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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Französische Lithografien des 19. Jahrhunderts im Städel Museum

Erlesene Raritäten der Graphischen Sammlung

Von Hans-Bernd Heier

Mit der Erfindung des völlig neuen Steindruckverfahrens brach kurz vor 1800 eine neue Epoche der Vervielfältigung von Bildern an. Die gestalterischen Möglichkeiten waren im Vergleich zu den älteren Techniken wesentlich größer, das Drucken wurde schneller und die Auflagenzahlen erhöhten sich. Erste künstlerisch bedeutende Lithografien entstanden in den 1820er Jahren vor allem in Frankreich. Die Vielfalt der französischen Lithografie in dieser Epoche ist bis zum 10. September 2017 in der Graphischen Sammlung des Städel Museums zu sehen.

Francisco de Goya „El famoso Americano, Mariano Ceballos“, 1825, Städel Museum

Die Lithografie (griechisch „Steinschreiben oder -zeichnen“), eine Erfindung des Münchners Alois Senefelder im Jahre 1798, ist im Gegensatz zu Hoch- und Tiefdruck (Holzschnitt, Kupferstich) ein Flachdruckverfahren. Die druckenden und die nicht druckenden Partien liegen auf der gleichen Ebene und werden chemisch, durch den Gegensatz von Fett und Wasser, voneinander getrennt. Dazu wurde im 19. Jahrhundert ein feinporiger Kalkstein als Druckplatte mit der für das Verfahren notwendigen physikalischen Eigenschaften verwendet, Bei der Farblithografie benötigt der Künstler für jede Farbe einen eigenen Stein, der ausschließlich die Partien der jeweiligen Farbe druckt. Vor allen in Frankreich experimentierten bedeutende Künstler seit etwa 1820 mit dem neuen Verfahren und erweiterten im Verlauf des 19. Jahrhunderts ganz entscheidend die damit verbundenen künstlerischen Möglichkeiten.

Théodore Géricault „Boxeurs“, 1818

Unter dem Titel „Géricault bis Toulouse-Lautrec. Französische Lithografien des 19. Jahrhunderts“ sind in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung im Städel rund 90 erlesene Blätter ganz überwiegend aus eigenem Bestand zu sehen – ergänzt durch drei Leihgaben aus einer Frankfurter Privatsammlung. Die erlesenen Raritäten stellen laut Kurator Dr. Martin Sonnabend, dem Leiter der Graphischen Sammlung bis 1750, „Höhepunkte aus dieser Zeit und in dieser Technik dar und geben einen Einblick in die qualitätsvollen Bestände der Graphischen Sammlung im Städel“.  Zu sehen sind auch 15 Neuerwerbungen, die das Museum in den letzten Jahren tätigen konnte.

Gleich zu Beginn der Schau empfängt die Besucher Francisco de Goyas Blatt „El famoso Americano, Mariano Ceballos“ aus seiner Stierkampf-Serie. Goya (1746 – 1828), der Spanien 1824 wegen politischer Repressalien verließ, begann noch im hohen Alter mit dem neuen Verfahren zu experimentieren. In Bordeaux entstanden die vier Blätter der Folge „Die Stiere von Bordeaux“ (1825), die einzigen in einer Auflage (von je 100 Exemplaren) gedruckten Lithografien des Künstlers. Eines dieser heute seltenen und gesuchten Blätter konnte das Städel Museum wunderbarerweise 2013 erwerben.

Eugène Delacroix „Méphistophélès apparaîssant à Faust“, 1828

In Frankreich begannen zu Beginn des 19. Jahrhunderts junge Maler wie Theodore Gericault oder etwas später Eugene Delacroix die besonderen künstlerischen Möglichkeiten des Steindrucks zu erkunden. Théodore Géricault (1791–1824) fertigte in den wenigen Jahren bis zu seinem frühen Tod neben Gemälden und Zeichnungen fast achtzig Lithografien. Das seltene Blatt „Boxeurs“ zählt zu seinen frühen grafischen Hauptwerken. Darauf stellt der Künstler, der sich aktiv für die Sklavenbefreiung einsetzte, den schwarzen und den weißen Boxer als gleichberechtigte Kämpfer dar.

Édouard Manet „Berthe Morisot. Première planche“, 1872

Eugène Delacroix (1798–1863) ist die dritte bedeutende Künstlerpersönlichkeit auf dem Feld der frühen Lithografie. Um 1825 begann Delacroix in dieser Technik dynamisch und innovativ eigenständige Werke neben seiner Malerei zu schaffen. So beschäftigten ihn in seinen Druckgrafiken unter anderem die dämonischen Aspekte in Shakespeares Macbeth und Hamlet sowie in Goethes Faust. Allein zu Faust schuf er in den 1820er Jahren 17 ausdrucksvolle lithografische Illustrationen.

Eng verbunden mit der Erfindung der neuen Drucktechnik war das Aufblühen von Reisebildern und topografischen Illustrationen. Unter dem Einfluss englischer Vorbilder verbreitete sich das Genre rasch auch in Frankreich. Ansichten sehenswürdiger Orte ließen sich nicht nur schnell und ökonomisch, sondern auch mit dem Anschein großer Authentizität bis hin zu nahezu fotografischen Wirkungen produzieren.

