und der Familie zuwenden und dann erst wieder nach außen, in die Öffentlichkeit, gehen. “

In der Ausstellung PEACE sind zwei Arbei­ten von ihm zu erle­ben. Seine parti­zi­pa­tive Instal­la­tion „The Letter Writing Project“, seit 1998 ein work in progress, bildet den Auftakt zur Gesamtpräse­nt­at­ion in der Schirn:  bestehend aus drei puristischen, Ruhe ausstrahlenden klösterlichen Zen-Zellen, die der Künstler mit einem Handwerker aus Kyoto sorgfältig entworfen und gebaut hat.

Handwerklich sorgfältig ist nach altjapanischer Tradition ein Schreibplatz in der zenartigen Zelle angelegt

Wer sich hinein begibt, kann in der Begegnung mit sich selbst auf den Ursprung seiner Wünsche, Sehn­süc­hte und Bedür­fni­sse stoßen, aber auch auf die Angst, diese zu arti­ku­lie­ren.

Die Besu­cher können dann diese für sie nicht beherrschbaren Emotionen, für die sie sich nie die Zeit genommen haben, in Brie­fen formu­lie­ren und diese in die Schlitze der in der Instal­la­tion angebrachten Holzhalterungen stecken, wo dann andere Besucher sie entweder lesen oder sie der Schirn übergeben, um sie an bestimmte Adres­sa­ten verschi­cken zu lassen. Das Schreiben selbst hat für Mingwee eine reinigende Funktion. Im Laufe der Jahre hat der inzwischen in Paris lebende Künstler an die 60 000 Briefe zusammengetragen.

„Getting connected to the world“ – Die Beziehung, die mittels des Mediums Brief mit der Außenwelt geschaffen wird, wie auch das so entstandene Netzwerk zwischen Menschen gelten dem Künstler als die eigentlichen Kunstwerke, die bewusst machen, wie sehr wir alle von unseren Emotionen bestimmt sind.

Ein so unaufgeregtes wie fragiles Projekt. Ob es Kriegstreiber abhält, ist fraglich. Und doch zeigt es Alternativen auf, die so so offen sind wie der Friede selbst.

Das Statement von Lee Mingwei

„When my maternal grandmother passed away, I still had many things to say to her but it was too late. For the next year and a half I wrote many letters to her, as if she were still alive, in order to share my thoughts and feelings with her.

For The Letter Writing Project, I invited visitors to write the letters they had always meant to but never taken time for. Each of three writing booths, constructed of wood and translucent glass, contained a desk and writing materials. Visitors could enter one of the three booths and write a letter to a deceased or otherwise absent loved one, offering previously unexpressed gratitude, forgiveness or apology.

They could then seal and address their letters (for posting by the museum) or leave them unsealed in one of the slots on the wall of the booth, where later visitors could read them. Many later visitors come to realise, through reading the letters of others that they too carried unexpressed feelings that they would feel relieved to write down and perhaps share. In this way, a chain of feeling was created, reminding visitors of the larger world of emotions in which we all participate. In the end, it was the spirit of the writer that was comforted, whether the letter was ever read by the intended recipient or others.’ – Lee Mingwei

In Zusam­men­ar­beit mit dem Städel Museum, dem Deut­schen Archi­tek­tur­mu­seum, dem Museum Ange­wandte Kunst und dem Museum für Moderne Kunst sowie mit orts­an­säs­si­gen Sänger/innen arran­giert die Arbeit „Sonic Blos­som“ (2013) eine Geschenk­si­tua­tion. Dabei stel­len Sänger/innen  Besu­chern die Frage: „Darf ich Ihnen ein Lied schen­ken?“ Beide sitzen und stehen sich gegen­über, während eines von fünf Liedern von Franz Schu­bert vorge­sun­gen wird. Sonic Blos­som ist im Städel (4.–9. Juli), im Deut­schen Archi­tek­tur­mu­seum  (11.–16. Juli), im MMK Museum für Moderne Kunst Frank­furt am Main (15.–20. August), im Museum Ange­wandte Kunst (22.–27. August) und in der SCHIRN (19.–24. Septem­ber) zu erle­ben. Das gültige Ticket für das jewei­lige Haus garantiert für den Einlass.

 

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