Honoré Daumier „Rue Transnonain“, le 15 avril 1834

Das absolut neuartige Herstellungs- und Reproduktionsverfahren erlaubte es versierten Zeichnern mit vergleichsweise geringem Aufwand effektvolle und gut verkäufliche Grafiken auf den Markt zu bringen. Das vor allem in den Bereichen Illustration und Karikatur. Deren prominentester und vielseitigster Vertreter im Frankreich des 19. Jahrhunderts war zweifelsohne Honoré Daumier (1808–1879). Mit politischen, später aufgrund einer strikteren Gesetzeslage stärker mit gesellschaftskritischen Zeitungskarikaturen verdiente der autodidakte Künstler mehr als vier Jahrzehnte seinen Lebensunterhalt. „Er war“, wie Kurator Sonnabend betont, „der berühmteste Zeichner, weil der beste“. In seinen subtilen Karikaturen fing er großartig atmosphärische Eindrücke, Gefühle und Stimmungen ein. Sein Gesamtwerk umfasst die beeindruckende Zahl von etwa 4000 Lithografien, die zeitlose künstlerische Qualität besitzen, auch wenn sie aktuelle Zustände aufs Korn nehmen.

Odilon Redon „Vision“ (Blatt 8 der Folge „Dans le Rêve“), 1879

Erst nach der Jahrhundertmitte wandte sich Édouard Manet (1832–1883), der als Druckgrafiker zunächst an Radierung und Aquatinta interessiert war, der Lithografie zu. In nur wenigen Jahren hat er dabei ein Höchstmaß an formaler Freiheit und Ausdruckskraft erreicht. Dies wird unter anderem in den ausgestellten Werken „Les courses“ (Pferderennen in Longchamp, 1872) oder in seinem Bildnis „Berthe Morisot“ (1872) deutlich.

Parallel zum Impressionismus, der sich mit der Wahrnehmung der sichtbaren Welt auseinandersetzte, entstand in Frankreich nach der Mitte des 19. Jahrhunderts eine aus ästhetischen Vorstellungen der Romantik herrührende Kunstrichtung, die aus dem Bereich des Gedankens, der Phantasie und des Traums schöpfte: der „Symbolismus“. Der dem Symbolismus zuzuordnende Odilon Redon (1840–1916) hat mit seinen insgesamt rund 200 Lithografien einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung der Drucktechnik zur autonomen Künstlergrafik getan. Er arbeitete in seinen Werken in herausragender Weise die Schwärze, der er eine unverwechselbare, samtene Stofflichkeit verlieh, als besondere Stärke und Eigenheit der Lithografie heraus.

Édouard Vuillard „Intérieur aux tentures roses I“ (Blatt 5 der Folge „Paysages et intérieurs“), 1899

Das Aufkommen der Farblithografie belebte gegen Ende des 19. Jahrhunderts die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Steindruck aufs Neue: Zu der steigenden Wertschätzung der Künstlergrafik trug vor allem bei, dass es in der schnell wachsenden Pariser Großstadtgesellschaft ein immer breiteres Publikum mit kulturellen Interessen gab. Dieses begann auch mit bescheideneren Mitteln zu sammeln und wollte so an der zeitgenössischen Kunstproduktion teilhaben.

Henri de Toulouse-Lautrec „Mademoiselle Marcelle Lender, en buste“, 1895

Meisterwerke der Farblithografie von Henri de Toulouse-Lautrec und den postimpressionistischen „Nabis“ Édouard Vuillard, Maurice Denis und Pierre Bonnard runden die vorzügliche Schau ab. Der unorthodoxe Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901) griff die technischen Möglichkeiten des Farbdrucks für kühne und avantgardistische Bildschöpfungen auf. Er, der aus einem der ältesten Adelsgeschlechter Frankreichs stammte, wählte als Künstler die Vergnügungslokale und Halbweltkreise des Montmartre zu seiner Heimat. Insgesamt schuf er nicht weniger als 350 mehrfarbige und schwarzweiße Steindrucke. Die Lithografie trat bei ihm als künstlerisches Ausdrucksmittel gleichberechtigt neben die Malerei und begründete mehr noch als diese seine Bekanntheit zu Lebzeiten und seine Popularität bis heute. Dabei kümmerte sich Toulouse-Lautrec generell wenig um Unterschiede zwischen freier und angewandter Kunst: Seine lithografischen Werke entstanden für Plakate, Menükarten oder Theaterprogramme ebenso wie als autonome Auflagendrucke, die sich eines wachsenden Liebhaberpublikums erfreuten.

„Géricault bis Toulouse-Lautrec. Französische Lithografien des 19. Jahrhunderts“ bis 10. September 2017 in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung im Städel Museum; weitere Informationen unter: www.staedelmuseum.de

Abbildungen: Städel Museum ARTOTHEK

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